Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.10.2007

OVG NRW: anhörung des kindes, elterliche sorge, beratung, jugendamt, eltern, jugendhilfe, gerichtsverfahren, personalauswahl, auflage, wahrscheinlichkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 B 1526/07
Datum:
24.10.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 B 1526/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 L 750/07
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
G r ü n d e :
1
Der Prozesskostenhilfeantrag hat keinen Erfolg, weil die beabsichtigte
Rechtsverfolgung - hier die formgerechte Einlegung der Beschwerde gegen den
ablehnenden Beschluss des einstweiligen Rechtsschutzes vom 23. August 2007 - nicht
die nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet.
2
Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller könne
auf der Grundlage von § 18 Abs. 3 StGB VIII lediglich eine sachkundige, unparteiliche
Beratung durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe einfordern, insoweit habe er
jedoch weder glaubhaft gemacht, dass einem solchen Anordnungsanspruch des
Antragstellers nicht Genüge getan werde, noch dass ein Anordnungsgrund bestehe,
wird durch das angekündigte Beschwerdevorbringen nicht ernsthaft in Frage gestellt.
Ausweislich des Schreibens des Antragsgegners vom 13. Juli 2007 ist dem
Antragsteller ausdrücklich eine kurzfristige Beratung und Unterstützung bei der
Ausübung seines Umgangsrechtes mit seinen beiden Töchtern angeboten worden. Es
ist weder vorgetragen noch sonst wie erkennbar, dass er eine entspre-chende Hilfe zur
Vermeidung von Nachteilen und zur Verteidigung seines Elternrechtes aus Art. 6 Abs. 2
GG nicht jederzeit abrufen kann.
3
Es trifft nicht zu, dass der Antragsgegner dadurch, das mit der Erbringung der
Sozialleistung "Beratung und Unterstützung" gemäß § 17, 18 Abs. 3 SGB VIII laut
Angebot speziell die Sozialarbeiterin T. -I. betraut ist, das Hilfebegehren faktisch
ablehnt. Namentlich kommt es insoweit nicht darauf an, ob zwischen der vorgese-henen
Betreuungsperson und dem Antragsteller ein besonderes Vertrauensver-hältnis besteht.
Dies mag zwar in der Regel für die Sache förderlich sein, lässt sich aber naturgemäß
nicht sachgerecht verwirklichen, wenn der Umgangsberechtigte - wie dies hier allem
4
Anschein nach der Fall ist - nur solche Personen zu akzeptieren bereit ist, die bei der
Behandlung des mit dem Umgangsrecht im Zusammenhang stehenden Fragen
grundsätzlich seine Sicht der Dinge zu Grunde legt und ihr Vorgehen daran ausrichtet.
Dass die Erwartung des Antragstellers an die vom Antragsgegner zu erbringende
Leistung in dieser Weise eingeengt ist, drängt sich aufgrund der Ausführungen in seiner
Beschwerdebegründung auf, in denen der Antragsteller nicht nur detailliert darlegt, wie
die Sachbearbeiterin des Antragsgegners nach seiner Auffassung bei pflichtgemäßer
und professioneller Wahrnehmung ihrer Aufgaben hätte vorgehen müssen, sondern
sogar die - erkennbar durch seine Interessen bestimmten - Fragen formuliert, die die
Sachbearbeiterin der Mutter der Kinder hätte stellen müssen, und die sie für das
familiengerichtliche Verfahren im Rahmen ihrer "gutachterlichen Stellungnahme" hätte
aufwerfen müssen. Damit wird deutlich, dass der Antragsteller eine Ausrichtung der
Tätigkeit der Sachbearbeiterin des Antragsgegners an den von ihm in der
Sorgerechtsangelegenheit vertretenen Auffassung begehrt, auf die er keinen Anspruch
hat. Denn das Jugendamt ist bei seiner Aufgabenerfüllung nach §§ 17, 18 Abs. 3 Satz 3
SGB VIII ebenfalls den Interessen anderer Umgangsberechtigter bzw. des
Umgangsverpflichteten und insbesondere den Belangen des Kindes verpflichtet.
