Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.06.2008
OVG NRW: aufhebung der sperrung, rufnummer, verantwortlichkeit, eigene mittel, gefahr, gespräch, auflage, anbieter, betreiber, mehrwertdienst
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 668/08
Datum:
25.06.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 668/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 11 L 307/08
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Köln vom 16. April 2008 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren
auf 125.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die Antragstellerin ist ein Telekommunikationsunternehmen und betreibt ein
Verbindungsnetz. Ihrer Tätigkeit liegt das Geschäftsmodell "Weitervermittlung zu
Premium-Mehrwertdiensten" zugrunde. Sie stellt Firmen, die kostenpflichtige
Mehrwertdienste anbieten, Weiterleitungsdienste zur Verfügung. Mit Telefoncomputern
rief die Antragstellerin bei Telefonanschlussinhabern an und teilte ihnen über eine
automatische Ansage mit, sie hätten einen Preis gewonnen. Um weitere Informationen
über den Gewinn zu erhalten, oder zur Gewinnbestätigung wurden die Angerufenen
aufgefordert, eine bestimmte Taste an ihrem Telefonapparat zu drücken. In diesem Fall
wurde eine Verbindung zu einem kostenpflichtigen Mehrwertdienst unter einer 0900er-
Nummer hergestellt. In einer anderen Variante wurde zunächst eine (0)180er-
Rufnummer dem Verbraucher mitgeteilt oder eine solche Nummer beworben, mit deren
Anwählen der Gewinn gesichert werden könne. Zur Buchungsbestätigung sei eine
Taste zu drücken, was eine Verbindungen zu einem kostenpflichtigen Mehrwertdienst
unter einer 0900er- Nummer zur Folge hatte.
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Nachdem sich vielfach Anschlussinhaber über diese Werbeanrufe bei der
Antragsgegnerin mit der Begründung beschwert hatten, sie hätten solchen Anrufen nicht
zugestimmt und durch die Weiterleitung sei eine Verbindung zu 0900er- Nummern
hergestellt worden, obwohl diese Nummern gesperrt gewesen seien, ordnete die
Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 22. Februar 2008 die Abschaltung der Premium-
Dienste-Rufnummer 0900....... an. Ferner untersagte sie in Ziff. 2 der Antragstellerin,
telefonische Werbeanrufe an Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer in
Deutschland zu tätigen oder für Dritte durchzuführen, wenn die Empfänger nicht von
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vornherein in den Empfang derartiger Anrufe eingewilligt haben, sowie in Ziff. 3, die
technische Weitervermittlung auf Premium-Dienste-Rufnummern zu realisieren, es sei
denn, die Weitervermittlung erfolgt über Auskunftsdienste- Rufnummern. Gegen Ziff. 2
und 3 der Verfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. Ihr Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Ziff. 2 und 3 des Bescheides
blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg.
Mit ihrer Beschwerde macht sie geltend: Weder sei sie für die Werbeanrufe noch für die
Weitervermittlung verantwortlich. Sie stelle lediglich die technische Infrastruktur zur
Verfügung. Bei den weitergeleiteten Verbindungen handele es sich nicht um R-
Gespräche, da auf Wunsch der Kunden eine neue Verbindung zu Stande komme. Eine
Umgehung der Sperrung von 0900er-Nummern erfolge nicht, weil mittels Tastendrucks
die Sperre aufgehoben werde. Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen entgegen und
bejaht die Verantwortlichkeit der Antragstellerin für die beanstandeten Werbeanrufe und
Weitervermittlungen aus Gründen des Gefahrenabwehrrechts. Sowohl die
Voraussetzungen für ein R-Gespräch als auch für die Umgehung der Sperrung von
0900er-Nummern seien gegeben.
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II.
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Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der
von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen Ziff. 2 und 3 der
Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22. Februar 2008 zu Recht abgelehnt.
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem
Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts
bis zur abschließenden Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben,
und dem öffentlichen Interesse an der möglichst schnellen Durchsetzung der Verfügung
fällt auch aus der Sicht des Senats zum Nachteil der Antragstellerin aus. Ihr
Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen.
