Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.05.2009
OVG NRW: aufschiebende wirkung, treppe, flachdach, ausnahme, bebauungsplan, konzept, bestandteil, befreiung, rechtswidrigkeit, interessenabwägung
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 1547/08
Datum:
08.05.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 1547/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1249/08
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage
2 K 5459/08 gegen den Rücknahmebescheid des Antragsgegners vom
17. Juli 2008 wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens I. und II. Instanz.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag nach
§ 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht stattgegeben.
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, die angefochtene
Rücknahmeverfügung sei weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich
rechtswidrig. Die hieran anknüpfende Interessenabwägung gehe zu Gunsten des
Antragstellers aus, so dass dieser in vorläufiger Ausnutzung der Baugenehmigung die
genehmigte Nutzung aufnehmen könne.
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Bereits die Einschätzung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der fehlenden
Offensichtlichkeit einer Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der angefochtenen
Rücknahmeverfügung vom 17. Juli 2008 begegnet Bedenken. Die
Rücknahmeverfügung ist darauf gestützt, dass die (zurückgenommene)
Baugenehmigung vom 29. Mai 2008 wegen Verstoßes gegen die Festsetzungen des
Bebauungsplans Nr. ............ der Stadt L. rechtswidrig sei. Jedenfalls ein Teil der als
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Bestandteil der genehmigten Außengastronomie zu wertenden Treppe liege im WB 1-
Bereich, in dem u.a. Gaststätten unzulässig seien. Eine ausnahmsweise Zulassung
nach Nr. 14 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans komme nicht in Betracht.
Auch lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht vor,
weil die Außengastronomie im WB 1-Bereich die Grundzüge der Planung berühre.
Der vom Antragsgegner angenommene Verstoß der Baugenehmigung gegen die
Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. .............. unterliegt keinem Zweifel. Von der
Wirksamkeit des Bebauungsplans ist nach dem rechtskräftigen Urteil des Senats vom
27. November 2006 - 7 D 118/05.NE - (BRS 70 Nr. 24) auszugehen, namentlich
hinsichtlich der hier in erster Linie interessierenden Feindifferenzierung der
festgesetzten besonderen Wohngebiete. In jenem Urteil ist lediglich der jeweils letzte
Halbsatz von Nr. 8 Buchstabe b und Nr. 14 - soweit er das besondere Wohngebiet
betrifft - der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans für unwirksam erklärt
worden, mithin der Text, dass Nebenanlagen und Einrichtungen von planungsrechtlich
zulässigen Schank- und Speisewirtschaften im Erdgeschoss und 1. Untergeschoss (nur)
dann als Ausnahme zugelassen werden können, "wenn sie nachweislich nicht zu einer
merkbaren Erhöhung der Immissionen (Lärm, Gerüche) in der näheren Umgebung des
jeweiligen Baugebietes führen und sonstige öffentliche Belange nicht entgegen stehen".
Die fehlende Rechtsgrundlage für diesen Textteil - zur Frage einer mangelnden
Bestimmtheit hat der Senat keine abschließende Aussage getroffen - gab keinen
Anlass, den Bebauungsplan insgesamt für unwirksam zu erklären. Hierzu heißt es in
dem Urteil des Senats vom 27. November 2006:
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"Die in den genannten textlichen Festsetzungen getroffenen Regelungen zur
ausnahmsweisen Zulässigkeit der dort angeführten Betriebe und Anlagen können auch
ohne die einschränkenden „wenn"-Sätze eine sinnvolle städtebauliche Ordnung
bewirken. Sie zielen darauf ab, die näheren Kriterien für die ausnahmsweise
Zulässigkeit schon im Plan konkret festzulegen. Ohne sie würden im Einzelfall noch die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu prüfen sein, wonach die Betriebe
und Anlagen jedenfalls unzulässig wären, wenn von ihnen Belästigungen oder
Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in
dessen Umgebung unzumutbar sind. Auch ohne die „wenn"-Sätze würden die
genannten textlichen Festsetzungen mithin nicht dazu führen, dass die von ihnen
erfassten Betriebe und Anlagen gleichsam uneingeschränkt ausnahmsweise zulässig
wären. Sie müssen sich vielmehr an der aus der konkreten Eigenart des Baugebiets -
hier des besonderen Wohngebiets mit seinen dezidiert festgesetzten
Feindifferenzierungen - abzuleitenden Zumutbarkeit für die Nachbarschaft messen
lassen."
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Ausgehend von der Wirksamkeit des Bebauungsplans steht außer Streit, dass
jedenfalls die genehmigte Treppenanlage teilweise in den WB 1-Bereich hineinragt, in
dem Schank- und Speisewirtschaften ausdrücklich ausgeschlossen sind. Dass die
Treppe als Bestandteil der Außengastronomie nicht der Ausnahmeregelung nach Nr. 14
der textlichen Festsetzungen - soweit diese nach dem vorerwähnten Urteil des Senats
wirksam ist - unterliegt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. So erstreckt sich
die zum Flachdach des eingeschossigen Gebäudes A. Straße 16 führende Treppe über
das Erdgeschoss hinaus. Des Weiteren spricht alles dafür, dass die Treppe als einziger
Zugang zur Außengastronomie auf dem Flachdach wesentlicher Bestandteil dieser
Nutzung und damit nicht nur eine Nebenanlage oder Einrichtung im Sinne von Nr. 14
der textlichen Festsetzungen ist, wie der Antragsgegner in der Beschwerdebegründung
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der Sache nach mit dem Argument angesprochen hat, die Außengastronomie könne nur
einheitlich mit der Errichtung und Benutzung der Treppe beurteilt werden.
