Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.10.2003

OVG NRW (treu und glauben, grundstück, kläger, gebäude, dachgeschoss, rückbau, tiefe, lasten, höhe, balkon)

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 A 3223/01
Datum:
23.10.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 A 3223/01
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 2178/00
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung einer "Belassung", die der
Beigeladenen als seiner Grundstücksnachbarin im Jahre 1999 vom Beklagten nach
dem Ausbau ihres Hauses erteilt worden ist. Ferner zielt die Klage auf die Verpflichtung
des Beklagten zum Erlass einer Bauordnungsverfügung, mit der der Beigeladenen der
Rückbau ihres Hauses aufgegeben wird.
2
Der Kläger ist Eigentümer des in E. gelegenen und mit einem mehrgeschossigen
Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung V. , Flur 3, Flurstück 541 (F. straße 87).
Das in Form eines rechten Winkels errichtete Eckhaus grenzt mit einer Straßenfront im
Osten an die F. straße und mit der anderen Straßenfront im Norden an die von der F.
straße abzweigende L. straße an. Auch das westliche Nachbargrundstück Gemarkung
V. , Flur 3, Flurstück 540 (L. straße 53) grenzt mit seiner Straßenfront im Norden an die
L. straße an. Es steht im Eigentum der Beigeladenen und ist ebenfalls mit einem
mehrgeschossigen Wohnhaus bebaut. Die Häuser sind an der westlichen bzw.
östlichen Giebelwand aneinander gebaut. Sie haben jeweils vier Geschosse sowie ein
zusätzliches Dachgeschoss. Oberhalb des Dachgeschosses befindet sich im Gebäude
des Klägers noch ein Galeriegeschoss. Die Dachfirste der Gebäude liegen etwa auf
einer Höhe. Die Tiefe der beiden Gebäude ist - von der L. straße aus betrachtet - bis
zum dritten Obergeschoss nahezu identisch. Ab dem Dachgeschoss tritt die rückwärtige
3
Front des Gebäudes des Klägers gegenüber der Rückfront des der Beigeladenen
gehörenden Hauses, vor die vom Erd- bis zum Dachgeschoss noch fünf Balkone in
einer Tiefe von 1,50 m bis 1,70 m vorgebaut sind, um ca. 2 m zurück.
Die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen liegen nicht im Geltungsbereich
eines Bebauungsplans. Die Gebäude, die entlang des von der F. straße abzweigenden
Teils der L. straße (bis zu deren Kreuzung mit der Kronenstraße) vorhanden sind, sind
ohne seitlichen Grenzabstand errichtet.
4
Mit Baugenehmigung vom 20. Juli 1995 genehmigte der Beklagte der Beigeladenen
den Ausbau des Dachgeschosses sowie den Anbau von Balkonen an der Rückfront des
Gebäudes. Die Baugenehmigung sah die Errichtung eines Drempels von 1,00 m Höhe,
den Ausbau des Dachgeschosses sowie den Anbau von insgesamt fünf Balkonen - je
Geschoss einer - an der rückwärtigen Gebäudefront vor. Straßenseitig sollten drei
Zwerchhäuser mit einer Breite von jeweils 1,30 m für die äußeren und von 2,75 m für
das mittlere erstellt werden. Die rückwärtigen Balkone sollten in einem Abstand von 2 m
zum Grundstück des Klägers angebaut werden. Die rückwärtige Gebäudefront sollte
nach den genehmigten Bauvorlagen auf einer Breite von knapp 4,50 m um ca. 2,80 m
(inklusive des Drempels) erhöht werden. Für diesen Ausbau sahen die Bauvorlagen
einen seitlichen Grenzabstand von ebenfalls 2 m zum östlich gelegenen Grundstück des
Klägers und von 2,60 m zum westlichen Nachbargundstück vor.
5
Die Bauausführung erfolgte allerdings abweichend von der Baugenehmigung. Die
äußeren straßenseitigen Zwerchhäuser waren in einer Breite von jeweils 1,45 m statt
der genehmigten 1,30 m hergestellt, das mittlere in einer Breite von 4,20 m statt 2,75 m.
Ferner hielt der rückwärtige Dachgeschossausbau den vorgesehenen Abstand zum
Grundstück des Klägers nicht ein, sondern wurde bis zur Giebelwand durchgezogen;
der seitliche Grenzabstand der rückwärtigen Balkone zum Grundstück des Klägers
betrug statt der genehmigten 2,0 m lediglich etwa einen halben Meter. Den Antrag der
Beigeladenen, die abweichende Bauausführung durch einen Nachtrag zur
Baugenehmigung vom 20. Juli 1995 zu genehmigen, lehnte der Beklagte durch
Bescheid vom 28. Mai 1997 hinsichtlich der straßenseitigen Dachaufbauten ab. Im
Übrigen blieb der Nachtragsantrag zunächst unbeschieden. Mit Ordnungsverfügung
vom 25. Juni 1997 gab der Beklagte der Beigeladenen sodann den Rückbau des
mittleren straßenseitigen Zwerchhauses auf eine Breite von 2,40 m auf. Dieser
Verfügung kam die Beigeladene nach.
