Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2005

OVG NRW: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, festsetzung der beiträge, beitragsfestsetzung, beitragsbemessung, steuerfreie einkünfte, post, eltern, ersatzwert, gleichbehandlung, jugendhilfe

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 4393/03
Datum:
28.11.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 4393/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 7 K 2647/01
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert. Der
Bescheid des Beklagten vom 13. September 2001
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
24. Oktober 2001 wird aufgehoben, soweit darin für die Monate April bis
Dezember 1999 ein monatlicher Elternbeitrag von mehr als 140,00 DM
festgesetzt worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens erster
Instanz und die Kosten des gerichtskostenpflichtigen zweitinstanzlichen
Verfahrens.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 368,13 EUR (= 720,--
DM) festgesetzt.
I.
1
Über die Berufung kann gemäß § 130a VwGO durch Beschluss entschieden werden,
weil der Senat die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO). Die
Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO
durch Schreiben des Gerichts vom 7. November 2005 angehört worden, in dem der
beschließende Senat zudem seine vorläufige Rechtsauffassung den Beteiligten
2
- über die Ausführungen im Zulassungsbeschluss hinaus und in einer der Erörterung der
Sach-und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung entsprechenden Art und Weise -
im Einzelnen erläutert hat.
3
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 13. September 2001,
mit dem der Beklagte den Elternbeitrag für die Betreuung des Kindes der Kläger in der
Tageseinrichtung C.---wall in N. -I. nachträglich für den Zeitraum vom 1. April 1999 bis
zum 31. Dezember 1999 von 140,00 DM pro Monat auf 220,00 DM pro Monat
heraufgesetzt und den sich hieraus ergebenden Differenzbetrag von 720,00 DM
nachgefordert hat. Sie sind der Auffassung, dass die der Festsetzung zugrundeliegende
Berechnung der Einkünfte der Klägerin zu 1. nach § 17 Abs. 5 Satz 2 GTK (Bruttogehalt
aus März 1999 multipliziert mit 12, zuzüglich Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld,
abzüglich des Arbeitnehmerpauschbetrages) und die aus der Zusammenrechnung mit
den Einkünften des Klägers zu 2. folgende Einordnung in die höhere
Einkommensgruppe von 96.001,00 DM bis 120.000,00 DM wegen der
Nichtberücksichtigung des tatsächlich erzielten und niedrigeren Jahreseinkommens zu
Unrecht erfolgt sei.
4
Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem
Verwaltungsgericht wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
5
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung im
Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
6
Das beschließende Gericht hat die Berufung der Kläger zugelassen. Zur Begründung
ihrer Berufung wiederholen und vertiefen die Kläger ihr Vorbringen aus dem
Verwaltungs- und dem erstinstanzlichen Klageverfahren.
7
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 13.
September 2001 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2001
aufzuheben, soweit darin für die Monate April bis Dezember 1999 ein monatlicher
Elternbeitrag von mehr als 140,00 DM festgesetzt worden ist.
9
Der Beklagte beantragt - sinngemäß -,
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die Berufung zurückzuweisen.
11
Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und
dem erstinstanzlichen Klageverfahren. Ergänzend führt er aus, die Berechnung nach §
17 Abs. 5 Satz 2 GTK bleibe verbindlich, solange keine Änderung in den
12
Einkommensverhältnissen eintrete. Wenn das Berechnungsjahr immer nur das
Kalenderjahr sei, könne eine Neufestsetzung einen Monat nach Eintritt der Änderung
kaum noch in Betracht kommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug
genommen.
13
II.
14
Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 13.
September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2001 ist
rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO),
soweit darin für die Monate April bis Dezember 1999 monatliche Eltern-beiträge von
mehr als jeweils 140,00 DM und der sich hieraus ergebende Nachforderungsbetrag von
720,00 DM festgesetzt worden sind.
