Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.05.2003

OVG NRW: prostituierte, ausländischer arbeitnehmer, pass, verschulden, verkehr, sorgfalt, zahl, entgeltlichkeit, ausländerrecht, begriff

Oberverwaltungsgericht NRW, 17 A 2600/02
Datum:
22.05.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 A 2600/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 23 K 6011/99
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird - unter gleichzeitiger Änderung der erstinstanzlichen
Wertfestsetzung - auf 1.135,93 Euro (2.221,68 DM) festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund
des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen auf der Grundlage des Antragsvorbringens
nicht.
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Ohne Erfolg wendet die Klägerin sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, sie
habe die abgeschobene ungarische Prostituierte R., deren Abschiebungskosten sie
tragen soll, im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG als Arbeitnehmerin beschäftigt. Ihre
Darlegungen im Zulassungsantrag, die Prostituierte R. habe keine festen Arbeitszeiten
gehabt und keinen Weisungen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit oder dafür
zu nehmender Entgelte unterlegen, sind nicht geeignet, die Richtigkeit der
Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen.
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Auszugehen ist davon, dass der in § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG verwendete Begriff der
Beschäftigung als Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks weit
auszulegen ist. Dieser besteht darin, der illegalen Beschäftigung ausländischer
Arbeitnehmer und den aus der illegalen Anwesenheit und Beschäftigung häufig
entstehenden sozialen Missständen entgegenzuwirken und die Allgemeinheit davor zu
bewahren, die Abschiebungskosten, deren Ersatz gegenüber dem Ausländer zumeist
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nicht realisiert werden kann, tragen zu müssen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1987 - 1 C 37.84 -, DVBl. 1988, 291 = NVwZ
1988, 256, zu der im Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift des § 24 Abs. 6 a und 6 b
AuslG 1965; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht,
Loseblattkommentar, Band 2, Stand: Juli 2002, § 82 Rn. 13.
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Eine Beschäftigung im Sinne der genannten Vorschrift setzt ein wirksames
Arbeitsverhältnis nicht voraus. Es muss sich lediglich um eine abhängige
(fremdbestimmte) Arbeitsleistung handeln, die auch in der Ausübung der Prostitution
bestehen kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1987, a.a.O.
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Entscheidend dafür, ob eine selbstständige oder abhängige (fremdbestimmte) Tätigkeit
vorliegt, sind die Umstände des Einzelfalls.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1987, a.a.O.
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Danach ist im vorliegenden Fall eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Dies gilt
auch dann, wenn man zu Gunsten der Klägerin als richtig unterstellt, dass die
Prostituierte R. keine festen Arbeitszeiten hatte und keinen Weisungen hinsichtlich der
Ausgestaltung ihrer Tätigkeit und der dafür zu nehmenden Entgelte unterlag. Denn es
kann nicht zweifelhaft sein, dass die Genannte sich - anders als ein beliebiger Gast des
Unternehmens - in einen organisatorischen Rahmen einzuordnen hatte, den nur die
Klägerin oder ein von ihr Beauftragter vorgeben konnte. Dies folgt nach Überzeugung
des Senats aus den betrieblichen Notwendigkeiten und dem besonderen Charakter des
von der Klägerin geführten Saunaclubs. Dessen Besonderheit bestand darin, dass
neben den üblichen Leistungen eines Saunabetriebs Gelegenheit zum
Geschlechtsverkehr mit Prostituierten (gegen ein mit diesen zu vereinbarendes
zusätzliches Entgelt) in den Räumen des Unternehmens geboten wurde. Da der
Eintrittspreis nach Angaben der Klägerin im Jahre 1997 für männliche Gäste 70,-- DM
betrug und damit den Eintrittspreis normaler Saunabetriebe um ein Mehrfaches
überstieg, musste die Klägerin im Interesse eines reibungslosen Geschäftsablaufs
darum bemüht sein sicherzustellen, die von den Gästen erwartete Gegenleistung zu
erbringen. Diese bestand u.a. darin zu gewährleisten, dass stets eine ausreichende
Zahl von Prostituierten anwesend war. Andernfalls hätte sie mit Beschwerden,
Rückforderungen des Eintrittspreises oder einem künftigen Ausbleiben der Gäste
rechnen müssen. Konnte sich der Betrieb damit aber unter geschäftlichen Aspekten
nicht auf die Zufälligkeit der Anwesenheit von Prostituierten verlassen, musste
zumindest ein organisatorischer Rahmen vorgegeben werden, der Schwierigkeiten der
genannten Art nach Möglichkeit vermied. Es wäre angesichts dieser Ausgangssituation
lebensfremd anzunehmen, die Klägerin, deren Geschäftserfolg unmittelbar von der stets
gewährleisteten Anwesenheit einer ausreichenden Zahl von Prostituierten abhing, hätte
sich insoweit der Gefahr von Zufälligkeiten ausgeliefert und keinen steuernden Einfluss
zu nehmen versucht. Ob der von ihr oder einem Mitarbeiter betrieblich vorgegebene
Rahmen durch Absprache zwischen den Prostituierten ausgefüllt wurde oder von Seiten
des Betriebs darüber hinaus detaillierte Vorgaben (Anwesenheitszeiten, - dauer etc.)
