Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.09.1989

OVG NRW (gemeinde, einleitung, lwg, abgabe, verursacherprinzip, einziehung, begründung, höhe, abgabepflicht, verwaltungsgericht)

Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 402/88
Datum:
20.09.1989
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 402/88
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 8 K 945/87
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 16. August
1985 und 6. Februar 1987 verpflichtet, der Klägerin die mit Bescheiden
vom 1. Februar 1985 und 8. März 1985 festgesetzte Abwasserabgabe für
die Einleitungsstelle der Elektrochemischen Fabrik ... GmbH für die
Veranlagungsjahre 1982 und 1983 zu erlassen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Erlaß der Abwasserabgabe, die die Klägerin
für die Einleitung von Schmutzwasser durch die Elektrochemische Fabrik ... GmbH
(ECF) in den S. für die Veranlagungsjahre 1982 und 1983 an den Beklagten entrichten
soll.
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Bis zum Jahre 1984 leitete die ECF leicht erwärmtes, geringfügig verunreinigtes
Betriebsabwasser und Oberflächenwasser in den S. ein. Bereits mit Schreiben vom 27.
Februar 1981 an den Regierungspräsidenten ... hatte die Klägerin beantragt, hinsichtlich
dieser Einleitung von ihrer Abwasserbeseitigungspflicht gemäß §53 Abs. 4 des
Landeswassergesetzes - LWG - befreit zu werden. In einer Stellungnahme vom 8. März
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1983 zu diesem Antrag führte das Staatliche Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft ... aus,
daß die Abwässer wegen der Menge und der niedrigen Verschmutzung für eine direkte
Vorfluteinleitung vorzusehen seien. Da über das Vermögen der EFC am 6. November
1984 das Vergleichsverfahren eröffnet wurde und am 28. Januar 1985 die Eröffnung des
Anschlußkonkurses folgte, wurde über den Antrag der Klägerin nicht abschließend
entschieden.
Durch Bescheid vom 1. Februar 1985 zog der Beklagte die Klägerin zu einer
Abwasserabgabe für das Jahr 1982 in Höhe von 376,20 DM für die Einleitung der ECF
heran. Durch Bescheid vom 8. März 1985 setzte der Beklagte die Abwasserabgabe für
das Jahr 1983 für diese Einleitung auf 5.649,60 DM fest. Gegen beide Bescheide legte
die Klägerin Widersprüche ein, über die der Beklagte noch nicht entschieden hat.
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Am 6. Mai 1985 beantragte die Klägerin beim Beklagten den Erlaß der
Abwasserabgabe für die Einleitung durch die ECF in den Jahren 1982 und 1983. Sie
führte zur Begründung aus, daß mit Sicherheit nicht damit zu rechnen sei, daß sie die
Abwasserabgabe auf die ECF abwälzen könne. Es sei deshalb unbillig, diesen Betrag
von ihr einzuziehen. Durch Bescheid vom 16. August 1985 lehnte der Beklagte den
beantragten Erlaß ab. Zur Begründung führte er aus, daß eine Unbilligkeit nicht vorliege,
da grundsätzlich die Gemeinde abgabepflichtig sei. Diese Abgabepflichtigkeit werde
durch den Konkurs des Einleiters nicht berührt. Im übrigen seien der Klägerin seit 1981
die Grundlagen der Abgabenfestsetzung hinsichtlich der Einleitung bekannt. Für die
Klägerin habe deshalb die Möglichkeit bestanden, die Abwälzung der Abwasserabgabe
auf den Einleiter durch Vorauszahlungen sicherzustellen. Der Widerspruch der Klägerin
blieb ohne Erfolg.
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Zur Begründung Ihrer beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat die Klägerin sich
auf ihr bisheriges Vorbringen berufen und darüber hinaus ausgeführt: Sie hätte
gegenüber der ECF keine Vorausleistungen geltend machen können, da der Beklagte
ihr gegenüber keine Vorausleistungen erhoben habe. Es habe deshalb keine
Abgabepflicht bestanden, die sie hätte abwälzen können.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. August 1985 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 1987 zu verpflichten, die mit
Bescheiden vom 1. Februar und 8. März 1985 festgesetzte Abwasserabgabe zu
erlassen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat vorgetragen, daß für das Jahr 1981 die Abwasserabgabe mit Bescheid vom 23.