Gegenstand von Beratung und Unterstützung im Zusammenhang mit dem
Umgangsrecht ist nicht die Durchsetzung von Rechten gegenüber anderen
Umgangsberechtigten. Es geht ausschließlich um die Ausübung des Umgangsrechts in
erzieherischer Hinsicht. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe soll den
Umgangsberechtigten durch Beratung und Unterstützung befähigen, das Umgangsrecht
in einer das Kindeswohl fördernden, zumindest jedoch nicht beeinträchtigenden Art und
Weise auszuüben.
Vgl. etwa: Fischer, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Auflage, § 18 Rdnr. 22.
5
Die Jugendhilfe hat sich also verstärkt der schwierigen Aufgabe der Anbahnung und
Ausgestaltung des Umgangs zwischen betroffenen Kindern und Jugendlichen und den
Umgangsberechtigten zu widmen, d.h. bei Konflikten zwischen Umgangsberechtigten/-
pflichtigen und ihren Kindern und Jugendlichen einerseits sowie andererseits zwischen
Umgangsberechtigten und Umgangspflichtigen untereinander vermittelnd und
schlichtend einzugreifen mit dem Ziel, die für die Kinder und Jugendlichen wichtigen
emotionalen und sozialen Bindungen und Beziehungen zu den Umgangsberechtigten
erhalten und entwickeln zu helfen.
6
So etwa Münder u.a., Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 5. Auflage, § 18 Rdnr. 28.
7
Für die vorstehend beschriebene Aufgabenerfüllung reicht es aus, dass der
Jugendhilfeträger durch seine Personalauswahl eine sachkundige, unparteiliche
Beratung gewährleistet. Dass die Sozialarbeiterin T. -I. diesen Anforderungen nicht
genügt, vermag auch das angekündigte Beschwerdevorbringen jedoch nicht glaubhaft
zu machen. Die vom Antragsgegner mit Schreiben vom 22. Juni 2007 bestätigte
Personalauswahl ist vielmehr auch unter dem Gesichtspunkt des § 17 SGB X nicht zu
beanstanden.
8
Der Antragsteller kann der Sozialarbeiterin T. -I. zunächst einmal nicht als
unprofessionell und einseitig vorhalten, das Jugendamt sei in seiner Familiensache trotz
anhängigem Gerichtsverfahren über viereinhalb Jahre völlig untätig geblieben. Dem
steht schon entgegen, dass - wie den vom Antragsgegner vorgelegten Verwal-
tungsunterlagen zu entnehmen ist - ab Mai 2006 u.a. in Kooperation mit dem An-
9
tragsgegner in der Zuständigkeit von Frau T. -I. eine Elternberatung durch Mitarbeiter
zweier Erziehungsberatungsstellen stattgefunden hat, die nach einem an den
Antragsgegner gerichteten Bericht dieser Mitarbeiter vom 21. November 2006 nach
mehreren vom Antragsteller nicht wahrgenommenen Terminen nicht fortgesetzt wurde,
weil der Antragsteller nicht wirklich an Beratung interessiert sei und es ihm nicht darum
gehe, eine faire Kooperation mit seiner Ex-Frau zu finden. Dass der Antragsteller den
Antragsgegner in der Folgezeit um Unterstützung in seiner Sorge-rechtsangelegenheit
gebeten hätte, ist von ihm nicht vorgetragen worden. Es dürfte deshalb keinen
Bedenken begegnen, dass die Sachbearbeiterin des Antragsgegners dem Antragsteller
vor Eingang der Ladung zum Termin vor dem Oberlandesgericht I1. - Familiengericht
am 5. Juli 2007 und der Bitte um rechtzeitige Einreichung eines Berichts kein weiteres
Hilfeangebot gemacht hat.
