Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2011

OVG NRW (abschluss, zugang, gebot der sachgerechtigkeit, qualifikation, verhältnis zu, freie wahl, berufliche tätigkeit, bundesrepublik deutschland, gewicht, bewerber)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1649/10
Datum:
26.01.2011
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1649/10
Tenor:
Die Beschwerde der Antraggegnerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Münster vom 17. November 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 5.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im Rahmen
der von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg. Der
angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts hält nach dem vorgegebenen
Prüfungsumfang einer rechtlichen Nachprüfung stand.
2
Das Verwaltungsgericht hat der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen
Anordnung nach § 123 VwGO aufgegeben, den Antragsteller zum Wintersemester
2010/2011 zum Studium im Masterstudiengang Betriebswirtschaftslehre - mit dem
Schwerpunkt Finance - vorläufig zuzulassen. Zur Begründung hat das
Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die von der Antragsgegnerin vorgenommene
Ausgestaltung sowohl des Zugangs- als auch des Zulassungsverfahrens des
betroffenen Masterstudiengangs gegen die landesgesetzlichen Vorschriften des § 49
Abs. 7 Satz 3 des Hochschulgesetzes NRW (HG NRW) und § 3 Abs. 1 des
Hochschulzulassungsgesetzes NRW (HZG NRW) i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 des
Staatsvertrags über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für
Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (Staatsvertrag 2008) verstoße. Der Antragsteller
sei aufgrund seines Anspruchs auf Einbeziehung in ein rechtmäßig ausgestaltetes
Zulassungsverfahren vorläufig zum Studium zuzulassen.
3
Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin führt nicht zur
Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags des
Antragstellers.
4
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das von der
Antragsgegnerin in zwei Stufen gestaltete Zugangs- und Auswahlverfahren nach §§ 5 f.
der Zugangs- und Zulassungsordnung vom 7. Juni 2010 (ZZO) i. V. m. dem Be schluss
der Auswahlkommission vom 31. Juli 2010 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
gegen § 49 Abs. 7 Satz 3 HG NRW, wonach den Hochschulen gestattet ist , einen
"qualifizierten Abschluss" für den Zugang zum Masterstudium zu fordern, verstößt.
5
1. Das Verwaltungsgericht hat die Regelung des § 49 Abs. 7 Satz 3 HG NRW nach
Wortbedeutung, Systematik sowie Sinn und Zweck zutreffend dahin ausgelegt, dass für
die Ausgestaltung des Zugangsverfahrens - das die erste Stufe des Vergabeverfahrens
für Masterstudienplätze bildet - ausschließlich an den ersten berufsqualifizierenden
Abschluss anzuknüpfen und ein Rückgriff auf andere Kriterien unzulässig ist.
6
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin regelt § 49 Abs. 7 HG NRW
abschließend die besonderen Voraussetzungen für den Zugang zu einem mit einem
Mastergrad abschließenden Studiengang. Die in § 49 Abs. 5 HG NRW genannten
Kriterien ("studiengangbezogene besondere Vorbildung", "künstlerische oder sonstige
Eignung", "praktische Tätigkeit") dürfen nicht als weitere Zugangsvoraussetzungen zu
einem Masterstudiengang berücksichtigt werden. Die von der Antragsgegnerin für ihre
Auffassung vorgebrachten entstehungsgeschichtlichen und teleologischen Erwägungen
lassen ein derartiges Verständnis des § 49 Abs. 7 HG NRW nicht zu.
7
Zwar war nach § 66 des Hochschulgesetzes vom 14. März 2000 (HG NRW a. F.), der
durch § 49 HG NRW ersetzt wurde, die Ausgestaltung von besonderen
Zugangsvoraussetzungen für das Masterstudium nicht auf die ausschließliche
Anknüpfung an den ersten berufsqualifizierenden Abschluss beschränkt. Vielmehr
ermöglichte § 66 Abs. 5 Satz 2 HG NRW a. F. in der Fassung vom 18. Dezember 2002
die Verwendung der nunmehr in § 49 Abs. 5 HG NRW enthaltenen Kriterien sowohl für
die Ausgestaltung des Zugangs sowohl zum Erst- als auch zum Zweitstudium. Für die
Ausgestaltung des Zugangs zu einem Studiengang, der zu einem weiteren
berufsqualifizierenden Abschluss führt, gewährte § 66 Abs. 5 Satz 2 HG NRW a. F. die
darüber hinausgehende Möglichkeit, einen "vorangegangen qualifizierten Abschluss"
zu fordern.
