Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.01.2000

OVG NRW: härte, sozialhilfe, bekanntmachung, anrechenbares einkommen, verwertung, bausparvertrag, kündigung, rückzahlung, kapitalanlage, wohnungsbau

Oberverwaltungsgericht NRW, 22 A 4467/95
Datum:
17.01.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
22. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 A 4467/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 22 K 5017/94
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von weiterer laufender Hilfe zum
Lebensunterhalt für den Zeitraum von September 1992 bis April 1994.
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In diesem Zeitraum ging die Klägerin zu 2. (die Klägerin) einer Halbtagsbeschäftigung
nach. Sie erzielte abzüglich einer Fahrtkostenerstattung und der vermögenswirksamen
Leistungen des Arbeitgebers in etwa ein monatliches Nettoeinkommen für die Monate
August bis Oktober 1992 und Dezember 1992 bis Februar 1993 von 1.200 DM, für den
Monat November 1992 von 2.200 DM, für die Monate März bis Mai 1993 von 1.450 DM,
für Juni 1993 von 1.800 DM, von Juli bis Oktober 1993 und Dezember 1993 bis März
1994 von 1.500 DM und für November 1993 von 2.700 DM.
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Der Kläger zu 1. (der Kläger), der als selbständiger Vermögensberater tätig war, erzielte
Provisionen in monatlich wechselnder Höhe.
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Die Klägerin war Inhaberin des am 1. September 1983 abgeschlossenen
Bausparvertrages 27 277 6024 bei der W. Bausparkasse mit einem Guthaben in Höhe
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von 6.343,85 DM zum 31. Dezember 1991, von 7.364,08 DM zum 31. Dezember 1992
und von 8.312,65 DM zum 31. Dezember 1993. Nach Auskünften der Bausparkasse
vom 13. Februar 1998 und vom 14. September 1999 war der Bausparvertrag 1992 und
1993 noch nicht zuteilungsreif, so daß eine Auszahlung des Guthabens nicht habe
beantragt werden können; eine Beleihung im Rahmen des vorhandenen Vermögens sei
ebenfalls nicht möglich gewesen. Nach einer weiteren Auskunft der Bausparkasse an
die Klägerin vom 29. Oktober 1999 wäre bei einer vorherigen Kündigung des
Bausparvertrages am 1. September 1992 ein Betrag von 6.959,42 DM an die Klägerin
ausgezahlt worden.
In dem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf -
22 L 3827/92- (OVG NRW 24 B 4159/92) legte der Kläger eine eidesstattliche
Versicherung seiner Großmutter, Frau J. T. , vom 24. September 1992 vor. Frau T.
erklärte darin, sie habe den Kläger mit monatlich ca. 200,00 DM unterstützt.
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Die Kläger erhielten 1992 Kindergeld für den Kläger zu 3. in Höhe von 70 DM im Monat;
ab Januar 1993 belief sich das Kindergeld auf 130 DM im Monat.
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In den Monaten September 1992 bis April 1994 mit Ausnahme des Monats Januar 1994
erhielten die Kläger von der Beklagten aufgrund verschiedener Bewilligungsbescheide,
des Abhilfebescheides vom 10. August 1993 und des Widerspruchsbescheides vom 15.
April 1994 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in unterschiedlicher Höhe. Die Beklagte
legte hierbei einen Bedarf der Kläger in Höhe von 2.640,85 DM ab September 1992, von
2.673,05 DM ab Januar 1993, von 2.620,39 DM ab April 1993, von 2.635,14 DM ab Juli
1993, von 2.729,86 DM ab Dezember 1993 und von 2.833,17 DM für April 1994 zu
Grunde, wobei er bei der Berechnung auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur
Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - (BGBl. I 1993, 944)
einen Mehrbedarf für Erwerbstätige zugrundelegte. Bei den dem Bedarf gegenüber
gestellten Eigenmitteln der Kläger berücksichtigte die Beklagte das Bausparguthaben
der Klägerin nicht.
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Mit der am 27. April 1994 zunächst nur vom Kläger erhobenen Klage hat dieser geltend
gemacht: Der Widerspruchsbescheid vom 15. April 1994 enthalte keine Entscheidung
für den Zeitraum September bis Dezember 1992, obwohl sich sein Widerspruch auch
hierauf bezogen habe. Für 1992 sei ebenso wie in der jüngsten Zeit nicht vom
durchschnittlichen Erwerbseinkommen aus dem Vorjahr, sondern vom aktuellen
Einkommen auszugehen. Bei der Berechnung der Sozialhilfeleistungen seien alle
nötigen Ausgaben im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit und der seiner Frau zu
berücksichtigen. Darüber hinaus habe er einen Nachzahlungsbetrag vom 537,02 DM
gemäß dem Abhilfebescheid vom 10. August 1993 nicht erhalten.
