Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.04.2002

OVG NRW: beweisantrag, hinweispflicht, asylbewerber, meinung, erheblichkeit, bekanntgabe, pauschal, erlass, verhaftung, obliegenheit

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 1530/02.A
Datum:
25.04.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 A 1530/02.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 3 K 2369/98.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Münster vom 4. März 2002 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Die gerügte Abweichung von der in der Antragsschrift bezeichneten Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht
hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor. Eine die Berufung eröffnende Divergenz
besteht nur dann, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von
einem in der Rechtsprechung der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG bezeichneten Gerichte
aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz abweicht. Dies zeigt die
Antragsschrift nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat sich vielmehr die in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts
entwickelten Grundsätze, nach denen auch einem substantiierten Beweisantrag nicht
nachgegangen werden muss, wenn das eigene Verfolgungsvorbringen des
Asylbewerbers in wesentlichen Punkten unschlüssig oder in nicht auflösbarer Weise
widersprüchlich ist, zu Eigen gemacht (vgl. UA S. 10 oben) und hiervon ausgehend eine
Beweiserhebung abgelehnt. Die Antragsschrift versucht demgegenüber lediglich
darzulegen, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssätze des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts unrichtig angewandt
habe. Ein Anwendungsfehler ist indessen keine Divergenz im Sinne des
Berufungszulassungsrechts.
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2. Die geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor.
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a) Das Gericht war zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gehalten, den Kläger in der
mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner Hinweispflicht gem. § 86 Abs. 3 VwGO
darauf hinzuweisen, dass es Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens hat. Ein
Asylbewerber ist selbst für die Darlegung seiner Asylgründe verantwortlich. Die
gerichtliche Aufklärungs- und Hinweispflicht befreit ihn nicht von der Obliegenheit, eine
in sich stimmige Schilderung seines behaupteten Verfolgungsschicksals zu geben.
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b) Ein zur Zulassung der Berufung führender Gehörsverstoß liegt auch nicht darin, dass
das Verwaltungsgericht die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten
Beweisanträge des Klägers auf Vernehmung der Zeugen A. und G. abgelehnt hat. Es
hat sie in der mündlichen Verhandlung allerdings prozessordnungswidrig mit der
Begründung abgelehnt, dass "sie für die Entscheidungsfindung entbehrlich sind". Damit
hat es der Sache nach zum Ausdruck gebracht, dass die unter Beweis gestellten
Tatsachen für seine Entscheidung unerheblich sind. Gleichwohl hat es in den
Entscheidungsgründen seines Urteils das Vorbringen des Klägers zu seinen
Vorfluchtgründen für entscheidungserheblich, aber unglaubhaft erachtet. Mit dieser
Begründung hat es sich über die aus der Ablehnung des Beweisantrages wegen
Unerheblichkeit folgenden Bindung hinweggesetzt und der Ablehnung des
Beweisantrages nachträglich die Grundlage entzogen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6.
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Die fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung wird
durch die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils für die Ablehnung
der Beweiserhebung gegebene Begründung nicht geheilt. Das Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, Beweisanträge i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO in
der mündlichen Verhandlung mit zutreffender Begründung abzulehnen, damit dem
Antragsteller Gelegenheit gegeben wird, sich auf die durch die Ablehnung seines
Beweisantrages geschaffene neue Prozesssituation einzustellen und ggfls. neue
Tatsachen vorzutragen oder neue Anträge zu stellen.
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Trotz der fehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung
bleibt die Gehörsrüge aber ohne Erfolg. Der Kläger hat sie entgegen der Bestimmung
des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nicht ausreichend begründet. Die ordnungsgemäße
Begründung der Gehörsrüge erfordert neben Ausführungen zu den Umständen, aus
denen sich das Vorliegen einer Gehörsversagung ergibt, auch die Darlegung, was bei
ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre; nur auf der
Grundlage eines solchen Vortrages kann nämlich geprüft und entschieden werden, ob
auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, dem
Beteiligten günstigeren Entscheidung geführt hätte.
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Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988.92 -, InfAuslR 1993, 300
(302); BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1984 - 9 B 138.84 -, InfAuslR 1985, 83;
Beschluss vom 2. April 1985 - 3 B 75.82 -, Buchholz 310, § 108 VwGO Nr. 165;
Beschluss vom 13. Januar 1999 - 9 B 90.98 -, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 36 m.w.N.
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Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht. Sie legt nicht dar, dass das
angefochtene Urteil auf der im Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgten
prozessordnungswidrig begründeten Ablehnung der Beweisanträge beruht.