6
Am 26. Juni 1997 wandte sich der Kläger gegenüber dem Beklagten gegen die
durchgeführten Baumaßnahmen auf dem Grundstück der Beigeladenen. Er führte aus,
er gehe davon aus, dass abweichend von einer etwa erteilten Baugenehmigung gebaut
worden sei, weil die tatsächlich durchgeführte Baumaßnahme nicht genehmigungsfähig
sei. Sollte jedoch eine Baugenehmigung erteilt worden sein, die den bestehenden
Zustand legalisiere, so lege er gegen eine solche Baugenehmigung Widerspruch ein.
Mit Telefax vom 20. Oktober 1998 führte der Kläger nach Akteneinsicht ergänzend aus,
die seinerzeitigen Umbaumaßnahmen im Dachgeschoss seien nicht von der
Baugenehmigung vom 20. Juli 1995 gedeckt. Der beantragte Nachtrag sei nicht
genehmigt worden. Die grenzständige Ausführung des Dachgeschossausbaus verletze
die Abstandflächenvorschrift des § 6 Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
(BauO NRW) sowie das Gebot der Rücksichtnahme. Mit Telefax vom 3. Februar 1999
bat der Kläger um den umgehenden Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides. Mit
Schreiben vom 5. Mai 1999 führte der Kläger aus, seine vorgenannten Schreiben seien
7
seines Erachtens nicht nur als Schreiben im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens
anzusehen, sondern zugleich als konkludenter Antrag auf bauordnungsbehördliches
Einschreiten. Äußerst hilfsweise beantrage er ausdrücklich, bauordnungsrechtlich
gegen die grenzständige Ausführung des Dachgeschosses auf dem Nachbargrundstück
einzuschreiten. Mit Bescheid vom 16. Juli 1999 teilte der Beklagte der Beigeladenen
mit, dass der rückwärtige Dachausbau in der bestehenden Ausführung rechtmäßig
belassen werden könne. Zur Begründung führte er aus, dass der Dachausbau keine
seitliche Abstandfläche zum Grundstück des Klägers auslöse, weil in geschlossener
Bauweise ohne seitlichen Grenzabstand zu bauen sei. Die von dem Dachausbau
ausgehenden rückwärtigen Abstandflächen lägen zwar teilweise auf dem Grundstück
des Klägers. Dies habe der Kläger aber hinzunehmen, weil sein eigenes Wohngebäude
eine noch größere Abstandfläche auf das Grundstück der Beigeladenen werfe. Mit
Bescheid vom selben Tage lehnte der Beklagte gegenüber dem Kläger ein
ordnungsbehördliches Einschreiten zu Lasten der Beigeladenen ab. Zur Begründung
verwies er auf den Inhalt des beigefügten - an die Beigeladene adressierten -
Bescheides auf Belassung des baulichen Zustandes. Der hiergegen eingelegte
Widerspruch des Klägers ist bislang noch nicht beschieden worden.
Am 7. April 2000 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er im
Wesentlichen vorgetragen: Im Rahmen des grenzständigen Dachausbaus sei ein
Abluftrohr des in seinem Haus betriebenen Bistros zum Teil abgerissen, beschädigt und
nicht erneuert worden. Infolge dessen trete die Küchenabluft nicht oberhalb des Daches
aus, sondern in Höhe der Traufe. Dies führe zu erheblichen Geruchsbelästigungen der
Bewohner des Dachgeschosses seines Hauses. Die grenzständige Aufstockung des
Dachgeschosses sei ihm gegenüber auch baurechtlich rücksichtslos. Denn sie führe zu
einer erheblichen Verschlechterung der Licht- und Luftverhältnisse in den
Obergeschossen seines Hauses, das insoweit auf Grund seiner Ecklage ohnehin
benachteiligt sei. Im Übrigen sei das Vorhaben auch deshalb rücksichtslos, weil die
Bebauungstiefe - im Dachgeschoss sogar um ca. 5,60 m - größer sei als die seines
Hauses. Sein Grundstück sei auf Grund der Ecklage und der dadurch beschränkten
baulichen Ausnutzbarkeit besonders schutzbedürftig. Abgesehen davon sei die
rückwärtige Traufhöhe des Gebäudes der Beigeladenen in der näheren Umgebung
ohne Vorbild. Ferner löse der Dachaufbau gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW eine
seitliche Abstandfläche aus. Ein Grenzabstand sei nicht etwa nach § 6 Abs. 1 Satz 2 a
BauO NRW verzichtbar. Diese Bestimmung sei hier nicht einschlägig, weil sich der
Baukörper nach § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung nicht
einfüge. Zwar werfe auch sein Gebäude eine Abstandfläche auf das Grundstück der
Beigeladenen, die Abstandflächenverstöße seien aber nicht vergleichbar, weil ihn der
vom Grundstück der Beigeladenen ausgehende Abstandflächenverstoß in größerem
Maße beeinträchtige. Eine Bebauung seines Eckgrundstücks sei bei Einhaltung der
Abstandflächenvorschriften ausgeschlossen. Die Bebauung des Grundstücks der
Beigeladenen sei hingegen auch ohne Abstandflächenverstoß möglich.