November 1982 erhoben worden sei. Aus diesem Bescheid hätte die Klägerin die
ungefähre Höhe der Abgabe für die Folgejahre errechnen können. Sie wäre also in der
Lage gewesen, Vorausleistungen für die Jahre 1982 und 1983 zu erheben. Oa sie dies
unterlassen habe, habe sie es selbst zu vertreten, daß sie die Abwasserabgabe wegen
Konkurses des Einleiters nicht mehr abwälzen könne.
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Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Bezug genommen wird, hat das
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Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung trägt die Klägerin im wesentlichen
vor: Das Abwasserabgabengesetz gehe davon aus, daß allein der Verursacher die
Abwasserabgabe zu entrichten habe. Das Verursacherprinzip gelte auch für das
Landeswassergesetz. So verpflichte §65 LWG die Gemeinden, die von ihnen
erhobenen Abgaben auf die Einleiter abzuwälzen. Mit dieser Pflicht stehe im Einklang,
daß in den Gesetzesmaterialien zu den Kosten der Regelung ausgeführt sei, daß bei
den Gemeinden lediglich der Verwaltungsaufwand verbleibe, der darin bestehe, die
zunächst vorzuleistene Abwasserabgabe auf die Einleiter umzulegen. Damit trage auch
das Landeswassergesetz dem Verursacherprinzip in vollem Umfang Rechnung. Hinzu
komme, daß der Gemeinde gegenüber dem Einleiter keinerlei Kontroll- oder
Einflußmöglichkeit zustehe. Es sei ihr nicht möglich, die Schadstofffracht in den
Einleitungen zu mindern. Zu berücksichtigen sei auch die derzeitige
Veranlagungspraxis des Beklagten. Da die Veranlagungsbescheide erst zwei oder drei
Jahre nach Ablauf des Veranlagungszeitraumes erlassen würden, trage die Gemeinde
das Risiko für die fortbestehende Leistungskraft des Einleiters, ohne daß ihr
irgendwelcher Einfluß auf die zeitliche Durchführung der Veranlagung zustehe. All dies
müsse dazu führen, daß bei Wegfall des Verursachers und daraus folgender fehlender
Abwälzungsmöglichkeit die Einziehung der Abwasserabgabe als sachlich unbillig
anzusehen sei.
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Die Klägerin beantragt - sinngemäß -,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag zu
erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er weist darauf hin, daß auch bei fehlender Abwälzungsmöglichkeit die Erhebung der
Abwasserabgabe gegenüber der Gemeinde nicht unbillig sei. Durch die Möglichkeit, die
Gemeinden anstelle der Einleiter heranzuziehen, habe der Landesgesetzgeber eine
selbständige Pflicht der Gemeinden zur Zahlung der Abwasserabgabe geschaffen. Dies
sei auch sachgerecht, weil die Höhe der Abgabe nicht zuletzt davon abhänge, in
welcher Weise die Gemeinden ihrer Abwasserbeseitigungspflicht nachkämen. Die
Abwasserabgabe diene als starker Anreiz, auch hinsichtlich der Direkteinleiter die
Reinhaltemaßnahmen zu verbessern. Es könne keinesfalls festgestellt werden, daß
durch die fehlende Möglichkeit der Klägerin, die von ihr geleistete Abgabe beim
Einleiter beizutreiben, der Zweck des Abwasserabgabengesetzes verfehlt werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im
übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der vom Beklagten und der
Klägerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung, über die der Senat gemäß §101 Abs. 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - im Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zu
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ändern. Der Beklagte ist unter Aufhebung seiner Bescheide vom 16. August 1985 und 6.
Februar 1987 zu verpflichten, der Klägerin die Abwasserabgabe für die Jahre 1982 und
1983 für die Einleitung der ECF zu erlassen. Denn die Klägerin wird durch die
Ablehnung des beantragten Erlasses in ihren Rechten verletzt (§113 Abs. 4 Satz 1
VwGO).
