Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.11.2006

OVG NRW: beratung, geschäftsordnung, ausschluss, öffentlich, reform, gemeinderat, rechtfertigung, kontrolle, option, hauptsache

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 2378/06
Datum:
07.11.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 2378/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 1 L 824/06
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des
Antragstellers,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Beratung
über die Handlungsempfehlungen der Gemeindeprüfungsanstalt in der Sitzung am 7.
November 2006 öffentlich durchzuführen,
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zu Recht abgelehnt. Auch aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen, allein
maßgeblichen Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -)
ist dem Antrag nicht stattzugeben. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers gemäß §
123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ist nicht glaubhaft
gemacht. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller einen im
Hauptsacheverfahren zu verfolgenden Anspruch darauf hat, dass der
Rechnungsprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 7. November 2006 zur Beratung
der Nummern Fi-9, Fi-25 und Fi-28 des Prüfberichtes der Gemeindeprüfungsanstalt
öffentlich verhandelt.
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Allerdings gilt grundsätzlich, dass die Ausschüsse des Rates öffentlich verhandeln (§§
48 Abs. 2 Satz 1, 58 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-
Westfalen - GO NRW -). Jedoch kann durch Geschäftsordnung die Öffentlichkeit für
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Angelegenheiten einer bestimmten Art ausgeschlossen werden (§§ 48 Abs. 2 Satz 2
i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 GO NRW). Das ist hier dadurch geschehen, dass nach § 6
Abs. 2 Buchst. f der Geschäftsordnung für den Rat und die Ausschüsse der Gemeinde
S. vom 26. Oktober 1999 die Öffentlichkeit in Sitzungen des Rates ausgeschlossen ist in
Angelegenheiten der Rechnungsprüfung mit Ausnahme der Beratung des
Prüfergebnisses (heute § 96 Abs. 1 GO NRW). Diese Vorschrift der Geschäftsordnung
gilt nach § 26 auch für die Ausschüsse.
Die hier in Rede stehende Erörterung des Prüfungsberichtes der
Gemeindeprüfungsanstalt zu den drei Punkten ist eine Angelegenheit der
Rechnungsprüfung: Nach § 105 Abs. 5 GO NRW legt der Bürgermeister den
Prüfungsbericht dem Rechnungsprüfungsausschuss zur Beratung vor. Dieser
Ausschuss unterrichtet den Rat über den wesentlichen Inhalt des Prüfungsberichts
sowie über das Ergebnis seiner Beratung. Entgegen der Auffassung des Antragstellers
kann die Zugehörigkeit der vorgesehenen Beratung zur Rechnungsprüfung nicht
deshalb verneint werden, weil Gegenstand auch die Empfehlungen der
Gemeindeprüfungsanstalt zu wirtschaftlicherer Verwaltungsführung sind. Spätestens
seit der Reform des überörtlichen Gemeindeprüfungsrechts mit der Einführung des
Prüfungspunktes der sachgerechten und wirtschaftlichen Verwaltungsführung (§ 105
Abs. 3 Nr. 3 GO NRW) gehören Empfehlungen dieser Art zum herausgehobenen
Gegenstand der überörtlichen Prüfung.
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Vgl. zu dieser Reform Schneider/Hamacher, Reform der überörtlichen Gemeindeprüfung
in NRW, StuGR 2002, Heft 9, S. 6 - 10.
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Insofern ist die überörtliche Gemeindeprüfung zukunfts- und nicht bloß
vergangenheitsbezogen.
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Der so nach der Geschäftsordnung angeordnete Ausschluss der Öffentlichkeit für
Beratungen des Rechnungsprüfungsausschusses in Angelegenheiten der
Rechnungsprüfung erscheint nicht überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig und damit
nichtig. Die Vorschrift findet ihre Grundlage im genannten § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW.
Er ermächtigt den Rat mit dem Ausschluss von "Angelegenheiten einer bestimmten Art"
zur Schaffung abstrakt-generell gefasster Ausschlusstatbestände, während § 48 Abs. 2
Satz 3 GO NRW den Ausschluss der Öffentlichkeit "für einzelne Angelegenheiten" auf
Antrag des Bürgermeisters oder eines Ratsmitglieds betrifft. Dem Wortlaut des § 48 Abs.
