Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 12.09.2002

OVG NRW: örtliche zuständigkeit, jugendamt, wohl des kindes, treu und glauben, aufenthalt, haushalt, einverständnis, jugendhilfe, pfleger, fremdunterbringung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 4352/01
Datum:
12.09.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 A 4352/01
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 3444/99
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, trägt in beiden Rechtszügen die Klägerin.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Kostenerstattung für Leistungen der Kinder-
und Jugendhilfe in Höhe von 29.519,56 DM, die sie für M. J. C. , im Zeitraum vom 31.
August 1995 bis 8. Dezember 1998 gewährt hat.
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Der am 16. Juni 1983 nicht ehelich geborene M. J. C. lebte bis zum 21. Januar 1992 im
Haushalt seiner für ihn allein sorgeberechtigten Mutter, Frau M. C. , in D. . Sein Vater,
Herr A. M. , hatte die Vaterschaft am 13. Juli 1983 anerkannt und lebt in E. . M. und seine
Mutter wurden seit 1989 vom Jugendamt der Klägerin betreut, nachdem Anhaltspunkte
dafür festgestellt worden waren, dass die Mutter nicht in der Lage war, die Versorgung
M. sicherzustellen.
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Am 22. Januar 1992 wurde Frau C. zur Alkoholentgiftung in ein Krankenhaus
eingewiesen. Daraufhin brachte die Klägerin M. in der Bereitschaftspflegefamilie J. W.
und M. B. in D. unter. Nach ihrer Entlassung aus der Klinik erklärte Frau C. in einem
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Gespräch mit Mitarbeitern der Klägerin am 19. Februar 1992 u.a., sie sei mit der
Fremdunterbringung ihres Sohnes nicht einverstanden und möchte ihn umgehend
wieder in ihren Haushalt aufnehmen. Mit Schreiben vom selben Tag regte die Klägerin
gegenüber dem Amtsgericht D. an, Frau C. im Wege der einstweiligen Anordnung das
Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen und es auf das Jugendamt als Pfleger zu
übertragen. Im daraufhin vor dem Amtsgericht D. anberaumten Termin am 27. Februar
1992 erklärte sich Frau C. zunächst damit einverstanden, dass M. nicht bei ihr sei.
Am 23. März 1992 unterzeichnete Frau C. einen Antragsvordruck, mit dem sie das
Jugendamt u.a. bat, einen geeigneten Unterbringungsplatz für ihren Sohn zu benennen.
In der Folgezeit beharrte sie jedoch darauf, dass M. wieder in ihren Haushalt
zurückgeführt wird.
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Mit Bescheid vom 18. Mai 1992 gewährte die Klägerin den Pflegeeltern für M. C.
Pflegegeld ab dem 22. Januar 1992.
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Am 23. Juli 1992 vereinbarte das Jugendamt der Klägerin mit Frau C. und der
Pflegemutter Regelungen zur Anbahnung einer Rückführung M. in den Haushalt seiner
Mutter zum 15. Oktober 1992. Nachdem das Jugendamt festgestellt hatte, dass es bei
den vereinbarten Besuchsaufenthalten M. bei seiner Mutter u.a. wegen ihres
Alkoholkonsums zu erheblichen Problemen gekommen war, sie jedoch weiterhin auf
seine Rückführung in ihren Haushalt bestand, regte das Jugendamt unter dem 23.
Dezember 1992 beim Amtsgericht D. erneut an, das Aufenthaltsbestimmungsrecht per
einstweiliger Anordnung kurzfristig auf das Jugendamt als Pfleger zu übertragen.
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Mit Beschluss vom 23. Dezember 1992 ordnete das Amtsgericht D. mit sofortiger
Wirkung den einstweiligen Verbleib M. bei den Pflegeeltern mit der Begründung an,
eine Rückführung des Jungen in den Haushalt seiner Mutter komme zurzeit nicht in
Betracht, da sie wieder trinke. Mit Beschluss vom 25. August 1993 entzog das
Amtsgericht Frau C. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. und übertrug es dem
Jugendamt der Klägerin als Pfleger. In den Gründen des Beschlusses stellte das Gericht
fest, das Recht der elterlichen Sorge stehe der Kindesmutter zu. Bei der sich aus den
Berichten des Jugendamtes und den gerichtlichen Anhörungen ergebenden Sachlage
sei festzustellen, dass das leibliche und seelische Wohl des Jungen bei einer Rückkehr
zur Mutter gefährdet wäre, solange die Mutter Alkoholmissbrauch betreibe.
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Am 31. August 1995 verzog Frau C. nach Attendorn, in der Folgezeit nach Olpe.
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Mit Schreiben vom 26. Oktober 1995 machte die Klägerin gegenüber der Stadt
Attendorn die Erstattung der von ihr für M. gezahlten Leistungen geltend.
