Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2000
OVG NRW: fahrzeug, gefahr, veranstaltung, abschleppen, verdacht, post, vollstreckungskosten, obg, entschädigung, entstehung
Oberverwaltungsgericht NRW, 5 A 95/00
Datum:
14.06.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 A 95/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 3000/97
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das auf
Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 1999 ergangene
Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren
auf 245,-- DM festgesetzt.
G r ü n d e :
1
I.
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Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts stellte der Kläger anlässlich einer
Großveranstaltung sein Fahrzeug ohne Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche
Vorschriften auf einer Straßenseite so ab, dass eine Restfahrbahnbreite von mehr als 5
m verblieb. Später parkten weitere Besucher der Veranstaltung ihr Fahrzeug auf der
gegenüber liegenden Straßenseite mit der Folge, dass die Durchfahrt für Linienbusse
versperrt wurde. Die Ordnungsbehörde ließ das Fahrzeug des Klägers abschleppen.
Für sie war im Zeitpunkt der Anordnung der Abschleppmaßnahme nicht erkennbar,
welcher Autofahrer die Störung verursacht hatte.
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Das Verwaltungsgericht gab der Klage des Klägers auf Erstattung der von ihm
gezahlten Abschleppkosten statt. Hiergegen richtet sich der Antrag der Beklagten auf
Zulassung der Berufung.
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II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Der Rechtssache kommt die ihr von der Beklagten beigemessene grundsätzliche
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Bedeutung nicht zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der
Kostentragungspflicht für das Abschleppen von Fahrzeugen an Engstellen sind in der
Rechtsprechung des erkennenden Gerichts geklärt oder lassen sich auf der Grundlage
dieser Rechtsprechung ohne weiteres beantworten. Im Kern sieht die Beklagte
sinngemäß die Frage als klärungsbedürftig an, ob ein so genannter Verdachtsstörer für
die Kosten der Verwaltungsvollstreckung in Anspruch genommen werden kann. Der
erkennende Senat hat bereits für die mit dem vorliegenden Sachverhalt -
Verkehrsbehinderung durch auf beiden Seiten parkende Fahrzeuge - vergleichbare
Konstellation, dass ein Fahrzeug von zwei Seiten zugeparkt wird, entschieden, dass
allein derjenige, der als Letzter rechtswidrig das Fahrzeug blockiert, für die Kosten der
notwendig werdenden Abschleppmaßnahme in Anspruch genommen werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. März 1993 - 5 A 496/92 -, NJW 1993, 2698.
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Die dort dargelegten Grundsätze finden auch im vorliegenden Fall Anwendung. Die
Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit nach §§ 17 und 18 OBG NRW treffen nur
denjenigen, dessen Verhalten oder dessen Sache die Gefahrengrenze überschritten
und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt haben.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1985 - 4 C 76.82 -, NJW 1986, 1626, 1627; OVG
NRW, Urteil vom 16. März 1993 - 5 A 496/92 -, NJW 1993, 2698 m. w. N.
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Allein verantwortlich für die in Rede stehende Verkehrsbehinderung sind danach Fahrer
und Eigentümer der zuletzt abgestellten Fahrzeuge auf der gegenüber liegenden
Straßenseite, weil erst durch ihr verkehrswidriges Verhalten und durch die Lage ihrer
Fahrzeuge im Raum die polizeiliche Gefahrengrenze überschritten worden ist. Das
Abstellen des klägerischen Fahrzeugs stand hingegen im Einklang mit den
(straßenverkehrs-)rechtlichen Bestimmungen. Vom Zustand dieses Fahrzeugs, auch
bezogen auf seinen Standort, ging nach Abschluss des Parkvorgangs keinerlei Gefahr
aus. Dem Fahrzeug wohnte auch keine im Verhältnis zum Normalmaß erhöhte
Gefahrentendenz inne. Dass das Parken eines zuerst abgestellten Fahrzeugs mittelbar
dazu beitragen kann, dass durch verkehrswidriges Verhalten anderer
Verkehrsteilnehmer eine Verkehrsbehinderung entsteht, ist kein dem Parkvorgang
immanentes Risiko. Ein ordnungsgemäß parkender Autofahrer muss ein
verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten anderer grundsätzlich nicht in
Rechnung stellen. Dem steht vorliegend nicht der Vortrag der Beklagten entgegen, bei
der jährlich stattfindenden Großveranstaltung habe man auf Grund der Erfahrungen in
der Vergangenheit mit chaotischen Verkehrsverhältnissen rechnen müssen. Liegen
solche Erfahrungen vor, wäre es Sache der Verkehrsbehörde gewesen, durch
Aufstellen von entsprechenden mobilen Verkehrszeichen das Parken auf einer der
beiden Straßenseiten zu untersagen.
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Vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Juni 1973 - 2 Ss (OWi) 452/73 -, VM 1973, 78.
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Den Autofahrer trifft demgegenüber keine Pflicht, zulässige Parkmöglichkeiten
ungenutzt zu lassen, weil andere Verkehrsteilnehmer sich rechtswidrig verhalten
könnten.