Zu Unrecht misst der Antragsteller ferner Inhalt und Zustandekommen der schriftlichen
Stellungnahme der Sozialarbeiterin T. -I. vom 15. Mai 2007 an den Anforderungen an
gutachterliche Stellungnahmen in der sozialen Arbeit, wie sie in der Fachliteratur
beschrieben seien und - nach einer detaillierten Exploration und unter
wahrheitsgemäßer und vollständiger Darstellung aller relevanten Fakten - verlangen
sollen, dass die maßgebliche gutachterliche Frage ausformuliert wird, dass die
Erkenntnisquellen genannt und die ermittelten Sachverhalte dargelegt werden, dass die
angebotenen und erbrachten Beratungs- und Unterstützungsleistungen sowie deren
Ergebnis unterbreitet werden, dass die Sachverhalte und Ergebnisse der Beratungs-
und Unterstützungsleistungen im Hinblick auf fachgutachterliche Frage interpretiert
werden und dass ggfls. eine Empfehlung für das Gericht ausgesprochen wird.
Ungeachtet dessen, dass das Jugendamt nicht dazu verpflichtet ist, im
Gerichtsverfahren eine qualifizierte gutachterliche Stellungnahme abzugeben,
10
vgl. Schellhorn, in: Schellhorn/Fischer/Mann, a.a.O., § 50 Rdnr. 19; Münder u.a., a.a.O.,
§ 50 Rdnr. 13 jeweils mit weiteren Nachweisen.
11
hat der Familiensenat des OLG I1. das Jugendamt nämlich nicht um eine "gutachterliche
Stellungnahme", sondern nur um einen "Bericht" gebeten. Dementsprechend oblag dem
Jugendamt hier keine umfassende Aufbereitung des entscheidungserheblichen
Sachverhaltes bereits im Vorhinein, sondern es konnte sich auftragsgemäß auf die
inhaltliche Wiedergabe der - das Thema Sorgerechtsverteilung zeitnah behandelnden -
Gespräche mit den Kindeseltern am 8. Mai 2007 und mit den beiden Töchtern J. und L.
am 11. Mai 2007 sowie auf eine kurze Auswertung der gewonnenen Informationen
beschränken. Dass eine solche - lediglich auf der Grundlage von Gesprächen
abgegebene - Stellungnahme hier für die Sachbearbeiterin erkennbar unsachgemäß
war und zu einer Unverwertbarkeit des Berichtes führen musste, wie sie das OLG Köln
in einem anders gelagerten Sorgerechtsverfahren wegen mangelnder Berücksichtigung
der örtlichen Verhältnisse sowie des häuslichen Umfelds angenommen hat,
12
vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Januar 2001 - 25 UF 202/00 -, EzFamR aktuelll 2001,
228
13
kann entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht angenommen werden. Es ist
auch insoweit weder vom Antragsteller substantiiert vorgetragen worden noch im
übrigen nachvollziehbar, dass in Anbetracht der in dem Bericht wiedergegebenen
Äußerungen der Eltern zu den schulischen Belangen der Kinder von der
Sachbearbeiterin zu erwarten gewesen wäre, Informationen der Schule zur Umsetzung
14
der zwischen den beiden Elternteilen in schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder
geschlossenen Vergleiche einzuholen, wie sie der Antragsteller vermisst. Das
Jugendamt dürfte nämlich grundsätzlich nicht verpflichtet sein, tatsächliche Ermittlungen
zum Zwecke der Anhörung anzustellen. Es ist nach § 12 FGB vielmehr Aufgabe des
Gerichts, den Sachverhalt - soweit er entscheidungserheblich ist - selbst zu ermitteln.
Vgl. etwa Schellhorn in: Schellhorn/Fischer/Mann a.a.O., § 50 Rdnr. 20 m.w.N.
15
Anders als der Antragsteller meint, manifestieren sich als Zeichen mangelnder
Sachkunde und Unparteilichkeit der Sozialarbeiterin T. -I. in den von ihm behaupteten
Begebenheiten während des Elterngespräches auch keinerlei unbe- rechtigte
Vorurteile. So ist etwa die - ohnehin durch nichts belegte - Frage: "Wenn das doch alles
so gut klappt, warum wollen Sie dann die Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge?"
im Hinblick auf eine der Verfahrensthematik adäquate Eruierung der Motive dafür, dass
der Antragsteller trotz problemloser Umsetzung von vier vor unterschiedlichen Gerichten
geschlossenen Vergleichen, mittels derer Teile der väterlichen Sorge faktisch
wiederhergestellt wurden, eine rechtliche Neugestaltung des elterlichen Sorgerechts
erstrebt, nicht weiter verfänglich. Der Fachkraft musste nicht von vornherein bekannt
sein, in welchem Maße es dem Antragsteller nicht allein um die tatsächliche
Wahrnehmung seiner Elternrolle geht, sondern um die ihm gesetzlich vermeintlich
zustehende Rechtsposition.