8
Nunmehr hat der Gesetzgeber die Qualifikation und sonstiger Zugangsvoraussetzungen
für ein Hochschulstudium in § 49 HG NRW unterschiedlich geregelt. In § 49 Abs. 5 HG
NRW sind neben den in Abs. 1 bis 4 genannten allgemeinen Zugangsvoraussetzungen
die weiteren Voraussetzungen für ein (sonstiges) Hochschulstudium, die durch
Prüfungsordnungen bestimmt werden können, aufgelistet. Demgegenüber wird der
Zugang zu einem Studiengang, der mit einem Mastergrad abgeschlossen wird, in § 49
Abs. 7 HG NRW (im Verhältnis zu § 49 Abs. 5 HG NRW) speziell geregelt. Der Senat
geht aufgrund des Wortlauts von § 49 Abs. 7 HG NRW und dessen systematischer
Stellung davon aus, dass diese Norm (i. V. m. § 49 Abs. 1 bis 4 HG NRW) die
Voraussetzungen zu einem Masterstudiengang abschließend bestimmt.
9
Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 13 B 1491/10 -,
juris.
10
Die in § 49 Abs. 5 HG NRW aufgelisteten (weiteren) Zugangsvoraussetzungen für ein
Hochschulstudium werden in § 49 Abs. 7 HG NRW weder ausdrücklich noch konkludent
in Bezug genommen. Auch dies spricht dafür, dass § 49 Abs. 5 und 7 HG NRW über die
allgemeinen Zugangsvoraussetzungen des § 49 Abs. 1 bis 4 HG NRW hinaus jeweils
abschließend weitere Zugangsvoraussetzungen für das Studium und speziell für den
Masterstudiengang bestimmen. Die in § 49 Abs. 5 HG NRW bezeichneten
Zugangsvoraussetzungen können auch nicht im Wege einer entsprechenden
Anwendung in § 49 Abs. 7 HG NRW "hinein gelesen" werden. Dagegen spricht
ebenfalls die Entstehungsgeschichte des § 49 HG NRW. Der Gesetzentwurf der
Landesregierung zum Hochschulfreiheitsgesetze vom 19. Juni 2006 (LT-Drucks.
14/2063, S. 162) ging davon aus, dass die Abs. 1 bis 6 und 8 bis 10 im Wesentlichen
den bisherigen Regelungen zum Hochschulzugang nach § 66 HG NRW a. F.
entsprächen. Hiervon unterscheidet die Gesetzesbegründung den - hier in Rede
stehenden - § 49 Abs. 7 HG NRW. In einem weiteren Absatz heißt es nämlich, dass der
neu eingefügte Absatz 7 in Satz 1 klarstelle, dass ein Masterstudiengang einen ersten
berufsqualifizierenden Hochschulabschluss voraussetze. Damit wird deutlich, dass der
nunmehr an die Stelle des § 66 HG NRW a. F. getretene § 49 HG NRW den
Regelungsgehalt der Vorgängervorschrift, der hinsichtlich der Ausgestaltung von
besonderen Zugangsvoraussetzungen nicht nach Erst- und Zweitstudium unterschied,
nur insoweit übernommen hat, als nicht der Zugang zu einem Masterstudiengang in
Rede steht. Nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei § 49 HG NRW
daher nicht um eine vollständig inhaltsgleiche Übernahme der Vorgängervorschrift.
Vielmehr zeigt die mit der Neuregelung vorgenommene Differenzierung der sonstigen
Anknüpfungskriterien in § 49 Abs. 5 und 7 HG NRW eine vom Gesetzgeber bewusst
unterschiedlich ausgestaltete Zugangssystematik für das Erst- und das Zweitstudium,
soweit es um den Zugang zu einem Masterstudiengang geht.
11
Dieses Verständnis der Norm entspricht im Übrigen den gemeinsamen
Strukturvorgaben der Länder gemäß § 19 Abs. 2 des Hochschulrahmengesetzes (HRG)
für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen im Beschluss der
Kultusministerkonferenz vom 10. Oktober 2003, nach denen im Interesse der
internationalen Reputation und der Akzeptanz der Masterabschlüsse durch den
Arbeitsmarkt ein hohes fachliches und wissenschaftliches Niveau gewährleistet werden
soll (vgl. Abschnitt A 2. Punkt 2.1). Zugangsvoraussetzung für einen Masterstudiengang
soll daher immer ein berufsqualifizierender Hochschulabschluss sein, wobei zur
Erreichung der genannten Ziele das Studium im Masterstudiengang auch von weiteren
besonderen Zugangsvoraussetzungen abhängig gemacht werden soll. Ihnen kann
(etwa im Auswahlverfahren) indessen nur eine nachrangige Bedeutung zukommen
(hierzu unter 2.).
