Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.06.2001

OVG NRW: überwiegendes interesse, vollziehung, eltern, familie, aufwand, rechtswidrigkeit, gespräch, interessenabwägung, datum, rücknahme

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberverwaltungsgericht NRW, 2 B 458/01
08.06.2001
Oberverwaltungsgericht NRW
2. Senat
Beschluss
2 B 458/01
Verwaltungsgericht Köln, 17 L 2141/99
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Antrag der Antragstellerin auf Regelung der Vollziehung der Klage
VG Köln 17 K 6406/99 wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,- DM
festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde ist zuzulassen, weil aus den nachfolgenden Gründen ernstliche Zweifel
an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen (§§ 146 Abs. 4, 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde ist begründet. Der von dem Antragsgegner sinngemäß gestellte Antrag,
unter Änderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Antragstellerin auf
Regelung der Vollziehung der Klage VG Köln 17 K 6406/99 abzulehnen,
hat Erfolg. Die Abwägung des widerstreitenden öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Rücknahmebescheides mit dem privaten Interesse an der aufschiebenden
Wirkung seines Rechtsmittels fällt zugunsten des Antragsgegners aus, weil nach der im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht
festgestellt werden kann, dass der Rücknahmebescheid offensichtlich rechtmäßig ist und
die danach gebotene allgemeine Interessenabwägung zu Gunsten des Antragsgegners
ausfällt.
Vor dem Hintergrund, dass sich - wie in der Zulassungsschrift dargelegt - die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Vermittlung
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des Merkmals Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG insbesondere im
Hinblick auf den Vermittlungszeitraum und die Berücksichtigung eines mehrsprachigen
Aufwachsens geändert hat (vgl. u.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober
2000 - 5 C 44.99 -), und diese Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in dem
hier vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO relevant ist,
vgl. Kopp/Schenk, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 80 Rdnr. 222,
kann mit Blick darauf, dass für den Antragsgegner, der beiderseits von deutschen Eltern
abstammt, vorgetragen ist, ab dem ersten Lebensjahr die deutsche Sprache von den Eltern
und Großeltern erlernt zu haben, nicht festgestellt werden, dass der Rücknahmebescheid
offensichtlich rechtmäßig ist, zumal er allein auf die unzureichenden aktuellen
Sprachkenntnisse und damit auf einen nach der neuen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht (mehr) maßgeblichen Gesichtspunkt abstellt. Zweifel an
der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides werden zusätzlich dadurch genährt, dass das
Bundesverwaltungsamt den Aufnahmebescheid offensichtlich erst erteilt hat, nachdem ein
von dem Antragsgegner benannter Zeuge dessen Angaben bestätigt und darüber hinaus
sogar angegeben hat, die Antragsgegnerin zu 1) könne "ein einfaches Gespräch in
deutscher Sprache führen". Unter Berücksichtigung dieser Umstände begegnet eine
Rücknahme des Aufnahmebescheides allein mit der Begründung, der Antragsgegner habe
maßgeblich die Rechtswidrigkeit des Aufnahmebescheides bewirkt, weil er in seinem
Aufnahmeantrag in wesentlichen Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe bzw. seine
unrichtigen Angaben zur Mutter- und Umgangssprache in der Familie sowie zur deutschen
Sprachbeherrschung hätten zu einer fehlerhaften Entscheidung geführt, erheblichen
rechtlichen Bedenken.
Da der Antragsgegner bereits unter Aufgabe seines Wohnsitzes in das Bundesgebiet
eingereist ist, was nur mit erkennbar hohem persönlichen Einsatz und finanziellen Aufwand
rückgängig gemacht werden kann, besteht hier ein überwiegendes Interesse des
Antragsgegners daran, seine aus dem Aufnahmebescheid folgende - bereits in Anspruch
genommene - Rechtsposition jedenfalls solange ausnützen zu dürfen, bis über die
Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheides abschließend entschieden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).