16
Die Sachbearbeiterin hat in ihrem Bericht auch keine Aussage der Kindesmutter des
Inhalts als wahr und vom Antragsteller zugestanden erscheinen lassen, es fände seit 10
Jahren keinerlei Kommunikation zwischen den Eltern über die Belange der Kinder statt
und schon gar keine direkten Gespräche. Vielmehr heißt es im Bericht vom 15. Mai
2007, dass Frau I2. -I3. angebe, dass ein vernünftiges Gespräch mit dem Vater der
Kinder seit 10 Jahren nicht möglich erscheine. Die Angaben zu Gesprächen zwischen
den Elternteilen wird mithin als bloße Behauptung der Kin-desmutter wiedergegeben
und bezieht sich nur auf Unterredungen mit konstruktivem Inhalt. Zudem wird in einem
der vorausgegangenen Sätze als Schilderung des An-tragstellers nicht unerwähnt
gelassen, dass der Kindesvater mit der Wahrnehmung der schulischen und
medizinischen Belange seiner Töchter Teilbereiche der elter-lichen Sorge wahrnimmt,
also insoweit bereits (faktisch) die elterliche Sorge ge-einsam mit der Mutter der Kinder
ausübt.
17
Im Gegensatz zur Annahme des Antragstellers lässt die angebliche Frage der
Sozialarbeiterin T. -I. danach, ob und wie die Eltern das Problem lösen würden, das
eines der Mädchen oder beide - hypothetisch - auf den Strich gingen oder drogensüchtig
wären, auch nicht auf mangelndes Interesse an einer angemessenen Lösung der
Sorgerechtsproblematik schließen, sondern es sollte erkennbar eine Situation simuliert
werden, in der die spontane Bildung eines gemeinsamen Erziehungskonzeptes - also
die Kommunikationsbereitschaft und - fähigkeit der beiden Elternteile miteinander -
gefragt war, um hieraus Folgerungen für die Praktikabilität etwa einer gemeinsamen
Sorgerechtsausübung schließen zu können.
18
Soweit sich L. gegenüber der Jugendamtsmitarbeiterin entgegen dem Bericht angeblich
gar nicht zur Sache geäußert haben soll, widerspricht dies dem vom Familiensenat des
OLG I1. bei seiner eigenen Anhörung des Kindes gewonnenen Eindruck, wie er auf
Seite 8 des Beschlusses vom 5. Juni 2007 - OF - wiedergegeben ist, so dass keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine wahrheitswidrige Angabe von Frau T. -I.
19
bestehen.
Eine Zusage der Fachkraft, den Entwurf ihres Berichtes vorab den Eltern zuzusenden,
um ggfls. noch Unstimmigkeiten und Missverständnisse beseitigen zu können, kann
dem Antragsteller vor dem Hintergrund der laut Schreiben des Antragsgegners vom 22.
Juni 2007 von Frau T. -I. abgegebenen gegenteiligen Versicherung ebenfalls nicht
abgenommen werden, zumal dies auch nicht der üblichen Praxis der Jugendämter
entsprochen hätte.
20
Nach alledem drohen dem Antragsteller im Sinne eines ausreichenden
Anordnungsgrundes schon deshalb keine unzumutbaren Nachteile, weil die ihm
angebotene Unterstützung und Beratung nach § 18 Abs. 3 SGB VIII durch die
Sozialarbeiterin T. -I. bei überschlägiger Betrachtung bedarfsgerecht erscheint. Gegen-
teiliges - nämlich einen Anspruch auf Betreuung durch eine andere Fachkraft als Frau T.
-I. - hat der Antragsteller entgegen § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO, dem zur
Folge gerade auch für den Anordnungsanspruch ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit
vorliegen muss, nicht glaubhaft machen können.
21
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
22
23