Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.07.2004

OVG NRW: nationalität, familie, russisch, ausstellung, ausreise, anhörung, beweisantrag, wahlrecht, gespräch, verfügung

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 3358/99
Datum:
13.07.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 3358/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 8492/93
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die Kosten
des Verfahren in der Revisionsinstanz. Außergerichtliche Kosten des
Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist am 5. November 1945 in U. in der Russischen Föderation geboren. Ihre
Eltern sind der 1914 in N. geborene und 1979 verstorbene deutsche Volkszugehörige
U1. C. und die 1924 geborene russische Volkszugehörige L. C. , geb. D. . Ausweislich
einer Rehabilitationsbescheinigung vom 5. Januar 1993 leistete der Vater von Januar
1942 bis Mai 1947 in der Trudarmee Zwangsarbeit. Danach stand er noch bis Januar
1956 unter Kommandanturbewachung.
2
Am 14. Januar 1992 beantragte die Klägerin ihre Aufnahme als Aussiedler. Im
Aufnahmeantrag ist angegeben, sie sei deutsche Volkszugehörige. Ihre Muttersprache
sei Deutsch, ihre jetzige Umgangssprache in der Familie sei Russisch-Deutsch. Sie
verstehe, spreche und schreibe Deutsch. Dem Aufnahmeantrag beigefügt war die Kopie
eines 1993 ausgestellten Inlandspasses, in dem als Nationalität für die Klägerin
"Deutsch" eingetragen ist, sowie die Kopie eines Beschlusses des Gerichts des
Stadtbezirks L1. in U. vom 10. Dezember 1992, mit dem die dortige Passabteilung
verpflichtet wurde, die Nationalität der Klägerin von "Russisch" in "Deutsch" zu ändern.
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Im Rahmen ergänzender Angaben zum Aufnahmeantrag erklärte sie, ab der Geburt im
Elternhaus mit dem Vater Deutsch gesprochen zu haben. Im Familienkreis spreche sie
selten Deutsch, häufig Russisch. Sie verstehe Deutsch wenig, spreche aber in einer für
ein einfaches Gespräch ausreichenden Weise Deutsch. Sie könne auch Deutsch
schreiben. Gleichzeitig legte die Klägerin die Fotographie eines 1991 ausgestellten
Inlandspasses vor, in dem für sie als Nationalität "Russin" eingetragen ist.
Durch Bescheid vom 10. Juni 1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den
Aufnahmeantrag ab. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG (in der bis
zum 6. September 2001 geltenden Fassung) seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe sich
nicht wirksam zum deutschen Volkstum bekannt. Hiergegen erhob die Klägerin mit
Schreiben vom 18. Juli 1993 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen
aus: Als ihr Vater von N. nach Kasachstan verbannt worden sei, habe im Arbeitslager
von der Pflege der deutschen Sprache nicht die Rede sein können. Später, nach Stalins
Tod, hätte die Familie in einem russischen Milieu gelebt und sei gezwungen gewesen,
nur Russisch zu sprechen. Solange der Vater gelebt habe, hätten sie deutsche Kultur
und Bräuche gepflegt. Die 1974 vorgenommene Eintragung im Pass sei notgezwungen
gewesen, um normal arbeiten und existieren zu können. Ergänzend legte die Klägerin
einen handschriftlich verfassten Lebenslauf vor. Durch am 25. November 1993
zugestellten Widerspruchsbescheid vom 22. September 1993 wies das
Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück.
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Die Klägerin hat am 15. Dezember 1993 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im
Wesentlichen ausgeführt: Sie sei in einem Lager aufgewachsen, das ausschließlich von
verbannten Deutschen bewohnt worden sei. Auch nach Beendigung der Kommandantur
habe die Familie zunächst weiter in dem Lager leben müssen, weil sie keine Mittel
gehabt habe, aus dem Lager auszuziehen, und von den russischen Behörden keine
Unterstützung gewährt worden sei. Die ihr in der Familie vermittelten Sprachkenntnisse
seien ausreichend, um sie als deutsche Volkszugehörige anzusehen. Sie verstehe und
spreche Deutsch in ausreichendem Maß. Eine weitergehende Vermittlung sei aufgrund
der Lebensumstände unmöglich gewesen. Sie habe sich auch immer dem deutschen
Volkstum zugehörig gefühlt. Eine frühere Änderung ihres Inlandspasses sei nicht
möglich gewesen. Sie habe sich darum zwar wiederholt bemüht, eine Änderung des
Nationalitäteneintrags sei aber von den russischen Behörden abgelehnt worden.
