Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.07.1997

OVG NRW (kläger, wiederherstellung, auf lebenszeit, klinik, pflicht des beamten, pflicht zur dienstleistung, öffentliches dienstrecht, verhältnis zu, prognose, gutachten)

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 4369/95
Datum:
02.07.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 4369/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 10 K 1501/94
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der am 13. Februar 1937 geborene Kläger stand bis zu seiner vorzeitigen
Zurruhesetzung als Beamter auf Lebenszeit im nichttechnischen Verwaltungsdienst der
Beklagten. Im Amt eines Stadtamtmanns war er zuletzt als Leiter der Stadtkasse
eingesetzt.
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Seit dem 12. Juli 1989 war der Kläger, von urlaubsbedingten und zwei anderen
kurzfristigen Unterbrechungen im April und Mai 1990 abgesehen, laufend dienstunfähig
erkrankt. In einem Gutachten der G. -Klinik - Fachklinik für Psychotherapie und
Psychosomatik - vom 26. April 1990 wurde im Gefolge der Umsetzung vom ehemaligen
Leiter des Steueramtes (richtig: Abteilungsleiter der Steuerabteilung) zum leitenden
Beamten der Stadtkasse, die der Kläger als sozialen Abstieg erlebt habe, eine schwere
narzistische Krise mit latenter Suizidialität diagnostiziert. Es wure trotz insgesamt
ungünstiger Prognose von seiten der Klinik dringend die Durchführung einer
Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatisch orientierten Klinik
(psychosomatische Kur) angeraten. Als geeignete Klinik wurde u.a. die R. in Bad B.
vorgeschlagen. Ein weiterer Arbeitsversuch - ein kurz zuvor beim Kläger durchgeführter
war fehlgeschlagen - sei vor der Kurmaßnahme wenig sinnvoll. Mit Stellungnahme vom
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31. Mai 1990 sah der Amtsarzt unter Bezugnahme auf das vorliegende
fachpsychiatrische Gutachten der G. -Klinik die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2
LBG (Nichteintreten der vollen Dienstfähigkeit auch in den nächsten sechs Monaten) für
gegeben an.
Unter dem 11. Juli 1990 verfügte die Beklagte daraufhin wegen Dienstunfähigkeit die
Versetzung des Klägers in den "vorläufigen" Ruhestand mit Ablauf des 31. Oktober
1990; die Zurruhesetzungsurkunde, die keinen Hinweis auf eine Vorläufigkeit enthielt,
wurde dem Kläger am 26. Oktober 1990 ausgehändigt. Der Kläger erhält seitdem
Ruhegehalt nach einem Ruhegehaltssatz von 69 %.
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Zum Zwecke der Überprüfung seiner Dienstfähigkeit wurde der Kläger in der Folgezeit
mehrfach amtsärztlich und fachärztlich untersucht. Ausweislich einer amtsärztlichen
Stellungnahme vom 25. November 1991 wurde der Kläger auch zu jenem Zeitpunkt
nicht für in der Lage befunden, den Anforderungen eines Verwaltungsbeamten in seiner
Position zu genügen. Gleichzeitig wurde zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit
die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in einer psychosomatischen Klinik
(erneut) vorgeschlagen. In einem internistisch-rheumatologischen Gutachten des St. E. -
Hospitals M. -L. vom 23. April 1992 wurde desweiteren eine mittelschwere
Psoriasisarthritis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 diagnostiziert und der
Kläger (auch) vor diesem Hintergrund als dienstunfähig angesehen. Aufgrund der
Aktivität der Psoriasisarthritis sah der Gutachter, Chefarzt Privatdozent Dr. L. , die
Möglichkeit zu einer wirkungsvollen psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme zur
Zeit nicht für gegeben. Das Beschwerdebild von seiten der Psoriasisarthritis stehe derart
im Vordergrund, daß dies keine besonders günstige Voraussetzung für den Beginn
einer psychosomatischen Behandlung darstelle. Der Amtsarzt schloß sich der
Einschätzung, daß das rheumatologische Geschehen beim Kläger derzeit im
Vordergrund stehe und dieser weiterhin als dienstunfähig anzusehen sei, in seiner
Stellungnahme vom 9. Juni 1992 an. In einer weiteren amtsärztlichen Stellungnahme
vom 24. Juni 1993 hieß es nach erneuter Untersuchung des Klägers dann, daß dieser
an einer geringgradig ausgeprägten und medikamentös gut beherrschten
Psoriasisarthropathie mit im Vordergrund stehenden Sprunggelenkbeschwerden rechts
leide. Im Zusammenhang mit seiner nach wie vor bestehenden, fachärztlich
festgestellten psychiatrischen Erkrankung sei der Kläger weiterhin als dienstunfähig
anzusehen. Allerdings sei er trotz seiner Psoriasisarthropathie gesundheitlich durchaus
in der Lage, sich der mit damaligen Schreiben und auch jetzt wieder vorgeschlagenen
stationären psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme zu unterziehen.