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Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 17. Februar 1993 und 18.
November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1994 zu
verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. September 1992 bis zum 30. April 1994 laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des aktuellen Erwerbseinkommens
sowie sämtlicher notwendiger Ausgaben zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Durch den angefochtenen Gerichtsbescheid hat das Verwaltungsgericht die Klage im
Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, es bestünden erhebliche Zweifel an den
Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers. Außerdem habe der Kläger
jedenfalls bis März 1993 über einzusetzendes Vermögen in Gestalt eines PKWs verfügt.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Die Kläger zu 2. und 3. sind dem
Verfahren beigetreten. Mit der Berufung rügen die Kläger: Die Beklagte habe ab Januar
1992 die Durchschnittsprovision des Vorjahres als Einkommen angenommen, obwohl
das tatsächliche Einkommen weit darunter gelegen habe. Darüber hinaus seien die
Kosten aus der selbständigen Arbeit des Klägers unberücksichtigt geblieben. Die
Beklagte könne nicht in Monaten mit geringen Provisionseinnahmen die Kosten
unberücksichtigt lassen und in den folgenden Monaten mit hoher Provision die
Sozialhilfe einstellen. Die Fahrtkosten der Klägerin seien lediglich ab August 1993
berücksichtigt worden. Der PKW sei vom Sozialamt begutachtet und dem Kläger
überlassen worden, weil die Verschrottungskosten zu hoch seien.
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Das Bausparguthaben der Klägerin sei Schonvermögen, dessen Einsatz eine Härte
bedeute. Die Verwertung des Guthabens sei unzumutbar, denn es handele sich nicht
um "zurückgelegtes Kapital".
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Die Kläger beantragen,
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den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und die Beklagte unter Abänderung
ihrer Bescheide vom 17. Februar 1993 und 18. November 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. April 1994 zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 1.
September 1992 bis zum 30. April 1994 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter
Berücksichtigung des Erwerbseinkommens und der notwendigen Ausgaben zu
gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über die Hilfe zum Lebensunterhalt
im Zeitraum vom 1. September 1992 bis zum 30. April 1994 unter Berücksichtigung des
Erwerbseinkommens und der notwendigen Ausgaben neu zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt ergänzend vor: Bei dem Bausparguthaben der Klägerin handele es sich um
verwertbares Vermögen. Der Einsatz bedeute für die Kläger keine Härte, auch wenn
Zinsen und/oder Prämien bei einer vorzeitigen Kündigung des Bausparvertrages
verloren gingen. Es sei davon auszugehen, dass die Vermögensschongrenze von
insgesamt 4.200,00 DM durch die von der Klägerin seit Vertragsbeginn am 1.
September 1983 monatlich gezahlten Beträge von 52,00 DM am 1. September 1992
bereits überschritten gewesen sei; ohne Berücksichtigung von anderen Zahlungen,
Zinsen und ggf. Prämien sei so ein Betrag von 5.616,00 DM (108 Monate x 52,00 DM)
angespart worden.
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Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der
Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, aus den Verfahrensakten 22 L 3827/92 (= 24
B 4159/92 OVG NRW), 22 K 6630/92 (= 24 E 458/95 OVG NRW) und 22 K 3078/95 (=
24 E 751/95 OVG NRW), alle VG Düsseldorf, sowie den Verwaltungsvorgängen der
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Beklagten; hierauf wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Über die Berufung der Kläger entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, weil
die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben und eine weitere mündliche
Verhandlung nicht erforderlich erscheint (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
24
Die Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Die Klage ist mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag unbegründet.
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf weitere Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit
von September 1992 bis April 1994.
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Dem geltend gemachten Anspruch steht jedenfalls entgegen, dass die Kläger in dem
streitigen Zeitraum die erforderlichen Mittel aus dem Einkommen und Vermögen der
Klägerin, aus den Zuwendungen der Großmutter des Klägers und aus dem Kindergeld
für den Kläger zu 3. beschaffen konnten. Es kommt mithin nicht darauf an, ob die
Beklagte das einzusetzende Einkommen des Klägers zutreffend ermittelt hat oder ob
endgültig nicht ausgeräumte Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Kläger wegen unklarer
Einkommens- und Vermögensverhältnisse berechtigt waren.