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Rechtsgrundlage für Ziff. 2 und 3 der Ordnungsverfügung vom 22. Februar 2008 ist § 67
Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) i. d. F. des Art. 2 Nr. 17 und 35
des Gesetzes zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften vom 18.
Februar 2007 (BGBl. I S. 106). Nach dieser Bestimmung kann die Bundesnetzagentur
im Rahmen der Nummernverwaltung Anordnungen und andere geeignete Maßnahmen
treffen, um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und der von ihr erteilten
Bedingungen über die Zuteilung von Nummern sicherzustellen. Mit dieser
Generalermächtigung will der Gesetzgeber erreichen, dass die rechtswidrige Nutzung
der Nummern außerhalb der in § 67 Abs. 1 Satz 4 bis 7 TKG speziell geregelten
Sanktionen ziel- und zweckgerichtet geregelt werden kann.
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Die Ordnungsverfügung betrifft eine Anordnung im Rahmen der Nummernverwaltung.
Diese ist nicht nur im gesamten technischen und rechtsgeschäftlichen Umgang mit der
Rufnummer gegeben, wie etwa bei der Erbringung eines Dienstes über eine
Rufnummer und der Weitergabe von Rufnummern, sondern auch bei der Werbung für
einen Dienst im Zusammenhang mit der Rufnummer.
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Vgl. Herchenbach-Canarius/Thoma, in: Arndt/Fetzer/Scherer,
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Telekommunikationsgesetz, Kommentar, 2008, § 67 Rn. 6.
Demnach fallen sowohl die von der Antragstellerin getätigten Werbeanrufe als auch die
Weitervermittlungen in den Bereich der Nummernverwaltung; sie betrafen die Premium-
Dienste-Rufnummer 0900........
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Die von der Bundesnetzagentur gewählten Maßnahmen erfolgten, um die Einhaltung
gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen. Der weite Wortlaut von § 67 Abs. 1 Satz 1
TKG ist Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, jegliche Verstöße bei der
Nummernnutzung, insbesondere mit Blick auf Verbraucher- und Kundenschutzbelange
zu verfolgen.
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Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu einem Telekommunikationsgesetz, BT-
Drucks. 15/2316 S. 83 sowie Stellungnahme des Bundesrats vom 19. Dezember 2003,
BT-Drucks. 15/2316 S. 119; Büning/Weißenfels, in: Beck´scher TKG-Kommentar, 3.
Auflage, 2006, § 67 Rn. 7.
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Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Bestimmungen, die keinen (unmittelbaren)
telekommunikationsrechtlichen Bezug aufweisen, können daher ein beachtlicher
Verstoß im Rahmen des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG sein. Solche Bestimmungen enthält
insbesondere das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3. Juli 2004
(BGBl. I S. 1414) i. d. F. von Art. 5 des Gesetzes vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S.
3367).
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Hier stehen im Hinblick auf das Verbot von Werbeanrufen gemäß Ziff. 2 der
Ordnungsverfügung unzumutbare Belästigungen i. S. v. § 7 UWG im Raum. Nach § 7
Abs. 2 Nr. 3 UWG ist eine unzumutbare Belästigung insbesondere anzunehmen bei der
Werbung unter Verwendung von automatischen Anrufmaschinen, ohne dass eine
Einwilligung der Adressaten vorliegt. Dass solche Werbemaßnahmen in Frage stehen,
ist im Grundsatz zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner näheren
Begründung. Auch wenn einzelne Angerufene derartigen Anrufen vorab zugestimmt
haben sollten, ändert dies nichts an dem Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 TKG. Auf die
genaue Zahl von Verstößen kommt es angesichts der Vielzahl der von der
Antragsgegnerin festgestellten Zuwiderhandlungen nicht an. Ebenso ist es unerheblich,
ob sich die Antragstellerin, wie sie behauptet, von ihren Kunden das Vorliegen von
Einwilligungen der Adressaten vertraglich hat zusichern lassen. Entscheidend ist der
Verletzung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmung.
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In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die
Antragstellerin die richtige Adressatin für die Maßnahme der Bundesnetzagentur ist.
