Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2006

OVG NRW: schlüssiges verhalten, volkszählung, pflege, kultur, gesellschaft, nationalität, versuch, organisation, bevölkerung, aufenthalt

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 332/05
Datum:
11.09.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 332/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 K 3745/01
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Das Zulassungsvorbringen
führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die
Annahme des Verwaltungsgerichts, selbst wenn man zu Gunsten des Klägers
unterstelle, dass die Eintragung der ukrainischen Nationalität in seinem ersten
Inlandspass aus dem Jahre 1980 kein Gegenbekenntnis darstelle, fehle es zumindest
für den Zeitraum bis zum behaupteten (ersten) Versuch der Änderung des
Nationalitätseintrags im Inlandspass im Zusammenhang mit seiner Eheschließung im
August 1992 an der Abgabe eines durchgehenden Bekenntnisses zum deutschen
Volkstum, nicht in Frage zu stellen.
2
Da nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ein durchgängiges Bekenntnis zum deutschen
Volkstum erforderlich ist, hätte sich der Kläger auf eine der Nationalitätenerklärung
vergleichbare Weise durchgängig zum deutschen Volkstum bekennen müssen. Hierzu
sind nachprüfbare Umstände darzulegen, die den Willen, trotz des Eintrags der
ukrainischen Nationalität im Inlandspass der deutschen Volksgruppe und keiner
anderen anzugehören, nach außen hin, z.B. in der Lebensführung oder in
gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Aktivitäten, unzweifelhaft haben zu Tage
treten lassen.
3
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -, Buchholz 412.3, § 6 BVFG
Nr. 104.
4
Derartige Umstände hat der Kläger jedenfalls für die Zeit von 1980 (Ausstellung des
ersten Inlandspasses mit dem Eintrag der ukrainischen Nationalität) bis zum dem
behaupteten (ersten) Versuch der Änderung des Nationalitätseintrags im
Zusammenhang mit seiner Eheschließung im August 1992 nicht substantiiert dargelegt.
5
Der in der Zulassungsbegründung erneut erfolgte Hinweis des Klägers auf seine
Mitgliedschaft in der Gesellschaft "Wiedergeburt",
6
vgl. insoweit: BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997
7
- 9 C 10.96 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 88,
8
vermag ein der Nationalitätenerklärung vergleichbares Bekenntnis in dem in Rede
stehenden Zeitraum schon deshalb nicht zu begründen, weil der Kläger erst im Jahre
1994 Mitglied dieser Gesellschaft geworden ist.
9
Die übrigen in der Zulassungsbegründung aufgeführten Gründe (Pflege deutscher
Kultur und Traditionen, Sprechen der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit, Kauf
deutscher Zeitungen und Bücher, Mitglied der einzigen deutschen Familie am Ort,
Angabe der deutschen Volkszugehörigkeit im Fragebogen zur Aufnahme in die
Seefahrtschule L. , Angabe der deutschen Volkszugehörigkeit im Rahmen der
Volkszählung 1989) sind zum Teil nach Art, Umfang oder Zeitbezug nicht hinreichend
konkretisiert, decken zum Teil nicht den langen Zeitraum von rund 12 Jahren ab (wie die
Angaben der deutschen Volkszugehörigkeit im Rahmen der Volkszählung 1989 und im
Fragebogen zur Aufnahme in die Seefahrtsschule L. ), und reichen im Übrigen in ihrer
Bedeutung und Aussagekraft weder einzeln noch zusammengenommen an die im
Rahmen der Beantragung des Inlandspasses erforderliche ausdrückliche Erklärung zum
deutschen Volkstum gegenüber offiziellen Stellen heran,
10
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2006 - 12 A 270/05 - (philologische und
pädagogische Schul- und Hochschulausbildung mit dem Schwerpunkt Deutsch);
Beschluss vom 9. Juni 2006 - 12 A 2494/04 - (deutschgeprägter Lebensstil, Teilnahme