8
Der Kläger hat beantragt,
9
die der Beigeladenen unter dem 16. Juli 1999 erteilte Belassung (Az. 31-BA-00935) für
das Wohngebäude L. straße 53, E. , aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der
Beigeladenen den Rückbau des rückwärtigen Dachgeschossaufbaus sowie den
Rückbau der rückwärtigen Balkone entsprechend der Baugenehmigung vom 20. Juli
1995 (Az. 4-6810-94) aufzugeben.
10
Der Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Der Beklagte hat im Wesentlichen ausgeführt: Das Vorhaben der Beigeladenen
verstoße nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Der Kläger könne sich auf den
vorliegenden Abstandflächenverstoß nicht berufen, weil sein Haus - sogar in weiter
gehendem Maße - zu Lasten der Beigeladenen die Abstandflächen nicht einhalte.
13
Die Beigeladene hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Klageantrag sei unbestimmt,
weil nicht klar sei, welche Baumaßnahmen ihr - der Beigeladenen - aufgegeben werden
sollten. Der Kläger könne sich auf den Abstandflächenverstoß nicht berufen, weil der
rückwärtige Teil seines Grundstücks durch eine Mauer abgetrennt und nicht zugänglich
sei. Etwaige mit der Ecklage verbundene Nachteile seines Grundstücks müsse der
Kläger hinnehmen, da er das Grundstück mit diesen Nachteilen erworben habe. In der
näheren Umgebung gebe es mehrere vergleichbare Dachaufbauten.
14
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das Urteil vom 18. Juni 2001 abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig,
soweit sie sich auf einen Rückbau der hofseitigen Balkone beziehe, weil insoweit ein
Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, weil
der etwaige Abstandflächenverstoß jedenfalls nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW
zwingend zur legalisieren sei. Das Vorhaben sei auch nicht bauplanungsrechtlich
rücksichtslos.
15
Der Kläger hat gegen das ihm am 3. Juli 2001 zugestellte Urteil am 3. August 2001 die
Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 16. Januar 2003 hat der Senat
die Berufung zugelassen. Der Beschluss ist dem Kläger am 23. Januar 2003 zugestellt
worden. Am 24. Januar 2003, einem Montag, hat der Kläger einen Berufungsantrag
gestellt und die Berufung unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens ergänzend im
Wesentlichen wie folgt begründet: Dass die grenzständige Ausführung des rückwärtigen
Dachgeschossausbaus wegen einer erheblichen Verringerung von Licht, Luft und freier
Sicht in die Außenwelt rücksichtslos sei, werde dadurch belegt, dass ein Mieter der
Dachgeschosswohnung bereits die Miete gemindert habe. Die vom Beklagten im
Ortstermin vom 12. August 2003 überreichte Abstandflächenübersicht sei fehlerhaft.
Gehe man davon aus, dass die Traufkante an der rückwärtigen Fassade des Gebäudes
der Beigeladenen in dem Bereich, wo der Dachgeschossausbau nicht vorgenommen
worden sei, eine Höhe von 16,30 m habe, so ergebe sich aus einem als Anlage
übersandten Foto, dass die Oberkante des Geländers des Balkones im Dachgeschoss
nicht - wie vom Beklagten zugrundelegt - ebenfalls bei 16,30 m, sondern vielmehr bei
17,52 m liege. Hiervon ausgehend habe die Oberkante des Dachgeschossausbaus eine
Höhe von etwa 20,60 m und nicht von 18,30 m. Soweit aus der unmittelbaren Nähe des
am Gebäude der Beigeladenen im Erdgeschoss vorgebauten Balkons zu dem nach
Westen ausgerichteten Fenster in seinem Gebäude Brandgefahren resultierten, sei zu
berücksichtigen, dass das genehmigte Fenster bereits vor der Errichtung des Balkons
vorhanden gewesen sei.
16
Der Kläger beantragt,
17
das angefochtene Urteil zu ändern, die der Beigeladenen unter dem 16. Juli 1999
erteilte Belassung für das Wohngebäude L. straße 53, E. aufzuheben und den
18
Beklagten zu verpflichten, der Beigeladenen den Rückbau des rückwärtigen
Dachgeschossausbaus sowie den Rückbau der rückwärtigen Balkone auf den Zustand
entsprechend der Baugenehmigung vom 20. Juli 1995 aufzugeben.
Der Beklagte beantragt unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens,
19
die Berufung zurückzuweisen.
20
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
21
die Berufung zurückzuweisen.
22
Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit am 12. August 2003 in Augenschein genommen.
Wegen des Ergebnisses des Ortstermins wird auf das Protokoll Bezug genommen.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten überreichten
Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25
Die Berufung hat keinen Erfolg, denn sie ist unbegründet.
