Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 09.07.2002

OVG NRW: wichtiger grund, unverzüglich, datum, obliegenheit, ausführung, pauschal, rücktritt, kausalität, gesundheitszustand, behörde

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 1630/02
Datum:
09.07.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 1630/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 10 K 1490/01
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für den ersten Rechtszug unter Änderung der
Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts auf 10.000,-- DM und für das
Zulassungsverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Der Antrag ist unzulässig. Er genügt nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz
4 VwGO.
2
1. Soweit die Beklagte sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts wendet,
dass dem Kläger die späte Vorlage der amtsärztlichen Atteste nicht entgegen gehalten
werden könne, macht die Beklagte zwei Zulassungsgründe geltend: den der ernstlichen
Zweifel an der Richtigkeit des Urteiles des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und den der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) - vgl. A. des Zulassungsantrages. Beide Zulassungsgründe werden jedoch nicht
ordnungsgemäß dargelegt.
3
a) Bezüglich des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel fehlt es an der für dessen
Darlegung erforderlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung.
4
Das Verwaltungsgericht hat seine Rechtsauffassung, dass die späte Vorlage der
amtsärztlichen Bescheinigungen dem Kläger nicht zuzurechnen sei, darauf gestützt,
dass selbst dann, wenn man eine Obliegenheit des Prüflings annehme, für eine
unverzügliche Vorlage des amtsärztlichen Attestes Sorge zu tragen, dem Kläger
jedenfalls kein schuldhaftes Zögern anzulasten sei, weil er die amtsärztlichen
Bescheinigungen jeweils unverzüglich nach Erhalt an die Beklagte weitergeleitet und
5
sich damit so verhalten habe, wie es die Beklagte in ihren eigenen Hinweisen für den
Prüfungsrücktritt ausgeführt habe.
Mit dieser Begründung setzt sich die Beklagte im Zulassungsantrag nicht in einer Weise
auseinander, die dem Darlegungsgebot für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO genügt. Die Ausführungen der Beklagten zu A. des Zulassungsantrages
betreffen ausschließlich die Frage, ob es generell eine Obliegenheit des Prüflings ist
und es speziell im vorliegenden Fall war, dafür zu sorgen, dass das amtsärztliche Attest
über die nach rechtzeitiger Rücktrittserklärung rechtzeitig herbeigeführte amtsärztliche
Untersuchung auch umgehend beim Prüfungsamt eingehe. Damit verfehlt sie die
Begründung des Verwaltungsgerichts, in der diese Frage ausdrücklich offen gelassen
worden und darauf abgestellt worden ist, dass dem Kläger jedenfalls kein "schuldhaftes
Zögern" vorzuwerfen sei.
6
Um ernstliche Zweifel gegen diese auf die subjektive Seite abstellende Begründung des
Verwaltungsgerichts darzulegen, hätte die Beklagte zumindest plausibel machen
müssen: - wieso dem Kläger trotz der vom Verwaltungsgericht angeführten Passage aus
den eigenen Hinweisen der Beklagten ein Vorwurf ("schuldhaftes Zögern") daraus zu
machen sei, dass er bezüglich der Übersendung der Atteste erst gehandelt hat,
nachdem er sie vom Gesundheitsamt erhalten hatte, - wann (konkretes Datum?) der
Kläger hätte erkennen müssen, dass sich die Übersendung der Atteste durch das
Gesundheitsamt verzögerte, und deshalb Schritte (welche?, die Beklagte spricht von
"erkundigen") einleiten musste, damit das Gesundheitsamt schneller handele, - und
dass solche Schritte auch wirksam gewesen und zu einer früheren Weiterleitung der
Atteste an die Beklagte geführt hätten (wobei die Kausalität eines "schuldhaften
Zögerns" von der Beklagten zudem glaubhaft zu machen gewesen wäre, etwa durch
Erklärungen des betroffenen Gesundheitsamtes, dass es bei "Erkundigungen" der
Klägers schneller gehandelt hätte).
7
Nur wenn es der Beklagten gelungen wäre, die Annahme fehlenden Verschuldens des
Klägers durch das Verwaltungsgericht durch substantiierte und glaubhaft gemachte
Ausführungen in Zweifel zu setzen, wäre es auf die von der Beklagten im
Zulassungsantrag behandelte weitere Frage angekommen, ob es wirklich zu den
Aufgaben eines Prüflings gehört, der unverzüglich den Rücktritt erklärt und unverzüglich
seinen Gesundheitszustand amtsärztlich hat feststellen lassen, auch dafür zu sorgen,
dass das Gesundheitsamt seine Atteste schnell übermittle, oder ob bei diesem
auftretende Verzögerungen nicht eher dem Prüfungsamt zuzurechnen sind, das den
Prüfling darauf verwiesen hat, den Nachweis seiner Erkrankung über diese Behörde zu
führen.