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Die Frage, wer als Störer bei einer Anordnung der Bundesnetzagentur nach § 67 TKG in
Anspruch genommen werden kann, beantwortet § 67 Abs. 1 TKG - bezogen auf
unterschiedliche ordnungsrechtlich näher spezifizierte Sachverhalte - teilweise
ausdrücklich. So kann die Bundesnetzagentur die Betreiber von öffentlichen
Telekommunikationsnetzen und die Anbieter von Telekommunikationsdiensten für die
Öffentlichkeit verpflichten, in bestimmten Fällen Auskünfte zu personenbezogenen
Daten zu erteilen (Satz 2 Hs. 1). Nach Satz 5 soll die Bundesnetzagentur im Falle der
gesicherten Kenntnis von der rechtswidrigen Nutzung einer Rufnummer gegenüber dem
Netzbetreiber, in dessen Netz die Nummer geschaltet ist, die Abschaltung der
Rufnummer anordnen. Schließlich kann die Bundesnetzagentur den
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Rechnungsersteller bei gesicherter Erkenntnis einer rechtswidrigen Nutzung auffordern,
für diese Nutzung keine Rechnungsnehmung vorzunehmen (Satz 6).
Einer der in § 67 Abs. 1 Satz 2 - 6 geregelten besonderen Störungsfälle mit der vom
Gesetzgeber bestimmten Verantwortlichkeit ist im Hinblick auf das Verbot von
Werbeanrufen gemäß Ziff. 2 der Ordnungsverfügung nicht gegeben. § 67 Abs. 1 Satz 1
TKG verhält sich zur Verantwortlichkeit von Personen hingegen nicht ausdrücklich.
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Vgl. auch Herchenbach-Canarius/Thoma, a. a. O., § 67 Rn. 10.
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Auch das nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Satz 1 TKG anwendbare Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthält solche Bestimmungen nicht. Das bedeutet
freilich nicht, dass überhaupt keine rechtliche Anknüpfung für die Verantwortlichkeit bei
einer Störung i. S. v. § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG besteht. Mit dieser Bestimmung hat der
Gesetzgeber vielmehr einen Auffangtatbestand geschaffen, um im Rahmen der
Nummernverwaltung die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sicherzustellen.
Rechtlich wirksame Sanktionen setzen daher voraus, dass die Person, der der
Gesetzesverstoß zur Last fällt, ordnungsrechtlich in die Pflicht genommen werden kann.
Hieraus folgt als rechtlich greifbares Kriterium, dass die Anordnung gegen den zu
richten ist, der gegen die gesetzliche Vorschrift i. S. d. des § 67 Abs. 1 Satz 1 TKG
verstoßen hat. Wenn also eine Vorschrift des Gesetzes gegen den unlauteren
Wettbewerb verletzt ist, ist Störer derjenige, der unlauter i. S. d. § 3 UWG gehandelt hat.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es für eine Anwendung des § 67 Abs. 1
Satz 1 TKG ohne Bedeutung, ob der Wettbewerbsverstoß für den als Störer in Anspruch
Genommenen ohne Weiteres oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand
erkennbar war. Derartige Prüfungspflichten sind nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs für eine zivilrechtliche Störerhaftung nach § 8 UWG relevant, wenn
ein Dritter ohne Wettbewerbsförderungsabsicht und ohne Verschulden an dem
Wettbewerbsverstoß beteiligt ist. Wer eine rechtswidrige Beeinträchtigung lediglich
objektiv unterstützt, kann zur Unterlassung nur verpflichtet sein, wenn er
Prüfungspflichten verletzt hat.
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Vgl. BGH, Urteil vom 1. April 2004 - I ZR 317/01 -, BGHZ 158, 343 = NJW 2004, 2158.
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Hierauf kommt es im Zusammenhang mit einer ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit
nicht an. Die allgemeinen Grundsätze der Verhaltens- und Zustandsverantwortlichkeit,
die ihren Ausdruck in den insoweit übereinstimmenden Polizei- und Ordnungsgesetzen
der Länder (z. B. §§ 17 und OBG NRW) und im Bundesrecht (vgl. etwa §§ 17 und 18 des
Gesetzes über die Bundespolizei - BPolG -) gefunden haben, sind im Geltungsbereich
des § 67 Abs. 1 TKG anwendbar.