5
Während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist die Klägerin am 21. Ja- nuar
1999 im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland T. angehört worden. Als
Ergebnis des durchgeführten Sprachtests ist im Anhörungsprotokoll festgehalten, dass
eine Verständigung mit der Klägerin auf Deutsch kaum möglich gewesen sei. Sie habe
nur einzelne Wörter verstanden und gesprochen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Juni 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. September 1993 zu verpflichten, ihr einen
Aufnahmebescheid zu erteilen,
8
hilfsweise,
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zum Beweis der Tatsache, dass es ihr nicht möglich war, die Sprache besser zu lernen,
wie es sich aus dem Sprachtest ergibt, ein sprachpsychologisches
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Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass sich die Klägerin nicht wirksam zum
deutschen Volkstum bekannt habe. Die Änderung des Nationalitäteneintrags in ihrem
Inlandspass sei ihren eigenen Angaben zufolge zielgerichtet im Hinblick auf die
beabsichtigte Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt. Auch lasse sich
eine hinreichende Vermittlung der deutschen Sprache nicht feststellen, denn die
Klägerin habe selbst angegeben, dass sie Deutsch wenig verstehe.
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Durch Urteil vom 28. Mai 1999 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die
zugelassene Berufung hat der Senat durch Urteil vom 26. April 2002 zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat das
Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil durch Beschluss vom 23. Dezember 2003
aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das
Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Die Klägerin verfolgt ihr Klagebegehren weiter. Sie betont, ihr sei die deutsche Sprache
innerfamiliär so vermittelt worden, wie das aufgrund ihres Alters und der Tatsache, dass
sie von 1945 bis 1956 unter Kommandantur habe leben und ihre Eltern Zwangsarbeit
hätten leisten müssen, möglich gewesen sei. Trotz dieser schwierigen Bedingungen sei
sie auch heute noch in der Lage, ganze Sätze zu sprechen und Fragen, die in einem
verständlichen Deutsch gestellt würden, zu beantworten. Dies komme auch in dem
Protokoll des Sprachtests zum Ausdruck. Die Wertung des Sprachtesters, eine
Verständigung sei mit ihr kaum möglich gewesen, treffe nicht zu. Wollte man die
vorhandenen Sprachkenntnisse aber als nicht ausreichend im Sinne des § 6 Abs. 2
BVFG ansehen, gelte zu ihren Gunsten § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG. Eine weitergehende
Vermittlung der deutschen Sprache hätten die Lebensumstände, unter denen sie
aufgewachsen sei, nicht zugelassen. Zudem müsse im Rahmen der Fiktionsregelung
Berücksichtigung finden, dass es ihr unmöglich gewesen sei, die aufgrund familiärer
Vermittlung erworbenen Sprachkenntnisse aufrechtzuerhalten. Ihr Vater sei 1979
verstorben. Danach habe für sie mehr als zwanzig Jahre lang keine Möglichkeit mehr
bestanden, die deutsche Sprache zu praktizieren. Mit der Eintragung der russischen
Nationalität in ihren Inlandspass sei kein Bekenntnis zum russischen Volkstum
verbunden gewesen. Diese Eintragung sei nur auf Druck der Lehrer zustande
gekommen.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
des Bundesverwaltungsamtes vom 10. Juni 1993 und seines Widerspruchsbescheides
vom 22. September 1993 zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid zu erteilen,
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hilfsweise,
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1. zum Beweis dafür, dass die Klägerin, die mit ihrem Vater trotz der gegen sie und die
Familie bestehenden Verfolgungsmaßnahmen deutsch gesprochen hat, auch heute
noch in der Lage ist ein einfaches Gespräch über Sachverhalte des allgemeinen Lebens
19
im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu führen ist, die
Anhörung der Klägerin und der Zeugin J. T1. , C1. 27, I. , die mit der Klägerin in U.
gelebt hat.