erfolgten, ist unerheblich. Allein eine Einfügung in den vorgegebenen organisatorischen
Rahmen begründet bereits eine abhängige Beschäftigung der Prostituierten R. im Sinne
des § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG.
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In seiner Überzeugung, dass die Klägerin die Prostituierte R. als Arbeitnehmerin, d.h.
abhängig, beschäftigt hat, wird der Senat ferner dadurch bestätigt, dass die Klägerin
sich nach eigenen Angaben den Pass der Genannten hat vorlegen lassen und daraus
die Auffassung hergeleitet hat, sie habe "darauf vertrauen (dürfen), nach keiner
Betrachtungsweise gegen aufenthaltsrechtliche oder ausländerrechtliche
Bestimmungen ... zu verstoßen" (Schriftsatz vom 29. April 1998). Sie habe "davon
ausgehen (dürfen), es mit einer EU-Ausländerin zu tun zu haben, die keiner
Aufenthaltserlaubnis bedurfte" (Zulassungsantrag vom 13. Juni 2002). Die von der
Klägerin insoweit angestellten Überlegungen ergeben nur im Zusammenhang mit einer
beabsichtigten Beschäftigung der Prostituierten R. einen Sinn. Wäre diese, wie die
Klägerin glauben machen will, normaler Gast des Saunaclubs gewesen, hätte aus ihrer
Sicht keine Veranlassung bestanden, die Vorlage eines Ausweispapiers zu verlangen
und sich über ausländerrechtliche Bestimmungen Gedanken zu machen.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Beschäftigung der Prostituierten R. als
Arbeitnehmerin nicht wegen fehlender Entgeltlichkeit der Tätigkeit zu verneinen. Der
Begriff der Entgeltlichkeit ist im vorliegenden Zusammenhang unter Berücksichtigung
des Zwecks der Vorschrift des § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG ebenfalls weit zu verstehen.
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Vgl. Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, a.a.O., Rn. 14.
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Ausreichend ist jeder geldwerte Vorteil. Ein solcher wurde der Prostituierten R. in der
Weise eingeräumt, dass sie die Möglichkeit erhielt, ihrer Tätigkeit als Prostituierte im
Betrieb der Klägerin nachzugehen und die Räume sowie die gesamte betriebliche
Infrastruktur kostenlos zu nutzen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils sind, jedenfalls im
Ergebnis, auf das es allein ankommt, auch nicht deshalb angebracht, weil das
Verwaltungsgericht keine Ausführungen zum Verschulden der Klägerin gemacht hat.
Zwar setzt die Kostentragungspflicht des § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG Verschulden auf
Seiten des Arbeitgebers voraus. Nur wenn er wusste oder bei Beachtung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt hätte wissen können, dass der Ausländer zur unverzüglichen
Ausreise verpflichtet war und nicht beschäftigt werden durfte, kann er zum Kostenersatz
herangezogen werden. Der Arbeitgeber hat aus diesem Grunde zu prüfen, ob der
Ausländer, den er beschäftigen will, zum Aufenthalt und zur Aufnahme einer
Beschäftigung befugt ist, was regelmäßig durch Urkunden nachzuweisen ist.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. September 1988 - 1 B 22.88 -, InfAuslR 1988, 319 zu §
24 Abs. 6 a AuslG 1965/1975.
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Unstreitig besaß die Prostituierte R. keine Aufenthaltsgenehmigung und war zu einer
Arbeitsaufnahme nicht berechtigt. Dies wäre der Klägerin bei Beachtung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt nicht verborgen geblieben. Insoweit kann dahinstehen, ob die
Klägerin den von der Prostituierten R. vorgelegten italienischen Pass als Fälschung
hätte erkennen müssen. Ferner kann offen bleiben, ob der Klägerin, die sich eigenen
Angaben zufolge mit der Prostituierten R. auf Deutsch unterhalten hat (vgl.