15
Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Kläger zum Elternbeitrag ist § 90 SGB VIII in
der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3546) i. V. m. § 17
Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 GTK i. d. F. des Änderungs- gesetzes vom 16.
Dezember 1998 (GV NRW S. 704).
16
Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 GTK haben die Eltern entsprechend ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit monatlich öffentlich-rechtliche Beiträge zu den Jahresbetriebskosten
der von ihrem Kind besuchten Tageseinrichtung zu entrichten. Maßstab für die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist nach § 17 Abs. 4 Satz 1 GTK grundsätzlich das
Einkommen als Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des
Einkommenssteuergesetzes (EStG). Maßgebend für die Höhe des Beitrags ist nach der
Anlage zu § 17 Abs. 3 GTK die Höhe des jeweiligen Jahreseinkommens. Die damit
vorgesehene Beitragserhebung nach der tatsächlichen wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit dient zugleich der nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Gleich-
behandlung der Beitragspflichtigen und der Beitragsgerechtigkeit.
17
Vgl. zur verfassungsrechtlich gebotenen Gleichheit im Belastungserfolg und zur
Bedeutung eines strukturellen Vollzugsdefizits: BVerfG, Urteil vom 9. März 2004 - 2 BvL
17/02 -, BVerfGE 110, 94-141.
18
Das in § 17 Abs. 5 GTK geregelte - allerdings nicht jede Fallgestaltung ausdrücklich
erfassende - Verfahren zur Erhebung der Beiträge gewährleistet einen angemessenen
und differenzierten Ausgleich zwischen diesen grundlegenden Strukturprinzipien
einerseits sowie dem Erfordernis der Verwaltungspraktikabilität und der zeitnahen
Beitragserhebung andererseits.
19
Vgl. zur zeitnahen Beitragserhebung: LT-Drucks. 11/5973, S. 17 a.E.
20
Etwaige Regelungslücken sind im Wege der praktischen Konkordanz zu schließen.
21
Bei der Beitragsfestsetzung im laufenden Jahr kann das aktuelle Jahreseinkommen für
die Beitragsbemessung in der Regel nicht verlässlich festgestellt werden. Aus diesem
Grunde ist gemäß § 17 Abs. 5 Satz 1 GTK (zunächst) auf das Jahres-einkommen
abzustellen, das in dem der Angabe der Eltern zu ihrer Einkommens-gruppe (§ 17 Abs.
22
3 Satz 3 GTK) vorangegangenen Kalenderjahr erzielt worden ist.
Wird bei der Beitragsfestsetzung im laufenden Jahr im Rahmen der Prüfung der
regelmäßigen Elternangabe (oder der nach § 17 Abs. 5 Satz 5 GTK erfolgten
gesonderten Angabe) festgestellt, dass das Monatseinkommen des letzten Monats -
multipliziert mit zwölf - einen Betrag ergibt, der höher oder niedriger ist als das
Jahreseinkommen des der Angabe vorangegangenen Jahres, ist zunächst weiter zu
prüfen, ob diese Abweichung voraussichtlich auf Dauer bestehen wird (§ 17 Abs. 5 Satz
2 1. Halbsatz GTK). Diese im Wege der Prognose zu treffende Wertung setzt in
zeitlicher Hinsicht voraus, dass die Einkommensänderung für einen Zeitraum von
mindestens 12 Monaten andauern wird.
23
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Februar 2003
24
- 16 A 1260/01 -.
25
Ist dies der Fall, wechselt bereits bei der Festsetzung des Elternbeitrags im laufen-den
Jahr die Bemessungsgrundlage vom Jahreseinkommen aus dem der Angabe
vorangegangenen Kalenderjahr zu einem rechnerisch relativ grob ermittelten
26
(nach § 17 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz GTK ggf. um die dort genannten Zurechnungs-
beträge ergänzten) Ersatzwert für das Jahreseinkommen im laufenden Jahr.