Die Verpflichtung des Beklagten zum Erlaß ergibt sich aus §80 Abs. 3 LWG. Nach
dieser Vorschrift kann die Festsetzungsbehörde die Abgabe ganz oder teilweise
erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese
Regelung ist im wesentlichen wortgleich mit §227 der Abgabenordnung 1977 - AO 77 -.
Deshalb sind die von der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift bzw. der
Vorgängervorschrift des §131 der Reichsabgabenordnung entwickelten Grundsätze
auch auf §80 Abs. 3 LWG anzuwenden. Danach kann die Unbilligkeit der Einziehung
sich aus sachlichen oder persönlichen Gründen ergeben. Eine Unbilligkeit der
Einziehung aus persönlichen Gründen, die unter anderem eine Erlaßbedürftigkeit
wegen mangelnder Leistungsfähigkeit voraussetzt, kommt bei der Klägerin nicht in
Betracht.
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Die Einziehung der Abwasserabgabe für die Jahre 1982 und 1983 ist jedoch aus
sachlichen Gründen unbillig. Eine sachliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die
Erhebung der Abgabe im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Abgabengesetzes
nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die
Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist und der gegebene Sachverhalt zwar den
gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Abgabenerhebung aber dennoch den Wertungen
des Gesetzgebers zuwiderläuft.
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Vgl. Hübschmann - Hepp - Spitaler, Abgabenordnung 1977, Kommentar, §227 Rdn. 15;
Tipke - Kruse, Abgabenordnung 1977, Kommentar, §227 Rdn. 19, beide mit weiteren
Nachweisen.
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Eine solche Situation ist im vorliegenden Verfahren gegeben. Der Senat ist der
Auffassung, daß es nicht dem Sinn und Zweck des Abwasserabgabengesetzes und des
Landeswassergesetzes und den darin niedergelegten Wertungen des Gesetzgebers
entspricht, wenn die Klägerin die Abwasserabgabe für die Einleitung der ECF entrichten
muß, obwohl sie diesen Betrag wegen des Konkurses des Einleiters nicht mehr auf den
Einleiter abwälzen kann.
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Auszugehen ist bei dieser Beurteilung von §9 Abs. 1 des Abwasserabgabengesetzes -
AbwAG -, wonach der Einleiter abgabepflichtig ist. In dieser Regelung kommt das
Verursacherprinzip, auf dem das Abwasserabgabengesetz beruht,
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vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 23. August 1989 - 2 A 1943/88 - unter Bezugnahme
auf Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 12. Februar 1988 - 4 C 24.85
-, ZfW 1988, 409 ff,
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deutlich zum Ausdruck. Dieses Verursacherprinzip wird durch die Regelung des §9 Abs.
2 Satz 1 und 2 AbwAG zwar durchbrochen, aber nicht beseitigt. Denn nach Satz 1 des
zweiten Absatzes können die Länder bestimmen, daß öffentlich-rechtliche
Körperschaften anstelle der Einleiter abgabepflichtig sind. Satz 2 sieht hinsichtlich der
Kleineinleiter eine solche Übertragung verbindlich vor. In diesen Bestimmungen liegt
aber keine endgültige Belastung der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und eine
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entsprechende Freistellung der Einleiter. Vielmehr dient die Heranziehung der
öffentlich-rechtlichen Körperschaften nur der Verwaltungsvereinfachung. Dies ergibt
sich aus §9 Abs. 2 Satz 3 AbwAG, wonach die Länder die Abwälzung der Abgabe
regeln. Daraus folgt, daß im Ergebnis die Abgabepflicht beim Verursacher verbleiben
soll.
Der Landesgesetzgeber hat in §64 Abs. 1 LÜG von der Ermächtigung des §9 Abs. 2
AbwAG Gebrauch gemacht. Er hat den Gemeinden auch für die Einleitungen die
Abgabepflicht auferlegt, für die sie gemäß §53 LWG abwasserbeseitigungspflichtig sind.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Landesgesetzgeber
mit der Bezugnahme auf die Abwasserbeseitigungspflicht für die Abgabepflicht nicht nur
einen formalen, sondern einen materiellrechtlichen Anknüpfungspunkt gewählt hat.
