Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.10.2007

OVG NRW: beihilfe, fürsorgepflicht, diabetes mellitus, arzneimittel, medikamentöse behandlung, verordnung, konkretisierung, leistungsausschluss, aufwand, belastung

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 2896/06
Datum:
15.10.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 2896/06
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Beihilfefähigkeit des Präparates "Cialis". Dieses ist dem
1950 geborenen Kläger am 4. Oktober 2004 zur Behandlung einer erektilen Dysfunktion
ärztlich verordnet worden. Diese hatte sich bei ihm als Folge eines seit 1999
bestehenden Diabetes mellitus eingestellt.
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Die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für das Präparat lehnte die
Postbeamtenkrankenkasse im Auftrag der Beklagten mit Bescheid vom 19. Oktober
2004 ebenso ab wie die Gewährung einer Kassenleistung für den bei ihr gesetzlich
krankenversicherten Kläger.
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Der Kläger legte gegen die Ablehnung der Beihilfe Widerspruch ein und erhob vor dem
Verwaltungsgericht T. Klage (17 K 4717/04) gegen die Postbeamtenkrankenkasse
auf Gewährung einer Kassenleistung. Die Entscheidung über den Widerspruch wurde
daraufhin zurückgestellt, um den Ausgang des Klageverfahrens abzuwarten. Nachdem
das Verwaltungsgericht T. die Klage mit Urteil vom 25. Juli 2005 abgewiesen hatte,
lehnte die Deutsche Telekom AG die Gewährung einer Beihilfe mit Bescheid vom
19. August 2005 erneut ab. Den Widerspruch hiergegen wies sie mit Bescheid vom
23. Januar 2006 als unbegründet zurück.
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Mit seiner am 20. Februar 2006 erhobenen Klage hat der Kläger - nach Rücknahme
eines zunächst formulierten (weitergehenden) Feststellungsantrags beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Telekom AG
vom 19. August 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar
2006 zu verpflichten, die beantragte Beihilfe zu dem Präparat Cialis zu
gewähren.
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Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Klage
zurückgenommen worden ist; im Übrigen hat es die Beklagte verpflichtet, die beantragte
Beihilfe in Höhe von 24,07 EUR zu gewähren: Der Kläger könne die Beihilfe nach den
Beihilfenvorschriften des Bundes beanspruchen. Der Anspruch werde durch die
Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, die in den
Beihilfenvorschriften in Bezug genommen würden, nicht ausgeschlossen. Die Kammer
schließe sich insoweit der Auffassung des Verwaltungsgerichts E. (Urteil vom
2. September 2005 - 26 K 371/05) an, wonach der Gemeinsame Bundesausschuss die
in Nr. 18.2 der genannten Richtlinien aufgeführten Arzneimittel zur Behandlung der
erektilen Dysfunktion nur insofern von der Kostenerstattung habe ausschließen wollen,
als eine erektile Dysfunktion ohne Krankheitswert vorliege. Folge man dieser Ansicht
nicht, so sei der Ausschluss der Beihilfefähigkeit jedenfalls wegen Verstoßes gegen die
beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn nichtig.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der
Beklagten, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt: Das Präparat "Cialis"
werde durch die Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses von der
Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung wirksam ausgeschlossen.
Der Leistungsausschluss sei auf das Beihilferecht inhaltsgleich und wirksam übertragen
worden. Das angefochtene Urteil sei rechtsfehlerhaft, weil es dem nicht Rechnung trage.
Infolge des generellen und uneingeschränkten Ausschlusses könne unabhängig von
der Begründung der ärztlichen Verordnung zu Aufwendungen für Arzneimittel, die
überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten, keine Beihilfe gewährt
werden. Denn bei diesen Arzneimitteln stehe die Erhöhung der Lebensqualität im
Vordergrund. Der Ausschluss sei auch mit höherrangigem Recht, insbesondere der
beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht vereinbar. Die Beihilferegelungen seien den
durchschnittlichen Verhältnissen angepasst, weshalb in Kauf genommen werden
müsse, dass nicht in jedem Einzelfall eine volle Deckung der Aufwendungen erreicht
werde. Wegen des die Alimentationspflicht des Dienstherrn lediglich ergänzenden
Charakters der Beihilfe müssten solche Härten und Nachteile hingenommen werden,
die sich aus der pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung der
Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften ergäben und die keine unzumutbare
Belastung mit sich brächten, wie es hier der Fall sei. Denn die Gewährleistung einer
medizinischen Vollversorgung im System der aus den laufenden Bezügen zu
bestreitenden Eigenvorsorge mit ergänzender Beihilfe werde nicht infrage gestellt. Dem
stehe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Begründung von
Ansprüchen auf Beihilfegewährung unter unmittelbarem Rückgriff auf den
beamtenrechtlichen Fürsorgegrundsatz nicht entgegen. Danach könne ein
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Beihilfeanspruch grundsätzlich nicht unmittelbar aus der Fürsorgepflicht hergeleitet
werden, soweit für bestimmte Aufwendungen die Gewährung einer Beihilfe beschränkt
oder ausgeschlossen sei. Demgemäß würden beihilferechtliche Ausschlüsse von
Arzneimitteln, die vornehmlich der Behandlung einer erektilen Dysfunktion dienten, von
vielen Verwaltungsgerichten als rechtmäßig angesehen.
Die Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
12
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er nimmt Bezug auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und führt ergänzend aus: Das
Präparat Cialis diene der Behandlung von Folgen einer bei ihm vorliegenden
ernsthaften Grunderkrankung. Außerdem komme der erektilen Dysfunktion ein
besonderer eigener Krankheitswert zu, weshalb das Medikament bei ihm nicht zur
Erhöhung der Lebensqualität diene, sondern die krankheitsbedingte Verschlechterung
einer Körperfunktion beseitige. Die Argumentation, dass in der gesetzlichen
Krankenversicherung vorgesehene Leistungsminderungen auf die Beihilfe übertragen
werden sollten, überzeuge nicht. Den Dienstherrn treffe Beihilfeempfängern gegenüber
eine Fürsorgeverpflichtung, die er auch unter angemessener Prüfung der Verhältnisse
des Einzelfalls zu erfüllen habe. Ein Ausschluss nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip
unter Überstülpung von Einschränkungen, die von gesetzlich Versicherten
hingenommen werden müssten, verletze den Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und Verwaltungsvorgänge (1 Heft) verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
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Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht, wie das Verwaltungsgericht zu
Recht angenommen hat, eine Beihilfe zu den Aufwendungen für das Medikament
"Cialis" in gesetzlicher Höhe zu; die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit
sie diesen Anspruch verneinen, und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO.
19
I. Anspruchsgrundlage für die beantragte Beihilfe ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und
Todesfällen (Beihilfevorschriften - BhV). Der Beurteilung zugrunde zu legen ist die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (§ 5 Abs. 2
BhV), für die eine Beihilfe verlangt wird (hier Oktober 2004).
20
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 C 35.04 -, BVerwGE 125,
21 (= Juris Rn. 13) m.w.N.
21
Für den vorliegenden Fall maßgeblich ist damit die Fassung der Beihilfevorschriften
22
vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918) unter Einbeziehung der 27. und 28. allgemeinen
Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 17. Dezember 2003
(GMBl. S. 227) und vom 30. Januar 2004 (GMBl. S. 379). Beide Änderungen sind,
soweit sie hier entscheidungserhebliche Vorschriften enthalten, mit Wirkung zum
1. Januar 2004 in Kraft getreten.
Die BhV sind ferner abrufbar auf der Homepage des Bundesministeriums
des Innern: www.bmi.bund.de > Gesetze und Verordnungen.
23
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV waren (und sind) aus Anlass einer Krankheit
beihilfefähig die Aufwendungen (u.a.) für die vom Arzt verordneten Arzneimittel. Die
Voraussetzungen dieser Regelung waren hier erfüllt:
24
Die erektile Dysfunktion ist beim Kläger unstreitig als Folge einer anderen
behandlungsbedürftigen Krankheit (Diabetes mellitus) aufgetreten. Sie stellt aber auch
selbst eine behandlungsbedürftige und behandlungsfähige Krankheit dar. Krankheit ist
jede durch die Fachwissenschaft definierte Abweichung von regelgerechten
Körperfunktionen, die nach sachverständig-medizinischem Urteil der ärztlichen
Behandlung bedarf oder (auch) Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Dass beim Kläger eine
Krankheit in diesem Sinne vorliegt, ist weder bestritten noch sonst zweifelhaft. Von
daher ist es unerheblich, dass ihm das Mittel zur Potenz"steigerung" verordnet worden
ist; denn dabei ging es zweifelsfrei nicht um die Steigerung einer sich im Normbereich
haltenden Potenz im Sinne einer (bloßen) Anreizung oder Stärkung des Sexualtriebes
und nicht einmal um die Behandlung einer altersgemäß normalen Minderung der
Potenz, sondern um die Linderung eines krankhaften Zustandes.