2 Satz 2 GO NRW sind allerdings keine inhaltlichen Kriterien dafür zu entnehmen, in
Angelegenheiten welcher Art der Gemeinderat die Öffentlichkeit durch die
Geschäftsordnung ausschließen darf. Wegen der großen Bedeutung des Grundsatzes
der Sitzungsöffentlichkeit ist hieraus aber nicht zu schließen, dass der Gemeinderat
insoweit keinen Bindungen unterläge. § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW setzt vielmehr
voraus, dass aus anderen Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in
welcher Art von Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -, Juris Nr. MWRE206012936, Rn.
66 bis 69.
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Diese Rechtfertigung des generellen Ausschlusses der Öffentlichkeit für
Angelegenheiten der Rechnungsprüfung zumindest im Rechnungsprüfungsausschuss
ergibt sich aus dem Wesen der Rechnungsprüfung. Bei der Rechnungsprüfung
allgemein handelt sich in erster Linie um eine gemeindeinterne verwaltungstechnische
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Kontrolle. Bei der überörtlichen Rechnungsprüfung in dem hier angesprochenen
Bereich geht es speziell um eine Bestandsanalyse und die Feststellung von
Handlungsoptionen für eine sachgerechtere und wirtschaftlicherere
Verwaltungsführung, die politische Entscheidungsalternativen vom Tatsächlichen her
erst erfassen, nicht aber bereits vorauswählen oder gar festlegen sollen. Es besteht ein
legitimes Interesse des Gemeinwohls, dass dieser Vorgang auf einer analytisch-
sachlichen Ebene verbleibt und nicht bereits in frühem Stadium in die auch
interessenorientierte öffentliche Diskussion mit der Folge gelangt, dass möglicherweise
Handlungsoptionen nicht hinreichend gewürdigt werden. Ein derartiges
Gemeinwohlinteresse findet gesetzlich z.B. Ausdruck darin, dass das
Informationsfreiheitsrecht Entscheidungsvorbereitungen unter bestimmten
Voraussetzungen von dem grundsätzlich eingeräumten öffentlichen Informationszugang
ausschließt (§ 7 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen und § 4 Abs. 1
des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes).
Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 17. Mai 2006 - 8 A 1642/05 -, NWVBl. 2006, 292 (294).
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Angelegenheiten der Rechnungsprüfung werden daher in der Literatur auch als ein
Standardbeispiel für "Angelegenheiten einer bestimmten Art" genannt, für die die
Öffentlichkeit generell ausgeschlossen werden kann.
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Vgl. Held/Plückhahn, Kommunalverfassungsrecht, Loseblattsammlung (Stand:
Dezember 2005), § 48 Anm. 12 Buchst. g; Rehn/Cronauge/von Lennep, GO NRW,
Loseblattsammlung (Stand: Oktober 2004), § 48 Anm. V.2.f); Geiger, in: Articus/
Schneider (Hrsg.), GO NRW, 2. Aufl., § 48 Anm. 7; kritisch, aber ohne das hier genannte
Schutzgut zu behandeln, von Arnim, Öffentlichkeit kommunaler Finanzkontrollberichte
als Verfassungsgebot, Gemhlt. 1981, 258 ff.
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Der Antragsteller verkennt die Aufgabe des Rechnungsprüfungsausschusses, wenn er
meint, es könnten auf diese Weise gewichtige politische Entscheidungen unter
Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen werden. Solche Entscheidungen hat der
Rechnungsprüfungsausschuss nicht zu treffen. Seine Aufgabe besteht darin, zu den
Empfehlungen der Gemeindeprüfungsanstalt tatsächliche Optionen unter
Herausarbeitung von Aufwand und Ertrag zu erarbeiten. Die politische Bewertung und
Entscheidung zur Umsetzung einer Option obliegen den Fachausschüssen und dem
Rat. Es ist nicht erkennbar, dass der hier in Rede stehende Gegenstand der Sitzung des
Rechnungsprüfungsausschusses einen anderen als diesen zulässigen Inhalt hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 des
Gerichtskostengesetzes. Dabei sieht der Senat von einer Minderung des im
Hauptsacheverfahren gemäß Nr. 22.7 des Streitwertkataloges anzusetzenden
Streitwertes von 10.000,-- Euro ab, weil durch das vorliegende Verfahren die
Hauptsache vorweggenommen wird.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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