Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.05.2007

OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, eigenes verschulden, bvo, beihilfe, entschuldbarkeit, familie, zahnärztliche behandlung, gesetzliche frist, kanada, gefahrengemeinschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 4638/05
Datum:
31.05.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 4638/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 11 K 4121/03
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Dienst des beklagten
Landes. Mit einem am 19. Mai 2003 beim Landesamt für Besoldung und Versorgung
Nordrhein-Westfalen (LBV) eingegangenen Formularantrag vom 15. Mai 2003
beantragte er die Gewährung einer Beihilfe unter anderem zu Aufwendungen für
ärztliche und zahnärztliche Behandlungen seiner am 19. Juli 1971 geborenen Tochter
B. E. in Höhe von insgesamt 556,20 Euro. Die Tochter des Klägers hatte sich längere
Zeit in Kanada aufgehalten und sich dort den betreffenden Behandlungen unterzogen.
Die Rechnung über die ambulante Arztbehandlung datiert vom 29. April 2002, die
beiden Zahnarztrechnungen vom 21. März und 17. April 2002. Die Tochter des Klägers
hatte die Rechnungen von ihrem laufenden Unterhalt beglichen, den sie sich durch Bar-
Abbuchungen mit Hilfe einer Kreditkarte vom Konto des Klägers verschaffte.
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Das LBV lehnte die Gewährung einer Beihilfe für die bezeichneten Rechnungen durch
Bescheid vom 23. Mai 2003 ab. Zur Begründung verwies es auf § 13 Abs. 3
Beihilfeverordnung (BVO), wonach Beihilfe nur gewährt werden könne, wenn sie
innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen oder Ausstellung der
Rechnung beantragt werde.
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Mit seinem unter dem 23. Juli 2003 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend,
die beantragte Beihilfe zu den Arztrechnungen seiner Tochter hätte gewährt werden
müssen, da ihn an der Versäumung der Antragsfrist kein Verschulden treffe. Er habe
seine Tochter wiederholt darauf hingewiesen, dass sie im Falle ärztlicher
Behandlungen in Kanada ihm die Rechnungen zu übersenden habe. Seine Tochter
habe ihn über die ärztlichen und zahnärztlichen Behandlungen im Jahre 2002 hingegen
nicht informiert; vielmehr habe er erst Ende April 2003 davon erfahren. Er habe seine
Tochter daraufhin sofort gebeten, die Rechnungen zu schicken. Diese seien aber erst
wenige Tage vor Stellung des Beihilfeantrags bei ihm eingegangen.
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Das LBV wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14. August 2003 mit
folgender Begründung zurück: Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3
Satz 2 BVO NRW sei ein strenger Maßstab anzulegen. Das Versäumnis der Frist sei in
der Regel entschuldbar, wenn der Beihilfeberechtigte wegen einer schweren Krankheit
nicht in der Lage gewesen sei, einen Beihilfeantrag einzureichen. Es reiche aber als
Entschuldigungsgrund nicht aus, dass die Tochter des Klägers ihm die Arztrechnungen
nicht rechtzeitig übersandt habe. Andere Entschuldigungsgründe seien nicht
vorgetragen.
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Der Kläger hat am 9. September 2003 Klage erhoben. Zur Begründung hat er
ergänzend zu seinen Ausführungen im Widerspruchsverfahren geltend gemacht: An der
Versäumung der Antragsfrist treffe ihn weder eigenes Verschulden noch sei ihm ein
eventuelles Verschulden seiner Tochter zuzurechnen. Eigenes Verschulden scheide
aus, weil er weder von der ärztlichen Behandlung noch von der Begleichung der
Rechnungen rechtzeitig Kenntnis gehabt habe. Die Frage eines etwaigen Auswahl-
oder Überwachungsverschuldens stelle sich hier nicht, da seine Tochter keine von ihm
zur Fristwahrung hinzugezogene (Hilfs-)Person gewesen sei. Da seine selbst weder
beihilfe- noch antragsberechtigte Tochter nicht dem Vertreterbegriff unterfalle, scheide
auch insoweit eine Zurechnung von Verschulden aus. Die Familie dürfe schließlich
auch nicht als Gefahrengemeinschaft betrachtet werden, in der jeder Beihilfeberechtigte
unabhängig von eigenem Verschulden für ein Fehlverhalten seiner Angehörigen
einzustehen habe. Dies würde nämlich dem allgemeinen Rechtsgrundsatz
widersprechen, wonach eine Person nur dann für Fremdverschulden hafte, wenn ihr das
fremde Verschulden zurechenbar sei.
6
Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des Landesamtes für Besoldung und
Versorgung vom 23. Mai 2003 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom
14. August 2003 zu verpflichten, ihm eine Beihilfe zu den Aufwendungen aus den
Rechnungen vom 21. März, 17. April und 29. April 2002 zu gewähren.
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Der Beklagte hat beantragt,
9
die Klage abzuweisen,
10
und zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
11
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf dessen
Entscheidungsgründe wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, abgewiesen. Es
hat zur Begründung im Kern ausgeführt: Da der Kläger die Antragsfrist für die Beihilfe
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nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BVO NRW versäumt habe, komme als Grundlage für den
geltend gemachten Anspruch allein § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW in Betracht. Dessen
Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Dem stehe nicht entgegen, dass den Kläger ggf. in
eigener Person kein Verschulden treffe. Es sei vielmehr eine Auslegung des § 13 Abs. 3
Satz 2 BVO NRW dahin geboten, dass dem Beihilfeberechtigten auch das Verschulden
von Angehörigen - wie hier der Tochter - zuzurechnen sei. Maßgebliche
Anknüpfungspunkte für diese Auslegung seien sowohl der (sich u. a. von § 32 Abs. 1
VwVfG NRW und von § 60 Abs. 1 VwGO unterscheidende) Wortlaut der Vorschrift als
auch Strukturprinzipien des Beihilferechts. Danach bilde die Familie des
Beihilfeberechtigten in der Tat eine Art „Gefahrengemeinschaft" für ein etwaiges
säumiges Verhalten von bestimmten Familienangehörigen. Nur dies gebe eine
befriedigende Antwort auf die sich hier stellenden Fragen der Risikoverteilung.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung. Zu
deren Begründung macht er unter ausdrücklicher (und zugleich ausschließlicher)
Bezugnahme auf sein Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren im Wesentlichen
geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne Adressat der
Verfahrensvorschriften des Beihilfenrechts nur der Beihilfeberechtigte selbst sein.
Schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie unter anderem denen des
Verwaltungs(verfahrens)rechts gelte, dass ein etwaiges Drittverschulden unbeachtlich
sei. Entsprechendes sei beispielsweise in § 32 Abs. 1 VwVfG NRW - betreffend die
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - normiert. Das hier einschlägige Beihilfenrecht
enthalte keine davon abweichende, „entgegenstehende" Bestimmung. Solches hätte
ggf. - woran es fehle - ausdrücklich geregelt werden müssen. Wertende Erwägungen
könnten die Auslegung des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW in diesem Zusammenhang
nicht bestimmen. Im Übrigen rechtfertigten auch der Wortlaut und der Sinn und Zweck
dieser beihilferechtlichen Vorschrift nicht das vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte
Verständnis. So sei etwa § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO NRW ein Beleg dafür, dass es auch in
beihilferechtlichen Zusammenhängen allein auf ein etwaiges Verschulden „des
Antragstellers" ankomme und dort nicht der Gesichtspunkt der Risikogemeinschaft Platz
greife. Die Gefahr jahrelanger Beihilfefähigkeit von Aufwendungen bestehe nicht, wenn
zutreffenderweise die (weitere) Ausschlussfrist von einem Jahr nach § 32 Abs. 3 VwVfG
NRW entsprechend Anwendung fände. Da Angehörige nach der geltenden Rechtslage
nicht selbst Anspruchsberechtigte von Beihilfeleistungen seien, könne dies kein
tragfähiger Ansatz für das vom Verwaltungsgericht mit verwendete
„Besserstellungsargument" sein. Ebenso wenig bestehe ein allgemeiner Grundsatz,
dass einem Verpflichteten ein Fristversäumnis schon deswegen zuzurechnen sei, weil
die zugrunde liegenden Umstände in seiner Sphäre bzw. seinem Einflussbereich lägen.
Schließlich sei auch fraglich, ob § 88 LBG NRW überhaupt eine ausreichende
gesetzliche Grundlage dafür enthalte, den fundamentalen Verfahrensgrundsatz der
Unbeachtlichkeit von Drittverschulden „zur Seite zu schieben".
13
Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Antrag I. Instanz zu erkennen.
15
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
17
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Beiakte (1 Heft) ergänzend Bezug genommen.
19
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
Dabei stellt es keinen Formmangel dar, dass der Kläger zur Begründung seiner
Berufung in vollem Umfang auf sein Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren
Bezug genommen hat. Dies ist grundsätzlich als zulässig anzusehen, zumindest dann,
wenn - wie hier - bereits das Zulassungsvorbringen im Kern die Gründe mit hervortreten
lässt, aus denen der Rechtsmittelführer Einwände gegen die Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung erhebt. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass
innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ein Berufungsantrag nicht ausdrücklich
formuliert worden ist. Dem sachlichen Vorbringen ist nämlich - was ausreicht -
hinreichend zu entnehmen, dass der Kläger die erstinstanzliche Entscheidung in vollem
Umfang angreifen will und hierzu seine erstinstanzliche Verpflichtungsklage
(unverändert) weiterverfolgt.
21
Die Berufung ist aber in der Sache nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Beihilfeanspruch
wegen Aufwendungen für ärztliche und zahnärztliche Behandlung seiner sich damals in
Kanada aufhaltenden Tochter B. nicht zu, weil (jeweils) die Antragsfrist versäumt wurde
und ein entschuldbares Versäumnis im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW - hier
anwendbar in der Fassung deren (vor dem Entstehen der Aufwendungen letzten)
Änderung vom 17. September 2002, GV. NRW S. 449 - nicht vorgelegen hat.
22
Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BVO NRW wird eine Beihilfe nur gewährt, wenn sie innerhalb
eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen (§ 3 Abs. 5 Satz 2), spätestens jedoch
ein Jahr nach der ersten Ausstellung der Rechnung beantragt wird. Wie schon der
Wortlaut der Vorschrift mit seiner Verknüpfung von Beihilfeanspruch („wird ... nur
gewährt, wenn") und Beachtung des Fristerfordernisses verdeutlicht, handelt es sich
dabei um keine bloße Ordnungsvorschrift verfahrensrechtlicher Natur, sondern um eine
auf den materiellen Anspruch bezogene und diesen Anspruch entsprechend
begrenzende gesetzliche Ausschlussfrist. Die Nichtbeachtung der Frist zieht für den
Betroffenen insofern nachteilige Rechtsfolgen nach sich, als er mit seinem Anspruch auf
Beihilfe ausgeschlossen wird, sei es, dass dieser Anspruch von vornherein unter dem
gesetzlichen Vorbehalt der Einhaltung der Antragsfrist steht oder dass die
Nichteinhaltung den Anspruch (jedenfalls) zum Erlöschen bringt.
23
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1965 - VIII C 334. 63 -,
BVerwGE 21, 258; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Januar 1985 - 4 S 1855/82
-, Schütz/Mai-wald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/C IV 2 Nr. 18; OVG
NRW, Urteil vom 16. November 1995 - 12 A 3942/93 -; VG Hamburg, Urteil vom 26.
Januar 2000 - 17 VG 5007/98 -, Juris.
24
Gegen die Normierung derartiger, an verfahrensrechtliche Handlungen wie eine
Antragstellung anknüpfende materielle Ausschlussfristen, die im Beihilferecht des
Bundes und der Länder auch anderweitig vorkommen, bestehen prinzipiell keine
rechtlichen Bedenken; höherrangiges Recht, namentlich die beamtenrechtliche
Fürsorgepflicht wird hierdurch nicht verletzt.