25
Das Mittel "Cialis" erfüllt den Arzneimittelbegriff und ist verschreibungspflichtig, wie das
Verwaltungsgericht überzeugend und in Übereinstimmung mit der übrigen
Rechtsprechung dargetan hat. Es enthält einen Wirkstoff (Tadalafil) ähnlich dem des
Mittels "Viagra" (Wirkstoff Sildenafil)
26
- vgl. die Arzneimittelbeschreibung der European Medicines Agency unter
www.emea.europa.eu/ humandocs/Humans/EPAR/cialis/cialis.htm und
…/cialis/H-436-PI-de.pdf -,
27
das in der Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts und des
Bundessozialgerichts als Arzneimittel anerkannt ist.
28
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2003 - 2 C 26.02 -, BVerwGE 119, 168
(Juris Rn. 13); BSG, Urteil vom 10. Mai 2005 - B 1 KR 25/03 -, BSGE 94,
302 (Juris Rn. 15 ff.).
29
Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 5 BhV,
insbesondere auch der Notwendigkeit und Angemessenheit der ärztlichen Verordnung
des Mittels, sind zwischen den Beteiligten nicht umstritten; auch der Senat sieht keinen
Anlass, diese Voraussetzungen zu problematisieren. Damit besteht im Ausgangspunkt
ein Rechtsanspruch des Klägers auf Beihilfe (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BhV).
30
II. Der somit gegebene Anspruch wird nicht dadurch berührt, dass die Beihilfefähigkeit
der Aufwendungen in beachtlicher Weise ausgeschlossen wäre. Zu Unrecht beruft sich
die Beklagte auf die Ausschlussregelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BhV. Danach
31
sind nicht beihilfefähig Aufwendungen für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die
nach den Arzneimittelrichtlinien (AMR) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)
aufgrund des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der
Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind.
Diese Ausschlussregelung trifft zwar den Fall des Klägers, ist aber nicht wirksam.
1. Das streitige Präparat "Cialis" fiel im maßgeblichen Zeitpunkt (und fällt weiterhin)
unter Abschnitt F Nr. 18.2 AMR, wonach Arzneimittel generell ausgeschlossen sind, "die
überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion … dienen". Klarstellend waren
(und sind) in der Anlage 8 zu den AMR die Fertigarzneimittelbezeichnung ("Cialis") und
der Wirkstoff ("Tadalafil") mit der Indikation "Erektile Dysfunktion" als sog. Lifestyle-
Arzneimittel aufgeführt.
32
Vgl. Bekanntmachung des Gemeinsamen Bundesausschusses vom
16. März 2004 (BAnz. 2004 S. 8905 vom 23. April 2004); dazu
Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 13. April
2004, GMBl. S. 641. Die AMR sind nach der Vorgabe des § 34 Abs. 1 Satz 4
SGB V im Internet abruffähig unter http://www.g-ba.de >Informations-Archiv
>Richtlinien oder direkt über die Seite http://www.g-ba.de/downloads/39-
261-65/2004-03-16-AMR-OTC.pdf.
33
Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der
Ausschlusstatbestand nach den Arzneimittelrichtlinien seinem Wortlaut nach nicht
eingreife, wenn das Arzneimittel - wie im Fall des Klägers - der Behandlung (Linderung)
eines krankhaften Zustandes dient, umgekehrt formuliert also aus seiner Zielrichtung
heraus nur dann Geltung beanspruche, wenn die Einnahme von Cialis ausschließlich
zur Erhöhung der Lebensqualität und Bedürfnisbefriedigung eingesetzt wird. Von den
(in Bezug genommenen) sozialrechtlichen Regelungen werden vielmehr alle Fälle einer
erektilen Dysfunktion umfasst, ohne Rücksicht auf ihre Ursache. Wenn § 34 Abs. 1 Satz
7 SGB V - als Ermächtigungsgrundlage für die Arzneimittelrichtlinien - die
ausgeschlossenen Arzneimittel damit umschreibt, dass bei ihrer Anwendung "eine
Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht" (ebenso Abschn. F Nr. 18 AMR), so
ist damit keine einzelfallbezogene Betrachtung und differenzierte Behandlung der
Verhältnisse gefordert; vielmehr wird eine abstrakt-generelle Kennzeichnung der
möglichen Verwendungszwecke gegeben, die an ein statistisch und qualitativ
vermeintlich dominierendes Merkmal der Anwendungszwecke anknüpft. Diese
Kennzeichnung schließt es nicht aus - sondern nimmt gerade in den Blick , dass im
Einzelfall eine Erkrankung die Ursache für die gesehene Notwendigkeit sein kann, die
geminderte Lebensqualität mithilfe des jeweiligen Präparats ausgleichend zu erhöhen.
Dementsprechend hat das Bundessozialgericht - das Arzneimittel "Viagra" betreffend -
insoweit befunden, dass der Arzneimittelausschluss auch für die Fälle gedacht ist und
Platz greift, in denen es um die medikamentöse Behandlung einer erektilen Dysfunktion
als Krankheit im eigentlichen Sinne geht. Für den Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung ist der Grund hierfür in einem Motivbündel zu sehen, das
insbesondere in § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V und Nr. 18 AMR zum Ausdruck kommt.
Danach wird die Wiederherstellung oder Verbesserung der Erektionsfähigkeit
(Potenzsteigerung) unabhängig davon, worauf gegebene Einschränkungen
zurückzuführen sind, ganz vorrangig der bloßen Erhöhung der Lebensqualität
zugeordnet; andere Einsatzzwecke werden generalisierend vernachlässigt. Hinzu tritt,
dass die Anwendung als wesentlich subjektiv bestimmt gilt, sich also nicht nach einer
vorgegebenen, medizinischen Erkenntnissen entspringenden Dosierungsanweisung
34
richtet, sondern nach der individuellen Lebensgestaltung, womit eine gewisse
Missbrauchsanfälligkeit verbunden ist. Im Kern wird damit geleugnet, dass die erektile
Dysfunktion überhaupt eine Krankheit von Bedeutung ist. Präparate zur Behandlung der
erektilen Dysfunktion werden daher generell - auch wenn ihr eine Krankheit zugrunde
liegt - als "Lifestyle-Arzneimittel" betrachtet und auch so bezeichnet (so die
ausdrückliche Überschrift der Anlage 8 AMR). Erst dadurch ist Raum für
Wirtschaftlichkeitserwägungen und Abwägungen mit Belangen der finanziellen
Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung, die einen typisierenden Ausschluss von
den Versicherungsleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigen
mögen.
Vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, a.a.O. (Juris Rn. 21, 32); eine
Verfassungsbeschwerde hiergegen ist unter dem Aktenzeichen 1 BvR
1778/05 anhängig. Ebenso zuvor LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
24. Februar 2005 - L 16 KR 313/04 -, juris; Urteil vom 3. März 2005 - L 5 KL
169/94 -, juris; LSG Hessen, Beschluss vom 1. September 2005 - L 8 KR
80/05 ER -, juris. Zur Beihilfefähigkeit ebenso VG Lüneburg, Urteil vom
18. Januar 2006 - 1 A 109/05 - (Juris); a.A. VG E. , Urteile vom
9. Dezember 2005 - 26 K 1844/05 - und vom 2. September 2005 - 26 K
371/05 (beide bei Juris).
35
Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Arzneimittelrichtlinien - abweichend von ihrer
Zielrichtung in der gesetzlichen Krankenversicherung - nur mit einem engeren
Verständnis in Bezug genommen sein und also die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen
unangetastet lassen sollten, sofern sie aufgrund ärztlicher Verordnung der Behandlung
krankheitsbedingter Störungen der Erektionsfähigkeit dienten. Dies ergibt sich mit
großer Deutlichkeit aus der parlamentarisch bekundeten Absicht, jene Be- und
Entlastungen, welche die gesetzlich Krankenversicherten infolge der Maßnahmen des
GKV-Modernisierungsgesetzes treffen,
36
- Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-
Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003, BGBl. I S. 2190,
2194, in Kraft ab 1. Januar 2004 -
37
"wirkungsgleich in die Beihilfe- und Versorgungsregelungen für Minister, Abgeordnete
und Beamte" zu übertragen.
38
Vgl. Nr. IV der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und
Soziale Sicherung vom 24. September 2003, BT-Drucks. 15/1584,
angenommen vom Deutschen Bundestag mit Beschluss vom 26. September
2003, Stenografischer Bericht der 64. Sitzung, Plenarprotokoll 15/64,
S. 5475.
39
Ein einschränkendes Verständnis der Ausschlussregelung in den Beihilfevorschriften
würde dieser Absicht der Parallelisierung der Verhältnisse in der Beihilfe und der
gesetzlichen Krankenversicherung zuwider laufen.
40
2. § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BhV misst sich auch für die streitigen Aufwendungen
Geltung bei, da er ausweislich des Art. 2 Abs. 1 der 27. Änderung der
Beihilfevorschriften vom 17. Dezember 2003 (GMBl. S. 227, 234) am 1. Januar 2004 in
Kraft getreten ist (die Hinweise des BMI vom 15. Dezember 2004, GMBl. 2005 S. 543,
41
560 gehen fälschlicherweise, für den Fall des Klägers aber nicht
entscheidungserheblich vom 1. August 2004 aus) und
- nach Aussetzen der Regelung mit Rundschreiben des
Bundesministeriums des Innern vom 6. Februar 2004 (GMBl. S. 380) im
Gefolge des oben zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom
30. Oktober 2003 -
42
aufgrund des vorbezeichneten Rundschreibens des Bundesministeriums des Innern
vom 13. April 2004 auch so praktiziert wird, nachdem der Gemeinsame
Bundesausschuss die in Bezug genommenen Arzneimittelrichtlinien (Abschn. F
Nr. 18.2) am 16. März 2004 (mit Wirksamkeit vom selben Tag) entsprechend neu gefasst
hatte. Überdies sind diese Ausschlussregelungen nach einer Änderung des § 34 SGB V
(insbesondere durch Ergänzung seiner Absätze 3 und 4)
43
- vgl. Art. 1 Nr. 22 des GKV-Modernisierungsgesetzes -
44
seither auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirksam.
