Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 06.08.2008

OVG NRW: kasachstan, aufenthalt, absicht, feststellungsklage, begriff, botschaft, wiedereinreise, freiwilligkeit, form, abweisung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 1442/08
Datum:
06.08.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 1442/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 959/07
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 30.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat für keinen der Kläger und unter
keinem der geltend gemachten Gesichtspunkte Erfolg.
2
Hinsichtlich der Klägerinnen zu 1. und zu 3. kommt eine Berufungszulassung weder
nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Betracht.
3
Das Zulassungsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der
insoweit entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, die
Feststellungsklage sei wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Juni 2001 - 2 A 80.00 - unzulässig. Entgegen der
Auffassung der Kläger hat das Verwaltungsgericht Berlin die Klage nicht durch bloßes
Prozessurteil als unzulässig abgewiesen, sondern in der Sache zum Verlust der
Rechtsstellung als Deutsche i. S. d. Grundgesetzes nach dem noch anwendbaren § 7
Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StaRegG a. F. entschieden. Dieses Ergebnis lässt sich zwar nicht
schon dem gewählten Obersatz entnehmen, da das Verwaltungsgericht insoweit
lediglich formuliert hat, die Klage könne „keinen Erfolg" haben, folgt aber aus den
nachfolgenden Begründungserwägungen. Zwar hat das Verwaltungsgericht dem
Anschein nach zunächst die Zulässigkeit der Klage schon wegen eines fehlenden
Rechtsschutzbedürfnisses verneint; es hat sie ausweislich seiner weiteren
Ausführungen (UA Seite 4, vierter Absatz) dann aber doch für u.U. gegeben erachtet
4
und - angesichts des damit erfolgten Offenlassens dieser Frage - sodann konsequent
und ausweislich der gewählten Formulierungen (vgl. insbesondere: „Nach alledem kann
nicht festgestellt werden, dass die Kläger Deutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG
sind") nicht etwa nur hilfsweise die Begründetheit der Klage untersucht und verneint.
Dass das OVG Berlin in seinem Beschluss vom 5. Juni 2002 - OVG 5 N 40.01 - den
Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das vorgenannte Urteil des VG Berlin
deswegen ohne Eingehen auf die materiell-rechtliche Problematik mangels ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
abgelehnt hat, weil aus seiner Sicht jedenfalls die prozessrechtliche Erwägung
fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als eine von zwei das Entscheidungsergebnis
selbständig tragenden Gründen nicht in Frage gestellt war, führt nicht dazu, dass
lediglich eine - so nicht erfolgte - Klageabweisung wegen Unzulässigkeit der Klage in
materieller Rechtskraft erwächst.
Brauchte sich das Verwaltungsgericht danach im vorliegenden Verfahren zu Recht mit
der materiell-rechtlichen Frage des Verlustes der Rechtsstellung der Klägerinnen zu 1.
und 3. als Deutsche i. S. v. Art. 116 Abs. 1 GG nicht erneut zu beschäftigen, so können
die Klägerinnen bezogen auf die Problematik von § 7 Abs. 1 StARegG a. F. von
vornherein keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO anbringen.
5
Das gilt in gleicher Weise für die von den Klägerinnen zu 1. und 3. begehrte
Verpflichtung der Beklagten zur Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen, weil
6
- wie das Verwaltungsgericht Köln ausgeführt und die Kläger nicht durchgreifend in
Zweifel gezogen haben - die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Berlin, es könne nicht festgestellt werden, dass (u.a.) die Klägerinnen zu 1. und 3.
Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG seien, für die Entscheidung über die Erteilung eines
Staatsangehörigkeitsausweises vorgreiflich ist und deshalb auch insoweit bindet.
7
Wenn es nach alledem auf die materielle Rechtslage, deren unrichtige Beurteilung die
Klägerinnen rügen, nicht ankam, läuft gleichfalls die Geltendmachung eines
Verfahrensfehlers in Form des Begründungsmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i. V. m.