26
Die Klage ist bereits unzulässig, soweit sie auf den Rückbau der rückwärtigen Balkone
unterhalb des Dachgeschosses gerichtet ist, denn die Zulässigkeitsvoraussetzungen
des § 68 VwGO liegen insoweit nicht vor. Nach § 68 Abs. 1 und 2 VwGO ist vor
Erhebung einer - hier gegebenen - Verpflichtungsklage die Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsaktes, mit dem der Antrag auf Vornahme des mit der Verpflichtungsklage
begehrten Verwaltungsaktes abgelehnt worden ist, in einem Vorverfahren
nachzuprüfen. Diese Bestimmung setzt mithin voraus, dass der im Klageverfahren
verfolgte Anspruch bereits Gegenstand des Vorverfahrens gewesen ist. Daran fehlt es
hier, soweit die Klage auf den Rückbau der rückwärtigen Balkone unterhalb des
Dachgeschosses gerichtet ist. Vor Klageerhebung hat sich der Kläger - dies verdeutlicht
sein Schreiben vom 5. Mai 1999 - nur "gegen die grenzständige Ausführung des
Dachgeschosses" nicht aber auch gegen bauliche Veränderungen unterhalb des
Dachgeschosses und damit nicht gegen die rückwärtigen Balkone gewandt. Bereits
sein erstes dementsprechendes Schreiben vom 23. Juni 1997 richtet sich ausschließlich
gegen die - rückwärtige - "Dachgeschosserweiterung". Auch das Schreiben vom 20.
Oktober 1998 bezieht sich nur auf die grenzständige Ausführung des Dachgeschosses.
Für ein weiter gehendes Verständnis seines vorprozessualen Begehrens im Sinne des
späteren Klageantrags bietet der vorprozessuale Schriftwechsel des Klägers keine
hinreichenden Anhaltspunkte. Ob der Kläger vor Klageerhebung auch ein Einschreiten
des Beklagten gegen den im Dachgeschoss des Gebäudes der Beigeladenen
angebauten Balkon beantragt hat, ist zweifelhaft, kann aber zu Gunsten des Klägers
unterstellt werden, weil die Klage auch insoweit unbegründet ist.
27
Der Kläger hat keinen Anspruch auf das im Klageverfahren begehrte
bauordnungsbehördliche Einschreiten des Beklagten gegen die Beigeladene
hinsichtlich des Rückbaus des grenzständigen Ausbaus des Dachgeschosses
einschließlich des Balkons im Dachgeschoss. Deshalb kann er auch keine Aufhebung
der Belassung erreichen, die der Beigeladenen durch Bescheid vom 16. Juli 1999 erteilt
28
worden ist. Denn deren Inhalt beschränkt sich auf eine Duldung des rückwärtigen
Dachgeschossausbaus der Beigeladenen, nämlich die Erklärung des Beklagten, dass
er gegen den rückwärtigen Dachausbau nicht einschreiten werde.
Ob dem Nachbarn ein Anspruch auf behördliches Einschreiten zusteht, beurteilt sich
grundsätzlich nach Landesrecht.
29
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 1988 - 4 B 93.88 -, BRS 48 Nr. 161; Urteil vom 4.
Juni 1996 - 4 C 15.95 -, UPR 1996, 390; Beschluss vom 10. Dezember 1997 - 4 B
204/97 -, BauR 1998, 319.
30
Maßgeblich ist insoweit § 61 Abs. 1 BauO NRW, wonach die Bauaufsichtsbehörde
gegen rechtswidrige bauliche Anlagen einschreiten kann. Nach § 61 Abs. 1 BauO NRW
hat der Nachbar gegen die Behörde aber nur dann einen Anspruch auf pflichtgemäße
Ermessensausübung, gegen baurechtswidrige Zustände auf dem Baugrundstück
einzuschreiten, wenn der Bauherr mit dem Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften
zugleich in Rechtspositionen des Nachbarn eingreift. Nur unter diesen
Voraussetzungen verdichtet sich der Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung
regelmäßig - nicht aber in jedem Falle - zu einem Anspruch auf Einschreiten.
31
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. April 2003 - 10 A 3054/01 -, vom 5. Februar 1996 - 10 A
944/91 -, vom 24. Juli 1995 - 10 A 1910/90 -, vom 27. Mai 1993 - 10 A 2595/89 -, vom 12.
Oktober 1989 - 10 A 4/89 - ,vom 27. November 1989 - 11 A 195/88 -, BRS 50 Nr. 185,
und vom 17. Mai 1983 - 7 A 330/81 -, BRS 40 Nr. 191.
32
Diese Rechtsfolge gebietet im Regelfall die vom Gesetzgeber beabsichtigte Effektivität
des Nachbarrechtsschutzes. Ist eine Baugenehmigung, die Nachbarrechte verletzt, auf
eine Klage des Nachbarn grundsätzlich aufzuheben, so wäre die
Baugenehmigungsbehörde in der Lage, den Nachbarn, der eine Baugenehmigung
erfolgreich angefochten hat, um den vom Gesetz gewollten Erfolg zu bringen, wenn sie
unter Berufung auf das ihr eingeräumte Ermessen vom Einschreiten gegen das
errichtete Bauvorhaben absehen dürfte. Nichts anderes gilt dann, wenn der Bauherr
ohne Baugenehmigung oder erheblich abweichend von einer erteilten
Baugenehmigung gebaut hat.
33
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Mai 1983, a.a.O.