2. Die Klägerin und die Zeugin auch zum Beweis dafür, dass die Klägerin bei der
Beantragung ihres ersten Inlandspasses, was in dem Lager, in dem sie noch lebte,
üblich war, keine Erklärung über die Wahl ihrer Nationalität abgegeben hat, sondern
ohne ihr Zutun in der Schule einen Inlandspass mit der eingetragenen Nationalität
Russisch, wogegen sie als Minderjährige nichts unternehmen konnte, erhalten hat und
dass sie nach 1964 mehrfach bei den Behörden angefragt hat, ob ihre deutsche
Nationalität eingetragen werden kann, 1993 einen Antrag auf Änderung stellte, der
abgelehnt wurde, und sogleich, nachdem die Rechtslage sich zu ihren Gunsten
geändert hatte, die fehlerhafte Eintragung der Nationalität durch eine
Gerichtsentscheidung herbeiführte, anzuhören.
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3. Des weiteren wird ebenfalls hilfsweise zum Beweis dafür, dass die Klägerin, die
aufgrund des prägenden Einflusses ihres Vaters bereits im Zeitpunkt ihrer
Bekenntnisfähigkeit das Bewusstsein erlangt hatte, nur dem deutschen Volk zugehörig
zu sein, sich ungeachtet der Eintragung der Nationalität nach außen hin immer als
Deutsche bezeichnet hat und zum Beispiel auch bei Volkszählungen nach 1964 die
deutsche Nationalität eintragen ließ und deshalb nicht nur von der Familie, sondern
auch von der Umgebung und insbesondere auch von den Behörden als Deutsche
wahrgenommen wurde, wird die Anhörung der Klägerin und die Anhörung der Zeugin
beantragt.
21
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
25
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten
Aufnahmebescheides.
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Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung eines Aufnahmebescheides kommen nur die §§ 26, 27 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge
(Bundesvertriebenengesetz - BVFG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni
1993, BGBl. I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Klarstellung des
Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom 30. August 2001,
BGBl. I 2256 in Betracht. Danach wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit
Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Verlassen dieser Gebiete die
Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Hier besteht ein solcher Anspruch nicht,
weil nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin nach der Aufgabe ihres
Wohnsitzes und dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als
Spätaussiedlerin erfüllt. Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden
Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein,
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wer deutscher Volkszugehöriger ist. Da die Klägerin nach dem 31. Dezember 1923
geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie
von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt
und sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes durch eine entsprechende
Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum
bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört
hat. Weitere Voraussetzung gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG ist, dass das Bekenntnis
zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität
bestätigt werden muss durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist
nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung
zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG).
Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Es fehlt schon an einem
wirksamen Bekenntnis der Klägerin nur zum deutschen Volkstum. § 6 Abs. 2 Satz 1
BVFG setzt für die Eigenschaft als deutscher Volkszugehöriger voraus, dass sich der
Betreffende nach Erreichen der Bekenntnisfähigkeit bis zur Ausreise "nur" zum
deutschen Volkstum bekannt hat. Damit ist die nach früherem Recht maßgebliche auf
den Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete als Endzeitpunkt für die Abgabe
der Nationalitätenerklärung (bzw. des Bekenntnisses auf andere Weise) bezogene
Betrachtungsweise, nach der es ausreichte, dass die Erklärung zum deutschen
Volkstum zu einem beliebigen Zeitpunkt bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete
abgegeben wurde, durch eine jedenfalls an der Bekenntnisfähigkeit ansetzende
zeitraumbezogene Betrachtung abgelöst worden. Ein Bekenntnis zum deutschen
Volkstum in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise genügt den rechtlichen
Anforderungen danach nicht. Bei Personen im bekenntnisfähigen Alter muss vielmehr
grundsätzlich für den gesamten Zeitraum zwischen Eintritt der Bekenntnisfähigkeit und
Ausreise ein positives Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG feststellbar sein.
28
BVerwG, Urteile vom 13. November 2003, - 5 C 14., 40. und 41.03 -.
29
Dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Senat zur
Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung angeschlossen.
30
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. März 2004 - 2 A 4321/01 -.