45
Vgl. dazu BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, a.a.O. (= Juris Rn. 24).
46
III. Der Ausschluss greift für den Fall des Klägers jedoch nicht beachtlich ein. Dabei ist
für den vorliegenden Fall allerdings im Grundsatz davon auszugehen, dass die
Beihilfevorschriften des Bundes als solche - bezogen auf den maßgeblichen
Prüfungszeitpunkt - überhaupt anwendbar sind. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht
entschieden, dass die Beihilfevorschriften als Allgemeine Verwaltungsvorschrift den
Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehaltes nicht genügen, da es
sich um wesentliche Entscheidungen über den Umfang der Beihilfeleistungen handelt,
die dem Gesetzgeber vorbehalten sind.
47
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103,
109 ff.
48
Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch (a.a.O. S. 111) zugleich hervorgehoben, dass
für einen Übergangszeitraum von der Weitergeltung der Vorschriften auszugehen ist.
Diese Karenzzeit war in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des
Entstehens der Aufwendungen - gut vier Monate nach dem zitierten Urteil - jedenfalls
noch nicht abgelaufen, sodass die genaue Länge des Übergangszeitraums hier keiner
Klärung bedarf.
49
Ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2007 - 10 A
11598/06.OVG -, IÖD 2007, 162 (= Juris Rn. 20).
50
Allerdings sieht sich der Senat durch diesen rechtlichen Ausgangspunkt - dem er folgt -
nicht daran gehindert, einzelnen Regelungen aus hiervon unabhängigen Gründen die
Wirksamkeit abzusprechen und sie im Rahmen eines Rechtsstreits über
Beihilfeansprüche inzident zu verwerfen. Die Übergangsrechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist nicht dahin zu verstehen, dass sie die Anwendbarkeit
der Beihilfevorschriften bis zum Ende der Karenzzeit auch gegen jeden sonstigen
Fehler immunisieren soll. Der gerichtlichen Befugnis zur inzidenten Verwerfung
(Nichtanwendung) von Beihilfevorschriften des Bundes steht auch nicht die in § 47
51
Abs. 1 Nr. 2 VwGO zusätzlich eröffnete Möglichkeit prinzipaler Normenkontrolle dieser
Regelung entgegen.
Vgl. dazu BVerwG, Entscheidung vom 25. Juni 1987 - 2 N 1.86 -, BVerwGE
77, 345, sowie Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 47
Rn. 124 ff. m.w.N.; ferner BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - 11 C 13.99 -,
NJW 2000, 3584.
52
IV. Die anspruchsvernichtende Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BhV ist unter
mehreren Aspekten - die das Ergebnis jeweils selbstständig tragen - nicht mit
höherrangigem Recht vereinbar. In formeller Hinsicht ist die gewählte
Verweisungstechnik zu beanstanden (1.), in verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlt eine
angemessene Willensbildung des Vorschriftengebers namentlich im Blick auf die
Verträglichkeit der Regelung mit der Alimentation (2.) und in materiell-rechtlicher
Hinsicht greift der Ausschluss jeglicher Behandlungsmöglichkeit in den Kern der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn ein (3.).
53
1. Die Beihilfefähigkeit des Medikaments Cialis wird über eine Verweisung auf
Regelungen in einem anderen Rechtsbereich - nämlich in den für die gesetzliche
Krankenversicherung geltenden Arzneimittelrichtlinien - ausgeschlossen. Diese
Verweisung ist dynamisch gemeint, nimmt also die bei Entstehen von Aufwendungen
jeweils geltende Fassung der Richtlinien in Bezug. Dies ergibt sich aus der
gegenwartsbezogenen Wendung "nach den Arzneimittelrichtlinien … ausgeschlossen
sind", die keinerlei einschränkenden Zusatz enthält, vor allem aber auch aus dem oben
dargelegten Zweck der Regelung, hinsichtlich der verschreibungspflichtigen
Arzneimittel auf Dauer einen Gleichklang mit der gesetzlichen Krankenversicherung
herzustellen. Angesichts der gesetzlich eingeräumten Vorreiterstellung des
Gemeinsamen Bundesausschusses in diesen Fragen ist es unabdingbar, die
Arzneimittelrichtlinien in ihrer jeweiligen Fassung und also ohne weitere Kontrolle zu
übernehmen. Für eine gleichwohl statisch gemeinte Verweisung auf eine bestimmte
Fassung der Arzneimittelrichtlinien fehlt jeder Anhaltspunkt, zumal die
Beihilfevorschriften seit der Aufnahme des bis heute unveränderten
Ausschlusstatbestandes im Jahre 2004 verschiedentlich geändert worden sind, ohne
dass dabei den wiederholten Änderungen der Arzneimittelrichtlinien erkennbare
Aufmerksamkeit geschenkt worden ist.
54
Es entspricht freilich gesicherter Rechtserkenntnis, dass Vorschriftengeber die von
ihnen geregelten Tatbestände nicht stets selbst umschreiben müssen, sondern im Wege
der Verweisung auf andere Vorschriften Bezug nehmen dürfen. Solche Verweisungen
sind als gesetzestechnische Methode anerkannt und grundsätzlich bedenkenfrei, sofern
die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im
Einzelnen gelten sollen, und wenn die in Bezug genommenen Vorschriften dem
Normadressaten zugänglich sind. Dabei ist der zuständige Gesetzgeber auch nicht
gehindert, auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines
anderen Kompetenzbereiches zu verweisen. Selbst dynamische Verweisungen sind
nicht schlechthin ausgeschlossen, und zwar selbst dann nicht, wenn keine Identität der
Gesetzgeber besteht.
55
Ständ. Rechtsprechung, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 1. März 1978 - 1
BvR 786/70 -, BVerfGE 47, 285; Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl., § 20 Rn. 123a
m.w.N.
56
In der vorliegenden Konstellation ist die dynamische Verweisung aber durchgreifenden
Bedenken ausgesetzt. Die Beihilfevorschriften des Bundes sind allgemeine
Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Bundesbeamtengesetzes (BBG) auf der
Grundlage des § 200 BBG. Zu ihrem Erlass ermächtigt ist "der Bundesminister des
Innern". Der Gesetzgeber geht mit dieser Konkretisierungsermächtigung davon aus,
dass der ausdrücklich genannte Bundesminister die Regelungen selbst trifft. Dies mag
die Zulässigkeit statischer Verweisungen auf eine bestimmte Fassung anderer
Regelwerke einschließen, weil es sich dabei letztlich um nichts weiter als
rechtstechnische Vereinfachungen zur Einsparung von Gesetzeswortlaut handelt, die
als solche Bedenken allenfalls unter den Gesichtspunkten der Regelungsklarheit und
Zugänglichkeit aufwerfen können. Eine dynamischen Verweisung ist davon jedoch
schon im Ansatz nicht erfasst. Nach allgemeinen Grundsätzen, aber schon allein wegen
der "außergewöhnlichen Bedeutung" der Beihilfevorschriften für die von ihr erfassten
Beamten
57
- dazu BVerwG, Urteil vom Urteil vom 17. Juni 2004, a.a.O. S. 108 -
58
müsste die Befugnis zu einer dynamischen Verweisung nicht nur besonders und
unzweifelhaft eingeräumt, sondern auch nach Inhalt und Grenzen in einer Weise
festgelegt sein, die dem durch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und
Bundesstaatlichkeit gezogenen Rahmen Rechnung trägt, wobei grundrechtliche
Gesetzesvorbehalte - und ähnliche Regelungen wie die grundrechtsgleichen Rechte
aus Art. 33 Abs. 5 GG - diesen Rahmen zusätzlich einengen können.
59
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1988 - 2 BvL 26/84 -, BVerfGE 78,
32 (= Juris Rn. 16); Beschluss vom 1. März 1978 - 1 BvR 786/70 u.a. -,
BVerfGE 47, 285, 312 ff.
60
An alldem fehlt es, ohne dass dies einer Vertiefung bedürfte.
61
Auch sonst sind gegen die dynamische Verweisung auf die Arzneimittelrichtlinien
durchgreifende verfassungsrechtliche Einwände zu erheben. Der Dienstherr hat sich
mittels der Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BhV der gebotenen inhaltlichen
Kontrolle der Ausschlussregelungen mit Blick auf die von ihm zu wahrenden spezifisch
fürsorgebezogenen Belange seiner Bediensteten - bewusst und vollständig - begeben.
