Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 18.08.1998

OVG NRW (verwaltungsgericht, klagefrist, zustellung, rechtshängigkeit, grundstück, sache, falle, anfechtungsklage, voraussetzung, bezug)

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 1088/96
Datum:
18.08.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 A 1088/96
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 17 K 5960/94
Tenor:
Der angefochtene Gerichtsbescheid wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Verwaltungsgericht
vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Eigentümerin in zweier an der H straße gelegener Grundstücke
(Gemarkung E feld, Flur 72, Flurstücke 2045/29 und 2307/39 - H straße 15 - sowie
Gemarkung E, Flur 72, Flurstück 2308/39 - V Straße 200 -). Nach dem Ausbau der H
straße im Jahre 1986 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin zwei
Straßenbaubeitragsbescheide vom 30. Januar 1989 (Az. 621/11- 4K-9968 für das
Grundstück H straße 15 über 143.554,12 DM und Az. 621/11-4K-9967 für das
Grundstück V Straße 200 über 13.468,92 DM). Dagegen legte die Klägerin
Widersprüche ein, die sie später auf die Hälfte des jeweils festgesetzten Betrages
beschränkte. Durch Widerspruchsbescheide vom 22. Juni 1994 wies der Beklagte die
Widersprüche zurück. Die Widerspruchsbescheide wurden an den im
Widerspruchsverfahren für die Klägerin als Bevollmächtigten aufgetretenen
Rechtsanwalt Dr. G gegen Empfangsbekenntnis übersandt. Dieser unterzeichnete die
Empfangsbekenntnisse nicht, sondern übersandte die Bescheide nebst
Empfangsbekenntnissen an die Geschäftsführerin der Klägerin mit einem
Begleitschreiben vom 28. Juni 1994, in dem u.a. ausgeführt wurde:
2
"Ich bin inzwischen völlig aus der Sache heraus und kann mich daher zur Sach- und
Rechtslage nicht äußern. Ich möchte daher auch keinerlei Empfehlung für das weitere
Vorgehen geben. Die beiden beigefügten Empfangsbescheinigungen füge ich mit der
Bitte um weitere Veranlassung bei. Naturgemäß läuft erst vom Tage der Unterzeichnung
des Empfangsbekenntnisses an die einmonatige Klagefrist. Auf die Klagefrist weise ich
3
zu meiner Entlastung mit allem Nachdruck hin. ... Ich habe inzwischen - auch aus
gesundheitlichen Rücksichten - meine aktive Anwaltstätigkeit beendet."
Die Klägerin, die dieses Schreiben am 29. Juni 1994 erhielt, sandte die
Empfangsbekenntnisse nicht zurück.
4
Am 20. Juli 1994 reichte die Klägerin beim Amtsgericht K eine an dieses Gericht
adressierte Klageschrift ein, mit der sie die Aufhebung der Beitragsbescheide in der
Gestalt der Widerspruchsbescheide beantragte. Nachdem dem Beklagten die
Klageschrift formlos und mit dem Hinweis auf eine beabsichtigte Verweisung übersandt
worden war, verwies das Amtsgericht die Klage durch Beschluß vom 20. September
1994 ( ) an das Verwaltungsgericht Köln, bei dem die Akten am 17. Oktober 1994
eingingen (17 K 8013/94).
5
Bereits zwischen dem 29. Juli und 1. August 1994 hatte die Klägerin beim
Verwaltungsgericht Köln die vorliegende, denselben Streitgegenstand wie die Klage vor
dem Amtsgericht betreffende Anfechtungsklage erhoben. Durch Beschluß vom 20.
September 1994 hat das Verwaltungsgericht daraus das Verfahren unter dem neuen
Aktenzeichen 17 K 7416/94 abgetrennt, soweit sich die Klage gegen den Bescheid
bezüglich des Grundstücks V Straße 200 richtet.