31
Für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum
im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG abgegeben hat, ist hier die erste Alternative dieser
Vorschrift maßgeblich. Denn für die Eintragung der Nationalität der Klägerin in ihren
ersten Inlandspass war eine ausdrückliche Erklärung zu einer bestimmten Nationalität
erforderlich. Rechtsgrundlage für die Ausstellung des ersten Inlandspasses der Klägerin
bei Vollendung ihres 16. Lebensjahres im Jahr 1961 war die Verordnung über das
Passwesen der ehemaligen Sowjetunion vom 21. Oktober 1953. Nach den Vorschriften
dieser Passverordnung war ebenso wie nach der Regelung unter Nummer 7 Abs. 2 c)
der sowjetischen Passverordnung vom 10. September 1940 und in der am 1. Juli 1975
in Kraft getretenen Passverordnung vom 28. August 1974 in den Pässen auch die
Nationalität zu vermerken. Die Frage, welche Nationalität bei den Abkömmlingen aus
gemischt-nationalen Ehen einzutragen war, war dort allerdings im Gegensatz zu Nr. 3
Abs. 2 der Passverordnung von 1974 nicht ausdrücklich geregelt. Das
Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die
Passverordnung vom 21. Oktober 1953 anders als die Passverordnung des Jahres 1974
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zwar kein ausdrückliches Wahlrecht für Kinder aus volkstumsverschiedenen Ehen
enthielt. In der Praxis sei jedoch ebenso verfahren worden, wie später in der
Passverordnung 1974 vorgesehen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60.
33
Diese Tatsachen sind vom Bundesverwaltungsgericht als gerichtskundig bezeichnet
worden.
34
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1997, - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60.
35
Aufgrund dessen ist in diesem Fall die Frage, ob der Aufnahmebewerber ein Bekenntnis
zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG abgegeben hat, unter
der in der ersten Alternative dieser Vorschrift genannten Voraussetzung zu beurteilen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, DVBl 1996, 198, zu § 6 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 BVFG in der bis zum 6. September 2001 geltenden Fassung (a.F.).
37
In der Angabe einer anderen als der deutschen Nationalität gegenüber amtlichen
Stellen liegt grundsätzlich ein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes
Gegenbekenntnis zu einem anderen Volkstum.
38
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133 = DVBl.
1996, 198.
39
Das ist nur dann nicht der Fall, wenn die nichtdeutsche Nationalität gegen den
ausdrücklichen Willen oder ohne eine entsprechende Erklärung des
Aufnahmebewerbers in den Inlandspass eingetragen wurde.
40
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214 = DVBl.
1997, 897.
41
Nach der Überzeugung des Senats ist die Eintragung der russischen Nationalität in den
ersten Inlandspass der Klägerin nicht ohne oder gegen deren Willen erfolgt. Da das
Wahlrecht nach den Erkenntnissen des Senats von den sowjetischen Behörden in der
Regel beachtet wurde und nur in Einzelfällen insbesondere die russische Nationalität
ohne oder gegen den Willen des Betroffenen eingetragen wurde,
42
vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60, und vom 13.
April 2000 - 5 C 14.99 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 93; OVG NRW, Urteile vom 3.
November 1997 - 2 A 1651/94 - und vom 26. Januar 1999 - 2 A 296/97 - ,
43
geht der Senat davon aus, dass die Klägerin entsprechend dem üblichen Verfahren bei
der Ausstellung des ersten Inlandspasses bewusst und freiwillig einen Antrag
unterzeichnet hat, in dem als Nationalität "Russisch" angegeben war.
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Um den Senat davon zu überzeugen, dass sie trotz der Eintragung der Nationalität
"Russisch" in ihren ersten Inlandspass nicht die Eintragung dieser Nationalität beantragt
hat, hätte die Klägerin hinreichend substantiiert darlegen müssen, dass und unter
welchen besonderen Umständen die Nationalitätseintragung zustande gekommen ist.
