Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.11.1999

OVG NRW: nationalität, eltern, ausstellung, muttersprache, familie, verordnung, wahlrecht, kultur, alter, gesellschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 4324/97
Datum:
17.11.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 4324/97
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 2208/95
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem
Viertel mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen,
die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger zu 1) wurde am 25. September 1958 in L. , Kasachstan geboren. Seine
Eltern sind der am 3. Juli 1933 in der Stadt L. geborene russische Volkszugehörige W.
T. und die am 2. September 1936 in Dorf L. , Gebiet Charkov in der Ukraine geborene
deutsche Volkszugehörige F. G. , verwitwete T. . Die Mutter des Klägers zu 1) ist am 17.
Februar 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat einen
Vertriebenenausweis erhalten.
2
Die Klägerin zu 2) wurde am 4. März 1963 in L. , Kasachstan geboren. Ihre Eltern sind
der am 23. August 1936 im Dorf O. -L. im Gebiet Brjansk geborene russische
Volkszugehörige B. O. und die am 25. August 1936 in der Stadt C. in der Autonomen
Republik der Wolgadeutschen geborene F. O. , geborene L. . Deren Eltern sind der am
23. Mai 1910 in der Stadt C. geborene H. L. und die im Jahre 1910 ebenfalls in C.
geborene G. L. , geborene X. .
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Der von der Mutter der Klägerin zu 2) beim Bundesverwaltungsamt gestellte Antrag auf
Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland wurde noch nicht beschieden.
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Die Kläger zu 1) und 2) schlossen am 1. Oktober 1983 die Ehe. Dieser entstammen der
am 3. Januar 1985 in L. geborene Kläger zu 3) und der am 27. November 1991 in B. ,
Gebiet L. , geborene Kläger zu 4).
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Die Kläger beantragten am 8. März 1993 beim Bundesverwaltungsamt die Aufnahme
als Aussiedler. Im Aufnahmeantrag ist für den Kläger zu 1) als Volkszugehörigkeit
Deutsch, als Muttersprache Deutsch und als jetzige Umgangssprache in der Familie
Deutsch und Russisch angegeben. Zur Beherrschung der deutschen Sprache ist
angekreuzt, daß der Kläger zu 1) diese verstehe und schreibe, die in der Familie von
den Eltern/Elternteil gesprochen werde. Auf die Frage nach der Pflege des deutschen
Volkstums ist angegeben, er sei Mitglied in der Gesellschaft Wiedergeburt seit dem 1.
Dezember 1992 und lese deutsche Zeitungen. Zur Klägerin zu 2) ist zur
Volkszugehörigkeit angegeben "Kasachstan" und erklärt, ihre Muttersprache und jetzige
Umgangssprache in der Familie sei Deutsch. Zur Beherrschung der deutschen Sprache
ist angekreuzt, daß sie diese verstehe und schreibe, die in der Familie von den
Großeltern/Großelternteil und von den Eltern/Elternteil gesprochen werde. Auch für sie
ist angegeben, daß sie Mitglied in der Gesellschaft Wiedergeburt sei und deutsche
Zeitungen lese. Dem Antrag waren u.a. die Übersetzung einer Abschrift der
Geburtsurkunde des Klägers zu 1) aus dem Jahre 1958 beigefügt, in der sein Vater mit
russischer und seine Mutter mit deutscher Nationalität eingetragen sind. Für die Klägerin
zu 2) war die Übersetzung einer am 2. Februar 1993 ausgestellten Geburtsurkunde
beigefügt, in der ihr Vater mit russischer und ihre Mutter mit deutscher Nationalität
eingetragen sind. Außerdem waren beigefügt Fotografien von Inlandspässen der Kläger
zu 1) und 2) aus dem Jahre 1992, in denen diese jeweils mit deutscher Nationalität
eingetragen sind. Auf Anforderung des Bundesverwaltungsamtes wurden Ablichtungen
von Inlandspässen des Klägers zu 1) aus dem Jahre 1978 und der Klägerin zu 2) aus
dem Jahre 1983 vorgelegt, in denen als Nationalität Russe bzw. Russin eingetragen ist.
Zur Erklärung wurde angegeben, die Inlandspässe seien im Jahre 1992 gewechselt
worden, weil die Kläger zu 1) und 2) die Nationalität geändert hätten. Früher hätten sich
alle Kinder aufgrund eines Gesetzes nach der Nationalität des Vaters eintragen müssen
und nicht nach der Mutter. Erst jetzt könne man selbst entscheiden, welche Nationalität
man wählen möchte.