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Mit Schreiben vom 3. Februar 1998 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf
Kostenerstattung ab. Zur Begründung führte er aus, die Kostenerstattung setze voraus,
dass die Hilfegewährung rechtmäßig erfolgt sei. Die Hilfe zur Erziehung werde nur auf
Antrag des Personensorgeberechtigten gewährt. Antragsberechtigt sei in diesem Fall
die Kindesmutter. Ihrer Antragsberechtigung stehe nicht entgegen, dass ihr das
Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden sei. Aus den ihm vorliegenden
Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass die Kindesmutter einen Antrag auf Hilfe zur
Erziehung gestellt habe. Ein solcher sei dem Formblatt vom 23. März 1992 nicht zu
entnehmen. Aus den vorliegenden Hilfeplänen und Vermerken gehe vielmehr hervor,
dass die Kindesmutter immer wieder darauf gedrängt habe, M. zu sich zu nehmen. Da
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im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren nicht zusätzlich das Antragsrecht nach §§ 27
ff SGB VIII der Klägerin übertragen worden sei, habe diese die Familienvollzeitpflege
ohne Antrag der Personensorgeberechtigten und damit nicht rechtmäßig geleistet.
Mit Schreiben vom 3. November 1998 teilte die Klägerin Frau C. u.a. mit, um M. weitere
Hilfe zukommen zu lassen, sei es erforderlich, den beigefügten "Antrag des
Sorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung" zu unterschreiben und zurückzusenden.
Unter dem 9. Dezember 1998 übersandte die Klägerin dem Beklagten den von Frau C.
unterschriebenen, nicht datierten Antrag, in dem diese das Jugendamt um Benennung
eines geeigneten Unterbringungsplatzes für M. "bei der bekannten Pflegefamilie" bat.
Mit Schreiben vom 12. Januar 1999 erklärte sich der Beklagte bereit, die Kosten auf
Grund des übersandten Antrags ab dem 9. Dezember 1998 zu übernehmen. Eine
rückwirkende Antragstellung zum 23. März 1992 werde nicht angenommen.
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Die Klägerin hat am 27. September 1999 Klage erhoben und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt: Ihr stehe gegenüber dem Beklagten ein
Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89 a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu. Die
Auffassung des Beklagten, die Kostenerstattung ab dem 31. August 1995 sei wegen des
Fehlens eines Antrages der Mutter auf Hilfe zur Erziehung nicht vorzunehmen, sei nicht
haltbar. Auf eine Antragstellung der Mutter komme es letztlich nicht an. Da das
Aufenthaltsbestimmungsrecht der Kindesmutter entzogen und auf das Jugendamt der
Klägerin als Pfleger übertragen worden sei, sei sie, die Klägerin, in der Lage gewesen,
Maßnahmen etwa nach § 33 SGB VIII durchzuführen. Dem
Aufenthaltsbestimmungspfleger sei ein Teilbereich der Personensorge übertragen.
Insoweit sei auch er Personensorgeberechtigter i.S. des § 27 SGB VIII. Nach einer
Entscheidung des Landgerichts Darmstadt trete seine Entscheidung an die Stelle des
Willens der Eltern. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf könne
ein Elternteil, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen worden sei, der
Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie nicht widersprechen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie - die Klägerin - Kosten in Höhe von 29.519,56 DM
für die im Zusammenhang mit dem Hilfefall M. C. in der Zeit vom 31. August 1995 bis 8.
Dezember 1998 erbrachten Leistungen zu erstatten.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat im Wesentlichen ausgeführt: Er bestreite die Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung,
da die allein sorgeberechtigte Kindesmutter bis Ende 1998 keinen Antrag auf Hilfe zur
Erziehung für ihren Sohn M. gestellt habe. Es sei im Gegenteil festzustellen, dass Frau
C. dem Jugendamt der Klägerin gegenüber immer wieder erklärt habe, mit der
(längerfristigen) Unterbringung ihres Sohnes nicht einverstanden zu sein. Selbst wenn
ihre Unterschrift vom 23. März 1992 als Antrag auf Hilfe zur Erziehung gewertet werden
könne, hätte sie einen solchen Antrag in der Folgezeit bei den Gesprächen mit dem
Jugendamt zurückgezogen. Soweit die Klägerin einwende, sie sei allein auf Grund des
ihr übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts in der Lage, Maßnahmen nach §§ 27,