25
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1965 - VII C 334.63 -, a.a.O.; Bayerischer VGH,
Beschluss vom 5. April 1990 - 3 B 89.02831 -; Mildenberger, Beihilfevorschriften (des
Bundes), § 17 Anm. 16 (1); Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht NRW, § 13 Anm. 4 (S. B
170/3).
26
Ausgehend von den im Urteilstatbestand mitgeteilten Daten der hier in Rede stehenden
drei Arzt- bzw. Zahnarztrechnungen ist die betreffende Frist mit Blick auf die
streitgegenständlichen Aufwendungen vom Kläger nicht eingehalten worden; dies ist im
Übrigen unstreitig.
27
Entgegen seiner Auffassung kann der Kläger sich auch nicht - ggf. in Verbindung mit
den allgemein die Beihilfefähigkeit von ärztlichen und zahnärztlichen
Behandlungskosten regelnden §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW - auf § 13
Abs. 3 Satz 2 BVO NRW stützen. Nach dieser Vorschrift darf eine Beihilfe zu (im Sinne
des Satzes 1) verspätet geltend gemachten Aufwendungen nur gewährt werden, wenn
das Versäumnis „entschuldbar" ist. Diese Sonderbestimmung des nordrhein-
westfälischen Beihilferechts begrenzt als neben § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO NRW weiterer
Fall einer Nachsichtgewährung ihrerseits ausdrücklich die Reichweite der zuvor
angesprochenen Ausschlussfrist und mildert insofern deren Wirkungen in einem
gewissen Grade ab, ohne dabei den Charakter der Frist als solchen in Frage zu stellen.
Beim Fehlen einer derartigen besonderen Bestimmung wäre für eine
Nachsichtgewährung oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Blick auf die
materielle Ausschlusswirkung der für das nordrhein-westfälische Beihilfenrecht vom
Verordnungsgeber normierten Antragsfrist kein Raum. Auch eine Verpflichtung des
Gesetz- bzw. Verordnungsgebers zur Schaffung einer solchen Regelung bestünde -
namentlich bezogen auf Fälle einer nur vorübergehenden Verhinderung, der
Fristwahrung nachzukommen - grundsätzlich nicht.
28
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1965 - VIII C 334.63 -, a.a.O.
29
Wenn dem Betroffenen gleichwohl mit Vorschriften der vorliegenden Art die Möglichkeit
der Nachsichtgewährung eröffnet wird, so geschieht dies, um damit Fällen gerecht zu
werden, in denen schlechterdings ein fristgerechter Antrag nicht gestellt werden konnte.
Die darauf abzielende Gewährung von Nachsicht findet den sie tragenden
Rechtsgedanken deswegen nicht in bestimmten verfahrensrechtlichen Grundsätzen,
sondern namentlich in der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und damit (ebenfalls) im
materiellen Recht.
30
Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Januar 1985 - 4 S 1855/82 -, a.a.O.
31
Dies zugrunde gelegt, geht die hier in Rede stehende Vorschrift den allgemeinen
Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts über die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand (§ 32 Abs. 1 VwVfG NRW) nicht lediglich - als Spezialregelung - vor.
Vielmehr kommen - wie hier - die Vorschriften über die Wiedereinsetzung ohne eine sie
in dem betreffenden speziellen beihilferechtlichen Zusammenhang in Bezug nehmende
ausdrückliche Regelung ihrerseits nicht zum Tragen. Denn bei der Versäumung von
(u.a. materiellen) Ausschlussfristen ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
grundsätzlich nicht möglich.
32
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 32 Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 60
33
Rn. 4; jeweils m.w.N.
Dieser Bewertung des rechtlichen Ausgangspunktes steht nicht entgegen, dass das
Merkmal der Entschuldbarkeit in § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW, namentlich was die
Grundlagen der an ein (nicht) schuldhaftes Verhalten allgemein anzulegenden
Maßstäbe betrifft, gewisse inhaltliche Parallelen bzw. Überschneidungen mit den für das
Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand prägenden, am
Verschuldensmoment anknüpfenden Grundgedanken aufweist. Aus diesem Grund sind
in einigen Rechtsbereichen in Gestalt von ministeriellen Anordnungen oder Hinweisen
die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zusammenhang mit
der Versäumung der beihilferechtlichen Antragsfrist für anwendbar erklärt worden, (was
bei einer materiellen Ausschlussfrist und fehlender ausdrücklicher Regelung in der
Beihilfenverordnung bzw. -vorschrift selbst rechtssystematisch wenig einleuchtet und
insofern nicht unbedenklich erscheint).
34
Vgl. etwa VG Lüneburg, Urteil vom 22. Juni 2005 - 1 A 286/03 -, Juris; VG Hamburg,
Urteil vom 26. Januar 2000 - 17 VG 5007/98 -, Juris; Mildenberger, a.a.O., § 17 Anm. 18.
35
Nur in diesem sehr allgemeinen, die zuvor dargestellten unterschiedlichen
Ausgangspunkte der rechtlichen Betrachtung dabei nicht verdeckenden Sinne ist zu
würdigen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts,
36
vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. November 2004
37
- 6 A 2992/01 -, Juris,
38
der Begriff der Entschuldbarkeit im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW ausgehend
von den Verschuldensbegriffen des Wiedereinsetzungsrechts (§ 32 Abs. 1 Satz 1
VwVfG NRW, § 60 Abs. 1 VwGO) „bestimmt werden" kann, denen zufolge ein
unverschuldetes Fristversäumnis (grundsätzlich) anzunehmen ist, wenn dem
Betroffenen unter Zugrundelegung des Maßstabs eines gewissenhaften, seine Rechte
und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten nach den gesamten Umständen
kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat, ihm die Einhaltung
der Frist mithin nicht zumutbar war.
39
Vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Mai 1964 - VII C 108.63 -, DÖV 1965, 350, und vom 8.
März 1983 - 1 C 34.80 -, NJW 1983, 1923; Mohr/Sabo-lewski, a.a.O., § 13 Anm. 4 (S. B
170/3 f.).
