Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.03.2009

OVG NRW: erwerb, staatsangehörigkeit, aufenthalt, ukraine, verschulden, sowjetunion, fahrlässigkeit, wahrscheinlichkeit, abgabe, familienangehöriger

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 1173/08
Datum:
23.03.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 1173/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 2669/07
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf
10.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln im Sinne des allein als
Zulassungsgrund geltend gemachten § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die
Annahme des Verwaltungsgerichts nicht in Frage zu stellen, der Kläger habe die
Nacherklärungsfrist des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 versäumt, da für ihn bereits
mehr als sechs Monate vor der Abgabe der Erwerbserklärung im Juli 1997 angesichts
der ihm unstreitig bekannten Umstände, dass seine Großeltern mütterlicherseits
während des zweiten Weltkrieges in das Deutsche Reich umgesiedelt worden seien,
dass seine Mutter dort geboren worden und sie genauso wie ihre Mutter deutsche
Volkszugehörige gewesen sei, Veranlassung bestanden habe, Auskünfte betreffend
den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit einzuholen und vorsorglich eine
Erwerbserklärung abzugeben.
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Soweit diese Begründung des Verwaltungsgerichts von dem Kläger mit dem Einwand
angegriffen wird, dass es sich - anders als im Falle des vom Verwaltungsgericht zur
Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Urteils des
Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2006 - 5 C 18.06 -, NVwZ-RR 2007, 203
ff., in dem dieses die Erkundigungspflicht an das Wissen des Betroffenen um die
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Ansässigkeit volksdeutscher Familienangehöriger auf dem Gebiet des sogenannten
Reichskommissariats Ukraine als eine Voraussetzung für die Eintragung in die
Deutsche Volksliste angeknüpft habe - bei dem Umstand des Aufenthaltes der Familie
der Mutter des Klägers in "Deutschland/Sudetenland" um einen
"staatsangehörigkeitsrechtlich neutralen" Vorgang gehandelt habe, verfängt dies schon
deshalb nicht, da das Verwaltungsgericht nicht nur auf den Aufenthalt der Familie der
Mutter des Klägers im Sudetenland abgestellt hat, sondern diesen Umstand zusammen
mit den Tatsachen beurteilt hat, dass die Großmutter Volksdeutsche war, ins
Sudetenland umgesiedelt wurde und dort die Mutter des Klägers, die ebenfalls
deutscher Volkszugehörigkeit ist, geboren wurde. Dass diese Umstände
zusammengenommen genauso für eine Möglichkeit des Erwerbs der deutschen
Staatsangehörigkeit sprechen wie der Umstand, dass ein Volksdeutscher in der für eine
Eintragung in die Deutsche Volksliste Ukraine maßgeblichen Zeitspanne auf dem
Gebiet des Reichskommissariats Ukraine ansässig war, hat das Verwaltungsgericht in
überzeugender Weise begründet,
vgl. zu dem vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen, von der Kammer -
mittlerweile rechtskräftig - entschiedenen vergleichbaren Fall (10 K 758/06): OVG NRW,
Beschluss vom 16. September 2008 - 12 A 1974/07 -,
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indem es herausgearbeitet hat, dass beide Fallkonstellationen nicht auf einen sicheren
Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schließen lassen, aber in beiden Fällen
nach den bekannten historischen Gegebenheiten und der seinerzeit geltenden
Rechtslage der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit möglich war, was für die
Annahme einer Erkundigungspflicht des Betroffenen ausreichend ist,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2006 - 5 C 18.06 -, a.a.O.
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Inwieweit es dabei, wie von dem Kläger geltend gemacht, einen Unterschied machen
soll, ob es sich um eine potenzielle Einzeleinbürgerung oder eine Sammeleinbürgerung
handelt, ist nicht ersichtlich. Denn für die Frage, ob Anhaltspunkte für einen Erwerb der
deutschen Staatsangehörigkeit der Mutter vorlagen, kann es keine Rolle spielen, auf
welcher Rechtsgrundlage dieser Erwerb erfolgte.
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Soweit der Kläger außerdem geltend macht, das Verwaltungsgericht habe
fälschlicherweise nicht darauf abgestellt, ob er konkret mit einer Einzeleinbürgerung
seiner Mutter gerechnet habe, was nicht der Fall gewesen sei, da er sich erst sehr spät
für eine Übersiedlung nach Deutschland interessiert habe, so vermag dies dem Antrag
ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn es liegt auf der Hand, dass ein
Verschulden im Sinne des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974, das sowohl Vorsatz als auch
Fahrlässigkeit umfasst, nicht nur dann anzunehmen ist, wenn der Betreffende
tatsächlich mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Mutter gerechnet
hat, sondern auch dann, wenn er mit der Möglichkeit rechnen musste.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2006 - 5 C 18.06 -, a.a.O.; OVG NRW,
Beschluss vom 28. No-vember 2008 - 12 A 617/08 -, m. w. N.
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Dass das Verwaltungsgericht in Übertragung der vom Bundesverwaltungsgericht in dem
genannten Urteil aufgestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall im Hinblick auf das
Verschulden des Klägers darauf abgestellt hat, dass für einen aus der ehemaligen
Sowjetunion stammenden Erklärungsberechtigten, dem ein Aufenthalt der
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volksdeutschen Bezugsperson während des Zweiten Weltkrieges im Deutschen Reich
bekannt war, - auch aus Laiensicht - erwartet werden konnte, dass er sich um die
staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgerungen für seine eigene Person kümmert, da in
Kreisen Deutschstämmiger aus der ehemaligen Sowjetunion, deren Vorfahren sich
während des Zweiten Weltkrieges zeitweise im Deutschen Reich aufgehalten hatten,
weitgehend bekannt war, dass der Aufenthalt dort mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit geführt hat, ist
insoweit nicht zu beanstanden.
So im Ergebnis auch: OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2008 - 12 A 1974/07 -.
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Dass derartige Erkenntnisse in den einschlägigen Personenkreisen nicht vorhanden
waren, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Senat kann die vom
Verwaltungsgericht geschilderten Erfahrungen aus einer Vielzahl
vertriebenenrechtlicher und staatsangehörigkeitsrechtlicher Verfahren vielmehr aus
eigener Anschauung bestätigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und - hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung - nach § 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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