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Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ist Hilfe zum
Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen
und Vermögen, beschaffen kann. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten, wie den
Klägern zu 1. und 2. im streitigen Zeitraum, sind das Einkommen und Vermögen beider
Ehegatten zu berücksichtigen; soweit minderjährige, unverheiratete Kinder, die - wie
seinerzeit der Kläger zu 3. - dem Haushalt ihrer Eltern angehören, den notwendigen
Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht beschaffen können, sind
auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 1
Satz 2 BSHG).
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Die Beklagte hat den sozialhilferechtlichen Bedarf der Kläger für die Monate September
bis Dezember 1992 zutreffend mit 2.640,85 DM ermittelt. In der Folgezeit schwankte
dieser Bedarf geringfügig und erhöhte sich ab Dezember 1993 auf 2.729,86 DM und im
April 1994 auf 2.833,17 DM.
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Diesem Bedarf stand ein monatliches Nettoeinkommen der Klägerin in Höhe von
zunächst ca. 1.200 DM gegenüber. Hiervon sind nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG die mit
der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Dies
sind eine Arbeitsmittelpauschale von 10 DM und die Kosten für die Fahrten zur
Arbeitstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln (§ 3 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 der
Verordnung zur Durchführung des § 76 BSHG vom 28. November 1962, BGBl. I S. 692,
geändert durch Verordnung vom 23. November 1976, BGBl. I S. 3234). Die Kosten für
eine Monatskarte für öffentliche Verkehrsmittel beliefen sich nach den in den
Verwaltungsvorgängen vorhandenen Unterlagen für einen späteren Zeitraum auf 103
DM. Da der Arbeitgeber der Klägerin dieser einen Fahrtkostenzuschuss von
durchschnittlich etwa 40 DM im Monat zahlte, blieb ein nicht gedeckter Betrag von ca.
65 DM offen, der zusammen mit der Arbeitsmittelpauschale vom Einkommen höchstens
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abgesetzt werden kann. Es verbleibt mithin ein anrechenbares Einkommen von
zunächst ca. 1.125 DM. Dieses Einkommen erhöhte sich ab Dezember 1992 zunächst
dadurch, dass die Klägerin Weihnachtsgeld von ca. 1.000 DM netto erhielt. Ab April
1993 erhöhte sich außerdem das regelmäßige monatliche Durchschnittseinkommen der
Klägerin um 250 DM bis 300 DM. Vom Einkommen der Klägerin sind im Ergebnis dieser
Berechnung auch nach Inkrafttreten des FKPG keine Beträge für Erwerbstätige
abzusetzen, weil die Beklagte insoweit bei der Bedarfsberechnung bereits einen
Mehrbedarf zugrundegelegt hatte. Dafür, dass die nach § 76 Abs. 2 a Nr. 1 BSHG in
angemessener Höhe abzusetzenden Beträge höher anzusetzen sind als der Mehrbedarf
nach § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG a.F., ist nichts ersichtlich.
Zusätzlich standen den Klägern für den Lebensunterhalt Zuwendungen der Großmutter
des Klägers in Höhe von etwa 200 DM im Monat zur Verfügung. Frau T. hat in ihrer
eidesstattlichen Versicherung vom 24. September 1992 im Verfahren - 22 L 3827/92 -
(VG Düsseldorf) erklärt, sie habe den Kläger mit monatlich ca. 200 DM zusätzlich
unterstützt. Nach den getroffenen Feststellungen wurden diese Zuwendungen auch in
der Folgezeit geleistet. Die Kläger haben nämlich der im Beschluss des 24. Senates
vom 25. November 1997 über die Gewährung von Prozesskostenhilfe geäußerten
Vermutung, dass die Zuwendungen auch im Jahr 1993 noch geflossen seien, nicht
widersprochen.
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Schließlich stand den Klägern als Einkommen Kindergeld in Höhe von monatlich 70 DM
im Jahr 1992 und von monatlich 130 DM von Januar 1993 an zur Verfügung.
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Zu Beginn des hier streitigen Zeitraums blieb nach alledem höchstens ein monatlicher
Bedarf in Höhe von 1.245 DM (=2.640 DM - 1.125 DM - 200 DM - 70 DM) ungedeckt.
Auch wenn in der Folgezeit der Hilfebedarf insgesamt anstieg, änderte sich selbst bei
Außerachtlassung der von der Großmutter des Klägers gegebenen Zuwendung der
ungedeckte Hilfebedarf nicht wesentlich, da das Einkommen der Klägerin und das
Kindergeld wie angegeben stiegen.