40
Auf der anderen Seite hat der 6. Senat des erkennenden Gerichts in der angeführten
Entscheidung zutreffend hervorgehoben, dass im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO
NRW (zwar) keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als an fehlendes
Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzungsvorschriften, dass aber im Übrigen dem
„Ausnahmecharakter" der in Rede stehenden beihilferechtlichen Sondervorschrift und
dem mit der in Satz 1 geregelten Frist verfolgten Zweck ausreichend Rechnung
getragen werden muss. Dieser Zweck geht dahin, Haushaltserschwernisse zu
vermeiden und ferner zu verhindern, dass der Dienstherr noch nach Jahren mit
Beihilfeansprüchen befasst wird, deren Berechtigung unter Umständen nur schwer
überprüft werden kann. Aufgrund dessen ist gerade in dem hier konkret betroffenen
beihilferechtlichen Zusammenhang an die Entschuldbarkeit des Verhaltens ein
(tendenziell) „strenger", nämlich die Ausschlussfrist von ihrem Charakter her nicht
41
unterlaufender Maßstab anzulegen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. November 2004
42
- 6 A 2992/01 -, a.a.O.; Mohr/Sabolewski, a.a.O., § 13 Anm. 4 (S. B 170/4).
43
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat das Verwaltungsgericht § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO
NRW zutreffend dahin ausgelegt, dass die Prüfung des Merkmals der Entschuldbarkeit
des Versäumnisses nicht auf eine Bewertung allein des Verhaltens des
Beihilfeberechtigten beschränkt bleiben kann, dass vielmehr noch weitere Umstände in
diese Prüfung einzubeziehen sind. In diesem Zusammenhang ist namentlich ein etwa
vorliegendes Verschulden von - jedenfalls bezogen auf den Beihilfeanspruch im Sinne
des § 2 BVO NRW berücksichtigungsfähigen - Angehörigen des Beihilfeberechtigten
wie hier der Tochter des Klägers grundsätzlich mit von Bedeutung. Es steht der
Entschuldbarkeit des Versäumnisses im Sinne der Vorschrift prinzipiell ebenfalls
entgegen und ist dem Beihilfeberechtigten (Antragsteller) wie eigenes Verschulden
zuzurechnen. Die Familie des Beihilfeberechtigten bildet insofern im Verhältnis zum
Dienstherrn in der Tat eine Art Risiko- bzw. Gefahrengemeinschaft.
44
Im Einzelnen führen folgende Auslegungsgesichtspunkte zu diesem Ergebnis:
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Bereits der Wortlaut des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW ist unbeschadet dessen, dass er
die hier insbesondere interessierende Fragestellung, inwieweit ein Verhalten der Kinder
des Beihilfeberechtigten mit berücksichtigungsfähig ist, nicht ausdrücklich anspricht, ein
deutliches und zugleich wesentliches Indiz dafür, dass das Versäumnis der Einhaltung
der Antragsfrist bei einer Gesamtbetrachtung der Geschehensabläufe, die dazu geführt
haben - also im Ergebnis - entschuldbar sein muss. Etwaige Eingrenzungen des
Blickwinkels - wie namentlich in Richtung auf das Verhalten ganz bestimmter Personen
- hat der Verordnungsgeber infolge der offenen Fassung der Vorschrift gerade nicht
vorgenommen. Mit der gewählten Formulierung „wenn das Versäumnis entschuldbar ist"
(Hervorhebung durch den Senat) lässt die Verordnung vielmehr ohne weiteres Raum für
eine Erstreckung der wertenden (Gesamt-)Betrachtung zu den - von dem Betroffenen
darzulegenden und ggf. nachzuweisenden - durchgreifenden Entschuldigungsgründen
über den Kenntnisstand und das Verhalten des Beihilfeberechtigten (Antragstellers)
selbst hinaus auf die Kenntnisse und Handlungsweisen sonstiger in das
Gesamtgeschehen mit einbezogener Personen. Die gilt jedenfalls soweit, wie diese für
das eingetretene Versäumnis im Ergebnis (mit) ursächlich geworden sind. Das betrifft
zumindest solche Personen, welche - wie hier die Tochter B. - mit Wissen und Wollen
des Beihilfeberechtigten in dieses Geschehen einbezogen worden sind und/oder die in
dem betroffenen beihilferechtlichen Zusammenhang schon aus der Natur der Sache zu
dem Beihilfeberechtigten in einem solchen Näheverhältnis stehen, welches für eine
Differenzierung bei der Verschuldensbetrachtung keinen Raum lässt. Letzteres ist - wie
noch auszuführen sein wird - jedenfalls für die bei Beihilfeleistungen
berücksichtigungsfähigen Angehörigen wie z.B. Kinder der Fall. Dass das Verhalten
eines den Kausalverlauf zufällig beeinflussenden „unbeteiligten Dritten" regelmäßig
kein für die Gesamtbewertung der Entschuldbarkeit maßgeblicher Umstand sein kann,
versteht sich dabei von selbst. Die Verwendung des Begriffs „entschuldbar" - im
Unterschied etwa zu „entschuldigt" oder „ohne Verschulden" - weist indes in diesem
Zusammenhang unverkennbar darauf hin, dass eben nicht (nur) konkrete
Verhaltensweisen einzelner Personen (wie des Beihilfeberechtigten) und bei diesen
ggf. vorliegende persönliche Schuldausschlussgründe in den Blick zu nehmen sind.
46
Maßgeblicher Bezugspunkt der Entschuldbarkeitsbetrachtung ist statt dessen schon
nach dem eindeutigen grammatischen Bezug das Versäumnis (der Frist) als solches,
d.h. ein objektiver Sachumstand.
Es spricht weiterhin nichts dafür, dass - wie der Kläger meint - dem Wortlaut der
Vorschrift keine sonderliche Aussagekraft beigelegt werden kann. Weder ist er
deswegen ein Auslegungskriterium „minderer Art", weil hier nur eine Verordnung und
kein förmliches Gesetz in Rede steht. Noch gibt es irgendeinen Anhalt dafür, dass bloße
Zufälligkeiten bzw. Ungenauigkeiten für die gewählte Formulierung verantwortlich sind.
Die Einordnung der Nachsichtgewährung in dem Zusammenhang mit einer
Ausschlussfrist und die nachfolgenden rechtssystematischen Erwägungen weisen
vielmehr auf das Gegenteil.
