Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.10.2005

OVG NRW: betriebskosten, besuch, begriff, entstehung, leistungsverhältnis, öffentlich, entgeltlichkeit, krankheit, beitragspflicht, familie

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 4590/04
Datum:
05.10.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 4590/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 7 K 4288/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren
ebenfalls auf 503,16 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des
angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Bescheid des
Bürgermeisters der Stadt I. vom 20. August 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 28. August 2003 ist rechtmäßig und
verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit darin für
die Über-Mittag-Betreuung ein Beitrag von monatlich 41,93 EUR festgesetzt worden ist.
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Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 6 GTK ist für die regelmäßige Betreuung eines Kindes im
Kindergarten über Mittag (12.30 Uhr bis 14.00 Uhr) ein zusätzlicher Beitrag zu zahlen.
Wann eine regelmäßige Betreuung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, ergibt sich
weder aus dem Gesetz, noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. LT- Drucks. 11/1640
und 11/2330). Der Wortlaut lässt offen, ob ein Kind tatsächlich regelmäßig über Mittag
betreut werden muss, oder ob es nur darauf ankommt, dass die Möglichkeit besteht, eine
regelmäßige Über-Mittag-Betreuung in Anspruch zu nehmen; des Weiteren ist unklar, ab
welchem Zeitpunkt eine Regelmäßigkeit anzunehmen ist.
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Die maßgebenden Voraussetzungen erschließen sich jedoch aus der gesetzlichen
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Konzeption der Elternbeiträge. Die Elternbeiträge nach § 17 GTK können dabei nicht
losgelöst von ihrer bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage § 90 Abs. 1 SGB VIII
gesehen werden. Der Landesgesetzgeber hat ersichtlich an den dort aufgeführten
Begriff des "Teilnahmebeitrags" und nicht an den klassischen Begriff der "Gebühr"
angeknüpft. Die gesetzliche Ausgestaltung des Elternbeitrags ist zum einen dadurch
gekennzeichnet, dass die Elternbeiträge nach § 17 GTK lediglich einen geringen Teil
der Betriebskosten der Tageseinrichtungen decken und damit nur einen im wörtlichen
Sinn "Beitrag" zu diesen Kosten darstellen; der weit überwiegende Teil der
Betriebskosten wird von den Trägern der Tageseinrichtungen und von öffentlichen
Kassen, nämlich den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (§ 18 Abs. 1 und 2
GTK) und vom Land NRW im Wege eines dem örtlichen Träger zu gewährenden
Zuschusses getragen. Die danach im Wesentlichen staatlicherseits erbrachte Leistung -
die finanzielle Förderung der Benutzung der Tageseinrichtung - wird lediglich in
unterschiedlicher Höhe gemindert um die von den Eltern zu entrichtenden
Elternbeiträge.
Die Elternbeiträge entziehen sich als Teilnahmebeiträge auch in weiteren Punkten einer
eindeutigen Zuordnung zu den klassischen Abgabenarten. Bei den Elternbeiträgen
handelt es sich nicht um Beiträge im klassischen abgabenrechtlichen Sinn. Letztere
dienen dem Vorteilsausgleich für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer
Einrichtung, unabhängig davon, ob die Einrichtung tatsächlich in Anspruch genommen
wird. Demgegenüber setzt die Entstehung der Elternbeitragspflicht den Tatbestand der
Teilnahme in Form der Inanspruchnahme -, d.h. den tatsächlichen Besuch einer
Tageseinrichtung i.S.d. § 1 GTK, voraus (vgl. § 90 Abs. 1 SGB VIII und § 17 Abs. 2 Satz
1 GTK). Dabei wird die das Nutzungsverhältnis konkretisierende, vom Träger im
Einzelnen zu erbringende Leistung im Gesetz in den §§ 1 bis 4 sowie 9 und 19 GTK
lediglich der Zielsetzung nach, nicht aber dem konkreten Leistungsumfang nach
geregelt. Ausweislich der Anlage zu § 17 GTK betrachtet der Gesetzgeber die
Betreuung "über Mittag" als gesonderte Angebotsform, an die die sozialrechtliche
Abgabe "Elternbeitrag" anknüpft.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. März 2001 - 16 A 4298/00 - Städte- und Gemeinderat
2002, Nr. 1-2, 32-33
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Von den Benutzungsgebühren wiederum unterscheiden sich die Elternbeiträge
insbesondere dadurch, dass ihnen - wie eingangs dargelegt - das gebührentypische
"Kostendeckungsprinzip" im Sinne einer über die Elternbeiträge angestrebten
vollständigen Deckung der Betriebskosten und der gebührentypische "Grundsatz der
speziellen Entgeltlichkeit" (Prinzip der Leistungsproportionalität) nicht immanent sind.