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Die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit gründet grundsätzlich entweder auf dem
gefahrverursachenden Verhalten einer Person (Verhaltensverantwortlichkeit) oder sie
basiert darauf, dass von einer Sache eine Gefahr ausgeht (Zustandsverantwortlichkeit).
Bei dem sog. Handlungsstörer beruht die Verantwortlichkeit auf der individuellen
Gefahrverursachung, also auf einer Kausalbeziehung zwischen Verhalten und Gefahr.
Bei dem sog. Zustandsstörer liegt der Zurechnungsgrund für die Verantwortlichkeit in
der Sachherrschaft.
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Vgl. Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Auflage, 2003, 2.
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Kap, Rn. 117 ff.
Nicht nur derjenige ist Störer, der selbst i. S. d. speziellen Gesetzes gegen die
gesetzliche Vorschrift verstoßen hat, sondern z. B. auch der sog. Zweckveranlasser. In
diesem Fall besteht zwischen der Veranlassung und dem die Gefahr herbeiführenden
Verhalten ein so enger Zusammenhang, dass sich der Veranlasser die Gefahr
zurechnen lassen muss.
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Vgl. etwa Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Auflage, 2007, Rn. 244 ff.
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An diese Grundsätze hat der Gesetzgeber bei Schaffung des § 67 Abs. 1 TKG
angeknüpft, als er die jeweiligen Ordnungspflichtigen näher bestimmt hat (Betreiber von
öffentlichen Telekommunikationsnetzen, Anbieter von Telekommunikationsdiensten
sowie Rechnungsersteller). § 67 Abs. 1 TKG wäre keine sinnvolle Regelung, wenn die
Bundesnetzagentur beispielsweise im gegebenen Fall gegenüber dem Netzbetreiber
die Abschaltung der Rufnummer anordnen darf (Satz 5), weitere mit diesem
Ordnungsverstoß zusammenhängende ordnungsrechtliche Maßnahmen auf der
Grundlage des Satzes 1 aber nicht verfügen dürfte. Der in § 67 Abs. 1 Satz 2 bis 6 TKG
genannte Adressatenkreis kann daher, soweit die Zurechnungsvoraussetzungen
gegeben sind, von der Bundesnetzagentur bei Erfüllung der Aufgaben nach § 67 Abs. 1
Satz 1 TKG in Anspruch genommen werden. Ob der Kreis der in § 67 Abs. 1 TKG
bezeichneten Ordnungspflichtigen damit abschließend aufgezählt ist, bedarf in diesem
Verfahren keiner Klärung. Offen bleiben kann insbesondere, ob die Inanspruchnahme
Nichtverantwortlicher zulässig sein kann. Diese Rechtsfigur setzt u. a. voraus, dass eine
qualifizierte Gefahr nicht auf andere Weise - auch nicht gegen den Störer - abgewehrt
werden kann und die Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene Mittel und
Kräfte verfügt, um die gefährdeten Rechtsgüter wirksam zu schützen.
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Vgl. etwa Schenke, a. a. O., Rn. 310 ff.
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Angesichts der weitreichenden Eingriffsgriffsmöglichkeiten in grundrechtlich geschützte
Freiheitsbereiche könnte für die Inpflichtnahme eines Nichtstörers eine näher bestimmte
gesetzliche Grundlage notwendig sein, da möglicherweise eine wesentliche Frage über
die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen zu regeln wäre.
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Vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/78 -, BVerfGE 49, 89,
126 ff. = NJW 1979, 359; Urteil vom 24. September 2003 - 2 1436/02 -, BVerfGE 108,
282, 311 ff. = NJW 2003, 3111; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 9.
Auflage, Art. 20 Rn. 46 ff. m.w.N.; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand:
Februar 2008, Art. 20 Rn. 143 ff.
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Zu klären sind diese Fragestellungen in diesem Verfahren indes nicht, da der
Verfahrensausgang hiervon nicht abhängt.