47
Mit seiner objektiven Fassung unterscheidet sich § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW
namentlich von § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO NRW. Die dort in unmittelbarer systematischer
Nähe, nämlich innerhalb derselben Vorschrift, geregelte Nachsicht bei fehlender (etwa
bei Kuren erforderlicher) vorheriger Anerkennung der Beihilfefähigkeit,
48
vgl. zu dieser näher Senatsurteil vom 22. Juni 2006 - 1 A 2526/04 -,
49
knüpft ihrem Wortlaut nach ausdrücklich daran an, ob diese Anerkennung „ohne
Verschulden des Antragstellers unterblieben" ist (Hervorhebung durch den Senat). Der
Verordnungsgeber hätte sich für diese erkennbar unterschiedlichen Fassungen nicht
entscheiden müssen, wenn ihnen ohnehin keinerlei Bedeutung zukäme, weil es sich,
wie der Kläger meint, schon aus übergeordneten allgemeinen Rechtsgrundsätzen
ergäbe, dass es - jedenfalls bei fehlender ausdrücklich abweichender Bestimmung -
grundsätzlich allein auf das Verschulden von unmittelbar an dem jeweiligen
(Verwaltungs-)Verfahren beteiligten Personen ankommen könne. Dass der
Verordnungsgeber in den betreffenden Zusammenhängen bewusst unterschiedliche
Regelungen getroffen hat, ergibt sich im Übrigen nicht allein aus dem Umstand, dass in
dem einen Fall als Bezugsperson „der Antragsteller" ausdrücklich erwähnt wird und in
dem anderen Fall nicht. Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden angesprochenen
Vorschriften auch strukturell. Während § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW den ohnehin
tendenziell restriktiv zu handhabenden Fall der Nachsichtgewährung bezogen auf eine
materielle Ausschlussfrist behandelt, fehlt in Bezug auf die dem § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO
NRW zugrunde liegende Sachlage Entsprechendes. Auch die Wortlaute der konkreten
Regelungen unterscheiden sich vor diesem Hintergrund: Einerseits „darf eine Beihilfe
nur gewährt werden, wenn ...", andererseits „wird die Beihilfe dennoch gewährt".
50
Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass sich bezogen auf das allgemeine Verfahrensrecht
im Recht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 32 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW,
60 Abs. 1 VwGO) ebenfalls eine relativ offene Formulierung („jemand ohne Verschulden
verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten") findet und dies gleichwohl grundsätzlich
nur auf denjenigen bezogen wird, der - dort als Verfahrensbeteiligter - konkret
verpflichtet gewesen ist, das betreffende Verfahrenserfordernis wie hier die Einhaltung
einer gesetzlichen Frist zu erfüllen. Ausnahmen davon, wie sie etwa für Vertreter gelten,
sind ausdrücklich gesetzlich bestimmt (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW, §§ 85 Abs.
2 ZPO, 173 Satz 1 VwGO). Für sog. „Hilfspersonen" und sonstige „dritte Personen"
haben der betroffene Verfahrensbeteiligte und dessen Vertreter hingegen grundsätzlich
nicht einzustehen, es sei denn, es würde sie in diesem Zusammenhang - als eigenes
Verschulden - ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffen.
51
Vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, a.a.O., § 32 Rn. 33 ff., m.w.N.
52
Diese allgemeinen Grundsätze sind aber auf die Auslegung und Anwendung des § 13
Abs. 3 Satz 2 BVO NRW nicht (voll) übertragbar, zum einen wegen der bereits
angeführten unterschiedlichen rechtlichen Ausgangspunkte - materielle Ausschlussfrist /
verfahrensrechtliche Frist - und zum anderen zusätzlich mit Blick auf im Folgenden noch
näher zu beleuchtenden beihilferechtlichen Besonderheiten. In diesem Zusammenhang
kann als weiteres Auslegungskriterium durchaus auf teleologische Erwägungen mit
abgehoben werden, wie dies bereits das Verwaltungsgericht getan hat.
53
Was mögliche Drittbezüge betrifft, weist die Rechtsbeziehung zwischen dem
Beihilfeberechtigten und seinem Dienstherrn insofern typische Besonderheiten auf, als
die Aufwendungen für bestimmte nähere Angehörige des Beihilfeberechtigten aus
Gründen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn in den materiell-rechtlichen
Beihilfeanspruch einbezogen werden, ähnlich wie sich auch das Alimentationsprinzip
auf die angemessene Sicherung des Lebensunterhalts für die gesamte Familie des
Beamten oder Richters bezieht. Materiell anspruchsberechtigt bleibt zwar nur der
Beihilfeberechtigte selbst, wie auch (formal) allein er dem Dienstherrn auf der Ebene
des Beihilfeverfahrens als Verfahrensbeteiligter und insoweit zu Rechtshandlungen
verpflichtete Person gegenübertritt. Die Reichweite des Beihilfeanspruchs wird jedoch
inhaltlich maßgeblich dadurch geprägt, dass die (engere) Familie des Beamten/Richters
als „Einheit" begriffen wird, welcher über die Berücksichtigungsfähigkeit der
Aufwendungen dieser Angehörigen der Anspruch in der Sache auch mit zugute kommt.
Auch im Rahmen der Anwendung der Vorschriften über die Nachsichtgewährung wird
diesem Gedanken grundsätzlich Rechnung getragen. Ist etwa aus Gründen, die
ausschließlich in der Person eines berücksichtigungsfähigen Kindes des
Beihilfeberechtigten liegen, wie z. B. einer besonders dringlichen medizinischen
Behandlungsbedürftigkeit dieses Kindes, eine vorherige Anerkennung der
Beihilfefähigkeit nicht im Sinne des § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO NRW zuzumuten, so
schlägt sogar in dieser Konstellation, in der wie dargelegt der Verordnungsgeber bei der
Nachsichtgewährung die Verschuldensbetrachtung vom Wortlaut her allein auf den
„Antragsteller" (der Beihilfe) bezieht, die Einheitsbetrachtung der Familie durch, in
diesem Fall freilich zugunsten des Beihilfeberechtigten.