Die Ausschlussregelung ist in Konsequenz der oben genannten Absicht in die
Beihilfevorschriften eingefügt worden, hinsichtlich des Leistungsumfangs bei
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Gleichstellung von Beihilfeberechtigten mit
gesetzlich Krankenversicherten vorzunehmen. Da die maßgeblichen
Vorentscheidungen insoweit im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
getroffen werden, ist eine "wirkungsgleiche Übertragung" nur zu erzielen, indem die
einschlägigen sozialrechtlichen Regelungen gleichsam "unbesehen" in den
Beihilfebereich übertragen werden. Damit geht notwendig einher, dass der in § 200
BBG ermächtigte Bundesminister die ihm aufgetragene Entscheidung über den Inhalt
des Ausschlusses dem für die Krankenversicherung zuständigen Gemeinsamen
Bundesausschuss überlässt. Die eigentliche Entscheidung über die Beihilfefähigkeit
verschreibungspflichtiger Medikamente wird dadurch - unter gewolltem Verzicht auf jede
eigene Prüfung - bewusst auf einen Dritten verlagert. Denn eine Prüfung, die diesen
Namen verdient, ist zumindest theoretisch mit dem Vorbehalt verbunden, von dem
fremden Normwerk im Konfliktsfall abzuweichen. Selbst eine solche theoretische
62
Möglichkeit muss sich der zuständige Bundesminister aber versagen, will er das Ziel der
Parallelisierung der Systeme konsequent umsetzen. Vor diesem Hintergrund ist eine
Entäußerung der Entscheidungsverantwortlichkeit unabdingbar. Sie ist aber
rechtswidrig, weil die Behörde über ihren Aufgabenbereich nicht autonom verfügen darf.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2007 - 2 A 6.06 - (= Juris Rn. 22 ff.);
Beschluss vom 22. August 2007 - 2 PKH 2.07 - (= Juris Rn. 7).
63
Das ist nicht deshalb hinzunehmen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss durch
Gesetz errichtet und mit Aufgaben betraut worden ist (vgl. Art. 35 § 6 GMG, BGBl. I
S. 2190, 2257). Diese Betrauung erfasst nicht den Bereich der Beihilfe; eine
Übertragung auf die Beihilfe ist aus Sachgründen nicht angebracht. Durch sie wird die
beihilferechtliche Grundentscheidung in ein Gremium der gemeinsamen
Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern verlagert, das nach
eigenständigen Maßstäben und ohne Einflussnahme durch Dienstherrn entscheidet.
Die spezifischen fürsorgebezogenen Gesichtspunkte haben innerhalb dieser
Entscheidungen keinen Raum und sind wegen der Systemunterschiede zwischen
Krankenversicherung und Beihilfe auch kaum effektiv zur Geltung zu bringen. Der
Umstand, dass betroffenen Beamten, soweit sie Versicherte sind, gemäß § 140f Abs. 2
SGB V über bestimmte Organisationen ein Mitberatungsrecht im Gemeinsamen
Bundesausschuss eingeräumt ist, vermag daher das Absehen von
eigenverantwortlicher Entscheidung des Fürsorgegebers nicht auszugleichen.
64
2. Die Ausschlussregelung ist weiterhin rechtswidrig, weil sie nicht unter Beachtung
jener Anforderungen zustande gekommen ist, die im vorliegenden Falle an die
Willensbildung des Fürsorgegebers zu stellen sind.
65
Zwar unterliegt der Erlass von Beihilferegelungen nach § 200 BBG keinen
ausdrücklichen Form- oder Verfahrensvorschriften; auch in der Rechtsprechung sind in
der Vergangenheit besondere Anforderungen nicht formuliert worden. Daraus kann
jedoch nicht geschlossen werden, dass insoweit keinerlei Bindungen bestünden. Die
allgemein bekannten, sich verengenden Rahmenbedingungen der Beihilfegewährung
geben Veranlassung, diese Bindungen genauer als bislang geboten herauszuarbeiten.
Insbesondere bedarf dabei der Fortentwicklung und Präzisierung, welche
Anforderungen das Verfassungsrecht bei Leistungsausschlüssen an die Willensbildung
des zuständigen Bundesministeriums und an die Herleitung und Konsistenz stellt.
Dabei ergibt sich insbesondere als erkenntnisleitender Gesichtspunkt, dass eine
hinreichend klare Ableitung von Maßstäben, die zudem eine wirksame Rechtskontrolle
von Einschränkungen erlauben würden, innerhalb des praktizierten Systems der
Beihilfe nicht in einer rechtsstaatlichen Weise möglich ist:
66
Die Gewährung von Beihilfen findet ihre Grundlage nach gesicherter Erkenntnis nicht
unmittelbar in der Alimentationspflicht, sondern in der Fürsorgepflicht. Diese verpflichtet
den jeweiligen Dienstherrn, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass der amtsangemessene
Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch
Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle nicht gefährdet wird.
67
Ständ. Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2
BvR 1053/98 -, BVerfGE 106, 225, 232 und 240 (= Juris Rn. 29); Beschluss
vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE 83, 89, 99 ff.; BVerwG, z.B.
Urteile vom 25. Juni 1987 - 2 C 57.85 -, BVerwGE 77, 331, vom 12. Juni
68
1985 - 6 C 24.84 -, BVerwGE 71, 342, 352, und schon vom 7. Oktober 1965
- VIII C 63.63 -, BVerwGE 22, 160, 164.
Diese Verpflichtung erfüllen die Dienstherren in Bund und Ländern nach der geltenden
Rechtslage durch ein "Mischsystem", das in erster Linie den Bediensteten (Beamten
oder Richtern) aufgibt, selbst Vorsorge für Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle
zu treffen, wobei es ihnen grundsätzlich überlassen bleibt, wie sie die - im Beihilferecht
vorausgesetzte - Eigenvorsorge bewerkstelligen. Der Besoldungsgesetzgeber stellt dem
Beamten insoweit lediglich im Rahmen der gewährten Alimentation einen
Durchschnittssatz zur Verfügung, mit dem er den von der Beihilfe nicht abgedeckten Teil
der im Krankheitsfalle zu erwartenden Aufwendungen begleichen kann (und soll). Die
Beihilfe ergänzt somit nach der ihr derzeit zugrunde liegenden Konzeption - welche
Besoldungs- wie Fürsorgegeber bis zu einem Systemwechsel zu beachten haben -
lediglich die Alimentation. Sie ist eine Hilfeleistung, die zu der zumutbaren
Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem Umfang hinzutritt, um ihm seine
wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise durch
Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern (einfach-rechtlicher Grundsatz der
Nachrangigkeit der Beihilfe). Innerhalb des dargestellten Mischsystems genügt der
Dienstherr den Anforderungen der Fürsorgepflicht, wenn er sicherstellt, dass der
Beamte in den genannten Fällen nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt,
die er auch über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abdecken kann.
69
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. S. 101 m.w.N.;
BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - 2 C 36.02 -, BVerwGE 118, 277, 279 ff.
70
Hiervon ausgehend ist allerdings festzustellen, dass es den Verwaltungsgerichten im
gegenwärtigen System der Beihilfe - und nach den in der Rechtsprechung hierzu
bislang entwickelten präzisierenden Prinzipien - unter den festzustellenden
gewandelten finanziellen Bedingungen schon im Ansatz nicht gelingen kann, eine
allgemeingültige Grenze für materielle Einschränkungen von Beihilfeleistungen
festzulegen, die rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen würde. Die Gründe dafür sind
eindeutig auszumachen: Die Höhe des Alimentationsteils für die Eigenvorsorge im
Krankheitsfall ist betragsmäßig vollständig unbestimmt. Von Verfassungs wegen
gedeckt sein müssen lediglich (mindestens) die Kosten einer solchen
Krankenversicherung, die zur Abwendung krankheitsbedingter Belastungen erforderlich
ist, die von den Leistungen aufgrund der Fürsorgepflicht nicht ausgeglichen werden.
71
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002, a.a.O. S. 233, 238;
Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. S. 98 m.w.N.
72
Wie hoch dieser Anteil zu veranschlagen ist und ob gar darüber hinausgehende
Bezügeanteile in die Alimentation eingerechnet sind, bleibt mangels gesetzgeberischer
Präzisierung ungewiss. Denn die Bezüge der Beamten, Richter und
Versorgungsempfänger enthalten keinen exakt bestimmbaren Satz oder proportionalen
Anteil, mit dem die Eigenvorsorge betrieben werden kann und soll.
73
Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - 2 C 36.02 -, BVerwGE 118, 277, 281;
ebenso schon die (rechtskräftigen) Urteile des erkennenden Senats vom
12. November 2003 - 1 A 4753/00 - (Juris) und - 1 A 4755/00 -, IÖD 2004, 53
= NWVBl 2004, 194 = NVwZ-RR 2004, 546 = Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht, Entscheidungssammlung C IV 2 Nr. 154 = ZBR 2005, 272;
74
nachfolgend BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2004 - 2 B 5.04 -, vom
11. März 2004 - 2 B 6.04 - und vom 12. März 2004 - 2 B 7.04 - (n.v.).
Demgemäß ist nach der bislang vorherrschenden Auffassung die verfassungsrechtliche
Grenze der dem Beamten oder Richter zumutbaren finanziellen Belastung im Hinblick
auf die Eigenvorsorge erst erreicht, wenn der amtsangemessene Lebensunterhalt nicht
mehr gewährleistet ist. Diese Grenze ist ihrerseits aus Rückwirkungen zu erschließen,
die von Kürzungen im Bereich der fürsorgebedingten Hilfeleistungen auf die
Alimentation ausgehen. Unter diesem Gesichtspunkt sind in der Vergangenheit etwa
solche Kürzungen unbeanstandet geblieben, die sich als im Wesentlichen
alimentationsneutral erwiesen oder Leistungen betrafen, die zur Gewährleistung einer
medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Versorgung im Krankheitsfall nicht
notwendig waren.