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Durch Bescheid vom 7. Juni 1994, mit Einschreiben abgesandt am 8. Juni 1994, wies
das Bundesverwaltungsamt den Antrag ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen
aus: Die Kläger zu 1) und 2) erfüllten nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung
als Spätaussiedler, da sie ihre deutsche Volkszugehörigkeit nicht glaubhaft gemacht
hätten. Zwar sei die Voraussetzung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des
Bundesvertriebenengesetzes für die Kläger zu 1) und 2) erfüllt, dagegen seien aber die
Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes
nicht dargetan. Es könne bei ihnen weder die muttersprachliche Beherrschung der
deutschen Sprache noch deren Gebrauch als bevorzugte Umgangssprache festgestellt
werden, da sie die deutsche Sprache nur verstehen und schreiben, aber nicht sprechen
könnten. Sie hätten sich auch nicht zur deutschen Nationalität erklärt, da sie in ihren
Inlandspässen mit russischer Nationalität eingetragen gewesen seien. Diese
Nationalität sei auf eigenen Wunsch der Kläger zu 1) und 2) eingetragen worden. Die
Eintragung der deutschen Nationalität im Jahre 1992 sei unerheblich, da eine
durchgängige Eintragung der deutschen Nationalität bis zum Verlassen der
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Aussiedlungsgebiete erforderlich sei.
Zur Begründung des hiergegen am 26. Juni 1994 eingelegten Widerspruchs trugen die
Kläger im wesentlichen vor: Der Kläger zu 1) sei im wesentlichen bei seiner Mutter und
deren Mutter aufgewachsen, die ihm die deutsche Sprache und Kultur vermittelt hätten.
Er verstehe noch jetzt auf deutsch alles gut. Auch die Klägerin zu 2) sei nach der Mutter
und der Großmutter eine Deutsche, während ihr Vater ein Russe sei. Die Kläger zu 1)
und 2) hätten im Alter von 16 Jahren ihren ersten Inlandspaß erhalten, in den sie nach
dem Vater die russische Nationalität hätten eintragen müssen. Erst 1992 hätten sie die
deutsche Nationalität eingetragen erhalten. Nach dem Tode des Vaters des Klägers zu
1) habe die Mutter des Klägers zu 1) vergeblich versucht, die Nationalität des Sohnes zu
ändern. Dies sei gescheitert, weil die Geburtsurkunde der Mutter im Kriege verbrannt sei
und die Vorlage der Geburtsurkunde erforderlich gewesen sei, um deren Nationalität als
Deutsche zu beweisen.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1995, der Mutter des Klägers zu 1)
zugestellt durch Niederlegung am 2. März 1995, wies das Bundesverwaltungsamt den
Widerspruch zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die
Voraussetzungen für eine Anerkennung als Spätaussiedler seien weiterhin nicht
glaubhaft gemacht, da nicht ersichtlich sei, weshalb die früheren Angaben unrichtig
seien. Auch führe der Vortrag, daß es üblich gewesen sei, die Nationalität des Vaters im
Inlandspaß eintragen zu lassen, nicht zu einer anderen Bewertung der Sach- und
Rechtslage.
9
Am 3. April 1995, einem Montag, haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage
erhoben. Zur Begründung haben sie sich auf den Vortrag im Widerspruchsverfahren
berufen und ergänzend ausgeführt: Das Ergebnis des von der Klägerin zu 2) abgelegten
Sprachtestes mache auf überzeugende Weise deutlich, daß diese die deutsche
Sprache ausreichend beherrsche und vor allem im deutschen Sinn geprägt und erzogen
worden sei. Sie habe deutsche Lieder, Märchen, Gedichte und Gebete gekannt und
diese auf deutsch wiedergeben können. Die überwiegende Prägung des Klägers zu 1)
durch die deutsche Erziehung sei vor allem deshalb möglich gewesen, weil sich dessen
Eltern bereits getrennt hätten, als dieser erst acht Jahre alt gewesen sei. Er sei dann
zusammen mit seiner Mutter und seiner deutschen Großmutter aufgewachsen.
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Die Kläger haben beantragt,
11
die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides des
Bundesverwaltungsamtes vom 7. Juni 1994 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1995 zu verpflichten, den Klägern zu 1) und
2) einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Kläger zu 3) und 4) in diesen
Aufnahmebescheid einzubeziehen,
12
hilfsweise,
13
die Klägerin zu 2) in den Aufnahmebescheid des Klägers zu 1) einzubeziehen,
14
hilfsweise,
15
den Kläger zu 1) in den Aufnahmebescheid der Klägerin zu 2) einzubeziehen.
16
Die Beklagte hat beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Sie hat im wesentlichen vorgetragen: Die jeweils von einem Vater russischer und einer
Mutter deutscher Nationalität abstammenden Kläger zu 1) und 2) erfüllten zumindest
nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes, da
sie sich anläßlich der Ausstellung ihrer ersten Inlandspässe zur russischen Nationalität
erklärt hätten, obwohl ihnen eine Erklärung zur deutschen Nationalität ebenso möglich
und zumutbar gewesen wäre. Soweit vorgetragen werde, daß grundsätzlich die
Nationalität des Vaters in den Inlandspaß eingetragen worden sei und deshalb praktisch
kein Wahlrecht bestanden habe, sei dem nicht zu folgen. Nach den zum Zeitpunkt der
Paßausstellung maßgeblichen Vorschriften hätten Abkömmlinge ethnisch gemischter
Eltern grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen den Nationalitäten der Eltern gehabt.