54
Vgl. in diesem Zusammenhang etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 1998 - 6 A
5692/96 -.
55
Um ein ausgewogenes Verhältnis der jeweiligen Verantwortungs- und Risikosphären zu
erreichen, müssen dann aber auch, soweit nicht erkennbar Abweichendes gesetzlich
bestimmt wurde, für das Merkmal der Entschuldbarkeit nachteilige Umstände, welche
unmittelbar nur der Sphäre eines (berücksichtigungsfähigen) Familienmitglieds des
Beihilfeberechtigten zuzuorden sind, zu Lasten des Anspruchs auf Nachsichtgewährung
durchgreifen können. Das gilt auch dann, wenn wie hier verfahrensrechtliche
Voraussetzungen mit betroffen sind. Denn ansonsten gelangte man zu dem sachlich
nicht einleuchtenden Ergebnis, dass die Familie des Beihilfeberechtigten in einer
Gesamtschau ausschließlich dadurch einen realen Vorteil erlangen könnte, dass (von
der Rechtskonstruktion her gesehen) allein der Beihilfeberechtigte selbst Inhaber des
Anspruchs und Beteiligter am beihilferechtlichen Verwaltungsverfahren ist. Der
Beihilfeverordnungsgeber wollte aber - ausgehend von einer insoweit „nur" abgestuft
bestehenden Verpflichtung aus der Fürsorgepflicht - ersichtlich für Aufwendungen für
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die Behandlung von Familienangehörigen des Beihilfeberechtigten nicht unter
erleichterten Umständen aufkommen müssen, als dies der Fall wäre, wenn diese
Angehörigen (gedachterweise) selbst Inhaber des Anspruchs und als solche zugleich
mit den begleitenden Verfahrenspflichten (wie hier der Einhaltung der Antragsfrist)
belastet wären. Es liegt damit also gerade keine Situation vor, in welcher die
Fürsorgepflicht des Dienstherrn schlechterdings eine Abmilderung der Folgen der
Versäumung der Antragsfrist als materielle Ausschlussfrist gebieten würde.
Die mit der zeitlich ausreichend bemessenen Antragsfrist nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BVO
NRW in Kombination mit einem engen Verständnis der Ausnahme des Satzes 2
verfolgten, bereits oben dargestellten Zwecke geben für eine Differenzierung der
Nachsichtgewährung danach, ob die für die Einhaltung der Frist maßgeblichen
tatsächlichen Umstände voll im Einflussbereich des Beihilfeberechtigten gelegen haben
oder ob dessen Einfluss aus seinem Lebensbereich zuzurechnenden Gründen
vorübergehend gelockert oder ganz verloren gegangen war - z.B. wegen selbstständiger
Lebensführung, räumlicher Entfernung etc. des ärztlich behandlungsbedürftigen
Familienangehörigen -, ebenfalls nichts her. Hat ein derart gelockerter Einfluss im
Einzelfall das Fristversäumnis herbeigeführt oder wenigstens maßgeblich (mit)
begünstigt, indem über die beihilferechtliche Berücksichtigungsfähigkeit in das
Geschehen einbezogene Familienmitglieder bestehende beihilferechtliche
Anspruchsvoraussetzungen nicht mit der genügenden Sorgfalt beachtet haben, so kann
vor diesem Hintergrund nicht allein die etwa fehlende eigene Kenntnis des
Beihilfeberechtigten das Versäumnis im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW
„entschuldbar" machen. Es beansprucht vielmehr für diese spezielle
Nachsichtgewährung der Gedanke einer insoweit bestehenden beihilferechtlichen
Risiko- bzw. Gefahrengemeinschaft Beachtung.
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Die vom Kläger gegen diese - im Kern mit derjenigen des Verwaltungsgerichts
übereinstimmende - Auslegung der Norm im Wesentlichen vorgebrachten Argumente
greifen sämtlich im Ergebnis nicht durch. Die rechtliche Betrachtung hat hier speziell bei
§ 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW und nicht bei § 32 Abs. 1 VwVfG NRW bzw. sonstigen
allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verfahrensrechts und erst recht nicht bei der
zivilrechtlichen Haftung der Eltern für unerlaubte Handlungen ihrer Kinder anzusetzen.
Der Senat hat letztlich keinen Zweifel, dass die hier unmittelbar einschlägige Vorschrift
als von den vom Kläger angeführten Grundsätzen abweichende Sonderbestimmung,
welche maßgeblich im Gesamtzusammenhang des betroffenen Rechtsgebiets (hier: des
Beihilfenrechts) auszulegen ist, die vom Kläger angegriffene Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichts stützt und sie ihrerseits durch die Ermächtigung in § 88 Satz 4 LBG
NRW gedeckt wird. Ob § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW in bestimmten Zusammenhängen
- etwa der Anwendung des Jahresfrist des § 32 Abs. 3 VwVfG NRW - überhaupt Raum
für eine ergänzende bzw. entsprechende Anwendung von (Neben-)Regelungen über
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lässt, bedarf hier keiner abschließenden
Entscheidung. Denn davon hängt die - in Abwägung mit dem für den
Beihilfeberechtigten und seine Familie Zumutbaren bezweckte - möglichst effektive
Gewährleistung der Zweckbestimmung der beihilferechtlichen Antragsfrist nicht
maßgeblich ab. Bereits die Gewährung einer weiteren Frist von einem Jahr, wie sie § 32
Abs. 3 VwVfG NRW für das Recht der Wiedereinsetzung vorsieht, liefe im Ergebnis auf
eine Verdoppelung der Länge der Antragsfrist hinaus und würde damit den mit dieser
Frist als Ausschlussfrist bezweckten Verwaltungsvereinfachungs- und -
beschleunigungsbestrebungen beachtlich zuwiderlaufen. Das gilt namentlich unter
Berücksichtigung der im Landesrecht erst vor einiger Zeit bewusst vorgenommenen
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Verkürzung der beihilferechtlichen Antragsfrist von zwei Jahren auf nur noch ein Jahr.