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Im Gefolge dessen wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. Juli 1993 an,
sich der vom Amtsarzt vorgeschlagenen stationären psychosomatischen
Rehabilitationsmaßnahme in einer der hierfür in Frage kommenden Kliniken zu
unterziehen. Bis Ende Juli werde die Mitteilung erwartet, ab wann und in welcher Klinik
die Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werde. Dem widersprach der Kläger unter
Hinweis auf die Besorgnis, daß er im Rahmen der ihm angekündigten stationären
psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme Schwierigkeiten mit der langwirkend
antirheumatischen Therapie bekomme, d.h. der Erfolg der letztgenannten Therapie
vereitelt und sein Gesundungsprozeß beeinträchtigt werde. Aus einem eingereichten
Attest des St. E. -Hospitals vom 22. Juli 1993 ergab sich, daß auch aus Sicht dieser
Klinik eine psychosomatisch ausgerichtete AHB zumindest zur Zeit abzulehnen sei.
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Unter dem 30. Juli 1993 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie dessen Besorgnis
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unter Bezugnahme auf die amtsärztliche Aussage vom 24. Juni 1993 nicht teile und
deshalb das Schreiben vom 2. Juli 1993 in vollem Umfang - auch bezüglich der
genannten Frist - aufrecht erhalten werde.
Nachdem keine Reaktion des Klägers erfolgte, wies die Beklagte diesen mit Schreiben
vom 30. September 1993 konkret an, innerhalb von vier Wochen nach Zugang dieses
Schreibens die zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit erforderliche stationäre
psychosomatische Kur an der R. in Bad B. anzutreten. Sie machte darauf aufmerksam,
daß der Kläger aus der Treue- und Gehorsamspflicht auch verpflichtet sei, sich zur
Wiederherstellung der eingeschränkten bzw. verloren Arbeitskraft einer zumutbaren
Heilbehandlung zu unterziehen. Für den Fall der Nichtbefolgung bestehe der
begründete Verdacht, daß der Kläger bewußt und gewollt die Wiederherstellung der
Dienstfähigkeit und folglich die erneute Berufung in das Beamtenverhältnis verhindern
wolle. Dies könne als Dienstvergehen geahndet werden.
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Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers, in welchem dieser eine so
weitgehende Mitwirkungspflicht des Ruhestandsbeamten verneinte, wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1994 zurück.
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Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben und im wesentlichen vorgetragen: Eine
Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 30. September 1993 ihm gegenüber
erlassene Maßnahme liege nicht vor. Eine solche ergebe sich auch nicht, wie die
Beklagte meine, aus der Treue- und Gehorsamspflicht des Beamten. Die sog.