27
Soweit Monatsbeiträge nicht bestimmbar sind und die Regelung in § 17 Abs. 5 Satz 2
GTK deshalb nicht anwendbar ist, ist nach § 17 Abs. 5 Satz 4 GTK auf das im laufenden
Jahr zu erwartende Jahreseinkommen abzustellen.
28
Die Änderung der Beitragsfestsetzung erfolgt nach § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK, der der
materiellen Richtigkeit der Beitragserhebung und damit dem Strukturelement der
Beitragsgerechtigkeit dient,
29
vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2003
30
- 16 B 896/03 -, Beschluss vom 27. Dezember 2004 - 16 B 1249/04 -,
31
als Spezialregelung den nachrangigen Bestimmungen des SGB X vorgeht (§ 28 GTK)
und der Behörde keinen Ermessenspielraum belässt. Die insoweit maßgebende
Tatbestandsvoraussetzung der „Änderung" ist mit Blick auf die Gewährleistung der
Beitragserhebung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Sicherstellung
der Beitragsgerechtigkeit nicht nur als eine Änderung in der der Einkommenserzielung
zugrundeliegenden Tätigkeit zu verstehen. Vielmehr liegt eine Änderung in diesem Sinn
dann vor, wenn das festgestellte oder offenbarte Jahreseinkommen zu einer Änderung
der Beitragsfestsetzung zwingt. Damit werden sämtliche Faktoren erfasst, die Einfluss
auf das der Beitragsbemessung zu Grunde zu legende Einkommen haben, wie etwa die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die Aufnahme zusätzlicher (Neben-
)Beschäftigungen oder auch Scheidung und Trennung der beitragspflichtigen Eltern und
Verbleiben der gemeinsamen Kinder bei einem Elternteil mit der Folge der Änderung
des zu Grunde zu legenden Einkommens nach § 17 Abs. 1 Satz 2 GTK.
32
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Oktober 2005
33
- 12 A 2844/04 -.
34
Ist das laufende Jahr beendet, gebieten es die Beitragsbemessung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und die Gewährleistung der Beitragsgerechtigkeit,
etwa nachträglich festgestellte oder (ggf. nach dem insoweit fortwirkenden § 17 Abs. 5
Satz 5 GTK) offenbarte Änderungen in den Einkommensverhältnissen in diesem Jahr
über § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK zu Gunsten oder zu Lasten der Pflichtigen zu
berücksichtigen.
35
Ansonsten liefe die Offenbarungspflicht nach § 17 Abs. 5 Satz 5 GTK leer. Eine
gesonderte und § 17 Abs. 5 Satz 5 GTK entsprechende Regelung für die Geltend-
machung eines geringeren Einkommens ist nicht aufgenommen worden, weil hinter
dieser Regelung die Erwartung stand, dass Eltern von sich aus kommen und die
Verminderung beantragen werden, wenn ihr Jahreseinkommen niedriger als
angenommen ist. Man war aber der Meinung, dass sie von sich aus kaum freiwillig
korrigierende Angaben machen werden, wenn das Jahreseinkommen höher ausfällt.
Für diesen Fall wollte der Gesetzgeber vorsorgen, ohne jedoch eine Reduzierung des
Beitrags zugunsten der Beitragspflichtigen auszuschließen.
36
Vgl. Moskal/Foerster, Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder in Nordrhein-
Westfalen, 17. Auflage 1999, Nr. 2f.
37
Ob sich dabei im Hinblick auf § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 AO eine zeitliche Grenze
für die Änderung der Beitragsfestsetzung ergibt, mag dahinstehen, weil die
Festsetzungsfrist von vier Jahren hier jedenfalls nicht abgelaufen ist.