Durch das Procedere der Paßausstellung sei sichergestellt worden, daß die vom
Paßempfänger gewünschte Nationalität im Inlandspaß eingetragen worden sei. Dieser
habe nämlich ein Antragsformular auszufüllen gehabt, in dem die gewünschte
Nationalität habe angegeben werden müssen. Bei der Aushändigung des Passes sei
zudem die Richtigkeit der Paßeintragungen durch Unterschrift sowohl auf dem
Antragsformular als auch im Paß selbst zu bestätigen gewesen. Vor diesem Hintergrund
vermöge die unsubstantiierte Behauptung, die russische Nationalität sei
gewissermaßen zwangsweise eingetragen worden, nicht zu überzeugen. Die Änderung
der Inlandspässe im Jahre 1992 sei zweckgerichtet im Hinblick auf die beabsichtigte
Antragstellung vorgenommen worden und habe daher keinerlei Bekenntnischarakter.
Soweit für den Kläger zu 1) ein Änderungsversuch im Jahre 1985 vorgetragen werde,
sei dies nicht glaubhaft, da zu dieser Zeit eine Änderung der Nationalität nicht möglich
gewesen sei. Außerdem sei nicht ersichtlich, weshalb dazu die Vorlage der
Geburtsurkunde der Mutter des Klägers zu 1) erforderlich gewesen sei.
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Während des gerichtlichen Verfahrens ist die Klägerin zu 2) am 27. November 1996 zu
ihrem Antrag in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Almaty angehört worden.
Auf das dabei gefertigte Anhörungsprotokoll (Beiakte Heft 2) wird verwiesen. Das
Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben über die Frage der deutschen
Volkszugehörigkeit der Kläger zu 1) und 2) durch Vernehmung der Frau F. L. , geborene
G. , der Mutter des Klägers zu 1) als Zeugin. Hinsichtlich des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung des
Verwaltungsgerichts vom 30. Juli 1997 Bezug genommen.
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Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, hat das
Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
21
Mit der dagegen eingelegten Berufung, die der Senat zugelassen hat, verfolgen die
Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung führen sie im wesentlichen aus: Nach dem
von der Mutter des Klägers zu 1) als Zeugin bestätigten Vortrag sei die Eintragung der
russischen Nationalität im Inlandspaß des Klägers zu 1) aufgrund der Annahme erfolgt,
daß nach der Gesetzeslage die Nationalität des Vaters in den Inlandspaß einzutragen
gewesen sei. Bei der Eintragung der deutschen Nationalität in den Inlandspaß des
Klägers zu 1) im Jahre 1992 habe es sich daher nicht um einen Fall der
Rückgängigmachung eines Gegenbekenntnisses gehandelt. Vielmehr habe dieser
Nationalitätseintrag im Inlandspaß das frühere Bekenntnis des Klägers zu 1) bestätigt.
Außerdem sei die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach sich der Kläger zu 1)
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nicht auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt habe, nicht richtig. Dieser sei
überwiegend von der deutschen Großmutter erzogen worden. Der russische Vater habe
sich von der Mutter getrennt, als der Kläger zu 1) acht Jahre gewesen sei. In der Familie
seien deutsche Feiertage gefeiert und deutsches Brauchtum gepflegt worden. Der
Kläger zu 1) habe die deutsche Sprache insbesondere als Kind gut beherrscht, habe zur
Verbesserung seiner Deutschkenntnisse in der Schule und in der Hochschule
Deutschunterricht genommen und sei in die Gesellschaft Wiedergeburt eingetreten. Er
habe erhebliche Unterdrückung durch seinen Arbeitschef zu ertragen, da er nach der
Aussiedlung der meisten Deutschen jetzt der einzige Deutsche in der dortigen
Kohlengrube sei. Für die Klägerin zu 2) gelte hinsichtlich des Nationalitätseintrages
dasselbe wie für den Kläger zu 1). Die Prägung der Klägerin zu 2) im deutschen
Volkstum sei durch ihre Anhörung bei der Botschaft in Almaty eindrucksvoll bestätigt
worden. Sie habe nicht nur ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachgewiesen,
sondern auch gute Kenntnisse der deutschen Sitten und des deutschen Brauchtums
gezeigt. Daraus ergebe sich, daß sie sich eindeutig als Angehörige der deutschen
Volksgruppe fühle und auch als solche in Erscheinung getreten sei.
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des
Ablehnungsbescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 7. Juni 1994 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1995 zu verpflichten, den Klägern zu 1)
und 2) einen Aufnahmebescheid zu erteilen und die Kläger zu 3) und 4) in diesen
Aufnahmebescheid einzubeziehen,
24
hilfsweise,
25
die Klägerin zu 2) in den Aufnahmebescheid des Klägers zu 1) einzubeziehen,
26
hilfsweise,
27
den Kläger zu 1) in den Aufnahmebescheid der Klägerin zu 2) einzubeziehen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Es sei weiterhin davon auszugehen, daß
sowohl der Kläger zu 1) als auch die Klägerin zu 2) kein wirksames Bekenntnis zur
deutschen Nationalität abgegeben hätten. Es spreche alles dafür, daß die Nationalität in
den erstmalig ausgestellten Inlandspässen der Kläger zu 1) und 2) deren eigenen
Angaben in den einzureichenden Anträgen auf Paßausstellung entsprochen habe.
