Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2001
OVG NRW: rechtswidrigkeit, behörde, klageänderung, kontrolle, vergleich, bebauungsplan, prozessökonomie, hauptsache, rechtsgrundlage, gerichtsverfahren
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 2683/99
Datum:
23.01.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 A 2683/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 11 K 630/94
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 50.000,- DM
festgesetzt.
G r ü n d e:
1
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
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Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich weder die
behaupteten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine Abweichung von einer Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts, auf der die
Entscheidung beruht (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
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Die Rüge, das Verwaltungsgericht verweise zu Unrecht zur Bejahung eines
Fortsetzungsfeststellungsinteresses auf einen nicht von vornherein ausgeschlossenen
Entschädigungsanspruch gemäß § 42 Abs. 2 des Baugesetzbuches - BauGB -, vermag
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis nicht
zu begründen. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Kläger ergibt sich jedenfalls
aus ihrer Absicht, den Schaden aus der nach ihrer Auffassung nicht rechtzeitigen
Erteilung des Bauvorbescheides "sei es nach § 39 OBG, sei es nach § 839 BGB i.V.m.
Artikel 34 GG" gegen den Beklagten geltend zu machen. Ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse zur Vorbereitung einer Amtshaftungsklage besteht
jedenfalls dann, wenn eine solche nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dass eine
Amtshaftungsklage als offensichtlich aussichtslos angesehen werden müsste, ergibt
sich aus den Darlegungen des Beklagten, der sich mit der Frage möglicher
Amtshaftungsansprüche befasst hat, nicht. Der Beklagte meint, solche Ansprüche seien
ausgeschlossen, weil der die Bauvoranfrage versagende Bescheid vom 17. März 1992
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und der Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1994 im Zeitpunkt ihres Erlasses
rechtmäßig gewesen seien und er nicht verpflichtet sei, die fortbestehende
Rechtmäßigkeit der Bescheide während des anhängigen Klageverfahrens unter
Kontrolle zu halten.
Diese Ansicht ist unzutreffend. Im Rahmen von Verpflichtungsklagen besteht
besonderer Anlass, die Sach- und Rechtslage auch seitens der Behörde unter Kontrolle
zu halten, da für die Frage, ob ein Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides besteht,
grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
maßgeblich ist.
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Auch die übrigen Rügen, die sich auf den Umfang der gerichtlichen Feststellungen
beziehen, greifen nicht durch.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine
Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO grundsätzlich zulässig, wenn der Streitgegenstand von Verpflichtungsklage und
Fortsetzungsfeststellungsklage gleich ist, da der Kläger nicht um die "Früchte" seiner
bisherigen Prozessführung gebracht werden soll. Bestandteil des Streitgegenstandes
einer Verpflichtungsklage ist die Feststellung, dass die Weigerung der Behörde in dem
für das Verpflichtungsbegehren entscheidenden Zeitpunkt, den beantragten
Verwaltungsakt zu erlassen, rechtwidrig ist.
7
Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil v. 24. Januar 1992 - 7 C 24.91 -, NVwZ
1992, S. 563 f.; OVG NRW, Urteil v. 23. April 1996 - 10 A 620/91 -(S. 18 f. des
Urteilsabdrucks).
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Entscheidender Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei
grundsätzlich nur derjenige, der unmittelbar vor dem erledigenden Ereignis liegt.
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BVerwG, Urteil v. 28. April 1999 - 4 C 4.98, S. 1105 ff. (S. 1105); OVG NRW, Urteil v. 23.
April 1996 - 10 A 620/91 - (S. 18 f. des Urteilsab- drucks); OVG NRW, Urteil v. 5. Juni
2000 - 10 A 620/91 - (S. 16 des Ur- teilsabdrucks).
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Im Wege der Klageerweiterung ist es aber möglich, die Feststellung der
Rechtswidrigkeit für andere Zeiträume zu beantragen, soweit die Beteiligten mit einer
solchen Klageänderung einverstanden sind oder das Gericht sie für sachdienlich hält, §
91 Abs. 1 VwGO. Ein Feststellungsinteresse ist auch in diesem Fall an den im Vergleich
zu § 43 Abs. 1 VwGO geringeren Anforderungen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu
messen. Es kann z.B. bejaht werden, wenn in Anbetracht der bisherigen
Verfahrensdauer und des als unstreitig anzusehenden Sachverhaltes es nicht mehr
prozessökonomisch wäre, den Kläger insofern auf den beabsichtigten Zivilrechtsstreit
zu verweisen.
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BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 - 4 C 4.98 -, NVwZ 1999, S. 1105 ff. (S. 1106).
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Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall lässt ernstliche Zweifel an
dem angefochtenen Urteil nicht aufkommen.