Unter diesen Umständen scheidet eine aus dem Verstoß gegen den Bebauungsplan
folgende Rechtswidrigkeit der erteilten Baugenehmigung nur aus, wenn hinsichtlich der
im WB 1-Bereich unzulässigen Treppe eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt
werden könnte. Gegen eine solche Befreiungsmöglichkeit spricht hier bereits, dass sie
die Grundzüge der Planung berühren würde, wie im angefochtenen
Rücknahmebescheid ausdrücklich ausgeführt ist. Insoweit ist in der Tat davon
auszugehen, dass dem Bebauungsplan Nr. .............. ein "besonders anspruchsvolles
städtebauliches Programm" zugrunde liegt, wie der Antragsgegner in seiner
Beschwerdebegründung zutreffend hervorhebt. Das Konzept der Feindifferenzierungen
der festgesetzten besonderen Wohngebiete ist, wie der Senat in seinem vorerwähnten
Urteil vom 27. November 2006 ausgeführt hat, ersichtlich von der Zielsetzung getragen,
u.a. Schank- und Speisewirtschaften, die mit nachteiligen Auswirkungen auf die
Nachbarschaft verbunden sind, auf räumlich exakt begrenzte Bereiche zu konzentrieren,
um die Erhaltung und Fortentwicklung der Wohnnutzung im "L1. M. " nicht zu
beeinträchtigen. Dieses Konzept lässt es schwerlich zu, entlang der A. Straße
gastronomische Nutzungen, namentlich auch Außengastronomie mit ihrer für die
Nachbarschaft potenziell besonders beeinträchtigenden Qualität, im Wege der
Befreiung über den genau definierten und räumlich begrenzten WB 2-Bereich entlang
der Westseite der A. Straße hinaus in das Hintergelände vordringen zu lassen. Dies gilt
insbesondere für solche gastronomischen Betrieben zuzuordnenden Nutzungen, die
noch über das hinausgehen, was der Plangeber mit der textlichen Festsetzung Nr. 14
als Ausnahme ausdrücklich ermöglichen wollte.
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Der vom Verwaltungsgericht und auch dem Antragsteller betonte Aspekt, die von der
Nutzung der Treppe ausgehenden Lärmimmissionen seien gegenüber der
(eigentlichen) Außengastronomie auf dem Flachdach weniger gewichtig, geht
ersichtlich fehl. Als einziger Zugang zur Außengastronomie ist auch die Treppe,
namentlich wenn es um das Verlassen der Außengastronomie am späten Abend oder
gar in der Nachtzeit (bis 24.00 Uhr) geht, von beachtlichem Beeinträchtigungspotenzial.
Dies gilt umso mehr, als sie deutlich über die Rückfronten der an der A. Straße
befindlichen, auch zum Wohnen genutzten Häuser hinaus in das Hintergelände
vorrückt, das nach dem planerischen Konzept der Stadt L. gerade vor zusätzlichen
Beeinträchtigungen etwa durch gastronomische Nutzungen geschützt werden soll.
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Spricht hiernach viel, wenn nicht gar alles dafür, dass die dem Antragsteller erteilte
Baugenehmigung vom 29. Mai 2008 rechtswidrig ist, besteht kein Anlass, im Rahmen
der vom Senat vorzunehmenden Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung
seiner Klage gegen den Rücknahmebescheid wiederherzustellen. Dies gilt umso mehr,
als es im vorliegenden Fall nicht etwa um eine bereits seit längerem bestehende
Nutzung, sondern um die erstmalige Eröffnung einer bis weit in die Nacht hinein
zugelassenen Nutzung geht. Es ist dem Antragsteller zuzumuten, mit der vollständigen
Realisierung seines Vorhabens und der Ausnutzung der ihm erteilten, kurz danach aber
bereits wieder zurückgenommenen Baugenehmigung zuzuwarten, bis abschließend
über die Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheids entschieden ist. Sofern ihm durch
rechtswidriges Handeln des Antragsgegners ein Schaden entstanden ist, kann er
diesen nach allgemein geltenden Grundsätzen geltend machen.
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Im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers im Verwaltungsverfahren erscheint dem
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Senat der Hinweis angezeigt, dass sich keineswegs aus § 9 Abs. 2 Nr. 2 LImSchG
NRW ableiten lässt, Außengastronomie sei generell bis 24.00 Uhr dahin begünstigt, auf
benachbarte Wohnbebauung nach den für die Tagzeit maßgeblichen
Immissionsrichtwerten einwirken zu können. Namentlich auch die Bewohner von
besonderen Wohngebieten haben einen Anspruch darauf, in der nach allen
einschlägigen lärmtechnischen Regelwerken um 22.00 Uhr beginnenden Nachtzeit vor
unzumutbaren Lärmimmissionen geschützt zu werden. Die besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gelten auch in
besonderen Wohngebieten. Im vorliegenden Fall wird dies durch die vorstehend
dargelegten Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 27. November 2006 in
besonderem Maße deutlich.
Schließlich ist auch unerheblich, ob die nach dem Vorstehenden zumindest nahe
liegende Rechtswidrigkeit der vom angefochtenen Rücknahmebescheid erfassten
Baugenehmigung vom 29. Mai 2008 durch bauliche Modifikationen der Zugangstreppe
zur Außengastronomie auf dem Flachdach behoben werden könnte. Nach Aktenlage
würde die insoweit erörterte Lösung den Verstoß gegen die Festsetzungen des
Bebauungsplans nicht vollständig beheben. Im Übrigen begegnet die
bauordnungsrechtliche Zulässigkeit dieser geänderten Treppenanlage nach den
Ausführungen des Antragsgegners durchaus gewichtigen Bedenken. Es ist dem
Antragsteller zuzumuten, das Ergebnis der diesbezüglichen bauaufsichtlichen Prüfung
abzuwarten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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