Gesunderhaltungs- und Gesundungspflicht resultiere aus der allgemeinen
Dienstleistungspflicht und könne bereits deshalb von ihrem Inhalt her nicht auf
Ruhestandsbeamte angewendet werden. Davon gehe auch die disziplinarrechtliche
Rechtsprechung aus. Was in bezug auf Ruhestandsbeamte als Dienstvergehen gelte,
sei in § 83 Abs. 2 LBG NW abschließend bestimmt. Ein Verhalten seinerseits, welches
sich nur ansatzweise hierunter subsumieren ließe, liege nicht vor. Im Zusammenhang
mit der Nachprüfung der Dienstfähigkeit seien die Verpflichtungen des
Ruhestandsbeamten in § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG abschließend geregelt. Der dort
normierten Untersuchungspflicht sei er stets nachgekommen. Ferner habe die Beklagte
bei ihrer Entscheidung andere Erkenntnisquellen, wie insbesondere die
Stellungnahmen des St. E. -Hospitals, unzureichend berücksichtigt. Dort werde seine
Befürchtung einer negativen Beeinflussung der langwirkenden antirheumatischen
Therapie fachärztlich gestützt. Wegen der jetzt angesichts der noch erschwerend
hinzugekommenen Erkrankung der Psoriasisarthritis eindeutig ungünstigeren Prognose
einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit sei die - vor der Zurruhesetzung
möglicherweise angemessen gewesene - psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme
zu dem verfügten Zeitpunkt schließlich auch ermessensfehlerhaft.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Verfügung der Beklagten vom 30. September 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1994 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat zur Begründung ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Klägers obliege
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diesem auch noch nach der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand die Pflicht zur
Wiederherstellung der verlorenen Dienstfähigkeit. Dies folge aus der Treue- und
Gehorsamspflicht des Beamten. Dieser habe seine Arbeitskraft nicht nur zu erhalten,
sondern die beschränkte oder verlorene Arbeitskraft auch wiederherzustellen. Bei der
Versetzung in den "vorläufigen Ruhestand" aufgrund von Dienstunfähigkeit werde die
allgemeine Dienstleistungspflicht des Beamten nicht endgültig aufgehoben, sondern
ruhe lediglich. Die umstrittene psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme sei darüber
hinaus auch notwendig und zumutbar. Eine Fortsetzung der rheumatologischen
Therapie sei in der R. gewährleistet. Soweit hier gegensätzliche Arztgutachten vorlägen,
komme dem amtsärztlichen Gutachten die höhere Kompetenz zu. Im übrigen entfalte der
Kläger in seiner Freizeit vielseitige sportliche Aktivitäten, worüber schon mehrfach in der
örtlichen Presse berichtet worden sei. In der Öffentlichkeit und bei den Bediensteten
stoße der Widerspruch zwischen Dienstunfähigkeit und sportlicher Höchstleistung auf
großes Unverständnis.
Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen
wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und die angefochtenen
Bescheide aufgehoben. In den Gründen hat es dabei sowohl eine Kompetenz der
Beklagten zur Erteilung von Weisungen an Ruhestandsbeamte als auch eine materielle
Verpflichtung von Ruhestandsbeamten, Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer
Dienstfähigkeit zu ergreifen, verneint.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung wiederholt und
bekräftigt sie im wesentlichen den schon im Verwaltungsverfahren und im ersten
Rechtszug vertretenen Rechtsstandpunkt. Ergänzend macht sie geltend: Eine Pflicht für
im Ruhestand befindliche Beamte, sich zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit
bestimmten ärztlichen Behandlungen zu unterziehen, sei zwar in § 48 LBG nicht
ausdrücklich erwähnt. Der Gesetzgeber habe dort hieran aber als Faktum angeknüpft.
Entsprechend den Fortschritten der Medizin sei heute nämlich fast jede Krankheit nach
einem gewissen Zeitablauf und bei Anwendung moderner wissenschaftlicher Methoden
insoweit heilbar, daß eine Dienstfähigkeit wieder erreicht werden könne.