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Diese Modifizierungen lassen allerdings die grundsätzliche Qualifizierung der
Elternbeiträge als öffentlich-rechtliche Abgaben (eigener Art) unberührt.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2001
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- 9 B 90.01 -; OVG NRW, Urteil vom 13. Juni 1994,
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- 16 A 2645/93 -, NVwZ 1995, 191; Beschluss vom 2. August 2002 - 16 B 1212/02 -;
Beschluss vom 17. September 1993 - 16 B 2069/93 -, NWVBl. 1994, 29.
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Die Elternbeiträge sind aufgrund der genannten Modifizierungen - ungeachtet ihres
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nach wie vor gegebenen Abgabencharakters - daher grundsätzlich unabhängig von
dem zugrundeliegenden individuellen Leistungsverhältnis. Kennzeichnend für diese
durch den geringen Deckungsgrad und Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität
gerechtfertigte Abkoppelung der Elternbeiträge von den spezifischen Gegebenheiten
des konkreten Leistungsverhältnisses vor Ort ist die auch unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten unbedenkliche landeseinheitliche Bemessung der Elternbeiträge
unabhängig von den Betriebskosten der tatsächlich besuchten Tageseinrichtung.
Dementsprechend ist es rechtlich unbedenklich, dass für die Heranziehung zu
Elternbeiträgen, die sich - wie hier - an den Jahresbetriebskosten orientieren,
individuelle Umstände wie z.B. unterschiedliche Öffnungszeiten, Besuch der
Tageseinrichtung nur am Vor- oder Nachmittag, Fernbleiben aus persönlichen Gründen
(Krankheit, Urlaub etc.) unberücksichtigt bleiben.
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Vgl. hierzu etwa OVG NRW, Urteil vom 13. Juni 1994 a.a.O; OVG NRW, Urteil vom 6.
März 1998
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- 16 A 525/97 -, m.w.N.
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Für den aufgrund der Über-Mittag-Betreuung zu leistenden zusätzlichen Elternbeitrag
gilt in Ermangelung abweichender Regelungen und mit Blick auf die durchgängige
Subventionskonzeption des Gesetzes nichts anderes.
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Der zusätzliche Elternbeitrag setzt danach - ebenso wie der für den Besuch der
Tagesstätte außerhalb der Über-Mittag-Betreuung zu leistende Elternbeitrag - lediglich
die Teilnahme, d.h. die Inanspruchnahme der Über-Mittag-Betreuung als solche ("ob")
voraus. Der Umfang der Inanspruchnahme ist, wie auch der Umfang der
Inanspruchnahme der Tageseinrichtung im Übrigen, für die Entstehung der
Beitragspflicht grundsätzlich unbeachtlich. Kommt es aber letztlich nicht darauf an, ob
die Über-Mittag-Betreuung etwa an einem, an zwei oder an fünf Tagen in der Woche
genutzt wird, kann das Tatbestandsmerkmal der "regelmäßigen Betreuung" in § 17 Abs.
1 Satz 6 GTK systemgerecht nur so verstanden werden, dass eine regelmäßige Über-
Mittag-Betreuung auf seiten der Tageseinrichtung vorgehalten werden muss,
unabhängig davon, ob diese über das für eine Teilnahme notwendige Mindestmaß
hinaus auch in Anspruch genommen wird.
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Seitens des Trägers der von der Tochter der
Kläger besuchten Tageseinrichtung wurde eine Über-Mittag-Betreuung an fünf Tagen in
der Woche über den maßgebenden Zeitraum angeboten; dies ist zwischen den
Beteiligten unstreitig. Hierbei handelt es sich auch ersichtlich um eine regelmäßige
Betreuung. An dieser Betreuung hat die Tochter der Kläger in dem in Rede stehenden
Zeitraum (zweimal in der Woche) teilgenommen.
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Danach kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine regelmäßige Betreuung i.S.v.
§ 17 Abs. 1 Satz 6 GTK vorliegt, nicht darauf an, ob die Inanspruchnahme der Betreuung
regelmäßig erfolgt.
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Soweit der norminterpretierende Erlass des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie
und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen (MFJFG NRW) vom 6. März 2001 - IV
A 2-6001.22 - die Erhebung des zusätzlichen Elternbeitrags erst dann als gerechtfertigt
ansieht, wenn ein Kind mehrmals (mindestens dreimal) pro Woche zwischen 12.30 Uhr
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und 14.00 Uhr tatsächlich betreut wird, ist diese Verwaltungsvorschrift - wie das
Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - für die Gerichte nicht bindend.
Entgegen der Auffassung der Kläger hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche
Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Voraussetzungen für die Erhebung des
Elternbeitrags für die Über-Mittag-Betreuung sind in der Rechtsprechung des
beschließenden Senats im Sinne der obigen Darlegungen geklärt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2005
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- 12 A 2184/03 -.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
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Mit diesem Beschluss, der nach § 152 Abs. 1 VwGO (hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung nach § 68 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 66 Abs. 3 GKG) unanfechtbar ist,
wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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