Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.12.2008

OVG NRW: widerruf, auflage, alkoholmissbrauch, diagnose, wiederholungsgefahr, volumen, blutuntersuchung, wörterbuch, qualifikation, erwerbsfähigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 E 1108/08
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 E 1108/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 3 K 1735/08
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 23. Juli 2008 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. zu Recht wegen fehlender
Erfolgsaussicht der Klage (§ 166 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. § 114
Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -) abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen ist nicht
geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.
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Dies gilt zunächst für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen
Unterlassungsanspruch. Dieser richtet sich auf das Unterlassen rechtswidriger
hoheitlicher Eingriffe in subjektive Rechte und setzt unter anderem voraus, dass eine
Beeinträchtigung konkret droht. Dies kann insbesondere dann angenommen werden,
wenn bereits ein entsprechender Eingriff stattgefunden hat (Wiederholungsgefahr).
Allerdings kann nicht immer von einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung auf die
Gefahr zukünftig drohender Beeinträchtigungen geschlossen werden. Ein solcher
Schluss kommt nicht in Betracht, wenn nach der Art der Störung oder auf Grund der
Umstände des Falles eine Wiederholung vernünftigerweise nicht zu befürchten ist.
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Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Auflage 1998, Teil 7 Abschn. III 1 (S. 300 f.),
sowie - zum presserechtlichen Unterlassungsanspruch - Steffen, in Löffler, Presserecht,
5. Auflage 2006, § 6 LPG Rdnr. 263 ff.
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Das Verwaltungsgericht hat plausibel begründet, warum die Gefahr einer Wiederholung
nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht zu befürchten ist. Dem ist die
Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht entgegen getreten, nachdem sie schon im
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Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht aufgezeigt hatte, was sie zur Annahme
einer Wiederholungsgefahr veranlasst.
Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein
Widerrufsanspruch nicht gegeben sein dürfte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass
Gegenstand eines Widerrufsanspruchs regelmäßig nur Tatsachenbehauptungen sein
können, nicht aber Werturteile.
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Vgl. BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87 -, NJW 1989, 774, und vom 25.
November 1986 - VI ZR 57/86 -, BGHZ 99, 133, jeweils m. w. N.; ebenso Ossenbühl,
a.a.O., Teil 7 Abschn. III 3 (S. 306).
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Anerkannt ist des Weiteren, dass es sich bei ärztlichen Diagnosen grundsätzlich um
Werturteile handelt. Zwar werden in entsprechenden ärztlichen Äußerungen regelmäßig
auch Tatsachen behauptet, etwa die Beobachtung bestimmter, der Diagnose zugrunde
liegender Symptome. Der Schluss, den ein Arzt mit einer Diagnose aus den
vorliegenden Fakten zieht, ist jedoch eine aus seiner fachlichen Einschätzung
gewonnene Bewertung und nicht die Behauptung einer Tatsache.
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Vgl. nur BGH, Urteile vom 11. April 1989 - VI ZR 293/88 -, NJW 1989, 2941, und vom 3.
Mai 1988 - VI ZR 276/87 -, NJW 1989, 774; BayVGH, Beschluss vom 21. August 1986 -
5 B 85 A.2461 -, BayVBl. 1987, 401; für Sachverständigengutachten im Allgemeinen
auch BGH, Urteil vom 18. Oktober 1977 - VI ZR 171/76 -, NJW 1978, 751.
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Von einer dem Widerruf zugänglichen Tatsachenbehauptung ist nur in Ausnahmefällen
auszugehen, etwa wenn eine die Schlussfolgerung tragende Befunderhebung nur
vorgetäuscht ist, wenn die Befunderhebung in fachlich- methodischer Hinsicht
ersichtlich defizitär ist oder wenn dem Gutachter jedwede Kompetenz für die Beurteilung
der in Rede stehenden Fragen fehlt. Die einem Widerruf zugängliche
Tatsachenbehauptung liegt in diesen Fällen in der unwahren konkludenten
Behauptung, das Gutachten sei auf einer in Wirklichkeit nicht bestehenden fachlichen
Grundlage erstellt worden.
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Vgl. neben den vorstehend zitierten Entscheidungen auch VG Augsburg, Urteil vom 21.
November 2007 - Au 4 K 07.624 -, juris.
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Vorliegend stellt sich die Erklärung, bei der Klägerin liege ein "C2H5OH-Abusus", also
ein Alkoholmissbrauch, vor, als medizinisch begründete Schlussfolgerung aus dem
Ergebnis der vorgenommenen Untersuchungen dar. Wie das Verwaltungsgericht zu
Recht ausführt, kann diese Schlussfolgerung sich möglicherweise als irrig oder
zweifelhaft erweisen; als Werturteil der beteiligten Ärzte kann sie nach den oben
genannten Grundsätzen aber nicht zum Gegenstand eines Widerrufsbegehrens
gemacht werden. Es liegt auch nicht der beschriebene Fall einer ersichtlich haltlosen,
ohne fachlich fundierte Grundlage getroffenen Äußerung vor, in dem ausnahmsweise
ein Widerruf verlangt werden kann. Denn ausweislich des Schriftsatzes des Beklagten
vom 2. Oktober 2008 und des beigefügten Laborberichts vom 12. Juni 2007 beruht die
Annahme eines Alkoholmissbrauchs auf konkreten Ergebnissen der durchgeführten
Blutuntersuchung, nämlich dem festgestellten Carbohydrat-deficient-trans-ferrin-Wert
(CDT) und dem ermittelten Mittleren Corpusculären Volumen (MCV). Dies sind
anerkannte Diagnosekriterien für den Alkoholmissbrauch.
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Vgl. nur Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Stichwort "Alkoholkrankheit".
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Zweifel in Bezug auf die fachliche Qualifikation der beteiligten Ärzte sind ebenfalls nicht
erkennbar. Einen "ärztlichen Diagnosefehler", den die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom
18. November 2008 geltend macht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die
Klägerin vorträgt, es hätte zumindest eine weitere Kontrolluntersuchung zu einem
späteren Zeitpunkt stattfinden müssen, ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Ärzte
hier in erster Linie einen konkreten Gutachtenauftrag des Beklagten auszuführen,
nämlich der Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach § 8 SGB-II nachzugehen
hatten. Dass es der Klägerin unbenommen war, die Diagnosen durch weitere
Untersuchungen ihrer eigenen Ärzte zu hinterfragen, versteht sich von selbst.
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Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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