Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2008

OVG NRW: arzneimittel, behandlung, verordnung, vorbeugung, diagnose, anpassung, behörde, schweigen, anwendungsbereich, vertrauensschutz

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 3567/06
Datum:
20.11.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 3567/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 9 K 3085/05
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 26. Juli 2006 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Antragsverfahren auf 50.000,-- EUR
festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Bei diesem Zulassungsgrund, der die
Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene
Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob
ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche
Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der vorinstanzlichen
Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h.
wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in
der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage
gestellt wird.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163;
BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; OVG NRW,
Beschluss vom 30. Juni 2008 - 13 A 2201/05 -.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die mit dem
Langantrag vorgenommene Änderung der Anwendungsgebiete habe als „Erweiterung
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der Anwendungsgebiete" gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG zur Neuzulassungspflicht in
Bezug auf das Arzneimittel geführt. Denn es liege eine Änderung des
Anwendungsbereichs und damit zwangsläufig auch eine Erweiterung der
Anwendungsgebiete vor. Die gegen diese Überlegungen vorgebrachten Einwände der
Klägerin vermögen nicht zu überzeugen.
Der rechtliche Ausgangspunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass eine
Verlängerung der fiktiven Zulassung („Nachzulassung") des Arzneimittels nicht mehr in
Betracht kommt, wenn dieses unzulässig geändert worden ist, trifft zu und wird von der
Klägerin auch nicht angegriffen; ebenso ist die Annahme richtig, die Beurteilung der
Zulässigkeit der Änderung habe auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Änderung
geltenden Rechts zu erfolgen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai 2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692, und - 3 C
15.07 -, A & R 2008, 184; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2008 - 13 A 4034/05 -
, juris, und vom 15. Juli 2008 - 13 A 1707/05 -, A & R 2008, 238.
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Des Weiteren wird auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, eine Erweiterung
der Anwendungsgebiete liege jedenfalls dann vor, wenn der bisherige
Anwendungsbereich des Arzneimittels verlassen worden sei, von der Klägerin nicht in
Frage gestellt. Es spricht im Übrigen einiges für ihre Richtigkeit. Das von dem
Verwaltungsgericht vorausgesetzte Verhältnis der Begriffe „Anwendungsgebiet" und
„Anwendungsbereich" entspricht auch der Rechtsprechung des Senats.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 13 A 744/06 -, juris.
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Die systematischen Überlegungen des Verwaltungsgerichts sind ebenfalls plausibel.
Sie werden im Übrigen durch die nach Vornahme der Änderung an dem Arzneimittel
eingetretene legislative Entwicklung des § 29 Abs. 2a und Abs. 3 AMG untermauert.
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Ausgangspunkt der Änderung des § 29 Abs. 2a Nr. 1 AMG im Jahre 1998 war die
(inzwischen außer Kraft getretene) Verordnung (EG) Nr. 541/95 vom 10. März 1995 über
die Prüfung von Änderungen einer Zulassung, die von einer zuständigen Behörde eines
Mitgliedstaats erteilt wurde. Gemäß Art. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz in Verbindung mit
Anhang II Nr. 2 dieser Verordnung wurden im Bereich der Anwendungsgebiete als
neuzulassungspflichtig eingestuft das „Hinzufügen einer Indikation in einem anderen
therapeutischen Bereich (Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe)" und die
„Verlagerung der Indikation in einen anderen therapeutischen Bereich (Behandlung,
Diagnose oder Prophylaxe)".
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Mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (1998) wurden sodann §
29 Abs. 2a Nr. 1 AMG um den Änderungstatbestand der Änderung der Angaben über
„die Anwendungsgebiete, soweit sie innerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs
erfolgt" und der zur Neuzulassungspflicht führende Tatbestand des § 29 Abs. 3 Nr. 3
AMG „Erweiterung der Anwendungsgebiete" zugleich um den Zusatz „soweit es sich
nicht um Änderungen nach Absatz 2a Nr. 1 handelt" ergänzt. Wenn der Gesetzgeber
indes meinte, sich zum Zwecke der inhaltlichen Anpassung an die genannte
Verordnung (Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 13/9996, S. 15) auf diese Modifikationen
beschränken zu können, ging er offensichtlich davon aus, dass die für die Anpassung
an die Verordnung maßgebliche Rechtsfolge einer grundsätzlichen
Neuzulassungspflicht bei der Hinzufügung von Indikationen in einem oder der
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Verlagerung von Indikationen in einen anderen therapeutischen Bereich sich aus dem
bisherigen Neuzulassungstatbestand „Erweiterungen der Anwendungsgebiete" ergab,
ohne dass es einer Klarstellung bedurfte.
