Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.12.1996
OVG NRW (wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, 1995, wohnraum, öffentliches interesse, verhältnis zwischen, genehmigung, zweckentfremdung, gebäude, verwaltungsgericht, interesse)
Oberverwaltungsgericht NRW, 14 B 1055/96
Datum:
11.12.1996
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 B 1055/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 6 L 1298/95
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das
Beschwerdeverfahren auf 4.000,-- DM festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde, mit der die Antragstellerin nur noch die Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen das in der Ordnungsverfügung des
Antragsgegners vom 31. Oktober 1995 enthaltene Wohnnutzungsgebot begehrt, hat
keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin insoweit zu
Recht abgelehnt.
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Bei der im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmenden Interessenabwägung ist dem
öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Wohnnutzungsgebotes der
Vorrang gegenüber dem privaten Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs einzuräumen. Denn das Wohnnutzungsgebot ist
offensichtlich rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für den Erlaß des Wohnnutzungsgebotes ist § 9 Abs. 1 Satz 1 des
Gesetzes zur Erhaltung und Pflege von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen
(WoG). Danach kann die Gemeinde u.a. anordnen, daß der Verfügungsberechtigte
Wohngebäude, die entgegen der Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung
von Wohnraum vom 4. Mai 1981 (GV NW S. 232), heute der entsprechenden
Verordnung vom 4. Juli 1995 (GV NW S. 610 - ZweVO 1995 -), zu anderen als
Wohnzwecken genutzt werden, wieder Wohnzwecken zuzuführen hat. Zu Recht hat das
Verwaltungsgericht ausgeführt, daß die Bezugnahme auf das Verbot der
Zweckentfremdung von Wohnraum in § 9 Abs. 1 Satz 1 WoG eine dynamische
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Verweisung auf die Zweckentfremdungsverordnung in ihrer jeweiligen Fassung
beinhaltet, mithin auch das Verbot der Zweckentfremdung nach der ZwEVO 1995 erfaßt.
Es spricht alles dafür, daß der Wohnraum im Gebäude des Hauses durch die als
Mieterin entgegen dem Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum zu Bürozwecken
genutzt wird.
Die Büronutzung als gewerbliche Nutzung verletzt § 1 e) ZweVO 1995, wonach
Wohnraum in anderen als Wohnzwecken nur mit Genehmigung zugeführt werden darf.
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Die Stadt , die bereits in den Geltungsbereich der (ersten) Verordnung über das Verbot
der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 22. Februar 1972 (GV NW S. 29)
einbezogen wurde, ist zu Recht auch in die Zweckentfremdungsverordnung 1995
aufgenommen worden. Das Vorbringen der Antragstellerin, in herrsche keine
Wohnungsnot mehr, wie sich insbesondere aus dem im erstinstanzlichen Verfahren
vorgelegten Schreiben der vom 20. November 1995 ergebe, ist nicht geeignet, die vom
Verordnungsgeber angenommene besondere Gefährdung der Versorgung der
Bevölkerung in mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zu
widerlegen. Ziel des Zweckentfremdungsverbotes nach Art. 6 § 1 Satz 1 des Gesetzes
zur Verbesserung des Mietrechts und der Begrenzung des Mietanstiegs (MRVerbG) ist
die Erhaltung preiswerten Wohnraums für die großen Teile der Bevölkerung, die gerade
in den Städten nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft Wohnraum für sich zu schaffen
und deshalb auf Mietwohnungen unausweichlich angewiesen sind.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23. August 1991 - 8 C 101/89 - Buchholz 454.51
MRVerbG Nr. 17, S. 8, 17 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluß vom 4. Februar
1975 - 2 BvL 5/74 - BVerfGE 38, S. 348, 370.
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Das Schreiben der vom 20. November 1995 verhält sich jedoch nicht zum (Miet-
)Wohnungsmarkt in sondern zur Marktsituation bei dem Verkauf von Ein- oder
Zweifamilienwohnhäusern.
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Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Räume in dem streitigen Gebäude als
Wohnraum im Sinne der zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften qualifiziert. Nach
dem Akteninhalt spricht alles dafür, daß die Räume zum Zeitpunkt des erstmaligen
Inkrafttretens des Zweckentfremdungsverbots für die Stadt Münster durch die
Zweckentfremdungsverordnung 1972 von dem damaligen Verfügungsberechtigten zur
Nutzung für Wohnzwecke auf unbestimmte Zeit bestimmt waren und damit
Wohnraumqualität erlangt hatten. Aus dem von der Mieterin der Räumlichkeiten nicht
unterschriebenen Antrag auf Genehmigung der Zweckentfremdung vom 1. Juni 1995
ergibt sich, daß der damalige Verfügungsberechtigte Kaufmann Franz Lintel bereits
1971 in dem Gebäude wohnte. Die Antragstellerin selbst trägt auch nur vor, daß das
Haus (erst) seit 1981 nicht mehr als Wohnhaus genutzt worden sei, vielmehr seinerzeit
dort eine psychotherapeutische Praxis eingerichtet wurde. Durch die jahrelange
ungenehmigte gewerbliche Nutzung der Räume haben diese jedoch nicht die
Eigenschaft von Wohnraum im Sinne der zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften
verloren. Auf das Verhältnis zwischen baurechtlich und zweckentfremdungsrechtlich
genehmigter Nutzung braucht insoweit nicht näher eingegangen zu werden. Die der
Mieterin unter dem 27. Juli 1992 und 24. August 1993 erteilten Baugenehmigungen zum
Ausbau des Dachgeschosses (zu Wohnzwecken) beinhalten noch nicht einmal die
baurechtliche Genehmigung zur Nutzung der Räume zu gewerblichen Zwecken. Es läßt
sich den Akten auch nicht entnehmen, daß das Gebäude mit Genehmigung des
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Antragsgegners mit Investitionen in Höhe von 570.000,-- DM zu Bürozwecken
hergerichtet worden ist. Eine Baugenehmigung hat die Antragstellerin nicht vorgelegt.