Daran fehlt es. Zum einen ist der Vortrag der Klägerin wechselnd und insoweit nicht
45
schlüssig. In der von ihr persönlich verfassten Widerspruchsbegründung wird
ausgeführt, dass die Eintragung der Nationalität "notgezwungen" erfolgt sei, um "normal
arbeiten und existieren zu können". Diese Angaben sprechen dafür, dass die
Eintragung der Nationalität aufgrund einer bewussten Entscheidung erfolgt ist, um
bessere Lebensbedingungen zu erreichen. Ihnen kann jedenfalls nicht entnommen
werden, dass der Nationalitäteneintrag ohne Mitwirkung der Klägerin oder gegen deren
Willen erfolg ist. In dem von der Klägerin vorgelegten von ihr im Zusammenhang mit der
Änderung des Nationalitäteneintrags erwirkten Beschlusses des Gerichts des
Stadtbezirks L1. der Stadt U. ist ausgeführt, die Klägerin sei mit 16 Jahren, als der Pass
ausgestellt worden sei, bei der Wahl der Nationalität nach der ihrer Mutter noch
"rechtlich begrenzt" gewesen. Daraus kann nur gefolgert werden, dass eine von der
Klägerin abgegebene Erklärung von dem Gericht als ihr mangels ausreichender
Handlungsfähigkeit nicht zurechenbar angesehen worden ist. Auch hieraus lässt sich für
eine fehlende Mitwirkung der Klägerin nichts ableiten. Im Rahmen ihrer Anhörung im
Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland T. hat sie demgegenüber erklärt, sie
habe seinerzeit mit der Familie noch in einem Lager gelebt und sei bei der Ausstellung
des Inlandspasses nicht nach der Nationalität gefragt worden. Im Klageverfahren ist
seitens der Prozessbevollmächtigten ohne weitere Erläuterung vorgetragen worden, die
Eintragung der russischen Nationalität in den ersten Inlandspass sei auf Druck der
Lehrer erfolgt; dabei bleibt aber unklar, inwieweit die Klägerin an der Passausstellung
mitgewirkt hat. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde von den
Prozessbevollmächtigten vorgetragen, die Klägerin habe bis 1953 in die Schule gehen
müssen. Hierfür hätten die Kinder in der Lagersiedlung eine Ausnahmegenehmigung
bekommen und seien mit einem Wagen 5 km weiter in eine kleine Stadt gebracht
worden. Sie seien dort des öfteren mit Steinen beworfen und immer wieder als
Faschistenkinder beschimpft worden. Die Klägerin habe dieses Leben bis 1956
ertragen müssen. Sie habe immer darauf bestanden, im Inlandspass im Deutsch
eingetragen zu werden. Während der Kommandantur sei ihr dieses nicht möglich
gewesen und es sei ihr nur nach Inkrafttreten der Rehabilitationsgesetze im Jahr 1992
gelungen, die Eintragung, die immer als rechtswidrig angesehen worden sei, zu ändern.
Stets habe die Klägerin klargestellt, sie habe anlässlich der Passeintragung, da sie
noch unter Lagerkommandantur gestanden habe, keine Erklärung abgegeben. Dieses
Vorbringen ist insoweit nicht nachvollziehbar, als die Kommandantur nach den
sonstigen Angaben der Klägerin 1956 beendet gewesen ist, was auch den historischen
Gegebenheiten entspricht. Zu dem bleibt unklar, welcher konkrete Bezug zwischen der
Situation der Klägerin in den 50er-Jahren und der 1961 erfolgten Passausstellung
bestanden hat. Eine nachvollziehbare Erklärung für ihre unterschiedlichen Angaben hat
die Klägerin nicht gegeben; im Berufungsverfahren sind die verschiedenen Erklärungen
nebeneinander im Raum stehen geblieben. Die zusammen mit der Ladung gesetzte
Frist zum gegebenenfalls ergänzenden Vortrag ist ohne Reaktion geblieben. Lediglich
mit Schriftsatz vom 8. Juli 2004 wird ausgeführt, eine Zurechenbarkeit einer Erklärung
der Klägerin setze voraus, dass sie bekenntnisfähig gewesen sei. Diese trete in der
Regel nur mit 18 Jahren ein. Gleiches gelte für die Erklärungsfähigkeit, die immer nur ab
dem 18. Lebensjahr angenommen werden könne, denn vorher sei die Klägerin noch
nicht volljährig gewesen. Nach diesem Vorbringen wiederum hätte die Klägerin im
Zusammenhang mit der Ausstellung ihres Inlandspasses sehr wohl eine Erklärung zu
einer nichtdeutschen Nationalität abgegeben, die ihr lediglich mangels
Erklärungsfähigkeit nicht als Bekenntniserklärung im vertriebenenrechtlichen Sinne
zurechenbar sein soll. Letzteres ist rechtlich unzutreffend, weil sich Erklärungs- bzw.
Bekenntnisfähigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
nach dem Recht des Herkunftsstaates bestimmen,
vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -, und vom 29. August 1995, -
5 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133,
46
sodass es rechtlich nicht relevant ist, dass die Klägerin erst 16 Jahre alt war, als sie die
Erklärung über die im Inlandspass einzutragende Nationalität abgab.
47
Neben diesem wechselnden, inhaltlich nicht deckungsgleichen und von daher schon
nicht schlüssigen Vorbringen kommt hinzu, dass die Klägerin im Laufe des gesamten
Verfahrens keine näheren Angaben zum konkreten Ablauf des Passantragsverfahrens
gemacht hat, in dem es zur Eintragung der russischen Nationalität in ihren Inlandspass
gekommen ist. Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, wie die näheren Umstände
dieses zur Passausstellung führenden Verfahrens tatsächlich gewesen sind. Ihr
Vorbringen beschränkt sich insoweit allenfalls auf die pauschale Angabe, anlässlich der
Passausstellung keine Erklärung zur Nationalität abgegeben zu haben. Dies reicht nicht
aus, um einen von dem üblichen Verfahren bei der üblichen Verfahren bei der
Ausstellung des Inlandspasses abweichenden Geschehensablauf substantiiert
darzulegen.
48
Vor dem Hintergrund des Vorstehenden besteht für den Senat auch kein Anlass, die
Klägerin persönlich zu den näheren Umständen der Ausstellung ihres ersten
Inlandspasses persönlich anzuhören. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen die
Klägerin hierzu nicht im Laufe des Verfahrens hinreichend konkret hätte vortragen
können. Dem zweiten hilfsweise gestellten Beweisantrag war schon von daher nicht
nachzugehen. Abgesehen davon ist dieser Beweisantrag verspätet, denn die Klägerin
war bereits durch gerichtliche Verfügung vom 24. März 2004 aufgefordert worden, aus
ihrer Sicht für die Frage des Bekenntnisses nur zum deutschen Volkstum eventuell
relevante Tatsachen anzugeben und Beweismittel zu bezeichnen, soweit sie im
Verfahren noch nicht vorgebracht worden waren. Innerhalb der gesetzten Frist ist eine
Reaktion von Klägerseite nicht erfolgt. Warum der in der mündlichen Verhandlung
gestellte Hilfsbeweisantrag nicht schon früher hätte gestellt werden können, ist nicht
weiter erläutert worden. Da dem hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht ohne
Verzögerung einer Entscheidung des Rechtsstreits hätte nachgegangen werden
können, weist der Senat diesen auch insoweit zurück. Auf diese Möglichkeit ist die
Klägerin in der gerichtlichen Verfügung vom 24. März 2004 hingewiesen worden.
49
Das danach vorliegende, ein Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum ausschließende
Gegenbekenntnis der Klägerin ist nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG unerheblich. Denn
Anhaltspunkte dafür, dass ein Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum im
Jahre 1961 mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder
wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen wäre und die Klägerin deshalb ihr
Wahlrecht zwangsläufig so wie geschehen hätte ausüben müssen, sind von den
Klägern nicht substantiiert vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Die schlichte
Behauptung, die Eintragung der russischen Nationalität sei notwendig gewesen, um
normal arbeiten und existieren zu können, reicht dafür nicht aus.
50
Das Gegenbekenntnis der Klägerin hat seine rechtliche Ausschlusswirkung nicht
nachträglich dadurch verloren, dass sie sich durch die von ihr 1993 herbeigeführte
Änderung der Nationalität in ihrem Inlandspass zum deutschen Volkstum bekannt hat,
da § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nunmehr ausschließt, von einer in früherer Zeit
abgegebenen Erklärung zu einer nichtdeutschen Nationalität bis zum Verlassen der
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Aussiedlungsgebiete durch Hinwendung zum deutschen Volkstum und Revidierung des
Gegenbekenntnisses abzurücken.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 2003 - 5 C 14.03 - und - 5 C 41.03 -.
52
Selbst wenn man die im Jahr 1961 abgegebene Nationalitätenerklärung der Klägerin
außer Betracht lässt, sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nicht erfüllt.