38
Die gesetzliche Pflicht zur Berücksichtigung geänderter Einkommensverhältnisse
bedeutet, dass etwa eine aufgrund der Prognose nach § 17 Abs. 5 Satz 2 GTK erfolgte
Beitragsfestsetzung entsprechend der Regelung in § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK zu ändern
ist, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das tatsächliche Jahreseinkommen im
Jahr der Beitragspflicht über oder unter dem der bisherigen Festsetzung
zugrundeliegenden Jahreseinkommen liegt und aufgrund dessen eine höhere oder
niedrigere Einkommensgruppe maßgebend ist.
39
Die Regelung des § 17 Abs. 5 Satz 2 und Satz 4 GTK mit ihrer prognostischen
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(ersatzweisen) Ermittlung des aktuellen Jahreseinkommens ist ersichtlich auf die
Beitragsfestsetzung im laufenden Jahr ausgerichtet und in zeitlicher Hinsicht hierauf
beschränkt. Für das Festhalten an der Prognose nach § 17 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 4
GTK und einem auf diese Weise ermittelten Ersatzwert für das an sich zugrunde-
zulegende tatsächliche Jahreseinkommen besteht in dem Zeitpunkt keine Recht-
fertigung mehr, in dem die zugrundeliegenden Erwerbsvorgänge abgeschlossen sind
und die tatsächlich erzielten Einkünfte dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugend-
hilfe vorliegen oder ihm gegenüber in geeigneter Form offengelegt werden. In diesem
Zeitpunkt findet die im Abgabenrecht bei der Abwicklung von Massenveranlagungen
dem Gesetzgeber in weitem Umfang mögliche Typisierung und Pauschalierung auch
unter Berücksichtigung der Verwaltungspraktikabilität ihre sich aus Art. 3 Abs. 1 GG
ergebende Grenze.
41
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2005 - 12 A 4219/02 -.
42
Materielle Gesichtspunkte, die geeignet sind, das Festhalten an fiktiven, weil
hochgerechneten Werten trotz des bekannten tatsächlichen Jahreseinkommens zu
rechtfertigen, hat auch der Beklagte nicht vorzubringen vermocht.
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Soweit der Beklagte geltend macht, den Klägern geschehe mit der fiktiven
Einkommensberechnung kein Unrecht, sie könnten bei einer späteren Einkommens-
minderung einen Hinweis geben, so dass der Elternbeitrag zu ihren Gunsten angepasst
werde, wird verkannt, dass die fiktive Annahme eines Jahreseinkommens zu einer
partiellen Gleichbehandlung mit denjenigen Beitragspflichtigen führt, die tatsächlich
über das ganze Jahr eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt haben; eine derartige
Praxis weicht von dem eigentlichen Maßstab für die Beitragsbemessung, nämlich der
auf das Kalenderjahr bezogenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, in einem durch
Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität nicht mehr zu rechtfertigenden Umfang
ab.
44
Ob die Beitragspflichtigen ihrer Erklärungspflicht nach § 17 Abs. 5 Satz 5 GTK
überhaupt oder ggf. zu welchem - zufälligen - Zeitpunkt nachgekommen sind oder zu
welchem Zeitpunkt die Änderung in den Einkommensverhältnissen eingetreten ist, mag
für die laufende Erhebung der Beiträge von Bedeutung sein; für die hier in Rede
stehende nachträgliche Überprüfung, ob die Beitragsfestsetzung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit entspricht, sind diese Umstände unbeachtlich. Für die ex-post-
Betrachtung kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob bereits zu Beginn des
Jahres Einkommen erzielt wird oder erst im Laufe des Jahres. Maßgebend ist das für die
Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit allein aussagekräftige tatsächliche
Jahreseinkommen, unabhängig davon, ob es in der ersten oder der zweiten Hälfte des
Jahres oder - ggf. mit monatlichen Unterbrechungen - über das ganze Jahr erzielt
worden ist.
45
Dabei sind Fallgestaltungen sicherlich üblich, in denen zu einem bestimmten Zeitpunkt
durch die Aufnahme einer (weiteren) Beschäftigung ein höheres Einkommen erzielt und
dies auch gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe angegeben wird.