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Soweit das Urteil den Zeitpunkt unmittelbar vor dem erledigenden Ereignis in Bezug
nimmt ("bis zum") ist es von vornherein rechtlich unbedenklich, insoweit wird es auch
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nicht in Frage gestellt.
Weiterhin unterliegt es hier keinen rechtlichen Bedenken, einen weiteren Zeitraum in die
Feststellung mit einzubeziehen. Das Verwaltungsgericht hat die schriftsätzlich erklärte
Klageänderung jedenfalls für sachdienlich im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO gehalten.
Dieser weitere, auch vom Beklagten als solcher nicht in Frage gestellte Zeitraum
umfasst - wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt - die Zeit zwischen dem 27.
Januar 1995 und dem 22. Juni 1995. Angesichts der Dauer des erstinstanzlichen
Verfahrens und des Schriftsatzes des Beklagten vom 25. November 1998, wonach der
Beklagte selbst davon ausging, dass ohne die Veränderungssperre das Vorhaben der
Kläger mit den Festsetzungen des Durchführungsplanes vereinbar gewesen wäre, da
es nicht im Bereich des Bodendenkmales liege und die Erschließung gesichert
gewesen sei, konnte das Verwaltungsgericht unschwer eine Feststellung treffen, dass in
diesem Zeitraum ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheides
bestanden hat. Es bestand daher keine Veranlassung, aus Gründen der
Prozessökonomie diese Frage einem zivilgerichtlichen Verfahren vorzubehalten.
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Der Beklagte missversteht den Tenor des angefochtenen Urteils, wenn er annimmt, das
Verwaltungsgericht habe die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides und des
Widerspruchsbescheides für den Zeitpunkt ihres jeweiligen Erlasses festgestellt. Das
Verwaltungsgericht hat - wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt - nur einen
Anspruch auf Erteilung des Bauvorbescheides zwischen dem 27. Januar 1995 und dem
26. Juni 1995 bejaht. Daraus folgt, dass die Bescheide auch nur in diesem Zeitraum
rechtswidrig (geworden) waren. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide
bezieht sich daher auch nur auf den vorgenannten Zeitraum.
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Bei alledem ist das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass als
erledigendes Ereignis im vorliegenden Fall das Inkrafttreten der Veränderungssperre
vom 22. Juni 1995 anzusehen ist und nicht - wie der Beklagte vorträgt - erst der spätere
Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes. Ein Erledigung der Hauptsache liegt
vor, wenn das Klageziel nach Klageerhebung aus Gründen, die dem Kläger nicht
zuzurechnen sind, überhaupt nicht mehr erreicht werden kann oder aber außerhalb des
Gerichtsverfahrens schon erreicht wurde.
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BVerwG, Beschluss v. 15. August 1988 - 4 B 89.88 -, BRS 48, Nr. 159.
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Eine nach Klageerhebung eingetreten Rechtsänderung ist einer Erledigung in diesem
Sinne dann gleichzustellen, wenn hierdurch im Gerichtsverfahren eine grundlegende
Wende eintritt. Eine solche ist dadurch gekennzeichnet, dass die Rechtsgrundlage, die
bisher Gegenstand des Verfahrens war, durch eine andere mit zumindest teilweise
abweichenden Tatbestandsmerkmalen verdrängt wird. Bei Weiterverfolgung des
Verpflichtungsantrages würde sachlich ein neues Verfahren beginnen, in dem die bisher
rechtlich erheblichen Fragen ihre Bedeutung verloren hätten.
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BVerwG, Urteil v. 24. Oktober 1980 - 4 C 3.78 -, BRS 36 Nr. 169; BVerwG, Beschluss v.
15. August 1988 - 4 B 89.88 -, BRS 48 Nr. 159.
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Bei Inkrafttreten einer Veränderungssperre steht zwar nicht fest, dass das Klageziel
überhaupt nicht mehr erreicht werden kann, da diese - wie der vorliegende Fall auch
zeigt - auch außer Kraft treten kann, ohne dass zwischenzeitlich ein Bebauungsplan
erlassen wurde. Gleichwohl hat sich die Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit
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Inkrafttreten der letzten Veränderungssperre in einer Weise geändert, dass dem
Begehren der Kläger (wieder) der Boden entzogen wurde. Demgemäß bedeutet der
Eintritt einer Veränderungssperre zwar nicht eine Erledigung im eigentlichen Sinne des
Wortes, dieser Fall ist einer solchen Erledigung aber gleichzustellen.
Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg, Urteil v. 17. Oktober 1995 - 3 S 1/93 -,
BRS 57 Nr. 201; vgl. auch BVerwG, Beschluss v. 2. Oktober 1998 - 4 B 72.98 -, NVwZ
1999, S. 523.
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Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich schließlich, dass das Urteil des
Verwaltungsgerichts nicht von einer Entscheidung des Oberverwaltungsrichts für das
Land Nordrhein- Westfalen oder des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird
das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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