Deswegen könnte es gerechtfertigt sein, die Abwasserbeseitigungspflicht auch als
Kostentragungspflicht zu verstehen, so daß die Gemeinden die Abgabepflicht zumindest
in Einzelfällen endgültig selbst tragen müssen. Es kann aber nicht außer Betracht
bleiben, daß §65 Abs. 1 LWG auch für die Fälle des §64 Abs. 1 Satz 1 LUG eine
Abwälzungspflicht der Gemeinden vorsieht. Durch diese Bestimmung, die von einer
vollständigen und umfassenden Abwälzung ausgeht, wird die vom Verwaltungsgericht
angenommene materiellrechtliche Bedeutung des §64 Abs. 1 Satz 1 LWG praktisch
aufgehoben. Auch für die Fälle der Erhebung der Abgaben von den Gemeinden soll das
Verursacherprinzip bestehen bleiben. Trotz der Anküpfung an die
Abwasserbeseitigungspflicht soll letztlich nicht die Gemeinde, sondern der Einleiter als
alleiniger Verursacher die Abgabe tragen. Ob dies nicht ohnehin bundesrechtlich
geboten ist, weil das Verursacherprinzip des Abwasserabgabenrechts nicht verdrängt
werden darf und der Abwasserbeseitigungspflichtige hinsichtlich der von ihm nicht
betriebenen Einleitungen nicht als Verursacher angesehen werden kann, kann
dahingestellt bleiben. Jedenfalls widerspricht es der Zielsetzung der landesrechtlichen
Regelung, die Abwasserabgabe auch dann von der Gemeinde einzuziehen, wenn sie
wegen Zahlungsunfähigkeit des Einleiters bei diesem nicht Rückgriff nehmen kann.
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Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß die Gemeinde gemäß §53 LWG das
Recht und die Pflicht habe, auf die qualitative und quantitative Reduzierung der
Einleitung einzuwirken und dadurch in der Lage sei, ihre Abgabenlast zu reduzieren.
Solange eine Einleitung besteht, hat die Gemeinde keine rechtlichen Möglichkeiten, die
Einleitung zu kontrollieren oder gar auf die Abwasserqualität Einfluß zu nehmen. Ihr
steht ausschließlich die Möglichkeit zur Verfügung, durch den Bau von
Entwässerungsanlagen und die Ausübung des Anschluß- und Benutzungszwanges
gegenüber dem Einleiter dessen Einleitung die Grundlage zu entziehen. Solange die
dafür erforderlichen Voraussetzungen aber nicht geschaffen sind, fehlt der Gemeinde
jede Einwirkungsmöglichkeit. Hinzu kommt, daß zahlreiche Einleitungen von firmen gar
nicht für die Beseitigung in kommunalen Kläranlagen geeignet sind, so daß eine
Übernahme der Abwässer durch die Gemeinde nicht sinnvoll ist. Dies dürfte auch für die
hier zu beurteilende Einleitung gelten. Nach der Stellungnahme des Staatlichen Amtes
für Wasser- und Abfallwirtschaft war das Abwasser der ECF so gering verschmutzt, daß
es sich nicht zur Reinigung in einer biologischen Kläranlage eignete.
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Diese Auslegung der Regelungen des §64 Abs. 1 Satz 1 und §65 Abs. 1 LWG wird
durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. In der Begründung des Gesetzentwurfes der
Landesregierung (Landtagsdrucksache 8/2388) zu §64 wird ausgeführt, daß von der
Möglichkeit des §9 Abs. 2 AbwAG Gebrauch gemacht werde, weil die Gemeinden
abgabepflichtig seien müßten, soweit sie abwasserbeseitigungspflichtig seien. Zu §65
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heißt es dann aber, daß die Gemeinden verpflichtet seien, die Abwasserabgabe
abzuwälzen. Damit werde dem Verursacherprinzip Rechnung getragen. Dabei wird von
einer vollständigen Abwälzung ausgegangen, wie sich aus den Ausführungen zu den
zu erwartenden Kosten ergibt. Insoweit ist nur von einem zusätzlichen
Verwaltungsaufwand der Gemeinden die Rede, nicht dagegen von Abgaben, die die
Gemeinden im Ergebnis selbst zu tragen hätten.
