Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.07.2005
OVG NRW: rechtliches gehör, anhörung, eltern, dialekt, gespräch, russland, aussiedlung, protokollierung, verwertung, datum
Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 5178/05
Datum:
25.07.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 5178/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 27 K 4423/04
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat unter keinem der geltend gemachten
Gesichtspunkte Erfolg.
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Namentlich führt das Zulassungsvorbringen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der
Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es
vermag nämlich nicht die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts zu
erschüttern, es lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin zu 1. im Zeitpunkt der
Aussiedlung aufgrund familiärer Vermittlung ein zumindest einfaches Gespräch auf
Deutsch führen könne (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG).
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Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers wird die erforderliche Sprachkompetenz
durch ein mit dem Antragsteller zu führendes einfaches Gespräch im Rahmen einer
Anhörung ("Sprachtest") ermittelt.
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Vgl. BT-Druchs. 14/6310, S. 6.
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Für seine Entscheidungsfindung kann auch das Gericht die Niederschrift dieses
Sprachtests verwenden.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Oktober 2002
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- 5 B 225.02 -; OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2003 - 2 A 2487/02 -.
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Ist die Niederschrift verwertbar und hinreichend aussagekräftig, bedarf es zur
Überzeugungsbildung nach § 86 Abs. 1 VwGO darüberhinaus nicht noch der Erhebung
des unmittelbaren Beweises nach § 96 Abs. 1 VwGO durch gerichtliche Anhörung des
Betreffenden in der mündlichen Verhandlung.
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Die Maßgeblichkeit des Sprachtestprotokolls kann insoweit vorliegend nicht schon
dadurch in Frage gestellt werden, dass zusätzlich Beweis für die Sprachfähigkeiten der
Klägerin zu 1. durch Zeugenaussagen ihrer Eltern und ihrer Schwester angeboten
worden ist. Dass die Wahrnehmungen Dritter hier authentischer sein würden als die
schriftliche Fixierung des klägerischen Sprachverhaltens unmittelbar, ist weder
substantiiert und nachvollziehbar mit der Zulassungsbegründung dargetan worden noch
sonstwie ersichtlich. Insoweit stellt sich der Vortrag, die Eltern und die Schwester
könnten bestätigen, dass die Klägerin zu 1. die deutsche Sprache im Elternhaus erlernt
und in dem erlernten Dialekt sowohl verstehen als auch sprechen könne, in der Tat als
zu pauschal dar.
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Auch den übrigen Einwendungen der Kläger gegen die Verwertung des Sprachtests ist
das Verwaltungsgericht mit dem - von dem angefochtenen Urteil in zulässiger Weise
angezogenen - Prozesskostenhilfebeschluss vom 29. August 2005 zutreffend begegnet,
so dass auf die entsprechenden Ausführungen nach Maßgabe von § 122 Abs. 2 Satz 3
VwGO Bezug genommen werden kann.
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Die Klägerseite hat auch nicht ansatzweise eine Erklärung dafür geliefert, wie es sich
mit den behaupteten Dialektkenntnissen der Klägerin zu 1. vereinbaren lässt, dass sie
sieben von acht Fragen, wie sie einfacher kaum gestellt werden konnten, nach
Maßgabe der Niederschrift in keiner Weise verstanden und nicht einmal den Versuch
einer Beantwortung unternommen hat. Letztendlich fehlt es an einer schlüssigen und
überzeugenden Darlegung, warum und inwiefern die Klägerin die deutsche Sprache
besser beherrscht, als es in der Niederschrift des Sprachtests vom 9. Januar 2002 zum
Ausdruck kommt. Dass die Fragen seinerzeit schnell hintereinander gestellt worden
sind und der Klägerin keine Möglichkeit zum Nachdenken und zur Nachfrage gegeben
worden ist, lässt sich dem Protokoll des Sprachtests nicht entnehmen und wird von
Klägerseite auch sonstwie weder belegt noch auf andere Weise glaubhaft gemacht.
Dem vorgedruckten Hinweis auf der Anlage zum Anhörungsprotokoll zur Bedeutung des
Protokollvermerk "N.V." ist vielmehr zu entnehmen, dass dieser nach Protokollierung
einer Einzelfrage insofern nicht vorschnell niedergelegt wird, als zuvor unter Zuhilfe-
nahme des Sprachmittlers durch Befragen in russischer Sprache sichergestellt wird,
dass die Frage tatsächlich nicht verstanden wurde. Dass die Klägerin zu 1. nicht die
Möglichkeit gehabt haben soll, auf die an sie gestellten einfachen und unkomplizierten
Fragen ggffs. auch in russland-deutschem Dialekt zu antworten, vermag vor diesem
Hintergrund nicht zu überzeugen. Auch die Behauptung, der Klägerin zu 1. sei es
untersagt worden, bei dem Sprachtest einen Beistand beizuziehen, ist völlig
substanzlos und wird durch nichts belegt.
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Mit Blick auf das Vorstehende ist auch eine Verletzung des Grundsatzes des fairen
Verfahrens - unabhängig davon, ob diesem Gesichtspunkt im Rahmen des § 124 Abs. 1
VwGO selbständige Bedeutung zukommt - nicht substantiiert dargetan oder sonstwie
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ersichtlich.
Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines
Verfahrensmangels zugelassen werden. Soweit das Verwaltungsgericht den
Sachvortrag der Klägerseite als unerheblich betrachtet hat, ist dieser nicht etwa
ignoriert, sondern lediglich entgegen den klägerischen Vorstellungen gewürdigt worden,
so dass von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
nicht die Rede sein kann. Auch der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO ist
nur dann verletzt, wenn sich eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes z.B. durch
Beweiserhebung - anders als bei bereits vorhandenen und ausreichenden
Erkenntnismitteln - aufgedrängt hätte. Soweit sich die gerichtliche Anhörung der
Klägerin zu 1. danach gerade als nicht erforderlich darstellte, ist ihr ausreichendes
rechtliches Gehör allein schon durch die Möglichkeit eingeräumt worden, dass
jedenfalls ihr Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung vom 4.
November 2005 hätte teilnehmen können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs.
1 Satz 5 GKG).
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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