33 SGB VIII herbeizuführen, stützten verschiedene Urteile bzw.
Spruchstellenentscheidungen die Rechtsauffassung, dass der Entzug des
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Aufenthaltsbestimmungsrechts allein nicht ausreiche, um gegen den Willen der
personensorgeberechtigten Eltern Hilfe zur Erziehung zu leisten.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 2. Oktober 2001
antragsgemäß verurteilt und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der gegenüber dem
Beklagten bestehende Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergebe sich aus §
89 a Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit § 89 a Abs. 1 SGB VIII. Die
Kostenerstattungspflicht des Beklagten sei nicht durch § 89 f SGB VIII gemindert oder
ausgeschlossen. Der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe gegen § 27 Abs. 1
SGB VIII verstoßen, weil kein Antrag der Kindesmutter auf Hilfe zur Erziehung vorliege
und sie der Fremdunterbringung widersprochen habe, greife im Ergebnis nicht durch, da
die Klägerin im Hinblick auf die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihr
Jugendamt von der Entbehrlichkeit eines Antrages der Kindesmutter habe ausgehen
dürfen. Anerkannt sei allerdings, dass Hilfe zur Erziehung nur auf Antrag des
Personensorgeberechtigten zu gewähren sei. Hier habe für den streitgegenständlichen
Zeitraum weder ein wirksamer Antrag der Kindesmutter vorgelegen, noch lasse sich
feststellen, dass die Vollzeitpflege ihrem Willen entsprochen habe. Es sei umstritten, ob
schon die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt dieses in
die Lage versetze, trotz des fehlenden Einverständnisses der Eltern rechtmäßig eine
Maßnahme nach den §§ 27, 33 SGB VIII einzuleiten. Da sich sowohl der eine als auch
der andere Standpunkt mit nachvollziehbaren Argumenten stützen lasse, handele ein
Jugendamt dann nicht gesetzeswidrig, wenn es sich einer der beiden Auffassungen
anschließe und den Entzug nur des Aufenthaltsbestimmungsrechts als ausreichend
ansehe. Der auf Kostenerstattung in Anspruch genommene Träger der Jugendhilfe
müsse es hinnehmen, dass ein anderer Träger in einer Streitfrage einen abweichenden,
aber ebenso vertretbaren Standpunkt einnehme. Hierfür spreche im Übrigen auch der in
der Regelung des § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zum Ausdruck kommende
Rechtsgedanke, nach dem die Kostenerstattung z.B. nicht mit dem Hinweis versagt
werden dürfe, der kostenerstattungspflichtige Träger halte eine andere Handhabung von
Ermessensvorschriften für zweckmäßig. Vor diesem Hintergrund erscheine es
sachgerecht, auch bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen nicht einseitig auf die
Meinung des erstattungspflichtigen Trägers abzustellen.
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Mit der durch Beschluss des Senats vom 26. Juni 2002 zugelassenen Berufung macht
der Beklagte im Wesentlichen geltend: Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts sei die Hilfegewährung seitens der Klägerin im Sinne von § 89 f
Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu Unrecht erfolgt. Der im Urteil aufgeführte Rechtssatz, der auf
Kostenerstattung in Anspruch genommene Träger der Jugendhilfe müsse es
hinnehmen, dass ein anderer Träger in einer Streitfrage einen abweichenden, aber
ebenso vertretbaren Standpunkt einnehme, widerspreche geltenden
Rechtsgrundsätzen. Durch diese Entscheidung werde die Einheitlichkeit des Rechts in
Frage gestellt. Grundsätze wie Rechtsklarheit und Rechtssicherheit würden
aufgehoben. Dies um so mehr, als die entscheidende Kammer einige Jahre zuvor eine
eindeutige, im jetzigen Sinne des Beklagten formulierte Rechtsauffassung
eingenommen habe und daraufhin viele Jugendämter ihre Rechtsauffassung zu dem
hier streitgegenständlichen Problem geändert haben dürften. Auch unter
Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2001 - 5 C
6.00 - könne das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
23
die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der dazu beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Parteien Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
26
Die Berufung hat Erfolg.
27
A. Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist die Leistungsklage. Eine vorherige
Entscheidung über das Erstattungsbegehren durch Verwaltungsakt kam wegen des
Gleichordnungsverhältnisses, in dem die Parteien zueinander stehen, nicht in Betracht.
28
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Dezember 2001 - 12 A 4215/00 -, ZfJ 2002, 307; BSG,
Urteil vom 28. März 1984 - 9a RV 50/83 -, ZfSH/SGB 1985, 29; Hauck in Hauck u.a.,
SGB X 3, K § 102 Rdnr. 27; Schroeder/Printzen, SGB X, 2. Auflage 1990, vor § 102
Anm. 8.
29
B. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen
Erstattungsanspruch hinsichtlich der von ihr für die Zeit vom 31. August 1995 bis zum 8.
Dezember 1998 für M. C. erbrachten Kinder- und Jugendhilfeleistungen.
30
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB
VIII in der jeweils für den Zeitraum geltenden Fassung, auf den sich die
Erstattungsforderung bezieht, mithin in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden
Fassung der Bekanntmachung vom 3. Mai 1993, BGBl I S. 637 (SGB VIII F. 1993)
hinsichtlich der von der Klägerin im Zeitraum vom 31. August 1995 bis zum 31.
Dezember 1995 erbrachten Leistungen und in der seit dem 1. Januar 1996 geltenden
Fassung vom 15. Dezember 1995, BGBl. I S. 1775 (SGB VIII F. 1996) hinsichtlich der in
der Zeit vom 1. Januar 1996 bis zum 8. Dezember 1998 erbrachten Leistungen.
31
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII F.
1993 bzw. F. 1996 sind erfüllt (I.). Dem Kostenerstattungsanspruch steht jedoch § 89 f
Abs. 1 Satz 1 SGB VIII F. 1993 entgegen (II.).
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I. Der Kostenerstattungstatbestand des § 89 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB VIII F. 1993
bzw. F. 1996 liegt vor.
