Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.01.1998
OVG NRW (kläger, pflicht zur duldung, verhältnis zu, grundstück, last, begründung, vollstreckung, verwaltungsgericht, zwangsvollstreckung, zahlung)
Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 87/94
Datum:
16.01.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 A 87/94
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 4701/92
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger seit Juni 1990 Eigentümer des Grundstücks H. Straße 5. in K. -M. , das an
der Ecke H. /J. straße liegt (Gemarkung M. Flur 2 Flurstück 222/3). Er ist
Rechtsnachfolger nach Frau K. M. , die das Grundstück aufgrund eines im März 1984
mit Frau D. M. geschlossenen Kaufvertrages erworben hatte.
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Nachdem die J. straße im Jahre 1964 mit den Teileinrichtungen Fahrbahn, Gehweg,
Straßenentwässerung, Beleuchtung und Parkfläche hergestellt worden war, zog der
Beklagte durch einen am 28. September 1982 zugestellten Bescheid vom 9. September
1982 Frau M. als Eigentümerin des genannten Grundstücks zur Zahlung eines
Erschließungsbeitrags für die J. straße von 9.298,93 DM heran. Den von Frau M.
erhobenen Widerspruch wies er durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1982 -
zugestellt am 14. Dezember 1982 - als unbegründet zurück. Gegen die Heranziehung
wurde keine Klage erhoben.
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Nachdem Frau M. lediglich 6.180,13 DM auf den geforderten Erschließungsbeitrag
gezahlt und zwei Vermögensverzeichnisse eingereicht hatte und nachdem mehrere
Vollstreckungsversuche insbesondere in den Jahren 1985, 1986 und 1990 wegen der
Restforderung 2.118,80 DM samt Nebenkosten fruchtlos geblieben waren, schlug der
Beklagte die Restforderung von 3.118,80 DM im März 1992 gegenüber Frau M. nieder.
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Unter dem 18. März 1992 erließ der Beklagte gegen den Kläger einen
Duldungsbescheid, durch den er ihn als Eigentümer des genannten Grundstücks zur
Zahlung des noch aufstehenden Betrages von 3.118,80 DM haftbar machte, ihm aufgab,
die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück wegen der darauf ruhenden öffentlichen
Last zu dulden und zugleich darauf hin wies, er könne die Zwangsvollstreckung
abwenden, wenn er den ausstehenden Erschließungsbeitrag innerhalb eines Monats
nach Zustellung des Duldungsbescheides zahle. Zur Begründung führte er u.a. aus, der
nicht beglichene Erschließungsbeitrag von 3.118,80 DM ruhe als öffentliche Last auf
dem Grundstück; alle Vollstreckungsmöglichkeiten einschließlich der Abgabe
eidesstattlichen Versicherung seien erfolglos geblieben. Den vom Kläger hier gegen
erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1992
als unbegründet zurück.
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Der Kläger hat am 12. August 1992 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen:
Der Duldungsbescheid sei rechtswidrig. Ihm sei nicht bekannt, ob der
Erschließungsbeitragsbescheid vom 9. September 1982 gegenüber der damaligen
Eigentümerin rechtmäßig erlassen worden sei, ob nicht bei seinem Erlaß bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Bestandskraft dieses Bescheides könne
ihm nicht entgegengehalten werden, da er an dem damaligen Verfahren nicht beteiligt
gewesen sei. Im übrigen sei Vollstreckungsverjährung mit Ende des Jahres 1987
eingetreten. Desweiteren habe der Beklagte einen möglicherweise gegebenen
Duldungsanspruch dadurch verwirkt, daß er es seit mehr als 10 Jahren unterlassen
habe, gegen die Beitragspflichtige vorzugehen und vorhandene
Vollstreckungsmöglichkeiten zu nutzen; so lasse das Vermögensverzeichnis der
Beitragspflichtigen vom 5. Juni 1985 Vollstreckungsmöglichkeiten (Grundstück,
Gesellschaftsbeteiligung und Forderungen) erkennen, die vom Beklagten nicht genutzt
worden seien. Schließlich lasse der Duldungsbescheid das erforderliche
Leistungsgebot inform einer Zahlungsaufforderung vermissen.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Duldungsbescheid des Beklagten vom 18. März 1992 und seinen
Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1992 aufzuheben.