Deshalb sei ohne Prüfung der Motive von der Übereinstimmung des äußeren
Erklärungsinhaltes mit dem inneren Bewußtsein auszugehen. Auch die Mutter des
Klägers zu 1) habe hierzu erklärt, der Kläger zu 1) habe in der Schule einen Antrag auf
Paßausstellung ausgefüllt, das gelte in gleicher Weise für die Klägerin zu 2). Es sei
nicht ersichtlich, daß in die Inlandspässe etwas anderes eingetragen worden sei als
beantragt. Soweit hierzu vorgetragen werde, die Mutter des Klägers zu 1) habe
ausgesagt, es sei allgemein angenommen worden, die russische Nationalität sei von
Gesetzes wegen nach dem Vater einzutragen gewesen, so ergebe sich aus deren
Aussage allenfalls, daß die Mutter des Klägers zu 1) Derartiges angenommen habe.
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Falls der Kläger zu 1) dies ebenfalls entgegen der Gesetzeslage angenommen haben
sollte, sei dies ein unbeachtlicher Motivirrtum. Sowohl aus einem in dem Jahre 1995
erstatteten Gutachten zu den Möglichkeiten einer Erklärung zur Nationalität als auch aus
zahlreichen anderen Verfahren, in denen die Nationalität nach der Mutter eingetragen
worden sei, ergebe sich, daß die Annahme der Kläger, die Nationalität werde nach dem
Vater eingetragen, nicht stimme. Außerdem sei es dem Kläger zu 1) wohl nicht darauf
angekommen, deutscher Volkszugehöriger zu sein. Dies ergebe sich aus der Aussage
der Mutter zu ihren Änderungsbemühungen. Auch für die Klägerin zu 2) gelte nichts
anderes. Ihr Interesse an der Änderung der Nationalität sei ebenfalls offensichtlich erst
im Zusammenhang mit den Ausreisevorbereitungen entstanden. Soweit die Kläger
behaupteten, in der Klasse sei nicht "gefragt" worden, welche Nationalität einzutragen
sei, werde diese Redewendung von den Klägern offensichtlich nur dahingehend
verstanden, ob mündlich gefragt worden sei. Die Frage nach der Nationalität habe sich
jedoch zweifelsfrei aus dem schriftlichen Antrag auf Ausstellung des Inlandspasses
ergeben. Sie sei schriftlich zu beantworten gewesen, nämlich durch Ausfüllen der
entsprechenden Spalte im Antragsvordruck. Außerdem sei darauf hinzuweisen, daß die
Klägerin zu 2) lediglich eine Abschrift einer am 2. Februar 1993 neu ausgestellten
Geburtsurkunde vorgelegt habe, wobei der Grund der Neuausstellung nicht ersichtlich
sei. Hinsichtlich der möglichen Einbeziehung in einen eventuellen Aufnahmebescheid
der Mutter der Klägerin zu 2) sei mitzuteilen, daß der Antrag der Mutter noch nicht
entscheidungsreif sei.
Der Senat hat Beweis erhoben über die Behauptung der Kläger zu 1) und 2), daß in der
Schule am Herkunftsort von den 16- jährigen deren Geburtsurkunden und ein Foto von
den Lehrern eingesammelt wurden und die Behörde daraufhin die Inlandspässe
ausfüllte, wobei die Nationalität nach dem Vater eingetragen wurde, durch Vernehmung
der Zeugen X. O. , X. H. und L. T. . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im
übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der von der Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen, da den Klägern Ansprüche auf Erteilung von Aufnahmebescheiden
nicht zustehen.
35
Als Rechtsgrundlage für die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf
Erteilung von Aufnahmebescheiden kommen nur die §§ 26, 27 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993, BGBl. I 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999, BGBl. I 1618, in Betracht.
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A. Der Kläger zu 1) hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides
gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG, da er nach der Aufgabe seines Wohnsitzes und dem
Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als Spätaussiedler gemäß
§§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 BVFG nicht erfüllt.
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Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen
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Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist.
Da der Kläger zu 1) nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist er nach § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen
Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
BVFG), ihm die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale,
wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG) und er
sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt,
sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem
Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
BVFG).
Der Kläger zu 1) erfüllt zumindest nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
BVFG, da ihm bestätigende Merkmale im Sinne dieser Vorschrift nicht vermittelt worden
sind.
39
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist unter Sprache im Sinne
des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG grundsätzlich die deutsche Sprache als Muttersprache
oder als bevorzugte Umgangssprache zu verstehen. Dabei ist die deutsche Sprache
regelmäßig Muttersprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG, wenn sie in
frühester Kindheit von den Eltern oder sie ersetzenden Bezugspersonen - zumeist -
primär durch Nachahmung erworben und bis zur Selbständigkeit so vertieft worden ist,
daß sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand
als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht und in flüssiger
Form gesprochen wird. Die deutsche Sprache ist als bevorzugte Umgangssprache
anzusehen, wenn sie jemand wie eine Muttersprache spricht, ihr gegenüber den
sonstigen von ihm beherrschten Sprachen im persönlich-familiären Bereich den Vorzug
gegeben und sie damit in diesem Bereich regelmäßig überwiegend gebraucht hat. Es
wird nicht verlangt, daß Deutsch als Hochsprache beherrscht wird. Vielmehr genügt es,
wenn die deutsche Sprache - als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache - so
vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus - z.B. in Form des Dialekts - gesprochen
wurde.