Grundsätzlich ist es daher unbillig, eine Gemeinde anstelle des Abwassereinleiters zur
Abwasserabgabe heranzuziehen, wenn feststeht, daß die Gemeinde diese nicht mehr
auf den Abwassereinleiter abwälzen kann. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn
die Gemeinde es in vorwerfbarer Weise unterlassen hätte, die Abgabe beim Einleiter
beizutreiben. Für ein solches vorwerfbares Verhalten der Klägerin bestehen keine
Anhaltspunkte. Denn die Klägerin ist selbst erst durch Bescheide vom 1. Februar und 8.
März 1985 vom Beklagten zur Abwasserabgabe herangezogen worden. Bereits am 26.
Januar 1985 war jedoch der Anschlußkonkurs über das Vermögen der ECF eröffnet
worden. Entgegen der Ansicht des Beklagten hatte die Klägerin auch nicht die
Möglichkeit, den Einleiter heranzuziehen, bevor sie selbst einen Abgabenbescheid vom
Beklagten erhalten hatte.
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Die Möglichkeit von Vorauszahlungen, auf die der Beklagte sich beruft, bestand für die
Klägerin nicht. Denn Vorausleistungen auf eine künftige Abgabenschuld sah §6 KAG in
der in den Jahren 1982 und 1983 geltenden Fassung nicht vor.
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Vgl. Urteil des Senats vom 6. Februar 1986 - 2 A 3373/83 -, KStZ 1986, 192 - HStGZ
1986, 262 ff = Gemht 1986, 209 ff.
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Die Klägerin hätte allenfalls nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungsjahres gegen den
Einleiter eine vorläufige Festsetzung der abzuwälzenden Abwasserabgabe gemäß §12
Abs. 1 Nr. 4 b) KAG i.V.m. §165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vornehmen können. Dies war
der Klägerin aber nach den gegebenen Verhältnissen nicht zumutbar. Zum einen mußte
die Klägerin nicht damit rechnen, daß der Beklagte erst mehr als zwei Jahre bzw. mehr
als ein Jahr nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraumes seine Bescheide
erlassen werde. Denn den Heranziehungsbescheid für das Jahr 1981, für das erstmals
eine Abgabenpflicht bestand, hatte die Klägerin im November 1982, also vor Ablauf von
11 Monaten, erhalten. Sie mußte nicht damit rechnen, daß die späteren
Heranziehungen länger dauern würden. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß
entgegen dem Vortrag des Beklagten die Grundlagen für die Heranziehung nicht
festlagen. Denn die zu berücksichtigenden Schadeinheiten wurden vom Beklagten
zumindest in den Jahren 1982 und 1983 aufgrund durchgeführter Messungen gemäß §6
Abs. 1 AbwAG geschätzt. Dabei ergaben sich für das Jahr 1982 41.8 Schadeinheiten
während für das Jahr 1983 235,4 Schadeinheiten geschätzt worden sind. Hinzu kommt,
daß im Jahre 1982 der Abgabesatz gemäß §9 Abs. 5 AbwAG halbiert worden ist,
während diese Ermäßigung im Jahre 1983 nicht gewährt worden ist. Bei so
wechselnden Festsetzungsgrundlagen war die Klägerin nicht verpflichtet, von der
Möglichkeit des §165 Abs. 1 AO 1977 Gebrauch zu machen.
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Der Senat hat die Verpflichtung des Beklagten zum Erlaß auszusprechen und nicht
lediglich den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin erneut unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§113 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Zwar steht
der Erlaß gemäß §80 Abs. 3 LWG im Ermessen der Behörde. Ist jedoch die
Heranziehung zu einer Abgabe unbillig, so kommt als ermessensfehlerfreie
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Entscheidung allein der Erlaß der Abgabe in Betracht. Es liegt eine
Ermessensreduzierung auf Null vor.
Vgl. Beschluß des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
19. Oktober 1971 - GmS-OGB 3/70 -, DÖV 1972, 712 (713 f) = BStBl II 1972, 603 f.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §167 Abs. 2, §173 VwGO i.V.m. §708 Nr. 10,
§711 der Zivilprozeßordnung.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §132 Abs. 2 VwGO nicht
gegeben sind.
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