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Der Beklagte hat sich hiergegen mit dem Klageabweisungsantrag gewandt und zur
Begründung vorgetragen: Wie sich aus der einschlägigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung ergebe, könne der Duldungspflichtige den an dem Beitragspflichtigen
ergangenen und bestandskräftig gewordenen Heranziehungsbescheid nicht erneut zur
Überprüfung stellen. Eine solche Überprüfung würde aber jedenfalls die Rechtmäßigkeit
der damaligen Heranziehung ergeben. Entgegen der Auffassung des Klägers enthalte
der angefochtene Duldungsbescheid die notwendigen Aufforderungen bezüglich einer
Zahlung durch den Kläger auf den geltend gemachten Restbetrag. Der
Duldungsbescheid sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zahlungsverjährung
rechtswidrig, da die Verjährungsfrist durch eine Reihe von Vollstreckungshandlungen
seit dem Jahre 1983 mehrfach unterbrochen worden sei. Ferner sei den eingereichten
Verwaltungsvorgängen ohne weiteres zu entnehmen, daß sehr wohl versucht worden
sei, auch Vollstreckungsmöglichkeiten im Hinblick auf Grundbesitz,
Gesellschaftsbeteiligungen und Forderungen zu nutzen; die Vollstreckungsversuche
seien jedoch in dieser Hinsicht ebenfalls ohne Erfolg geblieben, wie dem zuletzt unter
dem 22. August 1990 aufgestellten Vermögensverzeichnis der Beitragspflichtigen zu
entnehmen sei. Angesichts der unternommenen zahlreichen Vollstreckungsversuche
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seien auch keine Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Duldungsanspruchs
ersichtlich.
Gegen das ihm am 19. November 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. oder 21.
Dezember 1993 (Sonntag oder Montag) Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er
vor:
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Dem Verwaltungsgericht sei zwar in der Auffassung zu folgen, daß der im September
1982 erlassene Beitragsbescheid mangels endgültiger Herstellung der
Erschließungsanlage rechtswidrig gewesen und das eine Heilung des Fehlers nicht
eingetreten sei. Unzutreffend sei jedoch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, ihm
sei es verwehrt, sich auf die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu berufen. Das gelte
schon deswegen, weil der Heranziehungsbescheid nicht nur rechtswidrig, sondern auch
wichtig gewesen sei. Der Rechtsverstoß - Erlaß vor Fertigstellung der
Erschließungsanlage - sei nämlich für alle Beteiligten deutlich zu erkennen gewesen.
Zudem könne eine eventuelle Bestandskraft nur die an dem Heranziehungsverfahren
beteiligten Personen binden. Desweiteren könne auch die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, durch die Erschließung des Grundstücks seien ihm, dem Kläger,
Erschließungsvorteile zugeflossen, nicht nachvollzogen werden; diese Vorteile seien
nämlich allein der Voreigentümerin zugeflossen, wofür er deshalb auch einen höheren
Preis zu zahlen gehabt habe. Unzutreffend sei schließlich auch die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, dem Duldungsbescheid sei das erforderliche Leistungsgebot zu
entnehmen.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf die eingereichten Verwaltungsvorgänge, sein
Vorbringen im Verfahren erster Instanz und auf das angefochtene Urteil.
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Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht
in seinen Rechten verletzen. Zur Begründung nimmt der Senat auf die
Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 130b Satz 2 VwGO) und
bemerkt ergänzend, insbesondere in Würdigung des Berufungsvorbringens:
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Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt dem angefochtenen Duldungsbescheid kein
Element, das nach dem Gesetz zu einem rechtmäßigen Bescheid dieser Art gehört. Das
gilt insbesondere für das Leistungsgebot. Der Senat kann offenlassen, ob ein
rechtmäßiger Duldungsbescheid nicht nur die Feststellung der Duldungspflicht, sondern
auch die Aufforderung enthalten muß, die Vollstreckung in das Grundstück zu dulden
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(Leistungsgebot). Das Erfordernis eines Leistungsgebotes kann allerdings nicht aus
einer entsprechenden Anwendung des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO gefolgert, da diese
Vorschrift in § 12 Abs. 1 Nr. 6 KAG NW nicht in Bezug genommen ist. Das etwa aus § 6
Abs. 1 Nr. 1 VwVG NW herzuleitende Erfordernis eines Leistungsgebots auch im Falle
der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen betrifft jedenfalls nur die Pflicht zur
Duldung der Zwangsvollstreckung, nicht auch eine Zahlungspflicht, die das Gesetz dem
Duldungspflichtigen gerade nicht auferlegt.
Vgl. Tipke/Kruse, AO und FGO, 16. Aufl., § 191 AO Tz. 27; a.A. Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 4. Aufl., § 27 Rn. 9, der sich offenbar auf die
(allerdings zweideutige Formulierung bei Steenbock, Wesen und Inhalt von öffentlichen
Lasten, KStZ 1977, 209 (210), bezieht.
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Der angefochtene Bescheid enthält sowohl die erforderliche Feststellung der
Duldungspflicht wegen eines Betrages von 3.118,80 DM als auch das für den Beginn
der Vollstreckung ggf. erforderliche Leistungsgebot, die Zwangsvollstreckung in das
betroffene Grundstück wegen der darauf ruhenden öffentlichen Last zu dulden. Zudem
benennt er die dem Kläger gegebene Abwendungsbefugnis, die Zwangsvollstreckung
durch Zahlung des genannten Betrages innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Duldungsbescheides zu vermeiden.