34
Hiervon ausgehend steht dem Nachbarn ein Anspruch auf pflichtgemäße
Ermessensausübung nach § 61 Abs. 1 BauO NRW und damit ein Anspruch auf
bauordnungsbehördliches Einschreiten dann nicht zu, wenn ein Bauvorhaben seine
Rechte entweder nicht verletzt oder wenn ihm die Berufung auf einen
Nachbarrechtsverstoß nach Treu und Glauben verwehrt ist. Dies ist unter dem
Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens dann der Fall, wenn sich der Kläger
als Nachbar gegen einen Abstandflächenverstoß des Beigeladenen wendet, obgleich
auf seinem - des Klägers - Grundstück ein vergleichbarer Abstandflächenverstoß zu
Lasten des Grundstücks des Beigeladenen gegeben ist.
35
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 10 A 1402/98 -, BRS 64 Nr. 188 m.w.N.
36
Hiernach steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf ordnungsbehördliches
Einschreiten nicht zu. Die angegriffenen Teile des Gebäudes der Beigeladenen
37
verletzten den Kläger in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht in seinen
Nachbarrechten. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht liegt zwar ein Verstoß gegen die
nachbarschützenden Anforderungen an die erforderlichen Abstandflächen nach § 6
BauO NRW vor. Insoweit ist dem Kläger die Berufung auf die Nachbarrechtsverletzung
aber nach Treu und Glauben verwehrt.
Die angegriffenen Teile des Gebäudes der Beigeladenen verletzen gegenüber dem
Kläger nicht das aus dem gesetzlichen Merkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB
abzuleitende nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Für eine unzumutbare
Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange des Klägers durch die mit der Klage
zulässigerweise angegriffenen Teile des Gebäudes der Beigeladenen bestehen keine
Anhaltspunkte. Der grenzständige Ausbau des Dachgeschosses des Gebäudes der
Beigeladenen, durch den die dem Klägergrundstück zugewandte Giebelwand im
südlichen Bereich um ca. 4 m erhöht worden ist, führt auf Grund der örtlichen
Gegebenheiten nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen für das Grundstück des
Klägers, das sich östlich an das Grundstück der Beigeladenen anschließt. Dass das
Gebäude der Beigeladenen auf Grund des Dachgeschossausbaus nunmehr auch im
Dachgeschoss gegenüber dem Gebäude des Klägers rund 2 m nach Süden verspringt,
führt, wie die Feststellungen im Ortstermin ergeben haben, auch unter Berücksichtigung
des an der rückwärtigen Gebäudefront vorgebauten Balkons im Dachgeschoss nicht zu
einer unzumutbaren Verschlechterung der Sicht- und Belichtungsverhältnisse. Lediglich
der Ausblick aus dem nach Westen gerichteten Fenster in dem als Küche genutzten
Raum sowie aus der nach Süden gerichteten verglasten Fensterfront der Wohnung im
Dachgeschoss wird eingeschränkt. Dies ist aber nicht unzumutbar. Der Ausblick aus der
verglasten Fensterfront nach Süden ist ungehindert möglich. Der Blickwinkel wird
lediglich dann verringert, wenn das Auge nach Südwesten gerichtet wird. Aus dem
Fenster in der Küche wird dagegen die Sicht nach Südwesten durch den
Dachgeschossaufbau nicht behindert. Dementsprechend ist auch die Belichtung der
Räume im Dachgeschoss gegenüber dem Zustand vor dem Umbau nicht wesentlich
verringert. In den unteren Geschossen sind diese Auswirkungen noch weniger spürbar.
Die Annahme einer gar erdrückenden Wirkung liegt nach dem im Ortstermin
gewonnenen und durch Lichtbilder dokumentierten Eindruck mehr als fern. Eine
besondere Schutzwürdigkeit des Klägers gegenüber der Beigeladenen ist bei der
vorgefundenen Grundstückssituation nicht anzunehmen. Vielmehr ist die zulässige
Nutzung beider Grundstücke in durchaus vergleichbarer Weise eingeschränkt.
38
Auf den bauordnungsrechtlich gegebenen Abstandflächenverstoß kann der Kläger sich
nicht berufen. Denn auch sein Wohnhaus hält zu Lasten des Grundstücks der
Beigeladenen die Abstandflächen insoweit nicht ein, als die - von der F. straße aus
betrachtet rückwärtige - Gebäudeseite eine Abstandfläche auslöst, die auf dem
Grundstück der Beigeladenen liegt. Nach § 6 Abs. 1 BauO NRW sind vor Außenwänden
von Gebäuden Flächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten (Abstandflächen), die
nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW auf dem Grundstück selbst liegen müssen. Die Tiefe
der Abstandfläche bemisst sich gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW nach der
Wandhöhe. Besteht eine Außenwand aus Wandteilen unterschiedlicher Höhe, so ist die
Wandhöhe je Wandteil zu ermitteln, § 6 Abs. 4 Satz 3 BauO NRW. Als Höhe der in
Rede stehenden Außenwand des Hauses F. straße 87 hat der Beklagte - je nach
Wandteil - Maße zwischen 18,50 m und 21,40 m und dementsprechend Tiefen der
Abstandflächen zwischen 14,80 m und 17,12 m errechnet. Dass die der Berechnung
zugrundeliegenden Höhen der Wandabschnitte nicht vor Ort gemessen, sondern nach
den Bauvorlagen ermittelt worden sind, ist unerheblich, weil es im vorliegenden Fall auf
39
die zentimetergenaue Ermittlung der Tiefe der Abstandflächen nicht ankommt. Denn die
Abstandflächen liegen nicht nur auf dem Grundstück der Beigeladenen, sondern reichen
auch noch mindestens 1 m auf das westlich angrenzende Nachbargrundstück.