33
Nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII F. 1993 sind Kosten, die ein örtlicher Träger für Hilfe
zur Erziehung in Vollzeitpflege oder für Eingliederungshilfe bei einer Pflegeperson auf
Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII F. 1993 aufgewendet hat, von dem
örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Nach § 89 a
Abs. 3 SGB VIII F. 1993 wird in den Fällen, in denen sich nach dem
Zuständigkeitswechsel der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII
F. 1993 maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt geändert hat, der örtliche Träger
kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII F. 1993
34
örtlich zuständig geworden wäre.
Nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII F. 1996 sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf
Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII F. 1996 aufgewendet hat, von dem
örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Nach § 89 a
Abs. 3 SGB VIII F. 1996 wird in den Fällen, in denen sich während der Gewährung der
Leistung nach Absatz 1 der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII
F. 1996 maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert, der örtliche Träger
kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII F. 1996
örtlich zuständig geworden wäre.
35
Die Klägerin hat Kosten für Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege aufgewendet (1.). Sie
war für die Hilfegewährung zunächst nach § 86 Abs. 1 SGB VIII F. 1993 örtlich
zuständig (2.). Sie ist vor dem Umzug von Frau C. in den Bereich des Beklagten auf
Grund des § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII (in der seit dem 1. April 1993 unverändert
geltenden F. 1993) zuständig geworden (3.). Während der Gewährung der Leistung hat
sich der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII maßgebliche
gewöhnliche Aufenthalt dahingehend geändert, dass ohne Anwendung des § 86 Abs. 6
SGB VIII F. 1993 der Beklagte zuständig geworden wäre (4.).
36
1. Die Klägerin hat Kosten aufgewendet, indem sie für das Kind M. C. im hier
streitgegenständlichen Zeitraum Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege in Form des
"Pflegegeldes" i.S.v. §§ 27, 33, 39, SGB VIII F. 1993 bzw. F. 1996 erbracht hat.
37
2. Die Klägerin war für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung (ab dem 1. April 1993)
zunächst nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII F. 1993 (für die Zeit davor galt § 85 SGB VIII
i.d.F. vom 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) örtlich zuständig, da die allein
sorgeberechtigte Mutter des M. C. ihren gewöhnlichen Aufenthalt zunächst in D. hatte.
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3. Die Klägerin ist sodann vor dem Umzug von Frau C. in den Bereich des Beklagten für
die Hilfe auf Grund des § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII F. 1993 als örtliche Trägerin
zuständig geworden. Nach dieser Vorschrift wird in dem Fall, in dem ein Kind zwei
Jahre bei einer Pflegeperson lebt und ein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu
erwarten ist, abweichend von § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII F. 1993 der örtliche Träger
zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Vorliegend lebte der Hilfeempfänger M. C. am 31. August 1995 bereits mehr als zwei
Jahre bei seinen Pflegeeltern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in D. hatten. Auch war
sein dortiger Verbleib auf Dauer zu erwarten. Nach den Beschlüssen des Amtsgerichts
D. vom 23. Dezember 1992 und 25. August 1993 war von der Möglichkeit einer
Rückführung M. in den Haushalt seiner Mutter erst dann auszugehen, wenn diese
keinen Alkoholmissbrauch mehr betreibe. Für eine derartige Besserung der
Lebenssituation der Mutter liegen indessen für den in Rede stehenden Zeitraum ab dem
31. August 1995 keine Anhaltspunkte vor.
39
4. Der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII F. 1993
maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt der Kindesmutter hat sich dahingehend geändert,
dass ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII F. 1993 der Beklagte zuständig
geworden wäre. Durch den Umzug von Frau C. am 31. August 1995 nach A. (und später
nach O. ) wäre nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII F. 1993 der Beklagte örtlich zuständig
gewesen, da Frau C. ihren gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr in dessen Bereich gehabt
hat. Dem steht gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB VIII F. 1993 nicht entgegen,
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dass Frau C. das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen war.
II. Dem Kostenerstattungsanspruch steht indessen § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (in der
seit dem 1. April 1993 - unverändert - geltenden Fassung 1993) entgegen.
41
Nach dieser Vorschrift sind die aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die Erfüllung
der Aufgaben den Vorschriften des Achten Buches des Sozialgesetzbuches entspricht.
Die Erstattungspflicht besteht danach nur, soweit die zugrundeliegende Maßnahme den
materiell-rechtlichen Vorschriften entspricht. Im Übrigen besteht kein
Kostenerstattungsanspruch des tätig gewordenen Trägers.
42
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. August 1998 - 16 A 3477/97 -, NWVBl. 1999, 144, 145 f.;
Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII - Kinder- und
Jugendhilfe, 2. Auflage 2000, § 89 f Rdnr. 4.
43
1. Die Gewährung der Kinder- und Jugendhilfeleistungen in Form der Hilfe zur
Erziehung sowie ergänzender Leistungen (§§ 27, 33 ff SGB VIII, jeweils in der seit dem
1. April 1993 geltenden F. 1993) für M. C. u.a. in der Zeit vom 31. August 1995 bis zum
8. Dezember 1998 erweist sich als rechtswidrig. Die Hilfegewährung entsprach nicht
den materiell-rechtlichen Vorschriften des SGB VIII, da die Hilfe zur Erziehung nach §§
27, 33 SGB VIII F. 1993 jedenfalls das Einverständnis des Personensorgeberechtigten
erfordert (a.), ein solches hinsichtlich der Hilfegewährung im streitgegenständlichen
Zeitraum nicht vorliegt (b.) und nicht entbehrlich gewesen ist (c.).