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Der Klägerin war zuzumuten, diesen nicht gedeckten Bedarf aus ihrem Vermögen zu
beschaffen, zu dem nach § 88 Abs. 1 BSHG das gesamte verwertbare Vermögen
gehört. Dieses überstieg bereits Anfang September 1992 erheblich die
Vermögensschongrenze von 4.200,00 DM ( § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG, § 1 Abs. 1 Nr. 1a)
und 3 der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom 11.02.1988,
BGBl. I S. 150, i.d.F. der Änderungsverordnung vom 23.10.1991, BGBl. I S. 2037). Der
übersteigende Betrag war höher als der durch das Einkommen nicht gedeckte Bedarf für
den Monat September 1992 von ca. 1.245 DM.
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Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum über einen Bausparvertrag mit einem
Guthaben von ca. 7.000 DM zum 1. September 1992, das in der Folgezeit stetig anstieg.
Dieses Guthaben war auch verwertbar, obwohl der Bausparvertrag seinerzeit nicht
zuteilungsreif war.
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Vermögen ist jedenfalls dann als verwertbar anzusehen, wenn sein Wert in
angemessener Frist eingesetzt werden kann, um den Bedarf des Hilfe Suchenden zu
befriedigen. Es kommt demnach nicht allein darauf an, ob dem Vermögen
zuzuordnende Forderungen bereits fällig sind, sondern darauf, ob der Vermögenswert
tatsächlich zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden kann. Dies ist regelmäßig der Fall,
wenn der Vermögenswert durch Veräußerung, Beleihung oder auf andere Weise in
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Geld umgewandelt und so realisiert werden kann.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und
Sozialgerichte (FEVS) 45, 326, 328.
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Hiervon ausgehend war das Bausparguthaben seinerzeit verwertbar, denn die Klägerin
hätte die Möglichkeit gehabt, den Bausparvertrag zu kündigen. Nach der Auskunft der
Bausparkasse vom 29. Oktober 1999 wäre ihr dann ein Betrag von 6.959,42 DM
ausgezahlt worden. Allerdings hätte die Klägerin diesen Betrag nicht in voller Höhe zur
Deckung des Lebensunterhaltes ihrer Familie einsetzen können. Vielmehr hätte sie bei
einer vorzeitigen Rückzahlung der Bausparbeiträge die ggf. in der Vergangenheit
erhaltenen Arbeitnehmer-Sparzulagen und Wohnungsbau-Prämien zurückzahlen
müssen und Beträge, die evt. als Sonderausgaben nach § 10 des
Einkommensteuergesetzes in der jeweils geltenden Fassung (EStG) vom Einkommen
abgesetzt worden waren, ggf. nachversteuern müssen. Nur in Höhe der Differenz
zwischen Auszahlungsbetrag und Arbeitnehmer-Sparzulage zuzüglich Sparprämien
und nachzuzahlenden Steuern war mithin verwertbares Vermögen vorhanden.
38
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 330.
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Wenn sich auch anhand der vorliegenden Unterlagen nicht abschließend feststellen
lässt, welcher Betrag genau als verwertbares Vermögen anzusehen ist, liegt er
jedenfalls nach den getroffenen Feststellungen mindestens bei 5.800 DM und damit
erheblich über dem Betrag des Schonvermögens von 4.200 DM zuzüglich des
monatlich nicht gedeckten Bedarfs von 1.245 DM (zusammen 5.445 DM).
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Die Klägerin kann in den Jahren 1983 bis 1991 maximal Arbeitnehmer-Sparzulagen von
insgesamt 1.072,76 DM erhalten haben. Diese hätte sie bei vorzeitiger Kündigung des
Bausparvertrages und Rückzahlung der Beiträge zurückzahlen müssen (vgl. § 13 Abs. 4
b) des Dritten Vermögensbildungsgesetzes - 3. VermBG - i.d.F. der Bekanntmachung
vom 30.09.1982, BGBl. I S. 1370; § 13 Abs. 4 b) 4. VermBG i.d.F. der Bekanntmachung
vom 06.02.1984, BGBl. I S. 202; § 14 Abs. 4 Nr. 2 5. VermBG i.d.F. der
Bekanntmachung vom 19.02.1987, BGBl.I S. 631; § 13 Abs. 5 Satz 1 5. VermBG i.d.F.