Dementsprechend liege der Zurruhesetzung nach § 45 Abs. 1 LBG nur eine
medizinische Prognose auf absehbare Zeit zugrunde. Auch im Rahmen der Reform des
öffentlichen Dienstrechts seien Modelle vorgeschlagen worden, die darauf hinausliefen,
die Zurruhesetzung auf bestimmte Zeitabschnitte zu begrenzen bzw. den betroffenen
Ruhestandsbeamten Dienstaufgaben zuzuweisen, die sie ihrem Gesundheitszustand
entsprechend durchführen könnten. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die
Verneinung von Heilungschancen bei Eintritt der Dienstunfähigkeit bedeute gleichzeitig
auch ein Ende der Pflicht, Dienst zu tun und damit auch seine Dienstfähigkeit zu
erhalten, beruhe aufgrund dessen auf einer unzutreffenden Gesetzesinterpretation. Es
gehöre zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, daß auch nach der
Beendigung des Beamtenverhältnisses Rechte und Pflichten aus dem aktiven
Beamtenverhältnis fortwirkten und auch solche neu begründet würden. Unzutreffend
seien auch die Ausführungen in dem erstinstanzlichen Urteil, daß die in Rede stehende
Pflicht nicht in das System von Zurruhesetzung und Reaktivierung passe. Ein
unbedingter gesetzlicher Anspruch auf Reaktivierung müsse der Verpflichtung des
Ruhestandsbeamten, alles zur Wiedergenesung zu tun, nicht zwingend
gegenüberstehen. Schließlich schlössen es auch speziell normierte Beamtenpflichten
nicht aus, zusätzlich auf die allgemeine Treuepflicht zurückzugreifen. Das gelte auch im
vorliegenden Fall. Dabei mache es einen Unterschied, ob ein Beamter aufgrund der
allgemeinen Altersgrenze oder aber vorzeitig in den Ruehstand versetzt werde. Nur in
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letzterem Falle bestehe die Verpflichtung, sich einer Behandlung zur Wiederherstellung
der Dienstfähigkeit zu unterziehen.
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zum Berufungsvorbringen führt er aus,
daß dieses zum größten Teil neben der Sache liege und die gesetzlichen Vorschriten
fehlinterpretiere.
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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der
Gerichtsakte und den beigezogenen Personal- und Verwaltungsvorgängen der
Beklagten; hierauf wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat
die Klage gegen die dem Kläger erteilte Weisung, sich zur Wiederherstellung seiner
Dienstfähigkeit einer stationären psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme bzw.
Kur an der R. in Bad B. zu unterziehen, jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
Die angefochtenen Bescheide sind dementsprechend rechtswidrig und verletzen den
Kläger in seinen Rechten.
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Auch der Senat sieht die Klage als zulässig und dabei die umstrittene Anordnung als
anfechtbaren Verwaltungsakt an. Letztere erschöpft sich nämlich - anders als etwa die
Aufforderung an einen vorzeitig zur Ruhe gesetzten Beamten, sich auf seine
Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen, nicht in einer unselbständigen
Vorbereitungshandlung für ein beabsichtigtes Reaktivierungsverfahren, sondern
bedeutet für den Betroffenen eine gegenüber der abschließenden Entscheidung in
jenem Verfahren selbständige und zusätzliche materielle Beschwer. Einer
Einbeziehung auch der Verfügungen vom 2. und 30. Juli 1993 in das
Anfechtungsbegehren bedurfte es nicht, weil diese inhaltlich durch die angegriffene
Verfügung vom 30. September 1993 überholt und ersetzt worden sind. Schließlich hat
sich das Anfechtungsbegehren des Klägers auch nicht durch den Ablauf der in der
Verfügung vom 30. September 1993 bestimmten Frist (vier Wochen nach Zugang)
erledigt. Die aufgegebene Maßnahme ist nämlich nicht derart an eine Frist gebunden,
daß sie danach objektiv nicht mehr durchführbar wäre; der Kläger kann sich der
stationären Kur (ggf. nach neuer Terminsabsprache mit der Klinik) vielmehr
grundsätzlich immer noch unterziehen. Darüber hinaus hat die Beklagte durch die
sachliche Bescheidung des Widerspruchs noch nach Ablauf der gesetzten Frist sowie
auch durch ihr Vorbringen im gerichtlichen Verfahren hinreichend zum Ausdruck
gebracht, daß sie offenbar weiterhin auf einer - auch künftigen - Befolgung der Weisung
durch den Kläger besteht.
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Vgl. zur fehlenden Erledigung einer Behandlungsanordnung in einem vergleichbaren
Fall auch Urteil des 6. Senats dieses Gerichts vom 14. Februar 1990 - 6 A 2041/89 -.