44
a. Die Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII F. 1993 erfolgt nur dann rechtmäßig,
wenn der Personensorgeberechtigte die Hilfegewährung beantragt oder jedenfalls mit
ihr einverstanden ist.
45
Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII - einschließlich des
Anspruchs auf diese Hilfe ergänzende Leistungen -,
46
vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1996 - 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433 (435),
47
steht nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 27 Abs. 1 SGB VIII F. 1993
dem Personensorgeberechtigten zu,
48
vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. April 2001 - 12 A 924/99 -, FEVS 53, 251 (252 f),
Beschluss vom 17. Mai 2001 - 12 E 460/00 -,
49
also in der Regel den Eltern oder einem Elternteil (vgl. § 1626 BGB). Der Anspruch
besteht, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende
Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und
notwendig ist. Zu den gemäß § 27 Abs. 2 SGB VIII F. 1993 zu gewährenden Hilfen zählt
auch die Vollzeitpflege gemäß § 33 Satz 1 SGB V III F. 1993 in einer anderen Familie.
In den Formulierungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII F. 1993 kommt zum Ausdruck, dass es
sich bei der Hilfe zur Erziehung um eine die elterliche Erziehung ergänzende und
unterstützende Hilfe handelt. Damit orientiert sich die Regelung daran, dass Pflege und
Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen
obliegende Pflicht sind (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, § 1 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) und basiert
auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und Zusammenarbeit. Entgegen früherer Regelungen
ist ein orginär öffentliches Erziehungsrecht im Kinder- und Jugendhilferecht nicht mehr
50
vorgesehen. Eine Befugnis zu staatlichen Eingriffen in die Erziehungsverantwortung der
Eltern besteht - abgesehen von den Fällen der §§ 42, 43 SGB VIII - nur in den Fällen, in
denen zur Abwehr konkreter Gefährdungen des Kindeswohls Maßnahmen nach § 1666
BGB erforderlich sind. Unterhalb dieser Schwelle leitet sich die Legitimation zu
Erziehungsleistungen daher ausschließlich von den Willenserklärungen des
Personensorgeberechtigten ab.
vgl. Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII, 27. Lfg., Stand April 2002, K § 27 Rdnr. 5;
Schellhorn in Schellhorn (Hrsg.), SGB VIII/KJHG, 2. Aufl. 2000, § 27 Rdnrn. 2, 15, 16,
18, 19; Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, a.a.O., Vor § 27 Rdnr. 21, §
27 Rdnrn. 3, 4; Münder u.a., Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum SGB
VIII/KJHG, 3. Aufl. 1999, § 27 Rdnrn. 10, 17, 22; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder-
und Jugendhilferecht, 22. Lfg., Stand: November 2001, KJHG Art. 1, Vorbem. §§ 27-35;
Rdnr. 27; Steffan in Lehr- und Praxiskommentar, - SGB VIII, § 1 Rdnrn. 11 f.
51
Die Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII setzt deshalb zumindest das Einverständnis
des Personensorgeberechtigten voraus.
52
Vgl. Schellhorn in Schellhorn, a.a.O., § 27 Rdnr. 16; Stähr in Hauck/Haines, a.a.O., K §
27 Rdnr. 17; Kunkel in Lehr- und Praxiskommentar - SGB VIII, § 27 Rdnr. 1;
Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., Erl. Art. 1 § 27 Rdnrn. 23, 24; Menzel/Ziegler,
Jugendhilferecht, Rdnr. 91.
53
Ein solches Einverständnis dürfte auch dem Antragserfordernis im Jugendhilferecht
genügen.
54
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2000 - 5 C 29.99 -, FEVS 52, 532.
55
b. Das nach dem Vorstehenden erforderliche Einverständnis der Frau C. mit der von der
Klägerin im Zeitraum vom 31. August 1995 bis 8. Dezember 1998 gewährten Hilfe zur
Erziehung liegt nicht vor.
56
Es kann offen bleiben, ob in dem von Frau C. am 23. März 1992 unterzeichneten
Formular ein Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung, insbesondere in Form der
Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII F. 1993), gesehen werden kann. Da sie sich in der
Folgezeit wiederholt mit der Unterbringung ihres Sohnes bei den Pflegeeltern nicht
einverstanden erklärt, vielmehr auf seine Rückkehr in ihren Haushalt bestanden hat, hat
sie ein möglicherweise ursprünglich gegebenes Einverständnis mit seiner
Fremdunterbringung jedenfalls nicht weiter aufrecht erhalten.
57
Die Versagung ihres weiteren Einverständnisses etwa als unbeachtlich anzusehen,
kommt unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Es kann dahingestellt bleiben, ob im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Prüfung des Verzichts auf die Inanspruchnahme
von Hilfe zur Erziehung unter dem Gesichtspunkt der Rechts- missbräuchlichkeit
überhaupt zulässig ist.