40
Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214 = DVBl.
1997, 897 = DÖV 1997, 686 = NVwZ-RR 1997, 381, und vom 3. November 1998 - 9 C
4.97 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90 sowie Beschluß vom 23. August 1999 - 5 B
183.99 -.
41
Die Bestätigung des deutschen Volkstums kann daher weder durch die Beherrschung
der fremdsprachlich erlernten deutschen Sprache noch durch allein rudimentäre
Kenntnisse der deutschen Sprache erfolgen. Lediglich passive Deutschkenntnisse
können deshalb im Hinblick auf die volle Beherrschung und den Gebrauch einer
nichtdeutschen Sprache keine Bestätigung für ein subjektives Bekenntnis zum
deutschen Volkstum darstellen.
42
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1989 - 9 C 18.89 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr.
62, sowie vom 13. Juni 1995 - 9 C 293.94 - und - 9 C 392.94 -, BVerwGE 98, 367 =
DVBl. 1995, 1302.
43
Ausgehend davon kann nicht festgestellt werden, daß dem Kläger zu 1) die deutsche
Sprache in ausreichendem Maße in der Familie vermittelt worden ist.
44
Der Kläger zu 1) hat die deutsche Sprache weder als Muttersprache noch als
bevorzugte Umgangssprache in der Familie erlernt, da er die deutsche Sprache nie
fließend hat sprechen können. Zwar ist im Aufnahmeantrag angegeben, der Kläger zu 1)
spreche Deutsch als Muttersprache. Gleichzeitig ist aber erklärt worden, daß er die
deutsche Sprache, die in der Familie nur von den Eltern/Elternteil gesprochen werde,
nur verstehe und schreibe, nicht aber spreche. Die Angaben im Aufnahmeantrag sind
durch die Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht bestätigt worden. Die Mutter
des Klägers zu 1) hat als Zeugin erklärt, zwar hätten sie und ihre Mutter mit dem Kläger
zu 1) in dessen Jugend deutsch gesprochen, das dieser auch verstanden habe. Er habe
aber meistens auf russisch geantwortet. Deutsch habe er nicht fließend sprechen
können.
45
Es liegen auch keine sonstigen in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG benannten oder
unbenannten bestätigenden Merkmale im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG vor.
Denn, wenn - wie hier - das Merkmal der deutschen Sprache fehlt, kann nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
46
vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, NVwZ-RR 1997, 381 = DVBl.
1997, 897, und vom 4. November 1997 - 9 C 36.96 -,
47
der sich der Senat angeschlossen hat,
48
vgl. Urteil vom 14. Februar 1997 - 2 A 946/94 -,
49
wegen des engen Zusammenhanges zwischen Sprache, Erziehung und Kultur ohne
das Hinzutreten besonderer Umstände, die die Kläger nicht vorgetragen haben und die
nicht ersichtlich sind, auch nicht von einer deutschen Erziehung des Klägers zu 1) oder
von der Vermittlung deutscher Kultur an ihn ausgegangen werden. Wer nicht Deutsch,
sondern Russisch als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache spricht, ist
regelmäßig Angehöriger des russischen Kulturkreises, was zugleich eine Erziehung im
Sinne des russischen Volkstums indiziert.
50
Wird somit das von dem Kläger zu 1) geltend gemachte Bekenntnis zum deutschen
Volkstum nicht durch Sprache, Erziehung, Kultur objektiv bestätigt, wie es nach § 6 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 BVFG erforderlich ist, kann der Kläger zu 1) kein deutscher
Volkszugehöriger sein, weil auch sonstige für die Bestätigung eines Bekenntnisses zum
deutschen Volkstum in Betracht kommende Umstände von ähnlichem Gewicht und
ähnlicher Beschaffenheit wie die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ausdrücklich
angeführten Bestätigungsmerkmale,
51
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, NVwZ-RR 1997, 381 =
DVBl. 1997, 897,
52
nicht ersichtlich sind.
53
Bestätigungsmerkmale nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG sind hier auch nicht gemäß
Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz der Vorschrift entbehrlich. Nach dieser Vorschrift gelten
die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG als erfüllt, wenn die Vermittlung
bestätigender Merkmale wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder
nicht zumutbar war. Hierfür ist nichts vorgetragen worden und auch sonst nicht
ersichtlich.
54
B. Die Klägerin zu 2) hat ebenfalls keinen Anspruch gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG
auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, da auch sie nach der Aufgabe ihres
Wohnsitzes und dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als
Spätaussiedlerin gemäß §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nicht erfüllt.
55
Bei der Klägerin zu 2) sind zumindest die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
BVFG nicht gegeben.
56
Die Frage, ob die Klägerin zu 2) ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des
§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG abgegeben hat, ist hier allein nach der ersten Alternative
dieser Vorschrift zu beurteilen. Denn für die Zurechnung der Klägerin zu 2) zu einem
bestimmten Volkstum war hier in jedem Fall eine Erklärung für die Eintragung einer
bestimmten Nationalität in den Inlandspaß maßgebend. Grundlage für die Ausstellung
des ersten Inlandspasses der Klägerin zu 2) im Jahre 1979 nach Vollendung ihres 16.