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Eine Kostentragungspflicht folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daraus,
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dass der Kläger als Verdachtsstörer im Wege des Sofortvollzugs (Abschleppen seines
Fahrzeugs) in Anspruch genommen werden durfte. Wird der Verursachungsverdacht -
wie hier - nachträglich widerlegt und hat der Verdachtsstörer die den Verdacht
begründenden Umstände nicht zu verantworten, so bleibt es bei der Maßnahmen- und
Kostenlast der Behörde. Dem Verdachtsbetroffenen stünde, wäre er selbst in Anspruch
genommen worden, ein polizeirechtlicher Entschädigungsanspruch wie einem
Nichtstörer in analoger Anwendung des § 39 Abs. 1 Buchst. a) OBG NRW zu.
Vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1992 - III ZR 128/91 -, DVBl. 1992, 1158; Urteil vom 23.
Juni 1994 - III ZR 54/93 -, NJW 1994, 2355.
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Entsprechend kann der Verdachtsstörer nicht für die Kosten der im Sofortvollzug
ausgeführten behördlichen Maßnahmen in Anspruch genommen werden, weil ihm
zugleich ein Entschädigungsanspruch wegen eben dieser Kostenbelastung zuwüchse.
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OVG NRW, Urteil vom 26. März 1996 - 5 A 3812/92 -, DVBl. 1996, 1444, 1445.
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Geklärt ist in der Rechtsprechung des Senats ferner, dass die Frage der Entschädigung
und damit der endgültigen Kostentragungspflicht nach den tatsächlichen Umständen,
wie sie wirklich vorlagen, also nach einer objektiven Betrachtungsweise ex post zu
entscheiden ist.
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OVG NRW, Urteil vom 16. März 1993 - 5 A 496/92 -, NJW 1993, 2698; Urteil vom 26.
März 1996 - 5 A 3812/92 -, DVBl. 1996, 1444, 1445; ferner BGH, a.a.O.
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Diese Ablösung der Ex-ante-Perspektive auf der Ebene der Gefahrbeseitigung durch
eine Ex-post-Betrachtung bei der (endgültigen) Kostentragungspflicht durchbricht nicht
den Zusammenhang von Ordnungs- und Kostentragungspflicht. Eingriffe gegen
Verdachtsstörer sind einstweilige oder vorläufige Regelungen, die sich nur auf die
Zeitspanne bis zur abschließenden Sachverhaltsaufklärung und endgültigen
Entscheidung über die Kostentragungspflicht beziehen. Weder wird die vorläufige
Inanspruchnahme zur Gefahrenbeseitigung durch die späteren Erkenntnisse
nachträglich rechtswidrig, noch bedarf es im Hinblick auf den begrenzten
Regelungsgehalt des vorläufigen Verwaltungsakts einer Aufhebung desselben, um über
die endgültige Kostentragungspflicht befinden zu können.
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OVG NRW, Urteil vom 26. März 1996 - 5 A 3812/92 -, DVBl. 1996, 1444, 1445.
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In der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist auch geklärt, dass der vermeintliche
Störer nur dann von den Vollstreckungskosten freigestellt wird, wenn er die den
Verdacht oder Anschein der Gefahrenverursachung begründenden Umstände nicht zu
verantworten hat.
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OVG NRW, a.a.O., m. w. N.
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Eine derartige Verantwortung des Verdachtsstörers ist im vorliegenden Fall - wie sich
aus den obigen Ausführungen ergibt - zu verneinen.
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b) Die ferner aufgeworfene Frage, ob die Kostenhaftung von "Zustandsstörern, auf deren
Risikosphäre die Entstehung der Gefahr nicht zurückzuführen ist", eingeschränkt
werden könne, ist nicht entscheidungserheblich. Diese Fragestellung stellt sich nicht bei
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Verdachtsstörern, die - wie hier - wegen Widerlegung des Verursachungsverdachts von
den Vollstreckungskosten freigestellt werden.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Abweichung von der
Rechtsprechung des Senats (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) zuzulassen. Die angegriffene
Entscheidung des Verwaltungsgerichts steht nicht im Widerspruch zum Urteil des
Senats vom 23. Mai 1995
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- 5 A 2092/93 -, DVBl. 1996, 575.
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Der dort aufgestellte Rechtssatz, dass die Kostentragungspflicht grundsätzlich mit der
Ordnungspflicht korrespondiere, bezieht sich nicht auf die hier in Rede stehende
Fallkonstellation des Verdachtsstörers oder - vergleichbar - des Gefahrenverdachts. Wie
der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1996
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- 5 A 3812/92 -, DVBl. 1996, 1444, 1445
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- und nochmals in seinen obigen Ausführungen - dargelegt hat, wird der grundsätzliche
Zusammenhang von Ordnungs- und Kostentragungspflicht nicht dadurch in Frage
gestellt, dass der Verdachtsstörer zwar vorläufig in Anspruch genommen werden darf,
aber im Falle der Widerlegung des Gefahren- oder Verursachungsverdachts eine
Entschädigung wie ein Nichtstörer beanspruchen kann bzw. von der Kostenbelastung
freigestellt wird. Die Situation des Verdachtsstörers ist insoweit derjenigen des
Nichtstörers angenähert.
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3. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben. Das Antragsvorbringen
vermag die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage zu stellen. Es
zeigt keine rechtlichen oder tatsächlichen Aspekte auf, die nicht bereits in den obigen
Ausführungen zur Grundsatzrüge im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
gewürdigt worden wären.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
folgt aus §§ 14 Abs. 1 und 3, 13 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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