Zulassungsantrag vom 13. Juni 2002, Seite 4), wegen des Akzents ihrer
Gesprächspartnerin - die ungarische Sprache hat in Bezug auf Wortbildung und -klang
keine Verwandtschaft mit der italienischen - hätte auffallen müssen, dass sie es nicht mit
einer italienischen Staatsangehörigen zu tun hat. Wenn die Klägerin aber, wie sie
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vorgetragen hat und zu ihren Gunsten unterstellt wird, keine Erfahrungen mit dem
Klangbild der italienischen Sprache besessen haben sollte, hätte sie sich entweder im
Gespräch durch vertiefende Fragen Gewissheit verschaffen müssen, dass die
Prostituierte R. aus Italien stammt, oder sie hätte hinsichtlich der Frage, ob es sich um
einen italienischen Akzent handelt, Dritte zu Rate ziehen müssen. Dies wäre leicht
möglich gewesen, da die Kenntnis der italienischen Sprache, etwa hinsichtlich Klang,
Wortbildung und Sprechtempo, auch in der deutschen Bevölkerung - z.B. aus Urlauben,
Besuch italienischer Restaurants etc. - weit verbreitet ist. Angesichts dessen und
angesichts des - der Klägerin als Betreiberin eines Saunaclubs mit entsprechenden
Verbindungen zur Prostitutionsszene bekannten - weiteren Umstandes, dass zahlreiche
Prostituierte aus Osteuropa wegen besserer Verdienstchancen in den Westen drängen
und sich hierzu auch illegaler Mittel bedienen, war es jedenfalls im Rechtssinne
fahrlässig, den Angaben der Prostituierten R. ohne ein Mindestmaß eigener
Nachprüfung zu vertrauen.
2. Die Zulassung der Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache erfolgen (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche
Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn durch sie eine grundsätzliche,
bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage
aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts
gerichtlicher Klärung bedarf. Die Klägerin hält insoweit für klärungsbedürftig, welche
"betrieblichen und organisatorischen Rahmenbedingungen" erforderlich seien, um eine
Arbeitgeberstellung zu begründen. Hierbei handelt sich indessen um Kriterien, die ihrer
Art nach keiner generellen Klärung zugänglich sind. Wie das Bundesverwaltungsgericht
in seinem bereits erwähnten Urteil vom 3. November 1987, a.a.O., das noch zu der
damals geltenden Kostenersatzvorschrift des § 24 Abs. 6 a Satz 1 AuslG 1965 ergangen
ist, ausgeführt hat, erfordert eine Beschäftigung als Arbeitnehmer im Sinne der
genannten Vorschrift eine abhängige (fremdbestimmte) Arbeitsleistung, wobei es für die
rechtliche Einordnung einer Tätigkeit als Arbeitnehmerbeschäftigung regelmäßig nicht
entscheidend auf einzelne Tatumstände, sondern auf das Gesamtbild der Tätigkeit
ankommt. Diese höchstrichterliche Rechtsprechung kann ohne weiteres auf die hier
anwendbare Vorschrift des § 82 Abs. 4 Satz 1 AuslG übertragen werden.
Weitergehender abstrakter Klärungsbedarf besteht nicht. Die Bewertung der Umstände,
die für eine selbstständige oder abhängige Tätigkeit sprechen, und des sich daraus
ergebenden Gesamtbildes kann jeweils nur einzelfallbezogen erfolgen.
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3. Schließlich ist auch der Zulassungsgrund der Abweichung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)
nicht gegeben. Eine Abweichung ist nur dann im Sinne der genannten Vorschrift
hinreichend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die
angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
widersprochen hat.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 -, NJW 1997, 3328, zu der
gleich gelagerten Problematik der §§ 132 Abs. 2 Nr. 2, 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
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Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen
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der genannten Gerichte genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer
Abweichungsrüge nicht.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.
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Die Klägerin hat einen den vorstehenden Anforderungen genügenden Rechtssatz nicht
bezeichnet. Ihren eigenen Darlegungen zufolge hat das Verwaltungsgericht einen vom
Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz richtig wiedergegeben und lediglich
unrichtig angewendet. Damit lässt sich, wie dargelegt, eine Abweichung im Sinne des §
124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht begründen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Der
Senat hat den Streitwert in Höhe des mit dem angefochtenen Leistungsbescheid
geltend gemachten Erstattungsbetrags, der der Höhe der Abschiebungskosten
entspricht, festgesetzt.
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Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§
124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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