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Geht man von den aufgezeigten Maßstäben aus, ist die Antragstellerin, da sie die
Werbeanrufe durchgeführt, somit selbst gegen § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG verstoßen und
unlauter i. S. d. § 3 UWG gehandelt hat, als Verhaltensstörerin für die Gefahr
verantwortlich. Die mit der Ordnungsverfügung erfolgte Untersagung, Werbeanrufe zu
tätigen oder für Dritte durchzuführen, durfte an sie gerichtet werden. Die Antragstellerin
hat die Verfügungsgewalt über die Anrufautomaten und die Anrufe initiiert. Sie hat ein
vom Inhalteanbieter begonnenes Gespräch nicht nur technisch weitergeleitet, sondern
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die Anrufe mit den Anrufautomaten selbst ausgeführt. Die Antragstellerin ist aufgrund
ihres Eigentums und ihrer Sachherrschaft über die Anrufautomaten ebenfalls
Zustandsstörerin, mithin ist sie "Doppelstörerin". Dass überdies ihre Kunden, von denen
sie die Adressdateien erhalten hat, ordnungspflichtig sind, lässt ihre Verantwortlichkeit
nicht entfallen. Die Antragsgegnerin stand vielmehr ein Auswahlermessen zu, da hier
eine Mehrheit von Personen für die Gefahrenlage verantwortlich ist. Das Ermessen hat
die Antragsgegnerin rechtlich fehlerfrei, insbesondere auch verhältnismäßig zu Lasten
der Antragstellerin ausgeübt. Mit der Inanspruchnahme der Antragstellerin kann die
Antragsgegnerin wirksam gewährleisten, dass die von der Antragstellerin veranlasste
Störung ihr Ende findet.
Es bestehen keine rechtlich durchgreifenden Bedenken gegen Ziff. 3 der
Ordnungsverfügung. Auch mit dieser Anordnung soll die Einhaltung gesetzlicher
Vorschriften sichergestellt werden. In Rede steht ein Verstoß gegen § 66i Abs. 1 Satz 1
TKG. Nach dieser Vorschrift dürfen aufgrund von Telefonverbindungen, bei denen dem
Angerufenen das Verbindungsentgelt in Rechnung gestellt wird, keine Zahlungen an
den Anrufer erfolgen. § 66i Abs. 1 Satz 1 TKG fordert also für die Zulässigkeit eines R-
Gesprächs ein Drei-Personen-Verhältnis (Anrufer, Anbieter, Angerufener),
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vgl. Klees, in: Beck´scher TKG-Kommentar, a. a. O., § 66i TKG-E 2005 Rn. 2,
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das hier nicht gegeben ist. Ferner ist nach § 66i Abs. 1 Satz 2 TKG das Angebot von R-
Gesprächsdiensten mit einer Zahlung an den Anrufer nach Satz 1 unzulässig.
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Vgl. auch Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung
telekommunikationsrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 15/5213, S. 27 f.
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In den beanstandeten Fällen hat die Antragstellerin als Anruferin i. S. d. § 66i Abs. 1
Satz 1 TKG sog. R-Gespräche geführt. Es fielen Verbindungsentgelte an, womit
Entgelte für Dienstleistungen gemeint sind, wie sie bei einem konventionellen R-
Gespräch anfallen, wenn der Angerufene neben der Telefonverbindung den Dienst des
Anbieters des R-Gesprächs zu zahlen hat.
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Vgl. auch Klees, a. a. O.
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Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsgegnerin wurde keine
neue Verbindung aufgebaut und es entstanden deshalb nicht zwei verschiedene
Telefonverbindungen. Der Angerufene drückte lediglich eine bestimmte Taste. Eine
Premium-Dienst-Rufnummer wählte er nicht. Die Premium-Dienst- Rufnummer wurde
vielmehr im Anrufcomputer des Anrufers ausgelöst; das Gespräch blieb aber im
Anrufautomaten. Infolgedessen lag nur ein Zwei-Personen-Verhältnis vor.