Lebensjahres war die Verordnung über das Paßwesen der ehemaligen Sowjetunion
vom 28. August 1974. Nach den Vorschriften dieser Paßverordnung war in den Pässen
auch die Nationalität zu vermerken. Die Frage, welche Nationalität bei den
Abkömmlingen aus gemischt- nationalen Ehen einzutragen war, war in I Nr. 3 Abs. 2 der
Paßverordnung von 1974 ausdrücklich dahin geregelt, daß ein Wahlrecht zwischen den
jeweiligen unterschiedlichen Nationalitäten der Eltern bestand. Demzufolge war bei der
Beantragung des Inlandspasses ein Formular - die sog. Forma 1 - auszufüllen, in das
u.a. auch die Nationalität einzutragen war.
57
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60 = NVwZ-RR
1998, 266.
58
Der Senat geht entsprechend dem Vortrag der Kläger davon aus, daß die Klägerin zu 2)
eheliches Kind eines russischen Vaters und einer deutschen Mutter ist. Deshalb konnte
die Eintragung der Nationalität der Klägerin zu 2) in deren Inlandspaß nur aufgrund
einer entsprechenden Erklärung im Antrag erfolgen.
59
In den ersten Inlandspaß der Klägerin zu 2) ist die russische Nationalität eingetragen
worden. In der Angabe einer anderen als der deutschen Nationalität gegenüber
amtlichen Stellen liegt aber grundsätzlich ein die deutsche Volkszugehörigkeit
ausschließendes Gegenbekenntnis zu einem anderen Volkstum.
60
Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 1967 - VIII C 30.64 -, BVerwGE 26, 344, vom 24.
Oktober 1968 - III C 121.67 -, BVerwGE 30, 305, vom 27. Juni 1985 - 8 C 30.83 -,
Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 44, und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE
99, 133 = DVBl. 1996, 198.
61
Das ist nur dann nicht der Fall, wenn die Eintragung der nichtdeutschen Nationalität
ohne Willen, insbesondere gegen den ausdrücklichen Willen des Aufnahmebewerbers
in den Inlandspaß erfolgt ist.
62
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214 = NVwZ-
RR 1997, 381 = DVBl. 1997, 897 = DÖV 1997, 686.
63
Hiervon kann jedoch bei der Klägerin zu 2) nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist die
Eintragung "Russin" in den ersten Inlandspaß der Klägerin zu 2) mit deren Willen
64
erfolgt. Der Senat ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Kläger und nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß die Klägerin zu 2) bei der
Beantragung des Passes ein Antragsformular, die sog. Forma 1 zumindest
unterschrieben hat, in der in die Spalte Nationalität "Russin" eingetragen war. Die
Kläger haben keinen Lebenssachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht, aus dem
sich ergäbe, daß im Falle der Klägerin zu 2) entgegen der ständigen Verwaltungspraxis,
die dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist, auf die Unterzeichnung
der Forma 1 durch die Antragstellerin verzichtet worden wäre.
Zwar hat die Klägerin zu 2) selbst bei ihrer Anhörung erklärt, die russische Nationalität
des Vaters sei automatisch in ihren ersten Inlandspaß eingetragen worden. Ihr sei nicht
bewußt gewesen, daß sie auch die Nationalität der Mutter hätte eintragen lassen
können. Sie hat aber nicht behauptet, daß ihr der Inlandspaß ohne die Stellung des
erforderlichen Antrages durch Unterzeichnung der Forma 1 erteilt worden wäre.
65
Die Beweisaufnahme hat auch nicht die Behauptung der Kläger bestätigt, in der Schule
am Herkunftsort der Klägerin zu 2) seien von den 16-Jährigen die Geburtsurkunde und
ein Foto von den Lehrern eingesammelt worden, woraufhin die Behörde die
Inlandspässe ausgefüllt und die Nationalität nach dem Vater eingetragen habe. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann weder davon ausgegangen werden, daß in
dem Ort B. , in dem die Klägerin zu 2) ihren ersten Inlandspaß erhalten hat, die
Ausstellung des Inlandspasses stets auf gleiche Weise in der Schule erfolgte, noch
kann festgestellt werden, daß die Nationalität stets automatisch nach dem Vater
eingetragen und insbesondere keine Forma 1 unterzeichnet wurde. Nur der Zeuge O. ,
der Bruder der Klägerin zu 2), hat ausgesagt, daß die Geburtsurkunde und Fotos in der
Schule eingesammelt worden seien; nach seiner Aussage ist er nach der gewünschten
Nationalität weder gefragt worden, noch hat er selbst nach der Eintragung der
Nationalität gefragt. Der Zeuge H. , der die Geburtsurkunde und die Fotos bei der
Sekretärin der Berufsschule abgegeben hat, hat dagegen erklärt, die Sekretärin habe
ihn ausdrücklich nach der gewünschten Nationalität gefragt. Als er gesagt habe
"Deutscher", weil er zwei deutsche Elternteile habe, habe sie gesagt, er könne auch als
"Russe" eingetragen werden. Dies habe er aber abgelehnt und in seinen Inlandspaß sei
dann die deutsche Nationalität eingetragen worden. Er hat weiter erklärt, er wisse von
einem Jungen, in dessen Paß ohne Nachfrage die russische Nationalität eingetragen
worden sei, dessen Vater Deutscher und dessen Mutter Russin gewesen sei. Der Zeuge
T. schließlich hat seinen Paß bei der Polizei beantragt und erhalten. Dort habe ihm die
Bedienstete zu seiner Nationalität gesagt "Du bist natürlich Deutscher. Dein Vater ist
Deutscher".