an Weihnachts-, Ostern- und Pfingstfeiern, Teilnahme an Hochzeiten nach deutschen
Sitten, Kenntnis deutscher Märchen, Erzählungen und Lieder, Besuch des deutschen
Theaters in Kaliningrad, Teilnahme an Begräbnissen nach mennonitischem Brauch);
Beschluss vom 10. März 2006 - 12 A 244/05 - (Identifizierbarkeit als Deutscher in der
privaten und beruflichen Umgebung); Beschluss vom 16. Februar 2006 - 2 A 2734/04 -
(Volkszählung, Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache und Kultur über den
familiären Bereich heraus, Teilnahme an religiösen Veranstaltungen, Bewusstsein der
übrigen Dorfbewohner, dass der Kläger Deutscher ist); Beschluss vom 27. September
2005 - 2 A 4693/04 - (Aufenthalt in Kreisen der deutschen Bevölkerung, Pflege
deutscher Traditionen, regelmäßige Teilnahme an kulturellen deutschen
Veranstaltungen, Feiern deutsch- katholischer Feiertage, aktives Mitglied der
Gesellschaft "Wiedergeburt"); Beschluss vom 29. September 2004 - 2 A 3340/01 -
(Gebrauch und Pflege der deutschen Sprache, der deutschen Kultur und der deutschen
Traditionen über den familiären Bereich hinaus, Engagement in der Organisation
Wiedergeburt, Volkszählung),
11
so dass unter Berücksichtigung der im gleichen Zeitraum nach außen wirkenden
Erklärung zu Gunsten der ukrainischen Nation durch das Führen des Inlandspasses aus
dem Jahre 1980 von einer eindeutigen äußeren Erklärungslage ausschließlich zu
Gunsten des deutschen Volkstums nicht ausgegangen werden kann.
12
Dass das Beherrschen der deutschen Sprache in einem § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVFG
genügenden Umfang nicht geeignet ist, ein Bekenntnis auf vergleichbare Weise zu
begründen, ist in der Rechtsprechung geklärt.
13
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2005 - 5 B 128.04 -; OVG NRW, Beschlüsse
vom 28. März 2006 - 2 A 4276/03 -, vom 15. März 2006 - 2 A 3765/04 -, vom 16. Februar
2006 - 2 A 2734/04 - und vom 27. September 2005 - 2 A 4693/04 - .
14
Dementsprechend weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder
rechtlichen Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
15
Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die aufgeworfene Frage,
16
"ob die auf familiärer Vermittlung beruhende Beherrschung der deutschen Sprache
grundsätzlich geeignet ist, ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch "schlüssiges
Verhalten" bzw. "auf andere Weise" zu indizieren, wenn sie - wie vom Kläger geltend
gemacht - außerhalb der Wohnung für Dritte hörbar verwendet worden ist",
17
ist, wie die zitierten Beispielsfälle belegen, in der Rechtsprechung geklärt. Im Übrigen
liegt es auf der Hand, dass das Sprechen der Sprache eines Minderheitenvolkes zwar
für Außenstehende die Zuordnung des Sprechenden zu diesem Volk ermöglicht, aber
nicht ohne Weiteres nach Außen auch ein Bekenntnis desselben zu diesem Volk
beinhaltet. Maßgebend sind insoweit die Gesamtumstände des Einzelfalles, in denen
sich der Gebrauch der deutschen Sprache als schlüssiger Bestandteil eines auch im
Übrigen eindeutigen Bekenntnisses zum deutschen Volk darstellen kann; die dabei in
den Blick zu nehmende Vielgestaltigkeit individueller Lebensumstände entzieht sich
jedoch einer abstrahierenden Verallgemeinerung und steht einer positiven
Umschreibung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines
Bekenntnisses auf vergleichbare Weise im Rahmen eines Berufungsverfahrens
entgegen.
18
Damit ist zugleich die weitere aufgeworfene Frage, ob der Benutzung der deutschen
Sprache in der Öffentlichkeit mit Blick auf die Zuordnung zum deutschen Volkstum keine
Bedeutung zukomme, weil der Benutzung einer "Fremdsprache" eine derartige
Aussagekraft generell nicht zukomme, ebenfalls beantwortet, ohne dass es hierzu der
Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
21
22