§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) schon im Ansatz ins Leere. Darauf, dass
ein Gericht es unterlassen hat, Hilfserwägungen zur Begründetheit einer von ihm für
unzulässig gehaltenen Klage anzustellen, kann die Begründungsrüge nicht gestützt
werden. Die in Bezug auf die Abweisung der Feststellungsklage der Klägerinnen zu 1.
und 3. weiter erhobene Gehörsrüge greift schon deshalb nicht durch, weil das
Verwaltungsgericht ausweislich der vorstehenden Ausführungen zu Recht die
Unzulässigkeit der Feststellungsklage angenommen hat.
8
Der Zulassungsantrag vermag auch in Hinblick auf den Kläger zu 2. nicht
durchzudringen.
9
Soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Einzelfallprüfung zu dem
entscheidungserheblichen Ergebnis gelangt ist, der Kläger zu 2. habe durch seine
freiwillige Rückkehr spätestens im Mai 1997 einen dauernden Aufenthalt in seinem
Herkunftsgebiet begründet, vermag das Zulassungsvorbringen diese Annahme nicht
gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in der Sache zu erschüttern.
10
Es trifft nämlich schon nicht zu, dass das Verwaltungsgericht die Begründung eines
11
dauernden Aufenthaltes im Vertreibungsstaat, wie sie von § 7 Abs. 1 StARegG a. F.
vorausgesetzt wird, allein nach der Dauer des Aufenthalts des Klägers zu 2. in
Kasachstan beurteilt hat. Vielmehr misst das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung
etwa auch mit dem von Klägerseite angeführten Urteil des VG Karlsruhe vom 11. Juni
2007 - 6 K 2619/05 - zuvorderst der bei der Aufenthaltsnahme bestehenden Absicht
maßgebliche Bedeutung zu, für grundsätzlich unbeschränkte Dauer einen neuen
Schwerpunkt der eigenen Lebensverhältnisse zu begründen. Mit der Auffassung, dass
der Begriff des „dauernden Aufenthaltes" neben diesem subjektiv- psychischen Element
ein starkes zeitliches Element beinhaltet, liegt die Kammer nicht nur auf der Linie der
von ihr zitierten Rechtsprechung und Literatur sondern auch des VG Karlsruhe, nach
dessen Auffassung der Begriff des dauernden Aufenthaltes „in erster Linie" das zeitliche
Element dieses Aufenthaltes andeuten soll.
Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass die erste Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StaRegG
a. F. - Deutschland freiwillig wieder verlassen - neben der willens- getragenen Ausreise
isoliert die Absicht voraussetzt, nicht mehr zurückzukehren. Freiwilligkeit ist nur dann
ausgeschlossen, wenn - anders als hier - staatlicher oder von Menschen ausgeübter
Zwang stattfindet.
12
Vgl. zum Begriff der Freiwilligkeit auch Hamb. OVG, Beschluss vom 6. Januar 2005 - 3
BF 567/04 -, NVwZ-RR 2005, 658, m. w. N.; VG Bayreuth, Urteil vom 27. Januar 2004 -
B 1 K 03.397 -, Juris.
13
Soweit mit dem „wieder" vor dem „verlassen" zum Ausdruck gebracht wird, dass der
bisher bestehende dauernde Aufenthalt in Deutschland aufgegeben worden sein muss,
14
Vgl. Makarov/von Mangold, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., Stand: Juni
2008, StARegG § 7 Rn. 3; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005,
§ 7 StAngRegG Rdnr. 3,
15
setzt dies lediglich voraus, dass der Betreffende ersichtlich nicht nur zu
vorübergehenden Zwecken (z.B. Urlaub, Verwandtenbesuche,
Geschäftsangelegenheiten, Erwerbstätigkeit, Heilbehandlung) ausreist.
16
Vgl. Hailbronner/Renner, a.a.O.
17
Auf den bloßen Willen, ungeachtet der Beibehaltung des bisherigen
Lebensmittelpunktes nicht mehr zurückzukehren, kommt es demgegenüber nicht an.