12
Diesen Vorgaben, die die Qualitätssicherung innerhalb der Masterstudiengänge
bezwecken, trägt die Beschränkung der Ausgestaltungsmöglichkeiten durch die
Hochschulen auf das Kriterium des "qualifizierten Abschlusses" Rechnung. Da der
Masterabschluss eine auf dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss konsekutiv
aufbauende und mit höherem fachlichen und wissenschaftlichem Anspruch verbundene
Qualifikation darstellt, ist es zweckmäßig, bei der Ausgestaltung von erhöhten
Zugangsvoraussetzungen an den vorangegangenen Abschluss anzuknüpfen. Es
besteht ein Gestaltungsspielraum der Hochschulen, den sie innerhalb ihrer
Einschätzungsprärogative ausfüllen dürfen. Bei der Ausgestaltung des
Zugangsverfahrens ist allerdings die vom Gesetzgeber vorgegebene Anknüpfung an
13
den ersten berufsqualifizierenden Abschluss zu beachten.
Das ausschließliche Abstellen auf den ersten berufsqualifizierenden und ggf. auch auf
einen qualifizierten Abschluss widerspricht nicht dem Recht auf freie Wahl des Berufs
und der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) i. V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz
und dem Sozialstaatsprinzip. Hieraus folgt ein nur durch Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes einschränkbares Recht des die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen
erfüllenden ("hochschulreifen") Staatsbürgers auf Zulassung zum Hochschulstudium.
Bei der hier in Rede stehenden Vorschrift des § 49 Abs. 7 Satz 1 und 3 HG NRW
handelt es sich um eine subjektive Berufszulassungsvoraussetzung, die den Zugang
zum Masterstudium im Wege subjektiver Eignungsregeln beschränkt, indem auf
erworbene Abschlüsse und/oder erbrachte Leistungen abgestellt wird. Diese
Beschränkung ist im Hinblick auf ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut, das
gegenüber der Freiheit des Einzelnen vorrangig ist, gerechtfertigt. Dieses liegt in der
Feststellung, ob der Studienbewerber den Anforderungen des Masterstudiums genügen
wird und dient damit letztlich der internationalen Akzeptanz und Reputation der
Masterabschlüsse.
14
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Januar 2010 - 13 B 1632/09 -,
NWVBl. 2010, 434, vom 17. Februar 2010 - 13 C 411/09 -, juris.
15
Das Abstellen auf einen solchen Abschluss ist dabei ein sachgerechtes und
nachvollziehbares Kriterium, um den besonderen, in den ländergemeinsamen
Strukturvorgaben zum Ausdruck kommenden Anforderungen an das Masterstudium
Rechnung zu tragen und damit Ausdruck einer verhältnismäßigen
Zugangsbeschränkung. Der Zugang zum konsekutiv angelegten Masterstudium hat sich
nach der Intention des Gesetzgebers ausschließlich an den fachlichen Erfordernissen
des Masterstudiums auszurichten.
16
Obgleich es eine Vielzahl unterschiedlicher Fachprofile von Bachelorstudiengängen der
jeweiligen Hochschulen gibt, ist der erste berufsqualifizierende Abschluss ein
geeignetes Zugangskriterium für den Masterstudiengang. Denn trotz bestehender
Unterschiede hinsichtlich der Ausbildungsinhalte oder des Ausbildungsniveaus stellt
der erste berufsqualifizierende Abschluss einen Indikator dar, der - aufgrund der
konsekutiven, aufeinander aufbauenden Gestaltung des Bachelor- und Mastersystems -
in unmittelbar sachlichem Zusammenhang mit den im Masterstudium zu erbringenden
fachlichen Leistungen steht und damit eine Prognose über den im Masterstudium zu
erwartenden Erfolg ermöglicht. Dass der Gesetzgeber dabei auf eine Anknüpfung an
andere Kriterien - wie etwa die Note der Hochschulzugangsberechtigung - verzichtet
hat, führt nicht zu einer übermäßigen Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium.