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Die Klage ist auch begründet. Denn eine dienstliche Verpflichtung des Beamten,
Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zu ergreifen bzw. jedenfalls an
solchen mitzuwirken, um dadurch zur Wiedererlangung seiner Dienstfähigkeit
beizutragen und seine Reaktivierung zu ermöglichen, kann nach geltendem Recht
allenfalls beim Vorliegen besonderer einschränkender Voraussetzungen bestehen,
nachdem der Beamte wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt
worden ist. Am Vorliegen dieser Voraussetzungen fehlt es hier.
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Der Beklagten ist im Grundsatz zuzugeben, daß die - jedenfalls für aktive Beamte
anerkanntermaßen bestehende - Pflicht zur Erhaltung und ggf. auch Wiederherstellung
seiner Gesundheit bzw. seiner vollen Arbeitskraft ihrem Ursprung nach Ausfluß der
allgemeinen Treuepflicht des Beamten ist,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, z.B. Urteil vom 9. Januar 1980 - 1 D 40.79 - BVerwGE
63, 322 (324); Claussen/Janzen, BDO, 8. Auflage, Einleitung C, Rdnr. 15 a,
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die als solche - jedenfalls eingeschränkt - auch noch für die Ruhestandsbeamten gilt.
Die sich aus der Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches
Dienst- und Treueverhältnis (vgl. § 2 LBG) ergebenden Verpflichtungen haben
allerdings in vielerlei Hinsicht eine nähere gesetzliche Ausgestaltung und
Konkretisierung erfahren, auf die im Verhältnis zu der eher Auffangcharakter
besitzenden allgemeinen Treuepflicht vornehmlich abzuheben ist. Dazu gehört u.a. die
Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 57 Satz 1 LBG
NW). Dieser ihrerseits noch weiter konkretisierungsbedürftigen Verpflichtung wird die
Pflicht zur Gesunderhaltung und ggf. Wiederherstellung der Arbeitskraft - jedenfalls bei
noch aktiven Beamten - im allgemeinen zugeordnet.
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Vgl. etwa Urteil des 6. Senats dieses Gerichts vom 14. Februar 1990 - 6 A 2041/89 -;
Fürst u.a., Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, K § 54 Rdnr. 6; Claussen/Janzen,
a.a.O.
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In Übereinstimmung damit steht die Pflicht, sich zur Erhaltung oder Wiederherstellung
der vollen Dienstfähigkeit ggf. auch einer zumutbaren Heilbehandlung (oder
Rehabilitationsmaßnahme) zu unterziehen, in enger Beziehung zu der Pflicht zur
Dienstleistung.
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Vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 9. Mai 1990 - 2 B 48.90 - RiA 1991,
310.
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Zur Dienstleistung sind aber ungeachtet des sog. "Lebenszeitprinzips" im Grunde nur
aktive Beamte und nicht mehr - auch nicht bei vorzeitiger Zurruhesetzung -
Ruhestandsbeamte verpflichtet. Deren Pflichtenstellung ist vielmehr auf einen relativ
eng umgrenzten Kreis von Pflichten begrenzt.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Mai 1968 - I D 44.67 - BVerwGE 33, 155
(158 f).
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Das sind in erster Linie die in § 83 Abs. 2 LBG aufgeführten Pflichten, deren Verletzung
auch noch im Status des Ruhestandsbeamten eine disziplinare Verfolgung als
Dienstvergehen nach sich ziehen kann. Zu diesen Pflichten zählt die Pflicht zur
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Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit jedenfalls nicht ausdrücklich. Zwar
gilt es nach § 83 Abs. 2 Nr. 4 LBG als Dienstvergehen, wenn der Ruhestandsbeamte
entgegen (u.a.) § 48 Abs. 1 LBG einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis
nicht nachkommt. Die Reaktivierung nach § 48 Abs. 1 LBG setzt jedoch grundsätzlich
voraus, daß der wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte
bereits wieder dienstfähig geworden ist. Gerade dies war im Zeitpunkt des Ergehens der
angefochtenen Maßnahme und auch des Widerspruchsbescheides jedenfalls aus der
Sicht des Amtsartzes, welcher sich die Beklagte angeschlossen hat, beim Kläger aber
(noch) nicht der Fall.