75
Vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 a.a.O. S. 233
(Wahlleistungen in der Krankenhausversorgung); Beschluss vom
13. November 1990, a.a.O. S. 102 ff. (100 %-Grenze für die Erstattung);
BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 - 2 C 10.04 -, NVwZ 2006, 217
(Zuzahlungen zu Wahlleistungen).
76
In anders gelagerten Fällen sind Einschnitte gebilligt worden, wenn sie als "geringfügig"
qualifiziert werden konnten. Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit in seiner
Entscheidung zur niedersächsischen Kostendämpfungspauschale (Urteil vom 3. Juli
2003, a.a.O. S. 281) - im Kern übereinstimmend mit Erwägungen des Senats zur
nordrhein-westfälischen Kostendämpfungspauschale I (Urteile vom 12. November 2003)
- eine Einkommensminderung von "weniger als einem Prozent der Jahresbezüge" für
den Regelfall gebilligt.
77
Vgl. näher Urteil des Senats vom 10. September 2007 - 1 A 4955/05 -,
amtlicher Umdruck S. 11 m.w.N.
78
Derartige Bagatellgrenzen gehen letztlich Hand in Hand damit, dass die geschuldete
Fürsorge keine "lückenlose Erstattung jeglicher Aufwendungen" in Ergänzung der
zumutbaren Eigenvorsorge verlangt. Gewisse weitere Einschränkungen der
Alimentation - über das zur Abdeckung von Krankenversicherungsprämien hinaus -
können dadurch mit abgedeckt sein.
79
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001, a.a.O. S. 115 (zu 2 a bb)
unter Bezug auf Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. S. 100 f., 102;
BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2003, a.a.O. S. 282, vom 15. Dezember 2005 - 2
C 35.04 -, a.a.O. (= Juris Rn. 33), und vom 31. Januar 2002 - 2 C 1.01 -,
NJW 2002, 2045 m.w.N. aus der ständ. Rechtsprechung.
80
Wie oben gesagt, entspricht es gesicherter Erkenntnis, dass die Minderung des als
Alimentation zur Verfügung Gestellten nicht als solche bedeutsam ist, sondern nur dann,
wenn infolge auferlegter zusätzlicher Belastungen ihre Amtsangemessenheit infrage
gestellt ist. Damit wird allerdings der unklare Maßstab der Fürsorge nur durch einen
anderen, nicht weniger unklaren ausgetauscht.
81
Die Frage nach dem Umfang der Beeinflussung der individuellen Besoldungssituation
anhand des Maßstabs der Amtsangemessenheit der Alimentation ist - für sich gesehen -
82
als Kriterium für rechtliche Grenzziehungen indes nur dann brauchbar, wenn die
Rahmenbedingungen der Alimentation und Beihilfebemessung erkennen lassen, dass
insgesamt keine allzu erheblichen Einschnitte bewirkt werden. Hingegen sind
Leistungskürzungen und einschränkungen umso kritischer zu würdigen, je mehr
dasjenige, was den Beihilfeberechtigten in seiner Gesamtheit abverlangt wird, in die
Nähe eines Eingriffs in die amtsangemessene Alimentation rückt. Eine solch kritische
Situation ist im maßgeblichen Zeitpunkt des Jahres 2004 erreicht worden, und zwar
sowohl aufgrund beihilferechtlicher Kürzungen als auch mit Blick auf die - das gesamte
Bundesgebiet betreffende - Entwicklung der Dienst- und Versorgungsbezüge. Es stand
nämlich einer fortlaufend und zunehmend regressiven Entwicklung der Bezüge die
progressive Entwicklung der Leistungsminderung der Beihilfe gegenüber. In der Summe
hatten die Notwendigkeiten der Eigenvorsorge 2004 einen so erheblichen Umfang
erreicht, dass nicht mehr die Feststellung gerechtfertigt war, die Niveauabsenkungen in
der Beihilfe könnten über den Zugriff auf Alimentationsanteile aufgefangen werden.
Vgl. zur Besoldungsentwicklung im Allgemeinen Senatsurteile vom
10. September 2007 - 1 A 4955/05 (betr. das Jahr 2003), 1 A 1180/06 (betr.
das Jahr 2004) und 1 A 3539/06 (betr. das Jahr 2005).
83
Auch wenn der Umfang des den Beihilfeberechtigten des Bundes an Belastungen
Abverlangten individuell sehr stark variiert und verallgemeinerungsfähige
Quantifizierungen schwer fallen, sind die Eckpunkte der Entwicklung und ihre
Auswirkungen doch allgemeinkundig und gerichtsbekannt. Sie ergeben sich namentlich
aus den eingangs bezeichneten 27. und 28. allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur
Änderung der Beihilfevorschriften. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles
bedürfen sie keiner weitergehenden Präzisierung; denn maßgeblich sind die für die
rechtliche Prüfung zu ziehenden Konsequenzen, die nicht von einer genaueren
Quantifizierung der Einschnitte abhängen.
84
Diese Konsequenzen aus der dargestellten Entwicklung von Alimentation und
Fürsorgeleistungen sind im Wesentlichen aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleiten. Lässt
sich nach Maßstäben materiellen Rechts nicht mehr hinreichend bestimmen, ob die
Einschnitte "einen solchen Umfang erreichen, dass der amtsangemessene
Lebensunterhalt nicht mehr gewährleistet ist",
85
so BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 2442/94 -,
DVBl. 2002, 114, 115 (zu 2 b),
86
oder der "Wesenskern der Fürsorgepflicht" verletzt ist,
87
so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2006, a.a.O. (= Juris
Rn. 22),
88
müssen im Gesamtgefüge erheblicher Einschnitte andere Wege beschritten werden, um
das verfassungsrechtlich gesicherte Ziel angemessener Fürsorgegewährleistungen zu
erreichen, zumal dem Dienstherrn als Fürsorgegeber ein "weiter Gestaltungsspielraum"
zugestanden wird.
89
Zum Gestaltungsspielraum des Normgebers im Beihilferecht vgl. BVerwG,
Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 C 35.04 -, BVerwGE 125, 21, 29 f.
90
Anderenfalls könnte das isolierte gerichtliche Argumentieren mit dem (materiell-
rechtlichen) Wesenskern der Fürsorgepflicht unter Hinweis auf die Notwendigkeit
wesentlicher Alimentationsminderungen für Normgeber nahezu als Aufforderung
missverstanden werden, eine "Salamitaktik" zu verfolgen, mit der - wie in der
Vergangenheit geschehen - in kleinen Schritten Beihilfeempfängern sich fortwährend
vermehrende Belastungen auferlegt werden, ohne dass bei der einzelnen Kürzung die
Gefährdung der Amtsangemessenheit der Alimentation greifbar gemacht werden
konnte. Verantwortbar ist die bisher praktizierte gerichtliche Herangehensweise
vielmehr nur solange, wie der Abstand zu einer Beeinträchtigung des
Amtsangemessenen objektiv und deutlich gewahrt ist. Dies lässt sich für den
maßgeblichen Zeitpunkt aber, wie ausgeführt, nicht mehr ohne weiteres annehmen.
91
Befähigt und verpflichtet zur Wahrung des erforderlichen Abstands zur
Unteralimentation ist - soweit es im gegenwärtigen System um die Regelung von
Beihilfeansprüchen geht - der Dienstherr als Fürsorgegeber. Es ist hingegen nicht
Sache der betroffenen Beihilfeberechtigten, eine Gefährdung ihrer Alimentation
substanziiert darzulegen, wenngleich sie in bestimmten Prozesslagen gehalten sein
mögen, die ihrer Sphäre zuzurechnenden Umstände zur individuellen Besoldungs- oder
Versorgungssituation darzulegen.
92
Vgl. etwa jüngst BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2007 - 2
BvR 1673/03 u.a. -, amtlicher Beschlussabdruck S. 14.
93
Verfassungsrechtlich ist jedoch klar, dass es der Dienstherr ist, der den Anforderungen
genügen muss, die ihm aus der Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten erwachsen; er
- nicht der Beamte - muss abstrakt-generelle Vorkehrungen treffen und sicherstellen,
dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer
finanzieller Belastungen u.a. durch Krankheit nicht gefährdet wird.
94
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001- 2 BvR 2442/94 -,
DVBl. 2002, 114, 115 a.a.O. S. 115; Beschluss vom 7. November 2002,
a.a.O. S. 232; Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. S. 100, 101.