Findet aber die zugrundeliegende Tätigkeit entgegen der - gerechtfertigten - Prognose
nach § 17 Abs. 5 Satz 2 oder Satz 4 GTK z.B. bereits nach Ablauf von drei Monaten ihr
Ende, kann eine Beitragsbemessung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht
an dem Umstand vorbeigehen, dass im abgelaufenen Jahr tatsächlich nur drei
Monatsgehälter (zusätzlich) erwirtschaftet worden sind, unabhängig davon, ob diese
Änderung in den Einkommensverhältnissen noch im laufenden Jahr angegeben worden
ist oder nicht. Bleibt das Jahreseinkommen auch unter Berücksichtigung der (zusätzlich)
erwirtschafteten Monatseinkommen tatsächlich insgesamt unterhalb der
Beitragserhebungs-/erhöhungsgrenze, ist die an der Prognose ausgerichtete
Beitragserhebung nachträglich zu modifizieren. Eine - auch bei der ex-post- Betrachtung
- lediglich auf den Zeitpunkt des Wegfalls des (zusätzlichen) Einkommens beschränkte
Änderung der Beitragsbemessung unter Aufrechterhaltung der prognosegestützten
Beitragsbemessung bis zu diesem Zeitpunkt würde dazu führen, dass in den Monaten,
in denen die erhöhte Beitragspflicht aufrechterhalten wird, eine Gleichbehandlung von
Einkommen und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erfolgt, obwohl sich herausgestellt
hat, dass sich bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum des Kalenderjahres insofern
nicht unerhebliche Unterschiede ergeben haben.
46
Wird etwa dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe im laufenden Jahr
angezeigt, dass nunmehr ein monatliches Einkommen von 1.500 EUR erzielt wird und
47
ist die Prognose der Dauerhaftigkeit gerechtfertigt, ist von einem - hypothetischen -
Jahreseinkommen von 18.000 EUR auszugehen. Ab dem Kalendermonat nach Eintritt
der Änderung müsste gemäß § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK der Elternbeitrag in Höhe von
26,08 EUR festgesetzt werden. Würde nun nach Ablauf von drei Monaten die
Beschäftigung ihr Ende finden, wäre nach § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK ab dem Monat nach
Eintritt dieser Änderung der Beitrag auf 0 zu setzen; an der Festsetzung der Beiträge für
die vergangenen drei Monate würde sich hingegen nichts mehr ändern. Damit würde ein
Beitragspflichtiger in diesen Monaten trotz eines tatsächlichen Jahreseinkommens von
lediglich 4.500 EUR einem Beitragspflichtigen gleichgestellt werden, der tatsächlich ein
Jahreseinkommen von 18.000 EUR erzielt hat. Für diese Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich
widersprechende Gleichbehandlung völlig ungleicher Sachverhalte gibt es jedenfalls im
Rahmen der ex-post-Bewertung der für die Beitragsbemessung maßgebenden
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keinen sachlichen Grund.
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Ein solcher resultiert insbesondere nicht aus der mit § 17 Abs. 5 GTK seitens des
Gesetzgebers verbundenen Absicht, aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit
sicherzustellen, dass Verbesserungen der Einkommensverhältnisse zeitnäher als bisher
zu einem höheren Elternbeitrag führen.
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Vgl. LT-Drucks. 11/5973, a.a.O.
50
Im laufenden Jahr mag zur zeitnahen Abschöpfung der mit der Einkommenserhöhung
verbundenen Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine prognosegestützte
Einkommensermittlung noch gerechtfertigt sein, bei der hier in Rede stehenden ex-post-
Betrachtung muss der Gesichtspunkt der zeitnahen Beitragserhebung und -bemessung
jedoch hinter den Gesichtspunkt der Beitragsgerechtigkeit und der Bemessung der
Elternbeiträge nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurücktreten.
