Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.10.1997

OVG NRW (höhe, stadt, kläger, pauschalierung, vorschrift, ungültigkeit, bemessung, umlegung, vollstreckung, eigentümer)

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 1012/96
Datum:
01.10.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 1012/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 2273/92
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Heranziehungsbescheid des Stadtdirektors der Stadt V. vom 13.
Januar 1992, soweit darin Straßenreinigungsgebühren in Höhe von
mehr als 17,78 DM festgesetzt worden sind, in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1992 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten beider Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren
auf 78,74 DM festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Senat kann über die zulässige Berufung durch Beschluß gemäß § 130 a Satz 1
VwGO entscheiden, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche
Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten sind vorher hierzu gehört worden.
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Die zulässige Berufung ist begründet. Der Heranziehungsbescheid des
Rechtsvorgängers der Beklagten vom 13. Januar 1992, soweit er hier wegen der
Straßenreinigungsgebühren in Höhe von mehr als 17,78 DM zur Überprüfung gestellt
ist, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1992 ist rechtswidrig und
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verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Rechtswidrigkeit
des angefochtenen Bescheides folgt aber nicht aus dem Umstand, daß - wie die Kläger
geltend machen - der Gebührenmaßstab für Hinterlieger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 der
Satzung über die Straßenreinigung und die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren
(Straßenreinigungs- und Gebührensatzung) - SGS - der Stadt V. vom 4. Juli 1980 i.d.F.
der 14. Änderungssatzung vom 25. November 1991 nicht hinreichend bestimmt sei und
mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar sei. Vielmehr entspricht der modifizierte
Frontmetermaßstab der ständigen Rechtsprechung des Senats.
Vgl. grundlegend Urteil des Senats vom 28. September 1989 - 9 A 1974/87 -, NWVBl.
1990, 163.
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Auch gibt der vorliegende Fall keinen Anlaß, ein Änderung der Rechtsprechung
vorzunehmen.Die sich als Folge des von der Stadt V. gewählten modifizierten
Frontmetermaßstabs ergebende unterschiedliche Belastung der verschiedenen
Grundstückseigentümer je nach spezieller Lagegunst oder - mißgunst des Grundstücks
in bezug auf die gereinigte Straße ist im Interesse der notwendigen Pauschalierung und
Typisierung des Gebührenmaßstabes als eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes i.S.v. §
6 Abs. 3 Satz 2 KAG NW zur Ermöglichung einer praktikablen Gebührenerhebung
hinzunehmen.
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Auch Überlegungen, wonach ein privater Weg zwischen Grundstück und gereinigter
öffentlicher Straße eine selbständige (private) Erschließungsstraße i.S.d.
Erschließungsbeitragsrechts sein und damit die Erschließung des Grundstücks nach § 3
Abs. 1 StrReinG durch die öffentliche Straße ausschließen könnte, kommen bei einer
Länge des Gehlingsweges von etwa 40 m nicht zum Tragen.
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Vgl. Urteil des Senats vom 2. März 1990 -9 A 1647/88-, Urteilsabdruck S. 8.
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Der Gebührenbescheid ist aber deshalb rechtswidrig, weil § 6 Abs. 4 SGS i.d.F. der 14.
Änderungssatzung vom 25. November 1991 nicht als Rechtsgrundlage herangezogen
werden kann. § 6 Abs. 4 SGS fehlt es an einem wirksamen Maßstab zur Umlegung der
Kosten der Straßenreinigung nach dem Maß der Inanspruchnahme (vgl. § 6 Abs. 3 Satz
2 KAG NW).
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Die Verwendung des undifferenzierten Frontmetermaßstabes in § 6 Abs. 4 SGS
verbunden mit der gleichmäßigen Umlegung der Kosten der Winterwartung auf alle
Eigentümer, gleichgültig ob deren Grundstücke an sogenannten „A"- oder „B"-Straßen
liegen, ist unwirksam. Dies hat der Senat für das Jahr 1991 bereits durch Urteil vom 16.
September 1996,
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- 9 A 1888/93 -, DVBl. 1997, 509 = NWVBl. 1997, 271.
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festgestellt. Eine wesentliche Änderung der seinerzeit maßgeblichen tatsächlichen und
rechtlichen Umstände ist im Jahr 1992 nicht gegeben.
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Insbesondere läßt sich auch für das Jahr 1992 die in der Vorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 3
SGS in der Fassung der 14. ÄS liegende Ungleichbehandlung der Gebührenschuldner
bei der Bemessung der Straßenreinigungsgebühr, wonach jeder Gebührenpflichtige,
egal ob er mit seinem Grundstück an einer „A"-Straße oder an einer „B"-Straße liegt,
einen gleich hohen Anteil an der Winterwartung, nämlich 0,67 DM je Meter
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Grundstücksseite, tragen muß, mit sachlichen Gesichtspunkten wie den Grundsätzen
der Verwaltungspraktikabilität und Pauschalierung nicht rechtfertigen. Von den in der
Stadt V. insgesamt für das Jahr 1992 ermittelten 483.906 Frontmetern der
angeschlossenen Grundstücke entfallen 209.767 Frontmeter auf die sogenannten „A"-
Straßen und stellen damit eine nicht zu vernachlässigende Größe bei der Bemessung
der Gebühren dar.
Die fehlenden Differenzierung bei der Verteilung der Kosten der Winterwartung zulasten
der Eigentümer, deren Grundstücke an den „A"-Straßen liegen, und die damit
vorliegende Ungültigkeit des § 6 Abs. 4 Satz 3 SGS führt zur Ungültigkeit des § 6 Abs. 4
Satz 1 SGS, mithin zur Unwirksamkeit der gesamten Vorschrift. Denn zum einen ist die
erstmals mit der 13. Änderungssatzung eingeführte „Winterwartungsgebühr" keine
eigenständige Benutzungsgebühr, sondern wegen der Einheitlichkeit der
Straßenreinigung, die kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die Winterwartung
umfaßt (§ 1 Abs. 2 StrReinG; vgl. auch § 1 Abs. 3 SGS), nur ein untrennbarer Teil der
Straßenreinigungsgebühr.
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Vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 16. September 1996, a.a.O.
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Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Satzungsgeber, hätte er
von der Nichtigkeit der „Winterwartungsgebühr" gewußt, an dem generalisierenden
Maßstab ohne jede Einschränkung festgehalten hätte und damit einen Einnahmeausfall
zu Lasten der Stadtkasse selbst tragen wollte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 2 GKG.
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