Das alleinige Abstellen auf den ersten berufsqualifizierenden Abschluss und der damit
einhergehende Verzicht auf die Aufnahme weiterer Kriterien ist vor dem Hintergrund der
an das Masterstudium zu stellenden Anforderungen eine nachvollziehbare und
sachgerechte Regelung, um ein hohes fachliches und wissenschaftliches Niveau
sicherzustellen. Zwar kann für eine Einbeziehung der Note der
Hochschulzugangsberechtigung sprechen, dass nach der Lebenserfahrung ein
gewisser Zusammenhang zwischen der erreichten Note der
Hochschulzugangsberechtigung und dem späteren Studienerfolg bestehen kann. Die
gleichwohl vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung gegen eine Einbeziehung dieses
Kriteriums in die Zugangsentscheidung bewegt sich jedoch im Rahmen des Spielraums,
der ihm bei der Ausgestaltung durch das Gebot der Sachgerechtigkeit vorgegeben wird.
17
Insbesondere besteht keine aus Gründen der Sachgerechtigkeit folgende Notwendigkeit
der Einbeziehung der Hochschulzugangsberechtigung in die Entscheidung über den
Zugang zum Masterstudium. Denn anders als beim Zugang zum Erststudium, bei dem
regelmäßig keine anderen aussagekräftigen Hinweise vorliegen, existiert für den
Zugang zum Masterstudium mit dem ersten berufsqualifizierenden und qualifizierten
Abschluss ein in fachlicher Beziehung zum erstrebten Studium stehender Indikator, der
eine Prognose über den zu erwartenden Studienerfolg sachgerechter ermöglicht als die
Arbiturdurchschnittsnote. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den ersten
berufsqualifizierenden Abschluss, der eine größere Sachnähe zum Masterstudium
aufweist, der zeitlich weiter zurückliegenden schulischen
Hochschulzugangsberechtigung vorzuziehen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu
beanstanden.
Auch darf bei dem Zugang zum Masterstudium berücksichtigt werden, dass der
Bewerber die Aufnahme eines Zweitstudiums anstrebt. Obgleich der aus Art. 12 GG
folgende Teilhabeanspruch der hochschulreifen Bewerber für den Zugang zum
Zweitstudium fortwirkt und nicht verbraucht ist,
18
vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977 - 1 BvF 1/76 - , BVerfGE 43, 291,
363; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2009 - 13 B 269/09 -, und vom
11. Januar 2011 - 13 B 1614/10 -, jeweils juris,
19
unterliegen Beschränkungen des Zugangs zum Zweitstudium allgemein geringeren
Rechtmäßigkeitsanforderungen als Beschränkungen des Zugangs zum Erststudium.
20
Zusätzliche Zugangsbedingungen können ihre Rechtfertigung darin finden, dass sich
der Bewerber bereits durch eine Ausbildung im Hochschulbereich auch tatsächlich - die
Grundlage für eine berufliche Tätigkeit geschaffen hat. Vor diesem Hintergrund stellt
sich die in § 49 Abs. 7 Satz 1 und 3 HG NRW enthaltene Zugangsbeschränkung, die die
Hochschulen ausschließlich zur Anknüpfung an den ersten berufsqualifizierenden und
qualifizierten Abschluss ermächtigt, als verhältnismäßig dar. Ob dieser verringerte
Schutzanspruch für den Zugang zum Masterstudium - der aus der vom Gesetzgeber
vorgenommenen Gestaltung des Bachelor- und Masterstudiums als Erst- und
(konsekutives) Zweitstudium folgt - möglicherweise einer Stärkung bedarf, weil der
Bachelorabschluss in der beruflichen Wirklichkeit nicht die Möglichkeit zu beruflicher
Tätigkeit bietet, die ihm nach dem Willen des Gesetzgebers zukommen soll, vermag der
Senat zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beurteilen.