Soweit § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG für wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzte
Beamte ausdrücklich bestimmt, daß sie sich nach Weisung ihres Dienstvorgesetzten
ärztlich untersuchen und ggf. auch beobachten lassen müssen, bezweckt dies -
jedenfalls in erster Linie - lediglich die Feststellung, ob Dienstfähigkeit wieder
eingetreten ist oder nicht. Demgegenüber geht es vorliegend um Maßnahmen, mit deren
Hilfe nach Einschätzung der Beklagten die Dienstfähigkeit nicht festgestellt, sonder erst
einmal wieder herbeigeführt werden soll.
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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich bereits, daß für Ruhestandsbeamte
eine Verpflichtung zur Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nur in engen Grenzen
bestehen kann. Bei der näheren Bestimmung dieser Grenzen hat sich der Senat von
folgenden Erwägungen leiten lassen:
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Vor dem Hintergrund der grundsätzlich "auf Lebenszeit" bestehenden Dienstpflicht des
Beamten
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vgl. etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 11. April 1967 - 2 BvL 3/92 -
BVerfGE 21, 329 (345); Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 9. Mai 1990, a.a.O.
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und des dieser Pflicht korrespondierenden, durch den Eintritt in den Ruhestand
namentlich bei vorzeitigem Eintritt nur gelockerten, aber nicht aufgelösten
Treueverhältnisses, wird man wohl annehmen müssen, daß der zur Ruhe gesetzte
Beamte das in der gesetzlichen Regelung des § 48 LBG manifestierte
Reaktiverungsinteresse des Dienstherrn auch schon im Vorfeld des Erreichens der
Reaktivierungsvoraussetzungen nicht grundlos unterlaufen darf. Auf der anderen Seite
muß aber auch der Dienstherr in derartigen Konstellationen wegen der geminderten
Pflichtenstellung des Ruhestandsbeamten in besonderem Maße auf die
Persönlichkeits- und Interessensphäre des Beamten Bedacht und Rücksicht nehmen.
Zu letzterem gehört vor allem, daß der Beamte auch mit Blick auf eine beabsichtigte
spätere Reaktivierung nicht unnötig, voreilig und/oder ohne gesicherte Grundlage zu
Heil- und Rehabilitationsmaßnahmen verpflichtet werden darf.
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In Konkretisierung dessen hat der Dienstherr vor Anordnung derartiger Maßnahmen
eine Prognose besonderer Art und besonderen Inhalts zu treffen. Diese muß erstens
von einer aktuellen Feststellung und Beurteilung der Dienstfähigkeit des Beamten
ausgehen. Zweitens muß die medizinische Eignung und Notwendigkeit der konkret
beabsichtigten Heil- oder Rehabilitierungsmaßnahme in Richtung auf das
Reaktivierungsziel feststehen. Im Zusammenhang damit bedarf es drittens einer
positiven Prognose, daß durch die beabsichtigte Maßnahme eine Wiederherstellung der
Dienstfähigkeit auch aller Wahrscheinlichkeit nach erreicht wird. Viertens muß der
Dienstherr der Reaktivierung des Beamten auch vor dem Hintergrund einer erstrebten
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Wiedereingliederung in den Dienstbetrieb grundsätzlich positiv gegenüberstehen.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden
Prognoseentscheidung(en) ist dabei - wie regelmäßig und so auch hier - der Zeitpunkt
der letzten Behördenentscheidung.
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Vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. April 1997 - 2 C 11.96 -.
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In Ansehung dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Verfügung der Beklagten
als rechtswidrig. Denn in bezug auf die dem Kläger aufgegebene psychosomatische Kur
haben die genannten engen Voraussetzungen im Januar 1993 (Zeitpunkt des Ergehens
des Widerspruchsbescheides) nahezu sämtlich nicht vorgelegen; zumindest war
insoweit die Sachverhaltsgrundlage nicht hinreichend gesichert.