58
- bejahend: Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26. März 1997 - 4 L 712/96 -, FEVS 48,
116 (118 f, 120) -
59
oder Fällen missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge allein durch Maßnahmen
des Familiengerichts nach § 1666 BGB begegnet werden kann.
60
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 5 C 6.00 -, NJW 2002, 232 = FEVS 53, 105
(109).
61
Jedenfalls sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine
rechtsmissbräuchliche Versagung der (weiteren) Zustimmung zur Hilfegewährung
gegeben. Frau C. hat in Gesprächen mit Mitarbeitern des Jugendamts stets betont, auf
ihren Sohn angewiesen zu sein und ohne ihn nicht leben zu können (vgl. z.B. die
Vermerke des Jugendamtes vom 20. Februar 1992, 14. Oktober 1992 und 8. Dezember
1992). Dass sie etwa, um die erstrebte Rückkehr zu erreichen, darauf abzielte, ihrem
Kind die wirtschaftliche Grundlage für seinen weiteren Verbleib bei der Pflegefamilie zu
entziehen und das Vormundschaftsgericht vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist nicht
im Ansatz erkennbar.
62
Vgl. zu diesen Voraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verzichts auf die Hilfe
zur Erziehung: Niedersächsisches OVG, a.a.O..
63
Der Gewährung der Hilfe zur Erziehung im Zeitraum vom 31. August 1995 bis 8.
Dezember 1998 hat Frau C. auch nicht durch den der Klägerin auf deren Schreiben vom
3. November 1998 übersandten "Antrag des Sorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung"
nachträglich zugestimmt.
64
Vgl. zur Möglichkeit einer nachträglich erteilten Zustimmung zur Hilfe der Erziehung:
Schellhorn, a.a.O., § 89 f Rdnr. 6.
65
Ihrer darin geäußerten Bitte, für ihren Sohn einen geeigneten Unterbringungsplatz bei
der bekannten Pflegefamilie zu benennen, lassen sich keine Anhaltspunkte dafür
entnehmen, dass sie damit die Unterbringung ihres Sohnes etwa rückwirkend
"genehmigt" hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang ihrer Bitte mit dem
Hinweis der Klägerin im Anschreiben vom 3. November 1998, der Antrag sei
erforderlich, um M. "weitere Hilfe" zukommen zu lassen, dass der Antrag allein auf die
Zukunft bezogen war.
66
c. Das Einverständnis der Frau C. mit der gewährten Hilfe zur Erziehung im
streitgegenständlichen Zeitraum war nicht dadurch entbehrlich, dass das Amtsgericht D.
mit Beschluss vom 25. August 1993 Frau C. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren
Sohn entzogen und dem Jugendamt der Klägerin als Pfleger übertragen hat.
67
Aus der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt folgt nicht,
dass dessen Wille zur Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII F.
1993 das fehlende Einverständnis des Personensorgeberechtigten mit der
Vollzeitpflege seines Kindes in einer anderen Familie ersetzt.
68
Das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts eines Kindes nach § 1631 Abs. 1 BGB ist
Teil der alle persönlichen Angelegenheiten des Kindes umfassenden Personensorge
(vgl. § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Es betrifft die Wahl von Wohnort und Wohnung des
Kindes.
69
Vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 60. Aufl. 2002, § 1631 Rdnr. 8; Hinz in Münchener
Kommentar, BGB, Band 5, 2. Halbband, Familienrecht, 2. Aufl. 1987, § 1631 Rdnr. 18.
70
Neben diesem Recht umfasst die Personensorge nach § 1631 Abs. 1 BGB
insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu
beaufsichtigen. Auch wenn das Recht zur Bestimmung des Kindesaufenthalts weiterhin
die notwendige Voraussetzung für die - tatsächliche - Wahrnehmung von Pflege und
Erziehung und der Beaufsichtigung darstellt,
71
vgl. Hinz in Münchener Kommentar, a.a.O.,
72
sind die zuletzt genannten Bereiche nicht als bloßer Annex des
Aufenthaltsbestimmungsrechts anzusehen.
73
So aber: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. April 2000 - 12 A 11123/99 -, FamRZ
2001, 1184; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Februar 1996 - 25 Wx 63/95 -, FamRZ
1997, 105; LG Darmstadt, Beschluss vom 16. Februar 1995 - 5 T 1414/94 -, FamRZ
1995, 1435 (1436); Schellhorn, a.a.O., § 27 Rdnr. 15.
74
Vielmehr ändert der in tatsächlicher Hinsicht bestehende Zusammenhang zwischen den
in § 1631 Abs. 1 BGB genannten Bestandteilen der Personensorge nichts daran, dass
es rechtlich betrachtet jeweils Teilbereiche der Personensorge und damit voneinander
zu trennende Bestandteile sind. Dabei ist zu beachten, dass die in § 1631 Abs. 1 BGB
nicht abschließend umschriebene ("insbesondere") Personensorge inhaltlich auch
durch Regelungen des Kinder- und Jugendhilferechts bestimmt wird.