Denn auch dann fehlt es zumindest für die Zeit von 1961 bis 1993 an einem Bekenntnis
nur zum deutschen Volkstum. Nach der oben zitierten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts muss bei Personen im bekenntnisfähigen Alter
grundsätzlich für den gesamten Zeitraum zwischen Eintritt der Bekenntnisfähigkeit und
Ausreise ein positives Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2
Satz 1 BVFG feststellbar sein. Ein über einen längeren Zeitraum andauernder
bekenntnisloser Zustand ist ausgeschlossen.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -.
54
Allerdings ist der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
55
vgl. BVerwG, Urteile vom 13. November 2003 - 5 C 14., 40. und 41.03 -,
56
zu entnehmen, dass dann, wenn durch eine Nationalitätenerklärung bei der
Passbeantragung kein zurechenbares Gegenbekenntnis abgegeben wurde, zu prüfen
ist, ob ein Bekenntnis "auf vergleichbare Weise" zum deutschen Volkstum abgegeben
worden ist.
57
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -.
58
Um ein Bekenntnis "auf andere Weise" auszufüllen, müssen die Indizien für den Willen
der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe nach Gewicht, Aussagekraft und
Nachweisbarkeit der Nationalitätenerklärung entsprechen und in einer Weise über das
familiäre Umfeld hinaus nach außen hervorgetreten sein, die der
Nationalitätenerklärung nahe kommt. Es ist zu prüfen, ob Möglichkeiten bestanden, auf
die Änderung der Nationalitätenerklärung hinzuwirken. Ist das nicht der Fall, sind von
den Klägern nachprüfbare Umstände zu bezeichnen, die einen Willen, der deutschen
Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, nach außen hin z.B. in der
Lebensführung oder in gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Aktivitäten
unzweifelhaft zu Tage treten ließen.
59
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2003 - 5 C 41.03 -.
60
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Senat bei der Klägerin nicht
feststellen. Die Klägerin hat solche Umstände, die sich auf dem Zeitraum von 1961 bis
1993 beziehen, nicht konkret vorgetragen. Die mit der Terminsladung vom 24. März
2004 übermittelte gerichtliche Verfügung, mit der der Klägerin aufgegeben worden ist,
aus ihrer Sicht für die Frage des Bekenntnisses nur zum deutschen Volkstum im Sinne
von § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG relevante Tatsachen anzugeben, ist innerhalb der
gesetzten Frist ohne Antwort geblieben. Lediglich im Schriftsatz vom 1. Juli 2004 ist in
diesem Zusammenhang davon die Rede "im Falle der Klägerin wird vor allem davon
auszugehen sein, dass sie sich genauso wie ihr Vater bei allen Volkszählungen mit
deutscher Nationalität eingetragen hat". Ein konkreter Tatsachenvortrag ist dieser
61
hypothetisch gefassten Formulierung nicht zu entnehmen; abgesehen davon würde die
Angabe der deutschen Nationalität bei einer Volkszählung für sich genommen als
punktuelles Ereignis nicht genügen, um die Voraussetzungen für ein Bekenntnis "auf
andere Weise" auszufüllen.
Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag ist ein konkreter
Tatsachenvortrag zu nachprüfbaren Umständen, die ein Bekenntnis "auf andere Weise"
ausfüllen könnte, nicht zu entnehmen. Außer der Angabe, die Klägerin habe bei
Volkszählungen nach 1964 die deutsche Nationalität eintragen lassen, bleibt völlig
offen, inwieweit sich die Klägerin nach außen als Deutsche bezeichnet hat, wie dies in
allgemeiner Form in dem Hilfsbeweisantrag behauptet wird; nähere Angaben zu den
angeblichen Volkszählungen sind nicht gemacht worden, so dass auch nicht
ansatzweise nachvollziehbar ist, inwieweit die Klägerin vor den Behörden trotz ihres
russischen Nationalitäteneintrags im Inlandspass als Deutsche wahrgenommen worden
ist, wie dies in dem Hilfsbeweisantrag allgemein behauptet wird. Abgesehen davon ist
auch dieser Hilfsbeweisantrag verspätet und wird vom Senat aus den bereits zum
weiteren Hilfsbeweisantrag genannten Gründen als solcher ebenfalls zurückgewiesen.
Auch insoweit ist nicht erkennbar, warum die Klägerin dazu nicht rechtzeitig hätte
vortragen können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO erfolgt.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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