Dasselbe gilt für die Änderungen im Rahmen des Zehnten Gesetzes zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes (2000). Auf Vorschlag des Gesundheitsausschusses wurde hier
eine „Präzisierung im Hinblick auf die EG-Verordnungen 541/95 und 542/95
herbeigeführt" (Ausschussbericht, BT-Drucks. 14/3320, S. 15), indem der Tatbestand
der lediglich zustimmungspflichtigen Indikationsänderung gemäß § 29 Abs. 2a Nr. 1
AMG nunmehr die Einschränkung erhält „soweit es sich nicht um die Zufügung einer
oder die Verlagerung in eine Indikation handelt, die einem anderen Therapiegebiet
zuzuordnen ist". Auch hier ging der Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass sich die
Neuzulassungspflicht von Indikationsänderungen, die in ein anderes Therapiegebiet
führen, ohne Weiteres aus dem Änderungstatbestand des § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG
„Erweiterung der Anwendungsgebiete" ergibt, ohne dass es insoweit einer
„Präzisierung" bedarf.
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Nach alledem ist nicht nur die Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine Änderung des
Anwendungsbereichs sei stets als eine „Erweiterung der Anwendungsgebiete" i. S. v. §
29 Abs. 3 Nr. 3 AMG (auch in früheren Gesetzesfassungen) anzusehen, zutreffend.
Darüber hinaus erweist sich auch die Annahme der Behörde, der Wechsel von einem
reinen Vorbeugemittel zu einem Mittel mit „krankheitswertiger Indikation" (so etwa die
Medizinische Stellungnahme der Gutachterin vom 2. April 2004, Bl. 246 des
Verwaltungsvorgangs) stelle eine unzulässige Änderung dar, als plausibel, weil die
Verordnung (EG) Nr. 541/95 gerade Änderungen, die den „therapeutischen Bereich
(Behandlung, Diagnose oder Prophylaxe)" berühren, als neuzulassungspflichtig ansah
und der Gesetzgeber eine Anpassung des § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG insoweit nicht für
erforderlich hielt.
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Soweit das Verwaltungsgericht in der Sache eine Änderung des Anwendungsbereichs
annimmt, hält der Senat dies auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin für
zutreffend.
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Die Formulierung des ursprünglichen Anwendungsgebietes „Vorbeugung gegen
Erkältungskrankheiten Stärkung der Abwehrkräfte" konnte, wie das Verwaltungsgericht
zu Recht hervorhebt, nur dahingehend verstanden werden, dass es sich um ein reines
Vorbeugemittel handelt. Denn dass das Mittel zur Behandlung einer konkreten
Krankheit, etwa einer bereits ausgebrochenen Erkältungskrankheit, verwendet werden
kann, wurde nicht ansatzweise deutlich. Der Patient musste also von einer einheitlichen
Indikation ausgehen, bei der die Stärkung der Abwehrkräfte im Zusammenhang mit der
Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten von Bedeutung ist. Eine separate Indikation
„Stärkung der Abwehrkräfte" anzunehmen und von der Indikation „Vorbeugung gegen
Erkältungskrankheiten" strikt zu trennen, wie von der Klägerin verlangt, ist nicht möglich,
denn eine separate Indikation „Stärkung der Abwehrkräfte" erscheint sinnentleert.
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Die Ansicht der Klägerin, die „Teilindikation" „Vorbeugung gegen
Erkältungskrankheiten" dürfe nicht mehr zur Auslegung der Anwendungsgebiete vor der
Änderung herangezogen werden, weil sie auf diese „Teilindikation" verzichtet habe, trifft
ersichtlich nicht zu. Die Auslegung der früheren Formulierung der Anwendungsgebiete
muss von dem gesamten früheren Text ausgehen. Versteht man diesen Text indes als
eine einheitliche Indikationsformulierung, bei der die „Stärkung der Abwehrkräfte" bei
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objektiver Betrachtung als eine Ergänzung oder Erläuterung der Formulierung
„Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten" anzusehen ist, so liegt auch der von der
Klägerin angeführte „Widerspruch" in der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vor.
Dem gegenüber wird mit der nunmehr vorliegenden Formulierung der
Anwendungsgebiete eine krankheitswertige Indikation in Anspruch genommen. Dies
ergibt sich unzweifelhaft aus der Verwendung des Wortes „bei". Soll das Präparat
nämlich gerade „bei Erkältungen, Schnupfen und grippalen Infekten" eingenommen
werden, so kann dies nur bedeuten, dass eine - zumindest unterstützende - Behandlung
dieser Krankheiten mit dem Arzneimittel in Betracht kommt. Warum das Arzneimittel
einerseits nicht der Behandlung der genannten Krankheiten, sondern allein der
Stärkung der Abwehrkräfte dienen soll, andererseits aber eine Konkretisierung
dahingehend sinnvoll war, dass die Anwendung gerade bei Vorliegen einer Erkältung,
eines Schnupfens oder eines grippalen Infekts sinnvoll sein soll, hat die Klägerin im
Übrigen nicht erläutert. Dass die jetzige Indikation auch von der Klägerin selbst als
Heilindikation verstanden worden ist, zeigt sich daran, dass die Klägerin seit der
Einreichung des Langantrags zum Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des
Arzneimittels stets auf die Monographie „Echinaceae pallidae radix" (BAnz Nr. 162 vom
29. August 1992) verwiesen hat. In dieser Monographie wird als - einziges -
Anwendungsgebiet indes die „unterstützende Therapie grippeartiger Infekte"
angegeben. Dies betrifft indes eine klare Heilindikation.