Diesem Abstandflächenverstoß, der vom Grundstück des Klägers zu Lasten des
Grundstücks der Beigeladenen ausgeht, steht ein Abstandflächenverstoß zu Lasten des
Grundstücks des Klägers gegenüber, der von dem rückwärtigen Balkon des Gebäudes
der Beigeladenen hervorgerufen wird. Dieser Balkon löst eine seitliche Abstandfläche
aus, die teilweise auf dem Grundstück des Klägers liegt. Der Balkon ist nicht etwa nach
§ 6 Abs. 7 BauO NRW abstandflächenrechtlich privilegiert. Denn nach dieser
Bestimmung bleiben Balkone bei der Bemessung der Abstandflächen nur dann außer
Betracht, wenn sie nicht mehr als 1,50 m hervortreten. Ausweislich des an der
tatsächlichen Bauausführung orientierten Nachtragsbauantrags der Beigeladenen tritt
der Balkon jedoch 1,70 m vor die Außenwand vor. Da dies seine
abstandflächenrechtliche Privilegierung ausschließt, finden die allgemeinen
Abstandflächenvorschriften Anwendung. Das bedeutet, dass der nicht grenzständig
errichtete Balkon zu allen Seiten hin die gesetzlich vorgegebenen Abstandflächen
einhalten muss,
40
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Oktober 2001 - 10 B 1273/01 - .
41
Die Tiefe der von diesem Balkon ausgelösten seitlichen Abstandfläche hat der Beklagte
mit 13,04 m und der Kläger mit 13,64 m ermittelt. Geht man von der Berechnung des
Klägers aus, so liegen von diesen 13,64 m rund 13,00 m auf dem Grundstück des
Klägers.
42
Es kann offen bleiben, ob das Gebäude L. straße 53 auch mit seiner rückwärtigen
Außenwand zu Lasten des Klägers gegen Abstandflächenvorschriften verstößt. Denn
auch dann, wenn man dies zu Gunsten des Klägers unterstellt, ändert sich nichts an der
Vergleichbarkeit der wechselseitigen Abstandflächenverstöße. Ob insoweit überhaupt
ein Abstandflächenverstoß gegenüber dem Grundstück des Klägers vorliegt, ist
zweifelhaft, weil die vom Beklagten errechnete und zeichnerisch dargestellte
Abstandfläche - soweit es um das Grundstück des Klägers geht - lediglich auf das
Wegestück fällt, das den straßenseitigen Teil seines Grundstücks mit dem im
rückwärtigen Bereich gelegenen Grundstücksteil verbindet. Der Senat hat bereits
mehrfach,
43
vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31. Oktober 1996 - 10 B 2613/96 -, vom 30. September
1996 - 10 B 2276/96 - und vom 18. Oktober 1996 - 10 B 2384/96 -, m.w.N.,
44
entschieden, dass die Abstandflächenvorschriften nicht dazu bestimmt sind, den
Eigentümer einer Wegeparzelle zu schützen. Denn die Vorschriften über die
einzuhaltenden Abstandflächen dienen der ausreichenden Belichtung und Belüftung
angrenzender Grundstücke, dem Feuerschutz und der Brandbekämpfung; sie sollen
ferner einen Sozialabstand gewährleisten, der auch erdrückende und beengende
Wirkungen von Bauwerken auszuschließen soll. Eine reine Wegeparzelle kann nicht in
einer Weise genutzt werden, in der sich diese Gesichtspunkte positiv auswirken
könnten. Ihr kommt die Schutzwirkung der Abstandflächen deshalb nicht zu Gute.
45
Vgl. auch Urteil des 7. Senats des erkennenden Gerichts vom 13. Februar 1986 - 7 A
1106/87 -.
46
Ob eine solche Fallkonstellation hier gegeben ist, lässt der Senat offen, weil sich dies
nicht ohne Weiteres beantworten lässt und es darauf für die Entscheidung des
vorliegenden Falles auch nicht ankommt. Ob die Rechtsprechung zur Schutzwirkung
der Abstandflächenvorschriften für reine Wegeparzellen hier einschlägig ist, ist
zweifelhaft, weil das oben beschriebene Wegestück, auf das die Abstandflächen der
rückwärtigen Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen fallen, keine Wegeparzelle
im rechtlichen Sinne ist, aufgrund seines Zuschnitts faktisch aber nicht bebaut und allein
als Verbindungsweg genutzt werden kann. Der Beklagte hat als Tiefe der
Abstandflächen, die von den jeweils maßgeblichen Abschnitten der rückwärtigen
Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen sowie von der rückwärtigen Außenwand
des Balkons im Dachgeschoss ausgelöst werden, Maße von 13,04 und 14,64 m
errechnet, wobei sich die Abstandflächen des mit dem Dachgeschossausbau
abschließenden Wandabschnitts sowie der rückwärtigen Außenwand des Balkons im
Dachgeschoss nahezu vollständig überdecken. Auf die zentimetergenaue Ermittlung
der Tiefen der Abstandflächen, die von dem mit dem Dachgeschossausbau
abschließenden Wandabschnitt sowie der rückwärtigen Außenwand des Balkons im
Dachgeschoss ausgelöst werden, kommt es auch hier nicht an, so dass es unerheblich
ist, dass der Beklagte die Höhen der jeweiligen Wandabschnitte - wie auch im Übrigen -
nicht vor Ort exakt ermittelt hat. Denn diese Abstandflächen liegen nur in einer Tiefe
zwischen ca. 1,50 und 9,0 m auf dem Grundstück des Klägers. Die Richtigkeit der
Berechnungen des Beklagten wird im Übrigen auch vom Kläger nicht in Zweifel
gezogen, soweit es um die Abstandfläche geht, die von dem Wandabschnitt ausgelöst
wird, der nicht durch den Dachausbau weitergeführt wird.