21
Darüber hinaus ist die Subdelegation gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 ZZO, wonach eine
Auswahlkommission - die sich aus vier Hochschullehrern und einem wissenschaftlichen
Mitarbeiter zusammensetzt - über die konkreten Kriterien und deren Gewichtung
beschließt, mit § 49 Abs. 7 Satz 3 HG NRW nicht vereinbar. Ein solches Verfahren
genügt den Anforderungen des § 49 Abs. 7 Satz 3 HG NRW nicht, da die Hochschule
selbst die konkreten und deshalb maßgeblichen Vorgaben für das Vorliegen eines
qualifizierten Abschlusses und die Durchführung des Auswahlverfahrens festzulegen
hat (vgl. § 2 Abs. 4 HG NRW) und nicht eine Auswahlkommission. Zwar ist der Begriff
der "besonderen Eignung" in der Zugangs- und Zulassungsordnung der
Antragsgegnerin aufgeführt (etwa § 5 ZZO) und durch die Nennung von möglichen
Kriterien ein gewisser Rahmen vorgegeben. Die Regelungen der Zugangs- und
Zulassungsordnung enthalten aber keine konkreten Vorgaben für die weitere
Bestimmung der Maßstäbe und für die Durchführung des Auswahlverfahrens; vielmehr
22
soll die verbindliche Ausfüllung des Begriffs der "besonderen Eignung" mit konkreten
wesentlichen Kriterien und deren Gewichtung durch die Auswahlkommission erfolgen.
Erst der Beschluss der Auswahlkommission soll letztlich zu einem im Auswahlverfahren
anzuwendenden Auswahlmaßstab führen. Dementsprechend hatte die
Auswahlkommission des Fachbereichs in ihrer Sitzung vom 9. Februar 2010 die
besondere Eignung nach § 5 ZZO und die Rangfolge der Bewerber nach § 6 ZZO auf
der Basis der folgenden Kriterien bestimmt: Leistungen im Abitur oder in der
entsprechenden Hochschulzugangsberechtigung (max. 20 Punkte), einschlägige
Vorkenntnisse aus dem Bachelor bzw. dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss
(max. 40 Punkte) und sonstige einschlägige Qualifikationen (max. 40 Punkte). Im
Ergebnis hat nicht der dazu berufene Ordnungsgeber den für einen Masterstudiengang
besonderen Zugangsweg ausgestaltet, sondern ein unzuständiges und nicht
legtimiertes Organ der Antragsgegnerin. Es handelt sich dabei auch nicht, wie die
Antragsgegnerin meint, um die bloße Justierung der von der Zugangs- und
Zulassungsordnung vorgegebenen Kriterien, sondern um die eigentliche, endgültige
und verbindliche Ausgestaltung der Zulassungsregelung. Damit betrifft die
Entscheidungsbefugnis der Auswahlkommission den Kernbereich der Gestaltung des
Auswahlverfahrens, der dem Ordnungsgeber vorbehalten ist.
Vgl. die gleichgelagerten Überlegungen des saarländischen OVG zu den
inhaltlichen Anforderungen an die Ausgestaltung einer Hochschulordnung
zum Auswahlverfahren, Beschluss vom 29. November 2005 - 3 W 19/05 -,
juris.
23
2. Auch die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens entspricht nicht den gesetzlichen
Vorgaben.
24
Bei den von der Antragsgegnerin im Auswahlverfahren herangezogenen Kriterien der
Note der Hochschulzugangsberechtigung sowie sonstiger einschlägiger Kenntnisse
und Erfahrungen handelt es sich zwar um nachvollziehbare Kriterien, die im Grundsatz
ein angemessenes Verfahren und eine generelle Zugangschance für alle Bewerber
gewährleisten können, wobei hinsichtlich der Hochschulzugangsberechtigung zu
bemerken ist, dass sie zumeist schon Jahre zurückliegt und zudem - als schulische
Qualifikation - allenfalls gering ausgeprägte fachliche Übereinstimmungen mit dem
Masterstudium aufweist. Ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben liegt jedoch darin,
dass der aus dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss folgenden Qualifikation nicht
der zwingend zu gewährende "maßgebliche Einfluss" zukommt.
25
Das Erfordernis des "maßgeblichen Einflusses", der dem ersten berufsqualifizierenden
Abschluss im Rahmen der Auswahlentscheidung für die Zulassung zum Masterstudium
zukommen muss, folgt aus der durch § 3 Abs. 1 Satz 2, § 4 Abs. 6 HZG NRW
angeordneten sinnentsprechenden Anwendung von Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Staatsvertrag
2008 im Auswahlverfahren der Hochschulen, nach der dem Grad der Qualifikation bei
der Auswahlentscheidung ein maßgeblicher Einfluss zuzukommen hat. Im Rahmen des
Zugangs zum Masterstudium tritt gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 HZG NRW an die Stelle des
Grades der Qualifikation das Prüfungszeugnis über den ersten berufsqualifizierenden
Abschluss.