6
Die Klägerin hat vorgetragen: Der vorliegenden Klage stehe der Einwand der
Rechtshängigkeit nicht entgegen, da die vor dem Amtsgericht K erhobene Klage nicht
rechtshängig geworden sei. Da sie irrtümlich an das Amtsgericht K adressiert worden
sei, könne die Rechtshängigkeit nur bei dem in Wahrheit gemeinten Verwaltungsgericht,
nicht aber beim Amtsgericht eingetreten sein. Damit sei die vorliegende Klage zuerst
beim Verwaltungsgericht Köln rechtshängig geworden. Auch sei die Klagefrist nicht
versäumt. Der Lauf der einmonatigen Klagefrist sei nicht ausgelöst worden, da das
Empfangsbekenntnis als notwendige Voraussetzung für eine Fristauslösung nicht
zurückgesandt worden sei. Die einjährige Klagefrist sei gewahrt. Die Klage, die sich nur
auf den Teil des Bescheides, der durch Widerspruch angefochten worden sei, beziehe,
sei begründet, weil in dem Bescheid eine falsche Grundstücksfläche zugrundegelegt
werde, die abgerechnete Straße zu Unrecht als Anliegerstraße eingestuft worden sei
und die in den umlagefähigen Aufwand einbezogenen Kosten der Straßenbegrünung
nicht beitragsfähig seien.
7
Die Klägerin hat beantragt,
8
den Beitragsbescheid vom 30. Januar 1989 (Az. 621/11-4 K-9968) in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1994 aufzuheben.
9
Der Beklagte hat beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Er hat vorgetragen: Die Klage sei unzulässig, da bereits am 20. Juli 1994 eine
denselben Streitgegenstand betreffende Klage beim Amtsgericht K eingegangen sei.
Die vorliegende Klage sei auch deshalb unzulässig, weil sie verfristet sei. Auf den
Umstand, daß das Empfangsbekenntnis für den Widerspruchsbescheid nicht
zurückgesandt worden sei, könne sich die Klägerin nicht mehr berufen, da sie den
Widerspruchsbescheid spätestens am 28. Juni 1994 erhalten habe. Das
12
Empfangsbekenntnis sei für die Fristauslösung nicht erforderlich, da der ehemalige
Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , durch sein tatsächliches
Verhalten die Annahme des Widerspruchsbescheides zum Ausdruck gebracht habe.
Durch den angefochtenen Gerichtsbescheid hat das Verwaltungsgericht die Klage als
unzulässig abgewiesen.
13
Mit der dagegen rechtzeitig eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Sie trägt vor: Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht angenommen, die
Klagefrist sei versäumt worden. Dies sei mangels Rücksendung des
Empfangsbekenntnisses für den Widerspruchsbescheid nicht der Fall. Auch fehle es an
der notwendigen Voraussetzung für eine Zustellung, daß der Zustellungsadressat in
Kenntnis der Zustellungabsicht bereit gewesen sei, das Schriftstück entgegenzunehmen
und zu behalten.
14
Die Klägerin beantragt,
15
unter Änderung des angefochtenen Gerichtsbescheides den Heranziehungsbescheid
des Beklagten vom 30. Januar 1989, betreffend das Grundstück H straße 15, in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1994 aufzuheben, soweit ein Beitrag
von mehr als 71.777,06 DM festgesetzt wird.
16
Der Beklagte beantragt,
17
die Berufung zurückzuweisen.
18
Er hält die Klage für verfristet. Ein Empfangsbekenntnis sei keine
Wirksamkeitsvoraussetzung für die Auslösung der Klagefrist, sondern lediglich eine
bloße Form des Nachweises des Zugangs. Durch die widerspruchslose
Entgegennahme des Widerspruchsbescheides durch den ehemaligen
Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , sei die Zustellung
bewirkt worden.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, den Inhalt der Verfahrensakten 15 A
1089/96 und 15 A 1087/96 sowie auf die dazu beigezogenen Unterlagen Bezug
genommen.
20
Entscheidungsgründe:
21
Die zulässige Berufung ist, soweit die Zulässigkeit der Klage in Rede steht, begründet.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Klage zulässig.