47
Ein weiterer Abstandflächenverstoß zu Lasten des Grundstücks des Klägers geht von
den mit der Klage erfassten Teilen des Gebäudes der Beigeladenen nicht aus.
Insbesondere löst die zum Grundstück des Klägers weisende grenzständige
Giebelwand des Dachgeschossausbaus des Gebäudes der Beigeladenen keine
Abstandfläche aus, die auf das Grundstück des Klägers fällt. Denn nach § 6 Abs. 1 Satz
2 a BauO NRW ist innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen eine Abstandfläche
nicht erforderlich vor Außenwänden, die an der Nachbargrenze errichtet werden, wenn
nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand errichtet
werden muss. Dies ist hier der Fall, weil die maßgebliche nähere Umgebung des
Grundstücks der Beigeladenen von geschlossener Bebauung geprägt wird. Der
Dachgeschossausbau, der die östliche Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen in
der Flucht nach oben weiterführt, liegt auch innerhalb der überbaubaren
Grundstücksfläche, weil er die hintere faktische Baugrenze der Bebauung entlang der L.
straße nicht überschreitet. Diese Baugrenze wird bestimmt durch die - von der L. straße
aus betrachtet - rückwärtigen Fronten der Gebäude L. straße 45 - 51, die nach Lage der
Akten und den Feststellungen im Ortstermin weiter südlich verlaufen als die rückwärtige
Gebäudefront des Gebäudes der Beigeladenen und die rückwärtigen Außenwände der
dort vorgebauten Balkone. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der südliche Teil der
zwischen den Gebäuden der Beigeladenen und des Klägers verlaufenden Giebelwand
von der Beigeladenen lediglich erhöht, nicht aber nach Süden hin verlängert worden ist.
Dass die Giebelwand im Dachgeschoss senkrecht fortgeführt worden ist und dort nicht
mehr in gleicher Weise wie zuvor infolge der Dachneigung nach Norden zurücktritt, ist in
diesem Zusammenhang unerheblich, weil Baugrenzen grundstücksbezogen und nicht -
wie dies dem Kläger möglicherweise vorschwebt - für vorhandene Baukörper je
Geschoss u.U. unterschiedlich festzulegen sind.
48
Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht mit Aussicht auf Erfolg auf den
von ihm angeführten Beschluss des Senats vom 30. September 1996 - 10 B 2178/96 -
berufen, der einen Dachaufbau betraf, der - anders als im vorliegenden Fall - nicht
grenzständig in Verlängerung der Giebelwand nach oben, sondern in einem Abstand
von 3 m zu dieser hergestellt war.
49
Der Grundstückseigentümer, dessen Gebäude selbst nicht mit den
Abstandflächenvorschriften vereinbar ist, muss allerdings nicht hinnehmen, dass die
Bebauung auf dem Grundstück des Nachbarn (unzulässigerweise) stärker
beeinträchtigend an sein Grundstück heranrückt, als sein eigenes Gebäude an das
Grundstück des Nachbarn. Er braucht nur eine solche Verletzung der
Abstandflächenvorschriften durch die Nachbarbebauung zu dulden, die mit dem
eigenen Rechtsverstoß vergleichbar ist. Die Vergleichbarkeit der die Nachbarn
wechselseitig beeinträchtigenden Rechtsverstöße ist nicht mathematisch genau allein
auf der Grundlage der jeweiligen Grenzabstände zu ermitteln. Vielmehr ist bei der
Bewertung der von einem Baukörper für das Nachbargrundstück ausgehenden
Beeinträchtigung neben dem konkreten Grenzabstand auch die Qualität der mit der
Verletzung der Abstandflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigung von
wesentlicher Bedeutung.
50
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 1996 - 7 B 3431/95 -, BRS 58 Nr. 106.
51
Dies liegt auf der Hand, da es beispielsweise einen erheblichen Unterschied für die
Beeinträchtigung des Nachbarn ausmacht, auf welcher Länge das fragliche Gebäude
die Abstandflächenvorschriften missachtet, welche Höhe es aufweist, welche
Immissionen (Lärm, Gerüche) mit seiner Nutzung verbunden sind, welche
Brandgefahren von ihm ausgehen und in welcher Himmelsrichtung es vom
Nachbargrundstück aus gesehen steht.