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Wegen des beanspruchten Verbindungsentgelts ist auch die Sichtweise des
Angerufenen maßgeblich. Danach stellte sich hier dem angerufenen Verbraucher, dem
eine Nachricht über einen angeblichen Gewinn telefonisch überbracht wurde, das
Geschehen als einheitlicher Verbindungsvorgang dar. Soweit der Angerufene eine
(verschleierte) Preisansage vor Drücken der Telefontaste erhalten hat, ändert dies die
rechtliche Bewertung nicht. Die Vertragsanbahnungssituation wirkte auf ihn
überrumpelnd. Die Bedenkzeit von drei Sekunden war angesichts des Umstands, dass
ihm die Mitteilung von einem angeblichen Gewinn gemacht wurde, zu knapp bemessen,
um eine verständige Entscheidung von dem Nutzerkreis zu erwarten. Vielmehr ergab
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sich aus der Verknüpfung der Mitteilung eines (scheinbaren) Gewinns mit der
kostenpflichtigen Weiterverbindung ein Überraschungsmoment, das geeignet war, beim
Angerufenen eine abgewogene Entscheidung zu verhindern. Da an dem R-Gespräch
der Sache nach lediglich zwei Personen beteiligt waren, ein Drei-Personen-Verhältnis
allerdings vordergründig initiiert wurde, sind die rechtlichen Maßgaben des § 66i Abs. 1
TKG umgangen worden. Dies verstößt auch gegen das Umgehungsverbot des § 66l
TKG, das der Gesetzgeber geschaffen hat, um dem gewünschten Verbraucherschutz
besonderen Nachdruck zu verleihen. Diese Regelung will erreichen, dass der
Gesetzgeber die bestehenden Schutzbestimmungen nicht ständig den sich neu
ergebenden Missbrauchsszenarien anpassen muss. Vorliegend besteht kein Anlass,
die Anwendungsgrenzen des § 66l TKG, der seine Wirkung dann entfalten soll, wenn
eine Normauslegung ausscheidet, obgleich der Normzweck ihre Anwendung an sich
rechtfertigen würde, näher auszuloten.
Vgl. auch Klees, a. a. O., § 66l TKG-E Rn. 3.
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Im Ergebnis lässt sich nämlich hier feststellen, dass gemäß §§ 66i und 66l TKG der
Endkunde nicht durch einen ihn überraschend treffenden Anruf mit den oft erheblichen
Kosten für Mehrwertdienste belastet werden soll.
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Auch wenn Endkunden selbst den Anruf getätigt haben, geschah dies jedenfalls bei
einem Teil der Anrufenden ohne Bewusstsein eines Kostenrisikos. So liegt es
insbesondere in den Fällen, in denen der Anrufende entweder noch nicht volljährig oder
aufgrund hohen Alters im Umgang mit derartigen Kommunikationsangeboten nicht
hinreichend erfahren ist und sich deshalb der irreführenden Momente nicht bewusst ist.
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Schließlich ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass mit dem
von der Antragstellerin ausgeübten Geschäftsmodell die von Angerufenen veranlasste
Sperrung von 0900er-Nummern umgangen wird. Die Sperrung von 0900er-Nummern
greift nur bei einem selbständigen Gesprächsaufbau, so dass bei einer Weiterleitung
von Gesprächen eine Sperrung nicht erfolgt. Ob unter Umständen eine Umgehung der
Sperrung bei Einschaltung von call-by-call-Vorwahlen möglich ist, bedarf im
vorliegenden Eilverfahren keiner Klärung. Hierzu hat die Antragsgegnerin in ihrer
Beschwerdeerwiderung umfassend vorgetragen und diese Möglichkeit verneint.
Abgesehen davon bleibt eine Aufhebung der Sperrung in Fällen der hier beanstandeten
Verbindung, die nach allem Anschein zielgerichtet initiiert gewesen ist, um
Mehrwertdienste abrechnen zu können.
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Die Antragstellerin ist in Bezug auf die Ziff. 3 der Ordnungsverfügung zu Recht als
Störerin in die Pflicht genommen worden. Wiederum ist maßgeblich, dass die
Antragstellerin über die Anrufautomaten verfügt und somit selbst ordnungsrechtlich
verantwortlich ist. Im Übrigen kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen
Ausführungen verwiesen werden.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3
Nr. 2, § 47 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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