8
b) Auch der Vortrag der Beklagten zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
(grundsätzliche Bedeutung) genügt nicht dem Darlegungsgebot. Die Beklagte führt dazu
aus: "Der Auslegung der Rücktrittsvorschriften kommt auch im Hinblick auf die
bundesweit möglich Adaption dieser Auslegung in die Umsetzungspraxis des
Landesprüfungsämter grundsätzliche Bedeutung zu."
9
Damit ("Die Auslegung ...") ist weder eine konkrete Rechtsfrage benannt, wie es für den
Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erforderlich ist, noch ist dargelegt, wieso
es auf diese Auslegung hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das
diese Auslegung gerade offen gelassen hatte, für die Entscheidung des Rechtsstreites
überhaupt ankommen kann.
10
2. Unzulässig ist der Zulassungsantrag auch, soweit er sich mit der Frage auseinander
setzt, ob die Erkrankung des Klägers als "wichtiger Grund" für den Prüfungsrücktritt
anzuerkennen sei (B. des Zulassungsantrages).
11
a) Die Beklagte beruft sich im Zusammenhang mit dieser Frage ausdrücklich allein auf
den "Zulassungsberufungsgrund Nr. 3", womit, wie sich aus dem Zusammenhang
ergibt, die auf S. 1 des Antrages unter 3) aufgeführte Abweichung von einer
Entscheidung des OVG NRW gemeint ist.
12
Eine solche Abweichung wird jedoch nicht dargelegt. Die Darlegung des
Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO verlangt nämlich, dass ein vom
Verwaltungsgericht aufgestellter, dessen Entscheidung tragender Rechtssatz aufgezeigt
wird, der von einem einschlägigen Rechtssatz des OVG abweicht. Solche Rechtssätze
werden von der Beklagten nicht genannt. Was sie mit ihrer Ausführung rügt, das
Verwaltungsgericht sei
13
"zumindest von den Grundsätzen der aktuellen Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichtes Münster zum 'Dauerleiden' abgewichen",
14
ist, dass das Verwaltungsgericht gemessen an der Rechtsprechung des Senats
unzutreffend entschieden habe. Damit lässt sich eine Abweichungsrüge nicht darlegen.
15
b) Wenn die Beklagte mit diesen Ausführungen zugleich der Zulassungsgrund der
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend machen wollte, ist dieser nicht
in zulässiger Weise dargelegt. Sie spricht diesen Zulassungsgrund im Zusammenhang
ihrer Ausführungen zu B. nämlich nirgends an. Es ist jedoch nicht Aufgabe des
Rechtsmittelgerichts im Zulassungsverfahren, das Vorbringen des Rechtsmittelführers
daraufhin zu sichten und zu überprüfen, welche Ausführungen zu welchem im Eingang
des Zulassungsantrages pauschal genannten Zulassungsgrund, hier dem des § 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO, passen könnten.
16
Im Übrigen wäre das Vorbringen des Beklagten zu B. des Zulassungsgrundes auch
ungeeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Begründung des
Verwaltungsgerichts darzulegen. Dieses hat ausgeführt, dass der Kläger zwar an einer
Dauererkrankung, nämlich einer chronischen Magenschleimhautentzündung leide,
diese Erkrankung jedoch nicht der Grund der Prüfungsunfähigkeit sei. Diese sei
vielmehr durch eine vorübergehende Verschlimmerung ausnahmsweise
ausgeschlossen gewesen. Dem setzt die Beklagte nur die Rechtsbehauptung entgegen,
dass
17
"Einschränkungen, die aus dem Grundleiden Magenschleimhautentzündung fließen, ...
als persönlichkeitsprägende somatokonforme individuelle Leistungseinschränkungen -
auch während der Prüfungen - entschädigungslos hinzunehmen"
18
und nicht als wichtiger Grund anzuerkennen seien. Eine über diese reine
Rechtsbehauptung hinausgehende Begründung für ihre Auffassung, wie sie das
Darlegungsgebot des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO fordert, bleibt die Beklagte schuldig.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Wertfestsetzung auf § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
21
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
22