66
Von einer einheitlichen - der Paßverordnung widersprechenden - Verfahrensweise im
Ort B. sowohl hinsichtlich der Beantragung als auch bezüglich der Eintragung der
Nationalität kann aufgrund dieser unterschiedlichen Schilderungen nicht ausgegangen
werden. Es kann weder ausgeschlossen werden, daß eine Einflußnahme auf die
Eintragung der Nationalität möglich war, noch daß die Forma 1 wie allgemein üblich
unterzeichnet und damit eine Erklärung bezüglich der Nationalität abgegeben worden
ist. Mangels entgegenstehenden Vortrags der Klägerin zu 2) geht der Senat daher
davon aus, daß sie ihren ersten Inlandspaß entsprechend den im Regelfall beachteten
Vorschriften der Paßverordnung erhalten hat.
67
Durch die Unterzeichnung einer Forma 1, in deren Rubrik als Nationalität "Russin"
eingetragen war, hat die Klägerin zu 2) sich mit dem Vorstehenden und damit auch mit
68
der Angabe der Nationalität einverstanden erklärt und diese gebilligt. Selbst wenn sie
den Antrag nicht im einzelnen durchgelesen haben sollte oder ihr dessen Bedeutung
nicht bewußt war, ist ihr dessen Inhalt zuzurechnen, da sie wußte, daß sie eine
Erklärung unterschrieb, der Bedeutung für die Paßausstellung zukam.
Entgegen der Ansicht der Kläger ist diese Erklärung nicht deshalb unwirksam oder der
Klägerin zu 2) nicht zuzurechnen, weil sie damals erst sechzehn Jahre alt und ihr die
Bedeutung der Erklärung nicht bewußt war. Von einer altersbedingten Unfähigkeit zur
Ablegung eines Bekenntnisses ist nicht auszugehen. Die Klägerin zu 2) hatte nach dem
damaligen sowjetischen Recht in diesem Alter ein Wahlrecht, wonach sie sich wirksam
für die russische Nationalität ihres Vaters oder die deutsche Nationalität ihrer Mutter
entscheiden konnte. Diesem durch die Paßverordnung eingeräumten Wahlrecht ist zu
entnehmen, daß die Klägerin zu 2) bereits in diesem Alter als erklärungsfähig
angesehen wurde. Denn die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 erste Alternative BVFG
vorausgesetzte Erklärungsfähigkeit richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des
Herkunftsstaates. Dies beruht darauf, daß es letztlich auf die Sicht der Behörden des
Aussiedlungsgebietes ankommt, ob jemand aufgrund einer bestimmten Erklärung den
von allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen betroffenen oder deren Nachwirkungen
ausgesetzten Volksdeutschen oder aber einer anderen Volksgruppe zugerechnet wird.
69
Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Juni 1995 - 9 C 293.94 und 9 C 392.94, DVBl. 1995, 1302
= Buchholz, Sammel-und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 412.3 §
6 BVFG Nr. 78, und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl. 1996, 198 = BVerwGE
99, 133.
70
Soweit die Kläger behaupten, im Herkunftsgebiet seien alle Bewohner wie die Klägerin
zu 2) der Auffassung gewesen, daß die Nationalität nach dem Vater einzutragen war,
widersprechen dem die Aussagen der Zeugen H. und T. . Abgesehen davon würde eine
derartige Auffassung, die nicht auf einer behördlichen Anweisung oder Auskunft beruht,
nicht dazu führen, die Erklärung der Klägerin zu 2) zur russischen Nationalität nicht als
Gegenbekenntnis zu werten.
71
Das danach vorliegende und ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum ausschließende
Gegenbekenntnis der Klägerin zu 2) ist nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz
BVFG unerheblich, weil im Jahre 1979 eine Erklärung zur deutschen Nationalität durch
Angabe des deutschen Volkstums bei der Ausstellung des ersten Inlandspasses mit
schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen
wäre und die Klägerin zu 2) deshalb ihr Wahlrecht zwangsläufig so wie geschehen hätte
ausüben müssen. Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
72
Das Gegenbekenntnis der Klägerin zu 2) hat seine rechtliche Ausschlußwirkung auch
nicht nachträglich dadurch verloren, daß die Klägerin zu 2) 1992 einen Inlandspaß mit
der Nationalität "Deutsche" erhalten hat und im Zusammenhang damit erklärt hat,
deutscher Nationalität zu sein. Eine hinreichende Erklärung zum deutschen Volkstum
gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 erste Alternative BVFG liegt darin nicht. Zwar setzt diese
Vorschrift nicht voraus, daß sich der Aufnahmebewerber vom Beginn der Erklärungs-
bzw. Bekenntnisfähigkeit an ununterbrochen bis zum Verlassen der
Aussiedlungsgebiete zum deutschen Volkstum bekannt hat. Die Worte "bis zum
Verlassen der Aussiedlungsgebiete" sind vielmehr dahin auszulegen, daß die Erklärung
zur deutschen Nationalität im Sinne der ersten Alternative des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
BVFG spätestens im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes vorgelegen
73
haben muß.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996, 198 = BVerwGE
99, 133, und vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, DVBl 1997, 897 = BVerwGE 102,
214.