52
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001, a.a.O.
53
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist hier der Grad der Beeinträchtigungen, die
durch die beiderseitige Verletzung der Abstandflächenvorschriften für das jeweils
andere Grundstück hervorgerufen werden, von vergleichbarem Gewicht. Die
wechselseitigen Abstandflächen fallen etwa in gleicher Größenordnung auf das jeweils
andere Grundstück. Aufgrund des von dem Grundstück des Klägers ausgehenden
Abstandflächenverstoßes beträgt die auf das Grundstück der Beigeladenen fallende
Abstandfläche mit einer Tiefe von ca. 8,50 m und einer Länge von ca. 4,0 bis 5,5 m
insgesamt ca. 40 qm. Die seitliche Außenwand des Balkons im Dachgeschoss des
Gebäudes der Beigeladenen wirft in einer Tiefe von ca. 13,00 m und auf einer Länge
von ca. 1,70 m eine Abstandfläche von rund 22 qm auf das Grundstück des Klägers.
Eine Größenordnung von rund 20 qm weist die Abstandfläche auf, die auf das ca. 1,20
m breite und ca. 17,50 m lange Wegestück auf dem Grundstück des Klägers durch die
rückwärtige Fassade des Gebäudes der Beigeladenen geworfen wird. Die
dementsprechenden Außenwände bzw. Wandabschnitte, die die jeweiligen
Abstandflächen auslösen, sind auch unter Berücksichtigung der vom Kläger
vorgenommenen Korrekturen an den Abstandflächenberechnungen des Beklagten etwa
gleich hoch, wenn der Kläger für das Gebäude der Beigeladenen auf Wandhöhen
zwischen 16,30 m und 20,50 m und für sein Gebäude auf solche zwischen 19,80 und
21,40 m abstellt. Auch hinsichtlich der mit der jeweiligen Nutzung verbundenen
Immissionen bestehen keine erheblichen Unterschiede. Was die jeweilige
54
Himmelsrichtung anbelangt, in denen die Gebäude vom Nachbargrundstück aus
gesehen liegen, kann auf die vorstehenden Ausführungen zum - hier nicht verletzten -
planungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme hinsichtlich der Einschränkung von
Besonnung und Belichtung Bezug genommen werden. Bei der Bewertung der
wechselseitigen Abstandflächenverstöße darf auch nicht außer Acht bleiben, dass ein
möglicherweise gegebener und hier zu Gunsten des Klägers unterstellter
Abstandflächenverstoß betreffend das erwähnte auf seinem Grundstück verlaufende
Wegestück lediglich ein geringeres Gewicht besitzt, weil das Wegestück nicht in einer
Weise nutzbar ist, für die die durch die Abstandflächenvorschriften geschützten Belange
von Bedeutung sind. Schließlich ist zu beachten, dass die rückwärtige Fassade des
Gebäudes der Beigeladenen auch vor dem Ausbau des Dachgeschosses und dem
Ausbau des Balkons im Dachgeschoss Abstandflächen in durchaus vergleichbarer
Weise auf das in Rede stehende Wegestück geworfen hat.
Schließlich steht es der Vergleichbarkeit der Abstandflächenverstöße nicht entgegen,
dass das Wohnhaus des Klägers durch Baugenehmigung vom 24. September 1984
bestandskräftig genehmigt ist. Die aus einer Baugenehmigung herzuleitende
Rechtsposition beschränkt sich auf den Bestandschutz, d.h. die Befugnis, das Gebäude
selbst weiterhin erhalten und nutzen zu dürfen. Beruht diese Rechtsposition aber - wie
hier - auf einer wegen des Abstandflächenverstoßes rechtswidrigen Baugenehmigung,
so schließt sie nicht das Recht ein, ein Vorhaben, das in seinen Auswirkungen auf ein
Nachbargrundstück dem Eigenen gleich steht und unter den Maßstäben des geltenden
Rechts in gleicher Weise zu beurteilen ist, unterbinden oder dessen Beseitigung bzw.
Rückbau verlangen zu können. Insoweit schließt der Grundsatz von Treu und Glauben
die Geltendmachung nachbarlicher Abwehrrechte aus.
55
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. April 2003, a.a.O., und vom 19. März 1993 - 7 A 634/90
-; Beschlüsse vom 15. März 1993 - 7 B 127/93 -, vom 14. Dezember 1994 - 7 B 3001/94 -
und vom 8. August 1995 - 7 B 1624/95 -; Nds. OVG, Beschluss vom 26. Mai 1983 - 6 B
47/83 -, BRS 40 Nr. 113.
56
Die Klage hat auch im Hinblick auf eine etwaige - vom Kläger geltend gemachte und in
der mündlichen Verhandlung präzisierte - Brandgefahr wegen der unmittelbaren Nähe
des Erdgeschossbalkons des Gebäudes der Beigeladenen zu dem nach Westen
ausgerichteten Fenster im Erdgeschoss des Hauses des Klägers keinen Erfolg. Denn
die Klage ist - wie oben ausgeführt - bereits unzulässig, soweit sie sich auf diesen
Balkon bezieht.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, der Ausspruch
über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
58
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht
vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
59