95
Die rechtliche Konsequenz dieser Zusammenhänge ist von daher, dass den
Dienstherrn, der Kürzungen oder Einschränkung der Beihilfe unter wesentlich sich
verengenden Rahmenbedingungen der Fürsorgegewährung vornehmen will, eine
verfassungsrechtlich begründete Pflicht trifft, sich über die Auswirkungen seiner
Regelung im Gesamtgefüge von Eigenvorsorge, Beihilfe und verfügbarer Alimentation
angemessen zu vergewissern. Gerade bei kleinschrittigen Einschränkungen ist es
unabdingbar, die Gesamtbelastung in den Blick zu nehmen. Eine solche
sachangemessene Aufklärung der Entscheidungsgrundlagen und der Auswirkungen ist
Mindestvoraussetzung dafür, dass eine einschränkende Beihilferegelung
unbeanstandet bleiben kann. Letztlich ist dem Dienstherrn damit eine Ausgestaltung
des Erlassverfahrens abverlangt, die ihm ausreichende Entscheidungsgrundlagen
verschaffen kann.
96
Fehlen - wie bei planerischen oder sonst zielorientierten Regelungen - materielle
Standards gültiger und objektiv nachvollziehbarer Ableitung, so gewinnt der
Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes "durch Verfahren" zugunsten der von einer
Regelung Betroffenen an Bedeutung, hier zum Schutz der grundrechtsähnlichen Rechte
aus Art. 33 Abs. 5 GG. Eine derartige verfahrensrechtliche Komponente der
97
Beihilfekonkretisierung war und ist auch ohne einfachrechtliche Vorgabe stets zu
beachten. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als ein sachlogisches Element des
Gestaltungsauftrags des Fürsorgegebers und folgt aus dem objektiv-rechtlichen
Gewährleistungsgehalt der verfassungsrechtlich fundierten Fürsorgepflicht.
Wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher in diesem Zusammenhang das
Bestehen eines von den Gerichten zu akzeptierenden Gestaltungsspielraums des
Dienstherrn bei der Konkretisierung der Beihilfe betont hat, so war damit stets
vorausgesetzt, dass die eingeräumten Freiräume den Fürsorgegeber zu der ihm
aufgetragenen Gestaltung in die Lage versetzen sollen und dass der Fürsorgegeber
seinen Gestaltungsauftrag auch wahrnimmt. Ist dies festzustellen, so kann das Ergebnis
gerichtlicherseits grundsätzlich nicht unter Hinweis auf denkbare abweichende
Gestaltungen kritisiert werden. Davon abzugrenzen ist aber der Fall, dass - erkennbar
oder nicht - eine Regelung ohne jene Schritte getroffen wird, die nach den Verhältnissen
des Falles zur angemessenen Ausübung von Gestaltungsfreiheit erforderlich sind. Denn
Gestaltung ohne hinreichende Kenntnis ihrer Bedingungen ist ein Widerspruch in sich.
98
Die verfahrensrechtliche Dimension der Überprüfung durch den Fürsorgegeber liegt
nicht in abstrakter Weise fest. Sie kann und muss sich namentlich den Verhältnissen der
Zeit und den voraussichtlich eintretenden Gestaltungswirkungen anpassen. Der
Aufwand bei deren Ermittlung und Bewertung kann daher gering bleiben, wenn sich
eine Beihilfeeinschränkung auf die Alimentation letztlich nicht auswirkt oder deren Höhe
erkennbar deutlich über dem Amtsangemessenen liegt. Es dürfte auf solche
Rahmenbedingungen zurückgehen, dass in der Rechtsprechung bislang nicht
thematisiert worden ist, unter Beachtung welcher Rechtsgrundsätze die Festlegung des
angemessenen Umfangs fürsorgerischer Hilfeleistungen gelingen kann. Unter
wesentlich veränderten Vorzeichen kann es dabei indes nicht bleiben. Der Dienstherr ist
dann vor Reduzierungen von Beihilfeleistungen rechtlich gehalten, die
Rahmenbedingungen seiner Fürsorge, zu denen auch die gewährte Alimentation
gehört, in den Blick zu nehmen. Dies gilt selbst dann, wenn - was hier nicht einmal der
Fall ist - Alimentation und Beihilfe durch verschiedene Rechtsträger gewährt würden.
Denn das verfassungsrechtliche Ziel sicherzustellen, dass Beamte in den Genuss einer
vollen (notwendigen und angemessenen) medizinischen Versorgung kommen können,
ohne mit erheblichen Aufwendungen oder Risiken belastet zu bleiben, die sie über eine
ihnen zumutbare Eigenvorsorge nicht absichern können, fordert unberührt davon
Beachtung, in welcher Form Fürsorge gewährt wird. Nach der gegenwärtig gewählten
Konstruktion müssen Alimentation und ergänzende Beihilfe in ihrer dargestellten
Verzahnung eine angemessene medizinische Versorgung nach dem genannten
Maßstab gewährleisten, ohne dass es auf die Leistungsträger ankäme. Deshalb ist der
Dienstherr verpflichtet, die Umstände und Auswirkungen der von ihm geplanten
Regelung - auch aus Bereichen anderer Leistungsträger - umso intensiver zu ermitteln
und zu bewerten, je mehr sich die Randbedingungen der Beihilfe verschärfen. Das
Verfehlen dieser verfahrensrechtlichen Anforderungen kann ein betroffener Beamter als
Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 5 GG geltend machen.
99
Den dargelegten Anforderungen an die materielle Überprüfung der Auswirkungen einer
einschränkenden Beihilferegelung kann nicht mit dem Hinweis begegnet werden, dass
es sich um untergesetzliche Normen handele, bei denen nach allgemeinen - auch in der
Rechtsprechung des erkennenden Senats anerkannten - Grundsätzen für die Gültigkeit
das Ergebnis des Rechtssetzungsaktes maßgeblich ist und eine Prüfung des
Abwägungsvorgangs nur dann erfolgt, wenn eine besonders gestaltete Bindung des
100
Normgebers an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven besteht.
Vgl. dazu Senatsurteil vom 10. September 2007 - 1 A 4955/05 - amtlicher
Abdruck S. 24 m. zahlr. Nachw.
101
Bei den Beihilfevorschriften handelt es sich um administrative Bestimmungen
(Innenrecht der Verwaltung), die nicht die Eigenschaft von Rechtsnormen haben.
102
Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 2005 - 2 C 35.04 -, BVerwGE 125,
21, und vom 25. Juni 1964 - 8 C 23.63 -, BVerwGE 19, 48, 53 ff.
103
Daran ändert der Umstand nichts, dass sie in gewisser Hinsicht wie revisible
(Außen)Rechtsnormen behandelt werden, nämlich in ihrer anspruchsbegründenden
Wirkung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 BhV) und hinsichtlich der Auslegung.
104
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004, a.a.O. S. 108 m.w.N.
105
Diese Rücksichten dienen im Wesentlichen dem Schutz der Anspruchsberechtigten und
erlauben noch keine Einschränkung des Prüfungsumfangs, der bei Einzelakten,
insbesondere solchen mit vergleichbaren Abwägungsnotwendigkeiten auch bezogen
auf den Entstehungsvorgang selbstverständlich ist. Die bei Rechtssetzungsakten - auch
solchen der Exekutive - geübte Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle, die vor allem
im Absehen von einer Motiverforschung besteht, wurzelt nämlich in der Anerkennung
des typischerweise mit ihnen verbundenen normativen Ermessens, das in einer
besonderen demokratischen Legitimation der Normgeber seine Rechtfertigung findet.
Der Bundesminister des Innern hingegen kann bei der Wahrnehmung der
Fürsorgepflicht durch Erlass der Beihilfevorschriften keine vergleichbare Legitimation in
Anspruch nehmen. Er kann sich nicht einmal auf eine Inhalt, Zweck und Ausmaß
umreißende Ermächtigung (vgl. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) stützen, in deren Rahmen der
parlamentarische Gesetzgeber eigene Gestaltungsfreiräume an den Fürsorgegeber
weiterleitet und mit der vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkungen
Bewertungsspielräume verbunden sind, die sonst dem parlamentarischen Gesetzgeber
selbst zustehen.
106
Den so zu umreißenden Anforderungen hat der Fürsorgegeber mit Blick auf die streitige
Ausschlussregelung nicht ansatzweise genügt. Hiergegen lässt sich nicht einwenden,
dass ihm mit der Prüfung der Gestaltungswirkungen etwas Unmögliches abverlangt
werde. Der Senat hat hierzu in den wiederholt zitierten Urteilen vom 10. September
2007
107
- 1 A 4955/05 -, Urteilsabdruck S. 23,
108
aufgezeigt, dass § 14 Abs. 1 BBesG ein ähnliches Verfahren zur Konkretisierung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG vorsieht und in anderen
Zusammenhängen (im Zusammenhang mit der Reform des Systems der nordrhein-
westfälischen Abgeordnetenentschädigung) eigens Verfahrensweisen zu Prüfung
amtsangemessener Verhältnisse ersonnen worden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass
entsprechend nicht auch zur Gewährleistung der Fürsorge vorgegangen werden könnte.
109
Vor Erlass der Ausschlussregelung ist jede Prüfung dieser Art unterblieben; insofern ist
ein (vollständiger) Ausfall bei der Wahrnehmung der dem Fürsorgegeber eingeräumten
110
Prärogativen festzustellen. Der Grund dafür ist bereits aufgezeigt worden: Eine derartige
Prüfung konnte nicht vorgenommen werden, weil die vorgegebene wirkungsgleiche
Übertragung der Be- und Entlastungen von gesetzlich Krankenversicherten auf die
Beihilfe- und Versorgungsberechtigten sich ansonsten kaum hätte durchsetzen lassen.