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Das Verwaltungsgericht hat im Urteil vom 4. März 2002 die Ablehnung der
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Beweisanträge damit begründet, dass das Asylvorbringen des Klägers in seinem
Kerngeschehen widersprüchlich sei und dass es deshalb selbst substantiierten
Beweisanträgen zum Verfolgungsgeschehen des Klägers nicht habe nachgehen
müssen (UA S. 10, oben). Diese Begründung findet im Prozessrecht eine Stütze. Auch
substanttiierten Beweisanträgen zum Verfolgungsvorbringen eines Asylbewerbers muss
nicht nachgegangen werden, wenn die Schilderung, die der Asylbewerber von seinem
persönlichen Verfolgsschicksal gibt, in wesentlichen Punkten unschlüssig oder in nicht
auflösbarer Weise widersprüchlich ist.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1994 - 2 BvR 1183/92 -, DVBl. 1994, 1403;
BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, NVwZ-RR 1990, 379;
Beschluss vom 20. Juli 1998 - 9 B 10.98 -, NVwZ-RR 1999, 208; VGH BW, Urteil vom
17. Juni 1998 - A 14 S 1178/98 -, NVwZ 1998, 110.
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Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen zahlreiche Widersprüche
und Steigerungen im Vortrag des Klägers aufgezeigt. Diese betreffen - jedenfalls was
die unterschiedlichen Angaben des Klägers zur Anzahl der angeblich erlittenen
Verhaftungen, zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Verhaftung, zur Anzahl der im Jahre
1998 in seinem Elternhaus durchgeführten Razzien und zur zeitlichen Einordnung der
anlässlich dieser Razzien erfolgten Tötung seines Hundes anbelangt - den Kern des
Verfolgungsgeschehens und erreichen die für die Ablehnung eines Beweisantrages
erforderliche Schwelle der Widersprüchlichkeit.
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Wird eine im Termin zur mündlichen Verhandlung prozessordnungswidrig begründete
Ablehnung eines Beweisantrages in den schriftlichen Urteilsgründen - wie hier - durch
eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt, ist eine Gehörsrüge nur schlüssig
erhoben, wenn der Beweisantragsteller darlegt, wie er sich auf die ihm erst durch das
Urteil bekannt gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte,
wenn sein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag vorab mit der im
Urteil gegebenen Begründung abgelehnt worden wäre. Die Bestimmung des § 86 Abs.
2 VwGO soll gewährleisten, dass der Beweisantragsteller vor Erlass des Urteils die
Meinung des Gerichts über die Erheblichkeit der von ihm angebotenen Beweise zur
Kenntnis erhält, um sein weiteres Prozessverhalten darauf einstellen zu können.
Danach müssen der Beschluss und auch dessen Begründung den Beteiligten in einem
Zeitpunkt eröffnet werden, der es ihnen ermöglicht, sich auf die durch die Ablehnung
des Beweisantrages geschaffene neue Verfahrenslage einzustellen. Gibt aber ein
Beweisantragsteller nicht an, wie er auf die in den schriftlichen Urteilsgründen
enthaltenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe reagiert hätte, wären sie ihm
bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung bekannt gewesen, kann nicht beurteilt
werden, ob sich die nach § 86 Abs. 2 VwGO verspätete Bekanntgabe der
prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe überhaupt auf die Entscheidung
ausgewirkt haben kann.
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Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 9 UZ 1249/98.A -, unter Hinweis auf
BVerwG, Beschluss vom 13. September 1977 - V CB 68.74 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 2
VwGO Nr. 20 zum Fall der gänzlich fehlenden Entscheidung über einen Beweisantrag.
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Die Antragsschrift lässt nicht erkennen, was der Kläger noch ausgeführt hätte, wenn das
Verwaltungsgericht die Ablehnung der Beweisanträge bereits in der mündlichen
Verhandlung mit der Widersprüchlichkeit des Verfolgungsvorbringens des Klägers
begründet hätte. Zu einer ordnungsgemäßen Gehörsrüge in einem Fall wie diesem
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hätte dargelegt werden müssen, mit welchen klarstellenden oder konkretisierenden
Angaben die aufgezeigten Widersprüche im Vorbringen des Asylberwerbers hätten
ausgeräumt oder doch zumindest relativiert werden können. Daran fehlt es hier. Der
Kläger setzt sich nicht mit den aufgezeigten Widersprüchen in seinem Vortrag im
Einzelnen auseinander. Vielmehr behauptet er lediglich pauschal, er habe sein
Verfolgungsgeschehen in seinem Kern gleichbleibend vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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