75
Vgl. hierzu: Fricke, Zentralblatt für Jugendrecht (ZfR) 1993, 284 (285, 287); Palandt-
Diederichsen, a.a.O. Einf. vor § 1626, Rdnr. 17 ff.
76
So wird das elterliche Erziehungsrecht nach § 1631 Abs. 1 BGB insbesondere durch
das Recht auf Beteiligung an der Ausgestaltung der Hilfe zur Erziehung nach §§ 36, 37
SGB VIII konkretisiert.
77
Vgl. Wiesner, a.a.O., § 36 Rdnr. 13; Fricke, a.a.O., (287).
78
Die differenzierte Ausgestaltung der Personensorge durch privatrechtliche Regelungen
einerseits und öffentlich-rechtliche Normen andererseits zeigt, dass im Fall der
Übertragung allein des Aufenthaltsbestimmungsrechts dem Aufenthaltspfleger lediglich
die privatrechtliche Befugnis zukommt, Wohnort und Wohnung des Kindes zu
bestimmen, die Befugnis etwa zur Wahrnehmung öffentlich- rechtlicher Rechte und
Pflichten der Personensorge davon aber nicht umfasst ist.
79
Vgl. DV, Gutachten vom 26. April 1994 - G 100/92 -, NDV 1995, 168 (169); Fricke,
a.a.O.; Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., Art. 1 KJHG, Erl. § 89 f Rdnr. 19, m.w.N.; VG
Arnsberg, Urteil vom 23. Oktober 1995 - 11 K 3211/94 -, FamRZ 1997, 1373 (1374).
80
Vielmehr verbleibt insbesondere das Recht, Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff SGB VIII
in Anspruch zu nehmen, bei dem Erziehungsverantwortlichen. Soll auch dieses Recht
übergehen, ist es erforderlich, eine Entscheidung des Familiengerichts über die
Entziehung und Übertragung der Erziehungsverantwortung herbeizuführen. Ist dem
Sorgeberechtigten das Recht auf Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung nicht
entzogen worden, so ist die Gewährung von Jugendhilfe gegen seinen erklärten Willen
rechtswidrig und verletzt das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG).
81
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001, a.a.O.
82
2. Für die Anwendung des § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII F. 1993 ist es entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts unerheblich, dass die Auffassung der Klägerin, die
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Ju-gendamt allein reiche aus,
um seine Befugnis zur Hilfegewährung nach §§ 27, 33 SGB VIII F. 1993 zu begründen,
teilweise auch in Rechtsprechung und Rechtslehre vertreten wird,
83
vgl. hierzu die oben angeführten Nachweise,
84
und erst das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2001 - 5 C 6.00 -
(a.a.O.) insoweit eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt hat.
85
Ob die jugendhilferechtlichen Maßnahmen, die zu den streitbefangenen Kosten geführt
haben, rechtmäßig waren, unterliegt auch im Erstattungsstreit grundsätzlich der
uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.
86
Steht die Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns in Frage, haben die Gerichte dieses
Handeln in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht grundsätzlich vollständig
nachzuprüfen, ohne an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und
Wertungen gebunden zu sein. Nur wenn den jeweiligen Rechtsvorschriften die
Einräumung eines gerichtlich nur beschränkt kontrollierbaren Entscheidungsspielraums
ihrer Art und ihrem Umfang nach zumindest konkludent entnommen werden kann, hat
das Gericht die Prüfungsdichte zu reduzieren.
87
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 1995 - 3 C 24.94 -, BVerwGE 100, 221, 225;
BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 und 213/83 -, BVerfGE 84, 34,
50f.
88
Dieser für das Verhältnis Bürger - Staat aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Grundsatz
beansprucht auch Geltung, wenn, wie im Fall des § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, die
Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns gegenüber einem Bürger in einem Rechtsstreit
zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern zu prüfen ist, ohne dass sich in dieser
Vorschrift oder im Zusammenhang stehenden Regelungen zumindest Anhaltspunkte für
eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung finden. § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII selbst gibt
keinen irgendwie gearteten Hinweis auf eine eingeschränkte Rechtmäßigkeitsprüfung.
89
Ein Anhaltspunkt für einen unter bestimmten Voraussetzungen zu akzeptierenden
Vorrang der Auslegung, die der Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger einer
Vorschrift im Jugendhilfefall gegeben hat, ist nicht aus § 89 f Abs. 1 Satz 2 SGB VIII F.