51
Für das Festhalten an der Beitragspflicht in dem vorstehenden Beispiel kann auch nicht
eingewandt werden, dass der Beitragspflichtige mit einem Jahreseinkommen von
lediglich 4.500 EUR auch nur für drei Monate Beiträge leisten muss, während der
Beitragspflichtige mit einem Jahreseinkommen von 18.000 EUR über den gesamten
Zeitraum beitragspflichtig bleibt. Dabei wird verkannt, dass das
Kindergartenbeitragsrecht nach der gesetzlichen Konzeption vom Jährlichkeitsprinzip
geprägt ist. Maßgebend für die Höhe des Beitrags ist ausweislich der Anlage zu § 17
Abs. 3 GTK das Jahreseinkommen, der Elternbeitrag ist ein Jahresbeitrag, der in
monatlichen Teilbeträgen zu entrichten ist.
52
Vgl. LT-Drucks. 11/5973, S. 15.
53
Diese auf das gesamte Jahr bezogene Festlegung der maßgebenden Kenngrößen
schließt - jedenfalls bei der ex-post-Betrachtung - eine auf bestimmte Zeitabschnitte des
Jahres beschränkte Einkommensbewertung aus, zumal dadurch die auf dem
Jahreseinkommen aufbauende Bildung von Einkommensgruppen und damit zugleich
von Einkommensgrenzen unterlaufen würde. Denn wenn nach der gesetzlichen
Regelung bis zu einem Jahreseinkommen von 12.271 EUR (einschl.) keinerlei
Elternbeiträge erhoben werden können, kann bei einem tatsächlichen
Jahreseinkommen von lediglich 4.500 EUR eine Beitragserhebung nicht gerechtfertigt
sein. Dass die ex-post-Bewertung des Jahreseinkommens und die ggf. damit
verbundene Änderung der Beitragsfestsetzung zur Herstellung der Gleichheit im
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Belastungserfolg zu einem nicht mehr zu leistenden oder mit Blick auf den geringen
Deckungsgrad nicht mehr zu vertretenden Verwaltungsaufwand führt, ist weder
dargelegt noch sonst ersichtlich.
Soweit der Beklagte ausführt, § 17 Abs. 5 Satz 2 GTK stelle bei
Einkommensänderungen auf das Elterneinkommen der folgenden 12 Monate ab, damit
beginne das laufende Jahr mit dem Änderungsmonat, trifft dies nicht zu. § 17 Abs. 5
Satz 2 GTK stellt lediglich ab auf das Einkommen „des letzten Monats", d.h. des Monats,
in dem die Veränderung der Einkommensverhältnisse stattgefunden hat,
55
vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. November 1998 - 16 A 2707/97 - NVwZ-RR 2000, 184 f.,
56
und fingiert auf dieser Basis mit dem Faktor 12 ein Jahreseinkommen, um zum Zwecke
der zeitnahen Beitragserhebung die rechnerische Zuordnung zu den einzelnen
Einkommensgruppen zu ermöglichen; eine darüber hinaus gehende verbindliche
Festschreibung dieses fingierten Einkommens für den Zeitraum bis zum Eintritt der
nächsten Änderung ist damit nicht verbunden.
57
Wie der Beklagte allerdings zutreffend ausgeführt hat, entfällt bei der ex-post-
Betrachtung in der Regel die Anknüpfung der Beitragsänderung an den Monat nach
dem Eintritt der Änderung der Einkommensverhältnisse. Diese Anknüpfung ist der vom
Gesetzgeber beabsichtigten zeitnahen Beitragserhebung im laufenden Jahr geschuldet.