22
Der Klage steht keine anderweitige Rechtshängigkeit entgegen. Die beim Amtsgericht K
am 20. Juli 1994 anhängig gemachte Klage ist dort nie rechtshängig geworden,
vielmehr ist sie am 17. Oktober 1994, also nach der Rechtshängigkeit der vorliegenden
Klage, beim Verwaltungsgericht Köln rechtshängig geworden (17 K 8013/94). Insoweit
wird auf das Urteil des erkennenden Senates vom heutigen Tage zwischen den
Beteiligten gleichen Rubrums (15 A 1089/96) Bezug genommen.
23
Die Klage ist auch nicht wegen Versäumens der Klagefrist unzulässig. Gemäß § 74
24
Abs. 1 Satz 1 VwGO muß eine Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Diese Frist ist nicht versäumt
worden.
Dabei kann offen bleiben, ob die Frist schon deshalb nicht versäumt wurde, weil die
gemäß § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz
gegen Empfangsbekenntnis beabsichtigte Zustellung wegen des bis heute nicht
ausgestellten Empfangsbekenntnisses nicht wirksam erfolgt ist.
25
Vgl. einerseits BGH, Urteil vom 29. Januar 1976 - IX ZR 47/74 -, LM § 197 BEG 1956 Nr.
5; Urteil vom 19. April 1994 - VI ZR 269/93 H -, NJW 1994, 2295, (zum vergleichbaren §
212a ZPO); BAG, Urteil vom 2. Dezember 1994 - 4 AZB 17/94 -, NJW 1995, 1916, (zu §
212a ZPO); andererseits BFH, Urteil vom 6. März 1990 - II R 131/87 -, BFHE 159, 425;
offen gelassen vom BVerwG, Beschluß vom 12. Oktober 1984 - 1 B 57.84 -, Buchholz
340 § 5 VwZG Nr. 10, S. 1 (4).
26
In jedem Falle setzt nämlich eine wirksame Zustellung mittels Empfangsbekenntnisses
nach § 5 Abs. 2 VwZG voraus, daß der Zustellungsadressat das zuzustellende
Schriftstück als zugestellt annimmt.
27
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. November 1993 - 7 B 92.93 -, Buchholz 340 § 5 VwZG
Nr. 15, S. 5 (6); Urteil vom 17. Mai 1979 - 2 C 1.79 -, BVerwGE 58, 107 (108).
28
Der - hier spätestens am 28. Juni 1994 erfolgte - Zugang des Widerspruchsbescheides
beim ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt Dr. G , alleine
reicht nicht aus. Der ehemalige Verfahrensbevollmächtigte hat den
Widerspruchsbescheid nicht als zugestellt angenommen. Das ergibt sich aus seinem
Schreiben an die Geschäftsführerin der Klägerin vom 28. Juni 1994. In diesem
Schreiben teilt er mit, daß er inzwischen seine aktive Anwaltstätigkeit beendet habe und
übersendet der Klägerin den Widerspruchsbescheid nebst Empfangsbekenntnis mit
dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Klagefrist erst vom Tage der Unterzeichnung des
Empfangsbekenntnisses laufe. Dieses Verhalten kann nur so verstanden werden, daß
Rechtsanwalt Dr. G den Widerspruchsbescheid nicht als zugestellt angenommen hat,
sondern wegen seines Rückzugs aus der beruflichen Tätigkeit nur den
Widerspruchsbescheid an die Klägerin weiterleiten wollte.
29
Ob die Zustellung tatsächlich später bewirkt wurde, wofür frühenstens der Zeitpunkt des
Zugangs des Widerspruchsbescheides bei der Geschäftsführerin der Klägerin am 29.
Juni 1994 in Betracht kommt, bedarf keiner Entscheidung, da in diesem Falle die Klage
innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden ist.
30
Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO ist in keinem Falle überschritten worden.
31
Das Verwaltungsgericht hat noch nicht in der Sache selbst entschieden. Der Senat
macht von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
Gebrauch, weil zur Sachentscheidung noch tatsächliche Aufklärung erforderlich ist und
eine Verzögerung des endgültigen Verfahrensabschlusses, wenn sie denn überhaupt
zu besorgen ist, hinnehmbar erscheint.
32
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
33