Darin liegt zwar ein nachvollziehbarer und nicht aus sich heraus und von vornherein zu
verwerfender Grund für den Leistungsausschluss. Es sind jedoch keine Ermittlungen
oder Erwägungen angestellt worden, um zu klären, ob sich das vorgegebene Ziel ohne
unzumutbare Rückwirkungen auf die Alimentationssituation möglicher Betroffener
verwirklichen ließ.
Allein aus diesem Grunde ist der Ausschlussregelung insgesamt die Wirksamkeit
abzusprechen. Es lässt sich nämlich nicht feststellen - ist seitens der Beklagten auch
nicht behauptet -, dass der Leistungsausschluss einkommensneutral bleibt, sodass sich
ein solcher Ausfall auf das normative Ergebnis nicht auswirken kann. Im Gegenteil ist
hier zu bedenken, dass die gewählte Konstruktion dazu führt, dass ein erkrankter
Beamter die Kosten vollständig aus eigenen Mitteln aufbringen muss. Wie der Fall des
gesetzlich krankenversicherten Klägers zeigt, ist sowohl eine Kassenleistung
ausgeschlossen (unmittelbar aufgrund der Arzneimittelrichtlinien) wie auch eine
Beihilfeleistung. Der Kläger kann aber auch keine private oder sonstige
Zusatzversicherung abschließen. § 178e VVG gewährt einen Anspruch nur auf
beihilfekonforme Zusatztarife. Damit rechnet der streitige Ausschluss zu jenen
Regelungen, die nicht nur eine - gegebenenfalls auf ihre Zumutbarkeit überprüfbare -
Vermehrung der aus der Alimentation zu bestreitenden Krankenversicherungsprämien
im Gefolge haben, sondern vollständig mindernd auf die Bezüge durchschlagen, was
sich besonders bei chronischen Erkrankungen wie sie hier in Rede stehen
einschneidend bemerkbar macht. Der Dienstherr hat aber bei der Ausgestaltung des
Beihilferechts zu beachten, ob und inwieweit sich der Beamte bezogen auf nicht
übernommene Leistungen versichern kann.
111
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. S. 101.
112
Das schließt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht
aus, dem Beamten in gewissem Umfang nicht versicherbare finanzielle Risiken
aufzuerlegen,
113
vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003, a.a.O. Leitsatz 2 und S. 282,
114
begründet aber unter den vorstehend aufgezeigten Umständen einen erhöhten
verfahrensrechtlichen Aufwand der sachlichen Rechtfertigung. Ein solcher Aufwand ist
hier nicht ansatzweise betrieben worden; vielmehr sind die Sacherwägungen des
Leistungsausschlusses in den Verantwortungsbereich eines Dritten verschoben
worden, der sich - wegen der Systemunterschiede zwischen Beihilfe und
Krankenversicherung - weitestgehend von anderen Erwägungen als denen der
Fürsorge leiten zu lassen hat.
115
Mit alledem nicht zu vereinbaren ist die ständig wiederholte, innerhalb der behandelten
Sachprobleme aber nicht näher erläuterte und auf die Nichtlösbarkeit der einschlägigen
Streitfälle hinauslaufende Ansicht des Bundesverfassungsgerichts
116
- vgl. zuletzt Beschluss vom 2. Oktober 2007 2 BvR 1715/03 -, Juris -,
117
der betroffene Beamte müsse in jedem einschlägigen Fall der Absenkung von
Beihilfeleistungen, die zur Alimentations"kürzung" führen, sich zwingend an den
Alimentationsgeber wenden und geltend machen, infolge der vermehrten Belastung im
Beihilfebereich sei seine Alimentation nicht mehr amtsangemessen. Demgegenüber
erlaubt es die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den
Aufgaben des Fürsorgegebers
118
- vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 13. November 1990, a.a.O. Leitsätze 1
und 2a, S. 100 ff. -
119
ohne weiteres, dem Fürsorgegeber im Bereich der Beihilfe Pflichten zuzuordnen, deren
Beachtung der Beamte notfalls mit gerichtlicher Hilfe einfordern kann. Diese
Rechtsprechung wird vom Bundesverfassungsgericht nun aus für den erkennenden
Senat nicht nachvollziehbaren Gründen nicht mehr angemessen beachtet. Der
erkennende Senat hält demgegenüber daran fest, dass klagbare Rechte gegen den
Fürsorgegeber zumindest dann bestehen, wenn dieser innerhalb des geltenden
Systems von Alimentation und ergänzender Beihilfe in einer Gesamtschau im oben
ausgeführten Sinne zu einer Gefährdung der Alimentation beiträgt.
120
3. Der Leistungsausschluss ist schließlich deshalb rechtswidrig, weil er sich als mit der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn unvereinbar und unverhältnismäßig darstellt.
121
Eine im Bereich der Geringfügigkeit liegende Krankheit bzw. Behandlung liegt nicht vor.
Das folgt schon daraus, dass hier nicht nur eine Leistungsbegrenzung bewirkt wird,
sondern ein vollständiger Ausschluss der Behandlung der erektilen Dysfunktion als
Krankheit. Dadurch unterscheidet sich die Regelung etwa von der dem Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 2006
122
- 2 B 41.06 -, Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 14, vorgehend OVG NRW, Urteil
vom 24. Mai 2006 - 1 A 3633/04 -, IÖD 2007, 56,
123
zugrunde liegenden Fallgestaltung. Normativ wird der vollständige Ausschluss durch
das Zusammenwirken mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. Anlage 3 Nr. 8 BhV bewirkt, wo
die Beihilfefähigkeit anderer Erektionshilfen verneint, die erektile Dysfunktion selbst als
Krankheit vollständig von der Beihilfefähigkeit ausgenommen wird. Erfasst werden somit
alle denkbaren Behandlungsmethoden und therapeutischen Maßnahmen.
124
Vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2007 (= Juris Rn. 22).
125
Eine solch weitgehende Regelung lässt sich mit der geschuldeten Fürsorge den
betroffenen Beamten gegenüber nicht vereinbaren. Insbesondere handelt es sich nicht
um eine Konkretisierung des § 6 Abs. 5 BhV, wonach die Beihilfefähigkeit von
Aufwendungen ausgeschlossen werden kann für Arzneimittel zur Behandlung von
geringfügigen Gesundheitsstörungen (a.a.O. Nr. 1), unwirtschaftliche Arzneimittel (a.a.O.
Nr. 2) und Heilbehandlungen und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem
therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis (a.a.O. Nr. 3). Die hier streitigen
Aufwendungen lassen sich keiner dieser drei Gruppen unterordnen. Dies ist, was das
zur Behandlung verordnete Medikament angeht, unzweifelhaft und demgemäß auch
unbestritten,
126
vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, a.a.O. (= Juris Rn. 15),
127
für die behandelte Krankheit aber nicht anders zu sehen. Insbesondere ist diese keine
nur "geringfügige" Gesundheitsstörung oder sogar als bloße Einbuße an subjektivem
Lustgewinn zu verstehen, wie es die Beklagte und der Vorschriftengeber offenbar
annehmen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im wiederholt zitierten Urteil vom
30. Oktober 2003 (a.a.O. S. 171 f.) bereits hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht.
Ebenso ist der Ansicht des VGH Baden-Württemberg im Urteil vom 17. November 2006
(a.a.O. S. 265) zu widersprechen, es sei aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung
gerechtfertigt, von einer Prüfung der medizinischen Ursache der Erektionsstörung
abzusehen, weil diese durch den natürlichen Alterungsprozess überlagert werde. Auch
diesen Ansatz hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 30. Oktober 2003 (a.a.O.
S. 172) mit dem Hinweis zurückgewiesen, die Beihilfe unterscheide grundsätzlich nicht
danach, ob die Behandlung alterstypische oder altersentsprechende
Funktionsschwächen betreffe. Vertiefend ist insofern erneut herauszustellen, was schon
im angefochtenen Urteil (Abdruck S. 7) treffend hervorgehoben ist: Die mit dem
krankheitsbedingten Verlust der Erektionsfähigkeit einhergehenden Einbußen an
Möglichkeiten zur Ausübung von Sexualität sind nicht dem fürsorgerechtlich irrelevanten
Bereich "bloßer Vergnüglichkeiten" oder der reinen Bedürfnisbefriedigung zuzuordnen,
sondern dem von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrecht, und zwar dem engeren Bereich achtungswürdiger privater
Lebensgestaltung. Dazu gehören insbesondere auch das Recht auf Achtung der Privat-
und Intimsphäre und damit die geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner.
128
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 409/90 -, BVerfGE 96, 56,
61; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG (Stand: Februar 2005), Art. 1 Abs. 1
Rn. 83 m.w.N.