Wie oben dargelegt, muss der Gesichtspunkt der zeitnahen Neuausrichtung der
Beiträge auf der Grundlage einer fiktiv ermittelten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vor
der Kenntnis des letztlich maßgebenden tatsächlichen Jahreseinkommens) dann
zurücktreten, wenn es nicht mehr um die Beitragserhebung im laufenden Jahr, sondern
um die nachträgliche Überprüfung der wahren Einkommensverhältnisse geht - bei der
der Gesichtspunkt der zeitnahen Beitragsanpassung ohnehin keine Rolle mehr spielt -
und die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1
GTK für das jeweilige Kalenderjahr bekannt ist. Soweit das beschließende Gericht in
der Vergangenheit abweichend entschieden hat, wird daran nicht mehr festgehalten.
58
Nach den dargelegten Grundsätzen ist die Festsetzung des Elternbeitrags in Höhe von
monatlich 220,00 DM für den Zeitraum April bis Dezember 1999 und die sich hieraus
ergebende Nacherhebung von 720,00 DM nicht gerechtfertigt.
59
Der im Wege der Prognose nach § 17 Abs. 5 Satz 2 GTK zu ermittelnde Ersatzwert
kann, wie bereits dargelegt, nur solange zugrundegelegt werden, solange es an
ausreichenden Erkenntnissen über das aktuelle Jahreseinkommen fehlt und aus diesem
Grund eine Änderung der Festsetzung entsprechend der Regelung in § 17 Abs. 5 Satz 3
GTK noch nicht vorgenommen werden kann. Dies ist hier indes nicht der Fall, da die
endgültigen Einkommensverhältnisse im Jahr 1999 durch die Vorlage des
Einkommenssteuerbescheides hinreichend offengelegt worden sind.
60
Letztlich maßgebend ist danach gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 GTK das
Jahreseinkommen der Kläger in dem Jahr, für das die Beiträge neu festgesetzt worden
sind, hier das Jahr 1999. Liegt in Bezug auf die steuerpflichtigen Einkünfte ein -
bestandskräftiger - Steuerbescheid vor, ist - ungeachtet der in Ermangelung einer
ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlenden Bindungswirkung - in Bezug auf die
insoweit erfassten Einkünfte grundsätzlich auf diesen abzustellen.
61
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2005, a.a.O.
62
Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 3 GTK sind dem Einkommen steuerfreie Einkünfte
hinzuzurechnen.
63
Im vorliegenden Fall ist nach Aktenlage aufgrund des eingereichten
Einkommenssteuerbescheides vom 18. Mai 2000 von einem Jahreseinkommen der
Kläger für das Jahr 1999 in Höhe von 94.486,00 DM auszugehen:
64
Jahresbruttoeinkommen der Klägerin zu 1.: 14.382,00 DM
65
Abzüglich der Werbungskostenpauschale von 2.000,00 DM
66
Verbleiben: 12.382,00 DM
67
Jahresbruttoeinkommen des Klägers zu 2.: 84.104,00 DM
68
Abzüglich der Werbungskostenpauschale von 2.000,00 DM
69
Verbleiben: 82.104,00 DM
70
Danach errechnet sich ein Gesamteinkommen der Kläger im Jahr 1999
71
von: 94.486,00 DM
72
Seitens des Beklagten sind gegenüber dieser Bewertung im Rahmen der Anhörung
keine Einwände geäußert worden.
73
Die Einstufung des Jahreseinkommens der Kläger in die vom Beklagten
zugrundegelegte Einkommensgruppe von 96.001,00 DM bis 120.000,00 DM ist somit
nicht gerechtfertigt.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
75
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 2, 14 GKG a.
F. Streitigkeiten betreffend die Erhebung von Elternbeiträgen nach § 17 GTK sind in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr
dem Abgabenrecht zuzurechnen und nicht mehr dem Sachgebiet der Jugendhilfe, für
das § 188 Satz 2 VwGO Gerichtskostenfreiheit gewährt.
77
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2002 - 16 B 2228/02 -, NVwZ-RR 2003,
607.
78
Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus dem im Berufungsverfahren streitigen
Differenzbetrag von 80,00 DM pro Monat und dem Beitragszeitraum von 9 Monaten
(April bis Dezember 1999).
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