1993 herzuleiten, wonach hinsichtlich der Frage, ob die Erfüllung der Aufgaben i.S. des
Satzes 1 den Vorschriften des SGB VIII entspricht, die Grundsätze gelten, die im Bereich
des tätig gewordenen Trägers zur Zeit des Tätigwerdens angewandt werden. Diese
Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand von
Kostenerstattungsbegehren Leistungen sein können, die einem Ermessens- oder
Beurteilungsspielraum des Hilfe gewährenden Trägers der Jugendhilfe unterliegen, und
deshalb im Erstattungsverfahren zwischen den beteiligten Trägern möglicherweise
unterschiedliche Auffassungen etwa über die Erforderlichkeit und Höhe der
aufgewendeten Kosten entstehen. Für derartige Meinungsverschiedenheiten enthält die
Regelung einen Orientierungsrahmen, indem die für den leistenden Träger für die
Ausübung seines Ermessens bzw. die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe
90
geltenden Richtlinien, Dienstanweisungen oder Vereinbarungen mit Dritten als
ausschlaggebend bestimmt werden. Der erstattungspflichtige Träger kann sich daher
nicht etwa darauf berufen, in seinem Bereich bestünden andere Bestimmungen oder er
halte eine andere Handhabung von Ermessensvorschriften für zweckmäßig.
Vgl. Stähr in Hauck/Haines, a.a.O., K § 89 f Rdnr. 1, 4; Wiesner, a.a.O., § 89 f Rdnr. 8;
Jans/Happe/Saurbier/Maas, a.a.O., Erl. § 89 f Rdnr. 4; zur vergleichbaren Vorschrift des
§ 111 Abs. 1 Satz 2 BSHG: Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 31. Lfg.,
Stand Januar 2002, § 111 Rdnrn. 5, 10; Schoch in Lehr- und Praxiskommentar - BSHG,
5. Aufl. 1998, § 111 Rdnr. 15; Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl.
1985, § 111 Rdnr. 2.
91
Auch die Vorschriften über die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander
geben keinen Anhaltspunkt für eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung.
92
Ob sich der allgemein im öffentlichen Recht und speziell auch für das Verhältnis der
Leistungsträger untereinander geltende Grundsatz von Treu und Glauben
ausnahmsweise im Sinne einer Zurücknahme gerichtlicher Kontrolle auswirken kann,
bedarf keiner Entscheidung. Solches könnte nur anzunehmen sein, wenn der
Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger vernünftigerweise nicht anders als
tatsächlich geschehen handeln konnte. Das kommt in Betracht, wenn der tätig
gewordene Jugendhilfeträger auf Grund einer rechtskräftig gewordenen
verwaltungsgerichtlichen Verurteilung oder im Einklang mit einer bestimmten, erst nach
Abwicklung des Jugendhilfefalles aufgegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung
gehandelt hat. Eine Ausnahme ist auch für den Fall zu erwägen, in dem die zur
Erstattung angemeldeten Kosten nicht im untrennbaren Zusammenhang mit der
Rechtswidrigkeit der gewählten Verfahrensweise stehen, weil rechtmäßiges Handeln
ohne Weiteres ebenfalls zu diesen Kosten geführt hätte.
93
Vgl. zu einem solchen Fall im Sozialhilferecht: OVG NRW, Urteil vom 29. Mai 2001 - 16
A 455/01 -, FEVS 53, 273 (278 f).
94
Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Weder hat die Klägerin auf der Grundlage eines
bestimmten Rechtssatzes aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Reichweite
der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder einer
verwaltungsgerichtlichen Verurteilung gehandelt noch wären, wenn die Klägerin das
fehlende Einverständnis von Frau C. mit der Fremdunterbringung beachtet hätte, ohne
Weiteres die streitbefangenen Kosten entstanden. Es hätte im letztgenannten Fall
vielmehr zunächst besonderer Bemühungen bedurft, Frau C. zu überzeugen. Wäre das
nicht gelungen, hätte das Jugendamt der Klägerin beim Vormundschaftsgericht einen
Antrag auch auf Übertragung des Rechts, Hilfe zur Erziehung zu beantragen, stellen
müssen.
95
3. Die Klägerin kann sich schließlich nicht etwa darauf berufen, sie habe die
Rechtswidrigkeit der von ihr geleisteten Hilfe zur Erziehung auf Grund des in
Rechtsprechung und Rechtslehre jedenfalls im Zeitraum der Hilfegewährung
bestehenden Streits darüber, ob die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf
das Jugendamt allein für seine Befugnis zur Hilfegewährung nach §§ 27, 33 SGB VIII F.
1993 ausreicht, nicht erkennen können.
96
Für die Frage nach der rechtmäßigen Anwendung der Vorschriften des SGB VIII nach §
97
89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII F. 1993 kommt es auf ein Verschulden des
kostenerstattungsbegehrenden Trägers der Jugendhilfe nicht an. Die Rechtmäßigkeit
der Hilfegewährung richtet sich - wie sich aus den Ausführungen unter B) II. 2. ergibt -
allein nach objektiven Maßstäben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit
ergibt sich aus § 194 Abs. 5 VwGO in der Fassung von Art. 1 Nr. 28 des Gesetzes zur
Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001
(BGBl. I S. 3987) in Verbindung mit § 188 S. 2 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2001
geltenden Fassung.
98
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 1 VwGO,
708 Nr. 10, 711 ZPO.
99
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
100
Rechtsmittelbelehrung
101
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
102
Die Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen,
Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster (Postfachanschrift: Postfach 6309, 48033 Münster),
innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen. Die Beschwerde
muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei
Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem
oben genannten Gericht einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil
abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
103
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die
Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im
Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als
Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und
Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch
Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen
Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem
sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
104