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Schließlich führt auch das Prinzip des Vertrauensschutzes nicht dazu, dass die
Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel verlängert werden kann. Es kann
dahingestellt bleiben, ob es angesichts des objektiv-rechtlichen Charakters
arzneimittelrechtlicher Vorschriften überhaupt auf Vertrauensschutz ankommen kann.
Jedenfalls muss die Klägerin sich entgegen halten lassen, dass es ihr - bzw. der
früheren Zulassungsinhaberin - oblegen hat, die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels
fortwährend zu erhalten. Wird ein Arzneimittel - wie hier - unzulässig geändert, treten die
Folgen kraft Gesetzes, mithin unabhängig von der Vorgehensweise der
Zulassungsbehörde ein.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2007, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.
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Im Übrigen setzt eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten voraus, dass von
der Beklagten ein Vertrauensschutztatbestand - d.h. ein Umstand, auf dessen Basis
Vertrauen entstehen kann - begründet worden ist. Insoweit kann dahinstehen, ob und
ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauensschutztatbestand durch „bloßes
Schweigen" begründet werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2007, a. a. O., mit weiteren Nachweisen.
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Hier wurde jedenfalls ein Vertrauensschutztatbestand zu Gunsten der Klägerin durch
„bloßes Schweigen" nicht begründet. Denn die Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde
im Anschluss an verschiedene Änderungsanzeigen in den Jahren 1993, 1994, 1997,
1999 und 2000 jeweils mit Schreiben des Bundesgesundheitsamts (BGA) oder des
Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) darauf hingewiesen, dass
mit der Entgegennahme der Änderungsanzeige eine abschließende fachliche
Beurteilung nicht verbunden sei. Auch hatte das BGA bereits im Rahmen der 6.
Bekanntmachung über die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7 AMRNOG vom
23. Oktober 1990 (BAnz. Nr. 206, S. 5827) darauf aufmerksam gemacht, dass eine
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materielle Überprüfung der Änderungsanzeigen für fiktiv zugelassene Arzneimittel
wegen des Sachzusammenhangs mit dem Nachzulassungsverfahren in vielen Fällen
erst nach Einreichung der Dokumentationen nach Art. 3 § 7 Abs. 4 Sätze 4 bis 7
AMRNOG erfolgen werde.
In diese Richtung auch Brixius/Schneider, Nachzulassungs und AMG-
Einreichungsverordnung, 2004, S. 66 f.
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Wenn die Behörden indes der Klägerin gegenüber deutlich gemacht haben, dass die
Entgegennahme einer förmlichen Änderungsanzeige kein positives Urteil über deren
Inhalt bedeutet, so konnte die Klägerin erst recht nicht davon ausgehen, dass die
erstmals mit formlosem Schreiben vom 13. September 1990 als „Korrektur" des
Kurzantrags vorgebrachte Änderung der Anwendungsgebiete - eine förmliche
Änderungsanzeige ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt - von den Behörden endgültig
akzeptiert worden ist. Nach alldem kann dahinstehen, ob für den Fall, dass
Vertrauensschutz zu gewähren wäre, überhaupt als Rechtsfolge die Verlängerung der
Zulassung in Betracht kommt oder nur ein Entschädigungs- oder
Schadensersatzanspruch.
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Die Berufung ist ferner nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), denn die von der Klägerin aufgeworfenen
Fragen lassen sich ohne Weiteres ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens
beantworten. Über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende,
verallgemeinerungsfähige Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der
Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung dienlich und in der Berufung
klärungsbedürftig und klärungsfähig sind, hat die Klägerin nicht aufgezeigt.
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Schließlich liegt auch kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO). Dass das Verwaltungsgericht nur auf solche Sach- und Rechtsfragen
eingegangen ist, die für seine Entscheidung von Bedeutung sind, ist entgegen der
Ansicht der Klägerin nicht zu beanstanden. Diese Beschränkung entspricht § 108 Abs. 1
S. 2 VwGO und unterscheidet die Urteilsgründe von einem Rechtsgutachten.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 47 Abs. 1 u. 3, 52
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Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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