129
Die Erektionsfähigkeit darf in diesem Zusammenhang wegen ihrer unmittelbaren
Zuordnung zur natürlichen Zeugungsfähigkeit des Mannes ein wesentliches Gewicht
beanspruchen, das allein wegen des Fortschreitens des Lebensalters nicht an
rechtlicher Bedeutung verliert. Es trifft demgemäß nicht zu, dass der Wesenskern der
Fürsorgepflicht erst dann als verletzt anzusehen sei, wenn die Behandlung schwerer
oder lebensbedrohlicher Krankheiten oder unausweichliche Aufwendungen in Rede
stehen.
130
So aber VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2006, a.a.O. S.
265.
131
Davon geht der Fürsorgegeber offenbar selbst aus. Da sich der Ausschlusstatbestand
keinem der Fälle des § 6 Abs. 5 BhV zuordnen lässt, hat er sich genötigt gesehen, im
Zusammenhang mit der Einführung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a BhV zugleich die
Grundvorschrift zur Beihilfefähigkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV in Nr. 3 um eine
Blankettvorschrift zu ergänzen, wonach selbst notwendige und angemessene
Aufwendungen nur dann beihilfefähig sind, wenn "die Beihilfefähigkeit nicht
ausdrücklich ausgeschlossen ist".
132
Vom selbst gesetzten Ausgangspunkt der Beihilfevorschriften, der im
krankheitsbezogenen Schutzgedanken der Fürsorgepflicht wurzelt, muss es also dabei
bleiben, dass im Ausgangspunkt hinsichtlich der Beihilfefähigkeit alle nicht nur
geringfügigen regelwidrigen Gesundheitszustände gleich behandelt werden müssen
und nur aus hinreichend gewichtigen Gründen hiervon abgewichen werden darf.
133
So auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2007, a.a.O. (= Juris
Rn. 23).
134
Demgemäß wäre es ein grobes Missverständnis und eine Verletzung des die
Privatsphäre einbeziehenden grundrechtlichen Achtungsanspruchs, wenn ein Beamter
in einem auf den Intimbereich bezogenen Krankheitsfall auf sich selbst verwiesen
würde, indem ihm jede Unterstützung bei der Behandlung versagt bliebe, weil es sich
um eine weniger bedrohliche oder existenzielle Krankheit wie eine erektile Dysfunktion
handelt. Der grundrechtliche Achtungsanspruch erschöpft sich in einem öffentlich-
rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis nicht nur in der Abwehr staatlicher Eingriffe in
den Privat- und Intimbereich, sondern wird ergänzt durch Leistungspflichten der
Fürsorge, die gerade auch diesen Bereich betreffen.
135
Darf der Beamte bei Erkrankungen im Intimbereich also fürsorgerische Leistungen von
seinem Dienstherrn verlangen, so müssen sich für ihre Verweigerung ausreichend
gewichtige Gründe vorweisen lassen, und zwar selbst dann, wenn man nicht den
Kernbereich der Fürsorgepflicht betroffen sähe. Denn mangels einer stringend
ableitbaren Grenzziehung zwischen behandlungswürdigen und nicht
behandlungswürdigen Krankheiten variieren allenfalls die
Rechtfertigungsanforderungen für Einschränkungen mit der Schwere der Erkrankung.
136
Gründe mit hinreichendem Gewicht sind hier nicht ersichtlich. Insofern Abstriche zu
machen, ist weder aus Gründen der Kostenersparnis noch gar aus solchen der
Verwaltungsvereinfachung zulässig.
137
So aber VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2006, a.a.O. S.
264.
138
Denn im Beamtenrecht geben finanzielle Erwägungen und das Bemühen, Ausgaben zu
sparen, für sich genommen in aller Regel keine ausreichende Legitimation für eine
Kürzung von Leistungen ab und können der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht
nicht als gleichrangiger Belang entgegengesetzt werden.
139
Vgl. BVerfG, Urteil vom 27. September 2005 – 2 BvR 1387/02 -,
BVerfGE 114, 258 (zur Altersversorgung); bestätigt im Beschluss vom
20. Juni 2006 - 2 BvR 361/03 -, IÖD 2006, 237.
140
Eine auf das Ziel der Kostenersparnis gestützte Regelung würde überdies daran
vorbeigehen, dass im Bund, auf den es vorliegend allein ankommt, mit 200 bis 300 Tsd.
Bundesbeamten ein im Verhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung mit etwa
70 Mio. Versicherten nur unerhebliches Einsparpotenzial zu erschließen ist.
141
Auch die immer wieder bemühte Prämisse, dass "nicht in jedem Einzelfall eine volle
Deckung der Aufwendungen erreicht werden muss" und Ungereimtheiten, Härten und
Nachteile hingenommen werden müssen, die sich aus der pauschalierenden und
typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften ergeben
und die keine unzumutbare Belastung bedeuten, rechtfertigt keine gezielten
Reduzierungen von Leistungen, die jenseits anzuerkennender Typisierungen liegen.
142
Sonstige Gründe mit hinreichendem Rang, die eine Einschränkung der Fürsorge über
143
Randbereiche hinaus rechtfertigen könnten, bestehen nicht. Ob die beabsichtigte
wirkungsgleiche Umsetzung von Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung in
das Beihilferecht hier überhaupt einen hinreichenden Grund abzugeben vermag, kann
dahinstehen. Zwar ist es nicht schon prinzipiell zu beanstanden, wenn
Beihilfeleistungen auch mit Blick auf den Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung bemessen werden. Die Konsequenzen aus dieser
Vergleichsbetrachtung im Beihilferecht dürfen jedoch weder an den bekannten
Strukturunterschieden zwischen den Systemen vorbeigehen noch in der Übernahme
von Regelungen münden, für die aus dem Blickfeld der Fürsorge keine Rechtfertigung
besteht. So liegt es hier. Mit einem angestrebten pauschalen Gleichklang werden indes
die unterschiedlichen rechtlichen Ausgangspunkte zwischen Versicherung und
Fürsorge übergangen. Es kann nicht übersehen werden, dass Leistungsausschlüsse in
der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich mehr von Erwägungen des
Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V) geprägt sind und auch dort
zum Tragen kommen können, wo behandlungsbedürftige und behandlungsfähige
Krankheiten im sozialversicherungsrechtlichen Sinne vorliegen.
Vgl. dazu BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, a.a.O., Juris Rn. 26 ff.
144
Der Ausschluss jeder beihilfefähigen Behandlungsmöglichkeit der erektilen Dysfunktion
auch dann, wenn ihr eine Krankheit zugrunde liegt, ist überdies unverhältnismäßig. In
der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Ausschluss darin begründet, dass
Medikamente wie Cialis ganz überwiegend als Lifestyle-Präparate betrachtet werden,
bei denen die Erhöhung der Lebensqualität so deutlich im Vordergrund stehe, dass es
für gerechtfertigt gehalten wird, alle Ursachen gleich zu erachten. Es mag dahinstehen,
ob darin die unzutreffende frühere Auffassung nachklingt, die erektile Dysfunktion sei als
solche keine Krankheit und es bestünden Abgrenzungsschwierigkeiten zu den
regelwidrigen Körperzuständen, sodass die Behandlung als Krankheit zur
Bedürfnisbefriedigung vorgeschoben werden könne.
145
Vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2005, a.a.O. (Juris Rn. 21).
146
Im Beihilferecht ist aber jedenfalls keine Veranlassung ersichtlich, eine so weitgehende
und offensichtlich nicht medizinisch begründete pauschale Gleichstellung
krankheitsbedingter Fälle mit Fällen einer Anwendung als Lifestyle-Präparat zu
übernehmen. Pauschalierungen solcher Art mögen im allgemeinen Staat-Bürger-
Verhältnis, dem die gesetzliche Krankenversicherung zugehört, hinnehmbar sein, weil
sie mit der Höhe der individuell zu zahlenden Krankenversicherungsprämie
korrespondieren. Dem rechtlich völlig anders gelagerten Hintergrund der Fürsorgepflicht
aber werden sie jedenfalls aus sich heraus nicht gerecht.
147
Im Übrigen sieht das Beihilferecht hinreichende und übliche Möglichkeiten vor, bei
unbegründeter Verordnung eine Erstattung abzulehnen. Insoweit erlaubt etwa § 6 Abs. 3
BhV, dass die Beihilfefähigkeit ganz allgemein "vom Vorliegen von Indikationen
abhängig" gemacht werden kann, die im Streitfall gutachtlich nachgeprüft werden
können. Entsprechendes gilt für die Befürchtung von Missbräuchen oder unzumutbaren
finanziellen Belastungen der Beihilfekassen. Auch in dieser Hinsicht ließe sich ein etwa
erforderlicher Schutz des Dienstherrn durch eine Ausgestaltung der Voraussetzungen
für eine Erstattungsfähigkeit und eine angemessene Aufwandsbegrenzung erreichen. In
der Form von Eigenbehalten, Höchstbeträgen oder Mengenbegrenzungen steht eine
Bandbreite von Begrenzungsmöglichkeiten zur Verfügung, die einen sehr viel
148
verhältnismäßigeren Ausgleich zwischen den widerstreitenden Belangen der
Beihilfeberechtigten und ihres Dienstherrn darstellten als ein vollständiger Ausschluss
und ohne größeren Aufwand realisierbar wären.
Vgl. dazu OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. April 2007, a.a.O. (= Juris
Rn. 27 f.).
149
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
150
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO,
§ 127 BRRG nicht gegeben sind.
151