26
"Maßgeblicher Einflusses" bedeutet, dass dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss
unter mehreren bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Auswahlkriterien das
relativ stärkste Gewicht zukommen muss. Schon der Wortsinn legt nahe, dass ein
27
"maßgeblicher Einfluss" des jeweiligen Auswahlkriteriums nicht gleichbedeutend mit
einem alle anderen Kriterien überwiegenden Gewicht sein kann. Nach dem natürlichen
Sprachverständnis bedeutet "Maßgeblichkeit" einen für das Ergebnis bedeutenden
Einfluss, ohne jedoch das Ergebnis völlig zu determinieren und andere Einflussgrößen
in ihrer Wirksamkeit auszuschalten. Auch das Gesetz über die Durchführung von
Auswahlverfahren in bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen vom 14.
Dezember 2004 (Auswahlverfahrensgesetz NRW) enthielt in § 2 Abs. 2 das Erfordernis
des "maßgeblichen Einflusses". Dieser Begriff sollte nach dem Willen des
Gesetzgebers so verstanden werden, dass dem Grad der Qualifikation das relativ
stärkste Gewicht unter mehreren Auswahlkriterien zukommen soll.
Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zum Auswahlverfahrensgesetz NRW,
LT-Drucks. 13/6102, S. 9.
28
Dass dem (auch in fachlicher Hinsicht) vorangehenden Bachelorabschluss unter
mehreren Auswahlkriterien das relativ stärkste Gewicht zukommen muss, ist vor dem
Hintergrund der höheren fachlichen und wissenschaftlichen Anforderungen des
Masterstudiums nicht zu beanstanden. Der Einwand der Antragsgegnerin, das Ergebnis
der Bachelorprüfung sei aufgrund der Vielfalt der unterschiedlichen Fachprofile der
Bachelorstudiengänge nur sehr begrenzt aussagekräftig, vermag nichts daran zu
ändern, dass der Bachelorabschluss als erster berufsqualifizierender Abschluss und
dem Masterabschluss vorangehender Abschluss den bedeutendsten Indikator für einen
zu erwartenden erfolgreichen Studienabschluss darstellt. Die Note der
Hochschulzugangsberechtigung oder auch sonstige einschlägige Qualifikationen
können demgegenüber im Rahmen der Auswahlentscheidung nur ein untergeordnetes
Gewicht haben.
29
Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, eine Benachteiligung von Absolventen von
Universitäten mit höherem Leistungsniveau sei nur durch ein Absenken der
Zugangsvoraussetzungen oder deren faktische Aufgabe zu verhindern, ist dem
entgegenzuhalten, dass unterschiedliche Bewertungs- und Qualifikationsniveaus als
unvermeidliche Folge der Vielfalt der Hochschulen und der verschiedenartigen Lehr-
und Lernausrichtungen anzusehen und - als Ausfluss der den Hochschulen
zukommenden Lehr- und Wissenschaftsfreiheit - grundsätzlich hinzunehmen sind.
30
Zur Befugnis zur Generalisierung bei der Bewertung von Abschlussnoten
vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 13 B 1614/10 -,
a. a. O.
31
Andererseits sind Bewertungskriterien, die auf unterschiedliche Bewertungs- und
Qualifikationsniveaus Rücksicht nehmen, nicht generell ausgeschlossen, sondern
möglicherweise im Rahmen der Befugnis zur Schaffung typisierender und
pauschalierender Regelungen sogar geboten. Mit dem Verwaltungsgericht verlangt der
Senat aber eine nachvollziehbare und belastbare Ableitung, dass ein an der anderen
Hochschule abweichendes Durchschnittsnotenniveau aufgrund anderer fachlicher
Anforderungsprofile tatsächlich auf ein abweichendes Qualifikationsniveau schließen
lässt. Eine pauschal vorgenommene Abwertung der Abschlussnote des Bewerbers in
Relation zur jeweiligen Durchschnittsnote erscheint vor diesem Hintergrund zweifelhaft.