Das vom Kläger angegriffene „Besserstellungsargument" des Verwaltungsgerichts und
des Beklagten (gemessen an eigenständigen Beihilfeansprüchen der Angehörigen)
erschöpft sich schließlich nicht in einer rein hypothetischen Betrachtung, sondern stellt
sich - zumindest in Gestalt einer Art Kontrollüberlegung - als sachgerechter Bestandteil
der teleologischen Auslegung der Norm dar.
Hiervon ausgehend ist das Fristversäumnis vorliegend bereits mit Blick auf das - dem
Kläger im Sinne der vorstehenden Ausführungen zurechenbare - damalige Verhalten
seiner (erwachsenen) Tochter B. nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW
entschuldbar. Nach den gegebenen Umständen hat sich die Tochter des Klägers
zumindest fahrlässig - und damit schuldhaft - verhalten, als sie trotz der vom Kläger
vorgetragenen mehrfachen und eindringlichen Verhaltenshinweise die
streitgegenständlichen Arzt- bzw. Zahnarztrechnungen ohne durchgreifenden
Entschuldigungsgrund nicht hinreichend zeitnah ihrem Vater zum Zwecke der
Beantragung einer Beihilfe übersandt hat. Die vom Kläger erstmals in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat konkreter bezeichnete Krankheit der Tochter, eine Anorexie
(Magersucht), derentwegen sie sich in Kanada u.a. auch in klinischer Behandlung
befand, entschuldigt das Verhalten der Tochter nicht. Diese Krankheit bot keinen
nachvollziehbaren Anlass, sich - wie hier geschehen - um die Übersendung der
fraglichen Arztrechnungen über einen Zeitraum von ca. einem ganzen Jahr gar nicht zu
kümmern. Dies gilt unabhängig davon, ob - wie es der Kläger in der mündlichen
Verhandlung ausgedrückt hat - das Verständnis der Tochter für praktische Abläufe des
Lebens durch ihre Krankheit herabgesetzt gewesen sein mag. In diesem
Zusammenhang verdeutlicht etwa die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung mit
angesprochene, der Verschaffung eines Nebenverdienstes dienende Tätigkeit der
Tochter als Hausverwalterin im kirchlichen Bereich, dass B. nicht etwa so schwer
erkrankt gewesen sein kann, dass sie einfache Handlungen wie die Übersendung von
Arztrechnungen nicht hätte durchführen können.
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Als hinzu kommender eigenständiger Gesichtspunkt erweist sich die Klage aber selbst
dann als nicht begründet und damit zugleich die Berufung als erfolglos, wenn man im
Rahmen der Auslegung des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW die Familie des Klägers nicht
- wie nach dem Vorstehenden geboten - als eine Art „Risiko- bzw.
Gefahrengemeinschaft" begreift. Denn auf der Grundlage des Akteninhalts und der
ergänzenden Angaben des Klägers in der Berufungsverhandlung lag hier der
mangelnden Entschuldbarkeit des Fristversäumnisses nicht ausschließlich ein
Verhalten der Tochter zugrunde. Vielmehr war das Versäumnis der Antragsfrist letztlich
auch deswegen nicht entschuldbar, weil dem Kläger selbst eine - für die Versäumung
der Antragsfrist mit kausal gewordene - eigene Obliegenheitsverletzung in Gestalt eines
Organisations- und Überwachungsverschuldens vorzuwerfen ist. Das erschließt sich
aus dem Sachverhalt, wie ihn der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
auf Befragen ergänzend näher dargestellt hat.
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Zwar mag der Kläger wie vorgetragen bis kurz vor Stellung des Beihilfeantrags keine
konkrete Kenntnis von den hier in Rede stehenden Behandlungen und Arztrechnungen
seiner Tochter gehabt haben. Auch mag es ausgehend von der seinerzeit praktizierten
und von ihm zumindest geduldeten Verfahrensweise der Unterhaltsleistung an seine
Tochter für den Kläger nicht möglich gewesen sein, bestimmte Einzelausgaben seiner
Tochter, etwa für bar beglichene Arztrechnungen, aus seinen Konto- bzw.
Kreditkartenabrechnungen nachzuvollziehen. Nach den für die in Rede stehende
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Nachsichtgewährung geltenden Maßstäben hat der Kläger indes nicht alles ihm
Mögliche und Zumutbare getan, um das Risiko, dass es durch Nachlässigkeit seiner
Tochter zur Überschreitung der Antragsfrist kommen konnte, effektiv zu minimieren.