Weiter ist davon auszugehen, daß das Bewohnen der Räume trotz der seitens der
Antragstellerin geltend gemachten ungünstigen Lage des Gebäudes an einer stark
befahrenen Kreuzung nicht unzumutbar ist. Die zur Unbewohnbarkeit führende Grenze
des Zumutbaren ist bei einer Belastung durch Straßenlärm (jedenfalls) dann
überschritten, wenn die Belastung als schwer und unerträglich angesehen werden muß.
Bei dieser Bewertung ist zu berücksichtigen, ob die Wohnung mit vertretbarem Aufwand
bewohnbar gemacht werden kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1982 - 8 C 15.80 -, Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 7,
S. 1, 4 bis 6 und vom 23. August 1991 - 8 C 101.89 - a.a.O. S. 12 f.; vgl. auch BVerfG,
Beschluß vom 4. Februar 1975 - 2 BvL 5/74 - a.a.O. S. 364.
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Mit ihrem Vorbringen, eine Wohnnutzung könne nur nach Vornahme extrem
aufwendiger passiver Schallschutzmaßnahmen aufgenommen werden, hat die
Antragstellerin nicht substantiiert geltend gemacht, daß sie die Räume nicht mit einem
ihr objektiv zumutbaren Aufwand in einen bewohnbaren Zustand versetzen könnte.
Auch sonst ist kein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß die Räume in dem Gebäude nicht
(mehr) zu Wohnzwecken geeignet sind, zumindest nicht mit zumutbarem Aufwand
wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt werden könnten.
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Zur Wohnraumqualität vgl. z.B. Urteil des Senats vom 27. August 1996 - 14 A 2503/93 -.
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Da die Antragstellerin als Erbbauberechtigte auch verfügungsberechtigt im Sinne von §
9 Abs. 1 Satz 1 WoG ist und eine Genehmigung nach der
Zweckentfremdungsverordnung 1995 zur Nutzung des Wohnraumes zu gewerblichen
Zwecken nicht erteilt wurde, konnte der Antragsgegner die Wohnnutzung des Gebäudes
anordnen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Antragsgegner das ihm
nach § 9 Abs. 1 Satz 1 WoG eingeräumte Ermessen fehlerhaft (vgl. § 114 VwGO)
ausgeübt hätte. Zu Unrecht macht die Antragstellerin geltend, der Antragsgegner habe
die von ihm beanstandete gewerbliche Nutzung jahrelang geduldet. Aus dem
Verwaltungsvorgang ergibt sich, daß die zweckfremde Nutzung des Gebäudes als
Bürogebäude erst anläßlich der Schlußabnahme des zur Wohnnutzung genehmigten
Dachausbaus am 4. Januar 1995 festgestellt wurde. Dem entsprechenden Vorbringen
des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren ist die Antragstellerin nicht
entgegengetreten. Die von der Antragstellerin geltend gemachten wirtschaftlichen
Belange sind in Wahrheit solche ihrer gewerblichen Mieterin und können daher im
vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden. Im übrigen handelt der Bauherr,
der ohne die erforderliche zweckentfremdungsrechtliche Genehmigung erhebliche
Investitionen zum Umbau eines Wohnhauses für gewerbliche Zwecke vornimmt, auf
eigenes Risiko. An der Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner angeordneten
Wohnnutzung bestehen auch unter Berücksichtigung der Ausstattung der nunmehr
ausschließlich zu Bürozwecken genutzten Räume keine Bedenken. Aus dem anläßlich
der Schlußabnahme des Dachgeschosses gefertigten Vermerk des Antragsgegners
vom 4. Januar 1995 ergibt sich, daß die bauliche Beschaffenheit des Gebäudes den
Mindestanforderungen an erträgliche Wohnverhältnisse nach § 6 WoG entspricht,
insbesondere eine Toilette (vgl. § 6 Abs. 2 Buchst. b) WoG) vorhanden ist.
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Angesichts der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Wohnnutzungsgebotes und der auf
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dem Wohnungsmarkt nach wie vor bestehenden Mangelsituation besteht ein
dringendes öffentliches Interesse daran, das Wohngebäude möglichst schnell wieder
dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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