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Der Erlaß des angefochtenen Duldungsbescheides begegnet auch insofern keinen
Bedenken, als entsprechend § 219 Satz 1 AO beim Duldungspflichtigen nur vollstreckt
werden darf, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des
Abgabenschuldners ohne Erfolg geblieben ist.
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Vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand: Juli 1997, § 191 Tz. 9;
Tipke/Kruse, a.a.O.
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Das zeigen die mehrfachen Versuche des Beklagten, Wege der Pfändung Befriedigung
für den restlichen Erschließungsbeitrag samt Nebenkosten zu erlangen. Angesichts des
im Vermögensverzeichnis vom 5. Juni 1984 enthaltenen Vermerks, hinsichtlich von
Ansprüchen aus dem Verkauf des Wohn- und Geschäftshauses müsse die Bilanz der
W. Baugesellschaft m.b.H. abgewartet werden, und angesichts des Vermerks im
Vermögensverzeichnis vom 1. Dezember 1988, die weitere Adresse der Firma L.
Wohnbau mit der letzten Anschrift V. -W. -Straße in K. sei nicht bekannt, ist nicht
erkennbar, daß der Beklagte ihm offenstehende Möglichkeiten versäumt hätte, im Wege
der Mobiliarvollstreckung zur Befriedigung seiner Restforderung aus dem
Erschließungsbeitragsbescheid gegen Frau M. zu gelangen. Zugleich lassen die (wenn
auch knappen) einschlägigen Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
erkennen, daß der Beklagte eine Ermessensentscheidung getroffen hat, den Kläger aus
der öffentlichen Last in Anspruch zu nehmen, anstatt nochmals weitere
Vollstreckungsversuche gegen Frau M. in Erwägung zu ziehen.
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Wie das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die einschlägige
Revisionsrechtsprechung
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vgl. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 1985 - 8 C 107.83 -,
DVBl. 1085, 624,
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zutreffend ausgeführt hat, steht aufgrund der Bestandskraft des Beitragsbescheides vom
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9. September 1982 - mag dieser auch rechtswidrig, aber nicht nichtig sein - auch im
Verhältnis zum Kläger fest, daß Frau M. einen Erschließungsbeitrag V. 9.298,93 DM
schuldete, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß der Kläger an dem damaligen
Abgabenfestsetzungs- und Erhebungsverfahren nicht beteiligt war. Der Senat kann
offenlassen, ob der Kläger ungeachtet dessen weiterhin einwenden kann, mangels
Entstehung einer sachlichen Beitragspflicht sei eine öffentliche Last nicht begründet
worden,
vgl. (dies bejahend) OVG Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 6. Dezember 1991 - 2 A
2161/90 - und OVG Niedersachsen, Urteil vom 15. September 1995 - 9 L 6166/93 -, ZKF
1997, 279; vgl. auch BVerfG, Beschluß (der 3. Kammer) vom 29. November 1996 - 2
BvR 1157/93 -, DVBl 1997, 482 (zur Notwendigkeit, den Haftungsschuldner im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit seinen Einwendungen gegen eine
Gewerbesteuer als Primärschuld anzuhören),
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oder ob ihm dies verwehrt ist, weil in der Feststellung einer persönlichen Beitragsschuld
zugleich notwendigerweise die Feststellung enthalten wäre, es sei eine sachliche
Beitragspflicht für das Grundstück entstanden,
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vgl. BVH, Urteil vom 1. März 1988 - VII R 109/86 -, BStBl 1988 II 408 (der
Duldungsschuldner sei mit allen Einwendungen gegen den Steuerbescheid
ausgeschlossen, die der Steuerschuldner bereits verloren hat).
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Denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die der Kläger im
Berufungsverfahren nicht in Zweifel gezogen hat und V. denen abzuweichen auch sonst
kein Anlaß gegeben ist, ist die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück des Klägers
mit dem Inkrafttreten der Erschließungsbeitragssatzung 1988 entstanden.
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Die Zahlungspflicht der Frau M. , V. der das (Fort)Bestehen der öffentlichen Last
abhängt, war bei Erlaß des angefochtenen Duldungsbescheides nicht untergegangen.
Zum einen wurde diese Zahlungspflicht nicht dadurch berührt, daß der Beklagte
unmittelbar vor Erlaß des Duldungsbescheides im März 1992 die Restforderung
niedergeschlagen hatte.
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Vgl. Klein/Orlopp, AO, 5. Aufl., § 262 Anm. 2.
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Zum anderen ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - durch die
mehrfachen Vollstreckungsversuche insbesondere in den Jahren 1986 und 1990 die
Zahlungsverjährung im Verhältnis zu Frau M. mehrmals unterbrochen worden, so daß
die fünfjährige Frist für die Zahlungsverjährung bei Erlaß des angefochtenen
Duldungsbescheides nicht abgelaufen war. Der Duldungsbescheid konnte demnach
noch im Jahre 1992 ergehen.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 167 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 10, 711 ZPO und § 132 Abs. 2 VwGO.
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