74
Ist jedoch maßgebend, daß im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes eine
Erklärung zur deutschen Nationalität oder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf
andere Weise vorgelegen hat, ist es auch in gleicher Weise wie bei einem bis zum
Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen abzulegenden Bekenntnis zum
deutschen Volkstum möglich, von einer in früherer Zeit abgegebenen Erklärung zu einer
nichtdeutschen Nationalität bis zum maßgebenden Zeitpunkt durch Hinwendung zum
deutschen Volkstum abzurücken.
75
Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 1985 - 8 C 30.83 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 44,
und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996, 198 = BVerwGE 99, 133.
76
Um eine frühere Erklärung zu einer nichtdeutschen Nationalität rückgängig zu machen,
reicht es aber nicht aus, wenn eine Lebensführung, die ohne das Gegenbekenntnis die
Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit aufgrund schlüssigen Gesamtverhaltens
gerechtfertigt hätte, lediglich beibehalten wird. Es bedarf vielmehr eines darüber
hinausgehenden positiven Verhaltens, aus dem sich eindeutig der ernsthafte Wille
ergibt, nur dem deutschen Volk und keinem anderen Volkstum zuzugehören.
77
Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 1985 - 8 C 30.83 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 44,
und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996, 198 = BVerwGE 99, 133.
78
Der Nachweis der Ernsthaftigkeit ist nur erbracht, wenn durch Tatsachen belegt ist, daß
aufgrund der gegebenen objektiven Merkmale auch eine innere Hinwendung zum
deutschen Volkstum stattgefunden hat. In dieser Hinsicht ist zunächst das Alter bei
Abgabe der von einem früheren Gegenbekenntnis abweichenden Erklärung bedeutsam.
Je älter jemand bei Abgabe der späteren Erklärung ist, doch oder nunmehr Angehöriger
des deutschen Volkes zu sein, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß dies auf
einem inneren Wandel seines Volkstumsbewußtseins beruht. Weiterhin ist zu
berücksichtigen, daß das Volkstumsbewußtsein in aller Regel nicht von selbst, d.h.
ohne entsprechenden Anlaß wechselt. Deshalb muß ein nach Ausstellung des ersten
Inlandspasses eingetretenes konkretes Ereignis dargetan und nachgewiesen werden,
aus dem sich schlüssig ein Wandel des Volkstumsbewußtseins herleiten läßt.
Schließlich muß der Wandel des Volkstumsbewußtseins sich auch in der äußeren
Lebensführung des Betreffenden niedergeschlagen haben, etwa dahin, daß er auch von
seiner Umgebung fortan als deutscher Volkszugehöriger angesehen wurde.
79
Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996, 198 = BVerwGE
99, 133, und vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, NVwZ-RR 1998, 266 = BVerwGE 105, 60.
80
Diesen besonderen Nachweis der Ernsthaftigkeit der sich nach außen hin als
Bekenntnis zum deutschen Volk darstellenden Erklärung (auch) als eine innere
Hinwendung zum deutschen Volkstum hat die Klägerin zu 2) nicht erbracht. Es ist weder
vorgetragen worden noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Klägerin zu 2)
aufgrund besonderer Umstände in ihrer persönlichen Entwicklung in ihrem
Volkstumsbewußtsein zwischen 1979 und 1992 noch schwankend war. Entscheidend
81
kommt hinzu, daß die Klägerin zu 2) die Nationalitätseintragung ohne entsprechenden
Anlaß wechseln wollte bzw. gewechselt hat. Denn ein konkretes Ereignis, aus dem sich
- abgesehen von dem 1992 wohl bereits beabsichtigten Aufnahmeverfahren - schlüssig
ein Wandel des Volkstumsbewußtseins herleiten läßt, ist nicht dargetan.
C. Die Anträge der Kläger zu 3) und 4) und die jeweiligen Hilfsanträge der Kläger zu 1)
und 2) haben ebenfalls keinen Erfolg. Als nichtdeutsche Volkszugehörige können sie
die geltend gemachten Ansprüche auf Erteilung von Aufnahmebescheiden nur auf § 27
Abs. 1 Satz 2 BVFG stützen, der die Einbeziehung des Ehegatten und der Abkömmlinge
in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson vorsieht. Da weder dem Kläger zu 1)
noch der Klägerin zu 2) aus den oben dargelegten Gründen ein Aufnahmebescheid
gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erteilen ist, fehlt es für die Einbeziehung der Kläger
an einer Tatbestandsvoraussetzung.
82
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 und 162 Abs. 3 VwGO
iVm § 100 Abs. 1 ZPO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen für nicht erstattungsfähig zu erklären, da dieser keinen Sachantrag
gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 der
Zivilprozeßordnung.
83
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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