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Fraglich ist schon, ob der Kläger zu jenem Zeitpunkt wirklich (noch) dienstunfähig
gewesen ist und - wenn ja - aufgrund welchen Krankheitsbildes. Eine hinreichende und
eindeutige Klärung, ob die im Gutachten der G. -Klinik von April 1990 enthaltene,
allerdings auf einer sehr subjektiv gefärbten Anamnese des Klägers beruhende und
insofern nur schwer nachvollziehbare Diagnose einer psychischen Erkrankung auch im
Jahre 1993 noch aufrecht erhalten werden konnte, hat nicht stattgefunden. Gleiches gilt
für die Frage, in welchem Verhältnis die von der Beklagten weiterhin angenommene
Dienstunfähigkeit durch die psychische Erkrankung und/oder die zusätzlich seit 1992
diagnostizierte rheumatologische Erkrankung hervorgerufen wurde. Die Aussagen des
Amtsarztes in dessen Stellungnahmen vom 9. Juli 1992 und 24. Juni 1993 sind in
diesen Punkten viel zu allgemein gehalten. Dabei fällt vor allem ins Gewicht, daß keine
neuen fachärztliche Untersuchungen stattgefunden haben, sondern etwa in
psychiatrischer Hinsicht die "alten" Untersuchungsergebnisse und
Behandlungsempfehlungen der G. -Klinik einfach fortgeschrieben worden sind. Eine
medizinisch gesicherte Grundlage für die Eignung und Erforderlichkeit der
angeordneten Kurmaßnahme noch im Jahre 1993 gab es demzufolge nicht. Das gilt erst
recht bei Einbeziehung der im Gutachten des St. E. -Hospitals geäußerten Bedenken
gegen die in Rede stehende Maßnahme. Ferner wurde - eine fortbestehende
Dienstunfähigkeit des Klägers unterstellt - nicht weiter hinterfragt, wieso die seinerzeit
von der G. -Klinik vorgeschlagene psychosomatische Kur trotz der dort zugleich
angeführten "insgesamt ungünstigen Prognose" überhaupt mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Klägers führen
werde. Da inzwischen eine weitere Krankheit hinzugekommen war, dürfte die Prognose
nicht besser geworden sein. Schließlich stand, ohne daß es hierauf noch entscheidend
ankäme, hinter der Absicht der Beklagten, den Kläger zu reaktivieren, auch nicht
vorrangig ein konkretes dienstliches Bedürfnis an der Wiedererlangung seiner
Arbeitskraft oder fachlichen Kompetenz. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des
Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ging es der
Beklagten nicht vornehmlich darum, den Kläger wieder in den Dienstbetrieb
einzugliedern (was übrigens nach der die Zeit vor seiner Zurruhesetzung betreffenden
Aktenlage äußerst schwierig gewesen wäre), sondern in erster Linie um die
Ansehenswahrung der Beamtenschaft, die hier in einer relativ kleinen Stadt durch starke
sportliche und gesellschaftliche Aktivitäten des Kläges nach seiner vorzeitigen
Zurruhesetzung in Mitleidenschaft gezogen worden sei.
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Sollte die Beklagte, wofür hier manches sprechen könnte, den Fehler begangen haben,
den Kläger ohne eine hinreichende Abklärung der Frage seiner dauernden
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Dienstunfähigkeit und damit verfrüht nach § 45 Abs. 1 LBG in den vorzeitigen
Ruhestand versetzt zu haben, so wäre es auch in diesem Falle nicht der geeignete und
zulässige Weg gewesen, den Kläger mit der hier streitgegenständlichen
Rehabilitationsmaßnahme zu belegen.
Dem schriftsätzlich gestellten Antrag der Beklagten, eine Stellungnahme des
Bundesministeriums des Innern zu Fragen der Dienstrechtsreform einzuholen, brauchte
der Senat schon deshalb nicht nachzukommen, weil es für seine Entscheidung auf
rechtspolitische Überlegungen, die in dem anzuwendenden Recht noch keinen
Niederschlag gefunden haben, nicht ankommen kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über ihre
Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür (§§
132 Abs. 2 VwGO, 127 BRRG) nicht vorliegen.
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