Gerade mit Blick auf den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, das
Verständnis seiner Tochter für praktische Abläufe des Lebens sei wegen ihrer
Anorexieerkrankung herabgesetzt gewesen, durfte es der Kläger hier nicht bei bloßen
Hinweisen an die Tochter, wie sie sich richtig zu verhalten habe, belassen. Vielmehr
hatte er begründeten Anlass und war es ihm auch zuzumuten, in organisatorischer
Hinsicht darauf hinzuwirken, dass die Tochter bei der Begleichung ihrer Arzt- und
Zahnarztrechnungen ein Verfahren wählte, welches ihm - etwa anhand der
Kontounterlagen - eine unmittelbarere und konkretere Kontrolle der für diese Zwecke
getätigten Ausgaben ermöglichte. Das seinerzeit praktizierte und vom Kläger offenbar
geduldete Verfahren bot diese Gewähr ersichtlich nicht. Nach dem Akteninhalt sowie
den ergänzenden Angaben des Klägers in der Berufungsverhandlung wurde der
Unterhalt von B. durch Barabhebungen der Tochter in Kanada per Kreditkarte vom
Konto des Klägers bestritten, wobei monatlich im Wesentlichen gleichbleibende Beträge
von ca. 500 bis 600 Euro abgehoben wurden. Bei dieser Verfahrensweise konnte der
Kläger die Verwendung des Geldes für bestimmte einzelne Zwecke nicht näher
nachhalten. Stattdessen hätte er aber beispielsweise die Möglichkeit gehabt, seine
Tochter dazu anzuhalten, die jeweiligen Einzelrechnungsbeträge - hier jedenfalls
bezogen auf die Arzt- und Zahnarztrechnungen - mit der ihr zur Verfügung gestellten
Kreditkarte gesondert zu begleichen. In diesem Falle hätte der Kläger über die
einzelnen beihilferechtlich relevanten finanziellen Ausgaben seiner Tochter eine
deutlich gesteigerte Kontrolle gehabt, wie es für die Klinikbehandlung auch geregelt
gewesen ist. Er hätte nämlich anhand der Kreditkartenkontoabrechnungen die für
ärztliche oder zahnärztliche Behandlungen der Tochter ausgegebenen Beträge
voraussichtlich als solche alsbald - jedenfalls innerhalb eines Jahres - ohne weiteres
erkennen und dann ausgehend vom Rechnungsdatum die Einhaltung der
beihilferechtlichen Antragsfrist jeweils selbst nachhalten können. Bei einem Ausbleiben
rechtzeitiger Übersendung von Belegen hätte er - was ihm bei dem tatsächlich
praktizierten Verfahren der regelmäßigen Barabhebungen so nicht möglich war - gezielt
nachfragen können. Alternativ dazu hätte der Kläger etwa auch zum Zwecke von
Unterhaltsleistungen zur Begleichung krankheitsbedingt anfallender Kosten der Tochter
ein separates Konto einrichten können, was ebenfalls die Überwachung deutlich
erleichtert hätte. Jedenfalls hatte es der Kläger, ohne hierdurch unzumutbar belastet zu
werden, „in der Hand", mittels entsprechender organisatorischer Maßnahmen eine
deutlich gesteigerte Kontrollmöglichkeit darüber zu erhalten, ob seine Tochter seine
mehrfachen Hinweise, Arztrechnungen für Beihilfezwecke zeitnah zu übersenden, auch
wirklich und durchgängig befolgte. So wie das Verfahren hier tatsächlich gehandhabt
wurde, hatte sich der Kläger hingegen einer derartigen Kontrollmöglichkeit praktisch
vollständig begeben. Für eine solche Kontrolle bestand in dem gegebenen Einzelfall
aber mit Blick auf die Krankheit und Veranlagung der Tochter - wie schon gesagt -
begründeter Anlass. Mit zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Tochter B. ohnehin
durch die Entfernung ihres seinerzeitigen Aufenthaltsortes in Kanada dem engeren
Kontakt-, Kenntnis- und Überwachungsbereich des Klägers weitestgehend entzogen
gewesen ist.
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Der Kläger hat bezeichnenderweise in seinem schriftsätzlichen Vorbringen ein etwaiges
Auswahl- oder Überwachungsverschulden auch nicht konkret in Abrede gestellt,
sondern (lediglich) die Auffassung vertreten, dass ein derartiges Verschulden hier nicht
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rechtserheblich sei. Was das Auswahlverschulden betrifft, mag der Kläger insoweit
Recht haben, da er in Bezug auf die Einbindung eigener Kinder in die beihilferechtlich
relevanten Geschehensabläufe eine Auswahlentscheidung sicherlich nicht treffen kann.
Anders verhält es sich aber in Bezug auf den Gesichtspunkt des
Überwachungsverschuldens. Dass die Tochter des Klägers im klassischen Sinne eine
(vom Kläger beauftragte oder hinzugezogene) „Hilfsperson" zur Erfüllung bestimmter
beihilferechtlicher Verpflichtungen sein müsste, ist in diesem Zusammenhang nicht zu
fordern. Vielmehr reicht es auf der Grundlage der obigen Auslegung der einschlägigen
Spezialnorm des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW zum Merkmal der Entschuldbarkeit des
Fristversäumnisses jedenfalls aus, dass jemand (wie hier die Tochter) tatsächlich mit
Wissen und Wollen des Beihilfeberechtigten zumindest faktisch in beihilferechtlich
möglicherweise relevante Geschehensabläufe eingebunden gewesen ist. Eine solche
Person ist kein beliebiger „Dritter", sondern steht einer sog. Hilfsperson zumindest sehr
nahe. Eine Einbeziehung in dem vorstehenden Sinne ist im Fall der Tochter ohne
weiteres zu bejahen. Diese erhielt nämlich selbst die Arztrechnungen für von ihr
wahrgenommene Behandlungstermine und kümmerte sich um die Begleichung der
Rechnungen, sei es auch von einem Konto des Klägers. Schon in Anbetracht dieser
vom Kläger zumindest geduldeten Abläufe war dieser notwendig darauf angewiesen -
und hat es ja auch von seiner Tochter verlangt -, unter Übersendung der Rechungen
von etwa in Kanada stattgefundenen Arztbehandlungen unterrichtet zu werden. Diese
die Tochter treffende Mitwirkungshandlung war für die Wahrung der beihilferechtlichen
Antragsfrist durch den Kläger unmittelbar relevant. Die Tochter stand damit einer zur
Erfüllung einschlägiger Rechtspflichten hinzugezogenen Hilfsperson zumindest in
weitem Umfang (die Frage Auswahl ausgeklammert) gleich. Um den bereits an anderer
Stelle behandelten Zwecken der Wahrung der beihilferechtlichen Antragsfrist die
gebührende Geltung zu verschaffen, ist es (erst recht, wenn das oben angenommene
Bestehen einer familiären „Gefahrengemeinschaft" verneint würde) geboten, die
Grundsätze des Organisations- und Überwachungsverschuldens auch in Fällen der
vorliegenden Art anzuwenden. Für den Beihilfeberechtigten ist das Fristversäumnis bei
der gebotenen, ergebnisbezogenen Gesamtbetrachtung des relevanten Geschehens
nur dann im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 2 BVO NRW entschuldbar, wenn er ein derart in
beihilferechtliche Zusammenhänge zumindest faktisch einbezogenes Familienmitglied
nicht nur auf die Beachtung der bestehenden beihilferechtlichen
Anspruchsvoraussetzungen hingewiesen, sondern es zugleich auch in dem jeweils
nach den Umständen des Einzelfalles erforderlichen Umfang überwacht sowie eine
derartige Überwachungsmöglichkeit zuvor sichergestellt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidungen über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil hierfür die Vorraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2
VwGO, 127 BRRG, 71 Abs. 3 DRiG nicht gegeben sind.
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