Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.06.2008

OVG NRW: beachtliche gründe, eltern, erlass, pauschal, ergänzung, schüler, dokumentation, sorgfalt, leistungsklage, abrede

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 609/08
Datum:
02.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 609/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 1 L 198/08
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR
festgesetzt.
Gründe:
1
Die Beschwerde ist zurückzuweisen, weil die Beschwerdegründe, auf deren Prüfung
das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht
durchgreifen oder das Beschwerdevorbringen den Darlegungsanforderrungen des
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§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügt.
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Es kann dahinstehen, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO) entsprechend der Auffassung des Verwaltungsgerichts unzulässig
ist. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet, weil der Antragsteller einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Der von ihm geltend gemachte
Anspruch auf Neubewertung seiner für die Kompetenzbereiche Leistungsbereitschaft,
Zuverlässigkeit und Sorgfalt, Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und
Kooperationsfähigkeit relevanten Leistungen besteht nicht. Er hat die Bewertungen im
Zeugnis vom 18. Januar 2008 nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
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Unerheblich ist der Vortrag des Antragstellers, er habe die im Bericht des Schulleiters
vom 29. Februar 2008 angeführten Vorfälle im Einzelnen korrigiert und widerlegt. Der
Bericht des Schulleiters enthält keine Begründung der angefochtenen Noten für das
Arbeits- und Sozialverhalten (sog. Kopfnoten). Die Begründung der Kopfnoten hat der
Antragsgegner erstmals im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 19. Mai 2008
vorgelegt.
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Die Einwände des Antragstellers gegen die mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 19.
Mai 2008 vorgelegte Bewertungsbegründung sind unsubstantiiert.
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Soweit die Note befriedigend für den Kompetenzbereich Zuverlässigkeit und Sorgfalt
damit begründet wird, dass der Antragsteller zur ersten Stunde und vor allem aus den
Pausen in der Regel unpünktlich gekommen sei, ist dies nicht zu beanstanden. In dem
Bericht des Schulleiters vom 29. Februar 2008 heißt es nicht ausdrücklich, dass der
Antragsteller nur in den Wochen bis Weihnachten 2007 zu spät aus der Pause
gekommen sei. Dies lässt sich, wie der Antragsteller offenbar meint, auch nicht daraus
schließen, dass in dem Bericht des Schulleiters für die Zeit nach Weihnachten 2007
kein weiteres Fehlverhalten des Antragstellers aufgeführt wird. Zum einen enthält der
Bericht keine abschließende Dokumentation des Fehlverhaltens des Antragstellers im
ersten Halbjahr des Schuljahres 2007/08. Denn in dem Bericht des Schulleiters heißt
es, er habe das Verhalten des Antragstellers chronologisch aufgelistet, soweit es von
den Lehrerinnen der Klasse „festgehalten" worden sei. Bei summarischer Prüfung bringt
die Formulierung „festgehalten" zum Ausdruck, dass der Schulleiter lediglich (schriftlich)
dokumentierte Vorfälle anführt. Damit ist nicht auszuschließen, dass es über den Bericht
des Schulleiters hinaus weitere Vorfälle, insbesondere Unpünktlichkeiten, gegeben hat.
Zum anderen umfasst der Zeitraum vom Beginn des Schuljahres 2007/08 bis
Weihnachten 2007 in zeitlicher Hinsicht den wesentlichen Teil des ersten Halbjahres
des Schuljahres 2007/08. Vor diesem Hintergrund spricht bei summarischer Prüfung
Überwiegendes dafür, dass die Bewertungsbegründung, der Antragsteller sei „in der
Regel" unpünktlich gewesen, auch dann zutrifft, wenn es in der (kurzen) Zeit nach Ende
der Weihnachtsferien bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres keine weiteren
Unpünktlichkeiten gegeben haben sollte.
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Die Begründung der Note befriedigend für den Kompetenzbereich
Verantwortungsbereitschaft ist ebenfalls nicht zu beanstanden. In der Begründung heißt
es unter anderem:
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„Bei Konflikten während der Pausenzeiten und im Unterricht bei Gruppenarbeiten
gelang es ihm über einen langen Zeitraum des ersten Halbjahres noch nicht seinen
Anteil einzusehen und dafür auch gerade zu stehen. Bei Streitfällen wurde die Schuld
immer zuerst bei anderen gesucht. Wenn es zu Stellungnahmen anderer Kinder kam,
die den Streit mitverfolgt hatten, ließ er deren Meinung nicht zu und entzog sich dem
klärenden Gespräch. Erst mit zeitlicher Verzögerung und in einem ‚vier Augengespräch'
war ein Überdenken mit K. möglich. Leider hielt die Einsicht nicht lange an."
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Die Auffassung des Antragstellers, diese Begründung betreffe das Konfliktverhalten,
nicht aber die Verantwortungsbereitschaft, trifft nicht zu. Nach den Vorgaben in der
Handreichung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-
Westfalen „Dokumentation des Arbeits- und Sozialverhaltens, Würdigung
außerunterrichtlichen und außerschulischen Engagements", S. 12 (Beiakte Heft 1), sind
für den Kompetenzbereich Verantwortungsbereitschaft unter anderem folgende
Indikatoren maßgeblich: Die Schülerinnen und Schüler „sind bereit für das eigene
Handeln und die Arbeitsergebnisse einzustehen", „erkennen unterschiedliche Ideen an;
tragen dazu bei, eine gemeinsam getragene Lösung zu finden", „übernehmen
Verantwortung für eigene Misserfolge und suchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, nach
Bewältigungsstrategien", und „vertreten die Interessen anderer, auch wenn sie sich nicht
vorrangig mit den eigenen Bedürfnissen decken". Es liegt auf der Hand, dass das in der
Begründung der Bewertung des Kompetenzbereichs Verantwortungsbereitschaft in
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Bezug genommene Verhalten des Antragstellers diesen Indikatoren zuzurechnen ist. Es
liegt entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keine „doppelte negative"
Berücksichtigung seines Verhaltens vor. Die Begründung der Note unbefriedigend für
den Kompetenzbereich Konfliktverhalten knüpft an andere Aspekte an als diejenigen,
die bei dem Kompetenzbereich Verantwortungsbereitschaft zugrunde gelegt worden
sind. Abgesehen davon ist die „doppelt negative" (oder auch positive) Berücksichtigung
eines Verhaltens nicht von vornherein unzulässig. Es kann bei mehreren Kopfnoten
berücksichtigt werden, soweit sich aus dem Verhalten Rückschlüsse auf mehrere
Kompetenzbereiche ziehen lassen. Das ist in Bezug auf das im Bericht des Schulleiters
vom 29. Februar 2008 abgeführte Fehlverhalten des Antragstellers der Fall.
Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang weiter geltend macht, er habe die
bei der Bewertungsbegründung zugrunde gelegten Vorfälle bestritten, nimmt er lediglich
Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen. Eine derartige Bezugnahme genügt den
Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht. Danach sind die
Beschwerdegründe in der Beschwerdeschrift dazulegen.
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Der Antragsteller macht darüber hinaus ohne Erfolg geltend, die zugrunde gelegten
Vorfälle seien nur pauschal angeführt und nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Darin
liegt kein Begründungmangel. Der Umfang des Anspruchs des Schülers und seiner
Eltern auf Begründung einer Leistungsbewertung hängt davon ab, ob sie eine
Begründung verlangen, wann sie dies tun, welches Begehren sie damit verfolgen und
mit welcher Begründung dies geschieht. Erst durch eine solche Spezifizierung wird aus
dem allgemeinen Anspruch des Schülers und seiner Eltern auf Begründung der
Bewertung schulischer Leistungen ein konkreter Anspruch.
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Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2002 - 19 B 575/02 -, m. w. N.
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Für die Begründung der sog. Kopfnoten gilt nichts anders. Die Schule ist nicht
verpflichtet, in jedem Fall eine schriftliche oder auch nur mündliche Begründung der
Bewertung der einzelnen Kompetenzbereichen ohne Rücksicht darauf zu geben, ob
Einwände erhoben werden. Es ist vielmehr Sache des Schülers und seiner Eltern, eine
dahingehende Begründung oder die Ergänzung einer bereits vorliegenden Begründung
zu verlangen. Für das Verlangen auf Ergänzung einer bereits erfolgten Begründung
genügt es regelmäßig nicht, diese als zu pauschal zu kritisieren. Der Schüler und seine
Eltern müssen vielmehr darlegen, in welchen konkreten Punkten sie eine
weitergehende Begründung begehren. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des
Antragstellers nicht. Er hat sein Verlangen nach weitergehender Begründung nicht
näher spezifiziert. Soweit er insbesondere mit seinem Einwand, die zugrunde gelegten
Vorfälle seien nicht hinreichend glaubhaft gemacht, zugleich einen materiellen
Bewertungsfehler rügt, indem er die der Bewertung zugrunde liegende
Tatsachengrundlage in Abrede stellt, genügt sein Vortrag, wie bereits dargelegt, den
Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht. Er hat die
Tatsachengrundlage im Beschwerdeverfahren nicht konkret in Zweifel gezogen.
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Lediglich ergänzend weist der Senat mit Blick auf den Vortrag des Antragsgegners, die
angefochtenen Kopfnoten seien keine Verwaltungsakte, darauf hin, dass diese Frage für
die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine Relevanz
hat. Sie hat allein für die sich im Klageverfahren stellende Frage Relevanz, ob die Klage
als Verpflichtungsklage oder als allgemeine Leistungsklage statthaft ist. In beiden Fällen
ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen
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Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO). Die
Verneinung des Verwaltungsaktscharakters hätte auch nicht zur Folge, dass die
Kopfnoten keiner verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegen.
Weiter weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht beachtliche Gründe für
die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses angeführt hat. Die Auffassung des
Verwaltungsgerichts dürfte jedoch nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts stehen. Dieses hat zur Zulässigkeit einer
Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Nichtversetzung eines Schülers ausgeführt,
im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts könne typischerweise nicht
abgesehen werden, ob die Nichtversetzung Auswirkungen auf den weiteren
schulischen und sonstigen Lebensweg des Schülers habe. Es reiche deshalb
regelmäßig aus, dass nachteilige Auswirkungen nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt
der Entscheidung des Gerichts nicht auszuschließen seien.
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BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 6 B 61.06 -, juris, Rdn. 5.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze spricht Überwiegendes für ein
Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, weil nicht auszuschließen ist, dass die im 4.
Schuljahr erteilten Kopfnoten für seinen weiteren Werdegang von Bedeutung sind. Im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann niemand derzeit die
Relevanz der Kopfnoten für den weiteren Werdegang verlässlich ausschließen. Im
vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Kopfnoten teilweise an (erhebliches)
schulisches Fehlverhalten des Antragstellers anknüpfen. Dieses Fehlverhalten kann
Bedeutung haben etwa für erzieherische Maßnahmen der jetzt besuchten Realschule
oder auch in einem sonderpädagogischen Förderverfahren, wenn der Antragsteller sein
von dem Antragsgegner angeführtes Fehlverhalten fortsetzen sollte. Denn bei
erzieherischen Maßnahmen und in einem sonderpädagogischen Förderverfahren ist
regelmäßig auch früheres schulisches (Fehl-) Verhalten in den Blick zu nehmen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1
Satz 5 GKG).
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