32
Ist demnach nach den gesetzlichen Vorgaben dem ersten berufsqualifizierenden
Abschluss im Rahmen der Auswahlentscheidung die maßgebliche Bedeutung im Sinne
33
des relativ stärksten Gewichts unter mehreren Auswahlkriterien einzuräumen, so stellt
sich die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens durch die Antragsgegnerin als fehlerhaft
dar. Nach dem von der Antragsgegnerin ausgestalteten Auswahlverfahren kommt dem
Grad der Qualifikation ein Gewicht von 40 Punkten (von insgesamt 100 zu erreichenden
Punkten) zu. Den "sonstigen Qualifikationen" wird ebenfalls ein Gewicht von 40
Punkten eingeräumt. Diese Gleichwertigkeit des ersten berufsqualifizierenden
Abschlusses und der sonstigen Qualifikationen verstößt gegen das zwingend zu
beachtende Erfordernis des maßgeblichen Einflusses des ersten berufsqualifizierenden
Abschlusses.
3. Schließlich stimmt der Senat dem Verwaltungsgericht zu, dass die Antragsgegnerin
den Antragsteller - unabhängig von seinem Rangplatz vorläufig zuzulassen hat. Für
diese Auffassung ist die Erwägung leitend, dass die Antragsgegnerin über die
kapazitäre Sollzahl von 151 Studienplätzen hinaus 380 Bewerber zugelassen hat und
von diesen sich 194 entschlossen haben, den Studienplatz anzunehmen. Die
Antragsgegnerin hat daher die Sollzahl nach der Zulassungszahlenverordnung als
variable Größe behandelt und eine deutliche Überbuchung vorgenommen. Zwar hat sie
dargelegt, die Überbuchung sei in Anpassung an das Bewerbungsverhalten der
Studienbewerber erfolgt und es sei nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass
sich ein durchschnittlicher Studienbewerber bei einer Vielzahl von Hochschulen
bewerbe, um seine Erfolgschancen zu erhöhen. Vor diesem realen Hintergrund stellt die
von der Antragsgegnerin praktizierte Überbuchung zwar ein geeignetes Mittel dar, die
Nichtbesetzung von Studienplätzen zu verhindern und damit letztlich eine bessere
Ausnutzung vorhandener Kapazitäten zu ermöglichen. Nach Auffassung des Senats
führt dieses den Studienbewerbern entgegenkommende Verhalten der Antragsgegnerin
aber auch dazu, dass bei einer wie hier greifbar anzunehmenden ausreichenden
Kapazität eine zusätzliche Zulassungsverpflichtung der Hochschule bestehen kann,
wenn ein grundsätzlich geeigneter Studierwilliger mit einem Bachelorabschluss
Zulassung zu einem Masterstudiengang begehrt. Dass ein solcher Antragsteller bei
einem rechtmäßigen Zulassungsverfahren (etwa aufgrund einer schwachen
Bachelornote) nicht zum Zuge käme, führt in diesem auf die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes gerichteten Verfahren nicht zu einer Ablehnung der
Zulassungsbegehrens. Zwar hätte der Antragsteller in einem regulären innerkapazitären
Zulassungsverfahren im Masterstudiengang Betriebswirtschaftslehre im Wintersemester
2010/2011 keinen Erfolg gehabt, da er bei einem alleinigen Abstellen auf seine
Bachelornote auf einer Rangliste mit 1426 Bewerbern nur Platz 1137 belegt hätte, so
dass er auch bei Heranziehung weiterer Merkmale - unter Berücksichtigung des
maßgeblichen Einflusses der Bachelornote - er nach plausibler Darlegung der
Antragsgegnerin keine Chance auf Zuteilung eines Studienplatzes gehabt hätte.
Letztlich erfolgt die Verteilung von Studienplätzen hier aber entsprechend den
Modalitäten für eine Zuteilung von Studienplätzen, die außerhalb der Kapazität liegen.
Dort wird bei der Verteilung von "verschwiegenen" Studienplätzen eine Rangfolge
durchweg nicht berücksichtigt und ggf. mittels Losverfahrens über die Verteilung freier
Studienplätze außerhalb der festgesetzten Studienplatzzahl entschieden.
34
Vgl. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik
Deutschland, 4. Aufl. 2003, S. 461 f. m. w. N.; Brehm/Zimmerling,
Hochschulkapazitätsrecht, 2003, Rn. 430 m. w. N.; vgl. auch BVerfG,
Beschluss vom 9. April 1975 1 BvR 344/73 -, BVerfGE 39, 258: Klagen auf
Zuteilung von Studienplätzen, die in einem Studienfach mit
Zulassungsbeschränkung infolge unzureichender Kapazitätsausnutzung frei
35
geblieben sind, dürfen nicht schon wegen der ungünstigen Rangziffer des
klagenden Bewerbers abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
36
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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