18
Mit der Frage, inwieweit der Kläger zu 2. geplant hat, jemals nach Deutschland
zurückzukehren, hat sich das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund, dass das
„Verlassen" allerdings mit der Begründung des dauernden Aufenthaltes in einem
anderen Staat korrespondiert,
19
vgl. Hailbronner/Renner a.a.O.,
20
demnach richtigerweise im Rahmen der nämlichen Prüfung beschäftigt, ob ein
dauernder Aufenthalt in seinem Herkunftsgebiet begründet werden sollte. Dabei hat es
21
- entgegen der Auffassung der Klägerseite - einen inneren Vorbehalt des Klägers zu 2.,
sich von vornherein nur vorübergehend in Kasachstan aufzuhalten, um alsbald nach
22
Deutschland zurückzukommen, keineswegs ausschließlich damit verneint, dass der
Betreffende sich 14 Monate nicht um eine Rückkehr bemüht hat. Dass die
diesbezügliche - vielmehr weitergreifende - Sachverhaltswürdigung sonstwie auf
falschen Tatsachenannahmen beruht oder gegen Denkgesetze verstößt, wird mit der
Zulassungsbegründung nicht substantiiert dargelegt. Das diesbezügliche verwertbare
Zulassungsvorbringen, welches sich in den Behauptungen erschöpft, der Kläger habe in
Kasachstan keinen auf Dauer angelegten bzw. dauerhaften Aufenthalt begründet,
sondern sei nur wegen der Regelung von Vermögensverhältnissen und der Pflege der
„Schwiegereltern" und deshalb vorübergehend dorthin zurückgekehrt, habe seinen
Willen zur Rückkehr nach Deutschland nie aufgegeben und dies auch durch seine
Bemühungen um Wiedereinreise nach Deutschland dokumentiert, greift nicht durch.
Denn die Kläger haben der sorgfältigen und anhand einer Würdigung der für die Zeit bis
September 1998 gegebenen Umstände einzelfallbezogen dargelegten, eine auf Dauer
angelegte Aufenthaltnahme im Vertreibungsgebiet belegenden Argumentation des
Verwaltungsgerichts (Urteilsausfertigung, Seite 9, letzter Absatz, bis S. 11 oben, ersten
Absatz) neben einer teilweisen Wiederholung bereits gewürdigten Vorbringens
substantiiert allenfalls die Behauptung entgegengesetzt, die Bemühungen um eine
Wiedereinreise nach Deutschland seit September 1998 dokumentierten den
behaupteten (schon anfänglichen) Willen des Klägers zu 2., nach Deutschland
zurückzukehren bzw. nur vorübergehend nach Kasachstan zu reisen. Das reicht
offensichtlich nicht aus.
Das Verwaltungsgericht hat auch nicht etwa, wie die Kläger behaupten, für die Frage,
ob der Kläger zu 2. dauernden Aufenthalt in Kasachstan genommen hat, Folgerungen
daraus gezogen, dass die Deutsche Botschaft in B. anlässlich von Bemühungen um
eine erneute Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im September 1998 - also
mindestens 15 Monate nach der Rückkehr des Klägers nach Kasachstan - seinen Pass
sichergestellt und mit Bescheid vom 22. Oktober 1998 endgültig eingezogen hat. Es hat
vielmehr lediglich die Zeitdauer des Aufenthalts des Klägers zu 2. in Kasachstan als
solche bis zur Vorsprache der Klägerin zu 1. bei der Botschaft der Prüfung zugrunde
gelegt.
23
Soweit sich der Kläger zu 2. mit der Zulassungsrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
auch dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht seinem Verpflichtungsbegehren
auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises den Erfolg versagt hat, ist dem
mit der vorstehenden Bestätigung der Abweisung der Klage auf Feststellung, dass der
Kläger zu 2. Deutscher i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG ist, der Boden entzogen.
24
Der Rechtssache kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zu, die ihr die Klägerseite beimisst. Wenn das Verwaltungsgericht Köln
ausgehend von der in Rechtsprechung und Literatur einheitlich gesehenen und damit
geklärten Maßgabe das Vorliegen der Absicht des Klägers zu 2., einen dauernden
Aufenthalt im Herkunftsgebiet zu begründen, anhand der tatsächlichen Umstände, zu
denen auch die Dauer des Aufenthalts des Klägers zu 2. in Kasachstan als solche bis
zu einem Bemühen um eine erneute Einreise nach Deutschland zählt, untersucht,
handelt es sich um eine Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalles; die Frage
ist in Hinblick auf das in dieser Form einmalige Zusammenwirken verschiedener
Faktoren einer grundsätzlichen - fallübergreifenden - Klärung nicht zugänglich.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
26
Dieser Beschluss ist gem. § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
27
28