der Bekanntmachung vom 19.01.1989, BGBl. I S. 138). Der Betrag errechnet sich wie
folgt: Aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Einkommensteuerbescheiden für
die Jahre 1989 und 1991 (Bl. 266, 312 der Verwaltungsvorgänge) ergibt sich, dass die
Klägerin 1989 bei vermögenswirksamen Leistungen von 468 DM eine Arbeitnehmer-
Sparzulage von 107,64 DM und 1991 bei vermögenswirksamen Leistungen von 624 DM
eine Zulage von 62,40 DM erhalten hat. Aus der Gehaltsabrechnung für die Klägerin für
den Monat Dezember 1990 (Bl. 29 der Verwaltungsvorgänge) ergibt sich, dass der
Arbeitgeber der Klägerin für diese im Jahr 1990 vermögenswirksame Leistungen von
insgesamt 416 DM angelegt hat. Die Klägerin könnte hierfür eine Arbeitnehmer-
Sparzulage von 10 Prozent, also von 41,60 DM erhalten haben (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 5.
VermBG i.d.F. der Bekanntmachung vom 19.01.1989). Für die Jahre 1983 bis 1988
liegen keine Unterlagen vor. In diesen Jahren betrug die Arbeitnehmer-Sparzulage für
vermögenswirksame Leistungen von nicht mehr als 624 DM im Jahr 23 Prozent (§ 12
Abs. 1 3. VermBG i.d.F. der Bekanntmachung vom 30.09.1982; § 12 Abs. 2 u.3 4.
VermBG i.d.F. der Bekanntmachung vom 06.02.1984; § 13 Abs. 2 u. 3 5. VermBG i.d.F.
der Bekanntmachung vom 19.02.1987). Wird zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass
sie in diesen Jahren jeweils 624 DM an vermögenswirksamen Leistungen erbracht hat,
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hätte sie jedes Jahr eine Sparzulage von 143,52 DM, zusammen also 861,12 DM
erhalten.
Auch wenn die Klägerin diese Beträge von zusammen 1.072,76 DM hätte zurückzahlen
müssen, wäre von dem Auszahlungsbetrag von 6.959,42 DM ein Betrag von 5.886,66
DM verblieben.
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Dieser Betrag wäre nicht weiter dadurch reduziert worden, dass die Klägerin Prämien
nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz (WoPG) hätte zurückzahlen müssen. Solche
Prämien waren dem Bausparkonto der Klägerin offenbar nicht gutgeschrieben worden.
Eine vorzeitige Rückzahlung von Bausparbeiträgen durfte die Bausparkasse nur
vornehmen, wenn zuvor geleistete Wohnungsbau- Prämien an das Finanzamt
zurückgezahlt waren (§ 5 Abs. 2 WoPG i.d.F. vom 30.07.1992). Nach der Auskunft der
Bausparkasse vom 29. Oktober 1999 wäre an die Klägerin bei vorheriger Kündigung
des Bausparvertrages der Betrag von 6.959,42 DM aber ohne weiteres zur Auszahlung
gekommen.
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Von dem Auszahlungsbetrag wäre weiter der Betrag abzuziehen, den die Klägerin nach
§ 10 Abs. 6 bzw. 5 EStG bei vorzeitiger Rückzahlung der Bausparbeiträge an Steuern
nachzuentrichten gehabt hätte. Aus den Unterlagen ergibt sich nicht, ob und in welcher
Höhe die Kläger in den Jahren 1983 bis 1991 Beiträge an die Bausparkasse als
Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerlich geltend gemacht haben. Zu
berücksichtigen ist aber, dass nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 4 EStG nicht solche
Vorsorgeaufwendungen vom Einkommen abgesetzt werden können, für die eine
Arbeitnehmer-Sparzulage gewährt worden ist bzw. für die ein Anspruch auf diese
Zulage bestand. Geht man entsprechend der oben aufgestellten Rechnung davon aus,
dass die Klägerin 1983 bis 1991 vermögenswirksame Leistungen in Höhe von
insgesamt 5.252 DM (jeweils 624 DM in den Jahren 1983 bis 1988, 468 DM 1989, 416
DM 1990 und 624 DM 1991) erbracht und für diese Arbeitnehmer-Sparzulagen erhalten
hat, so hat sie bei einem Kontostand Ende 1991 von 6.343,85 DM an zusätzlichen
Beiträgen (einschließlich der angefallenen Zinsen) 1.091,85 DM (6.343,85 DM - 5.252
DM) aufgewendet. Allenfalls dieser Betrag hätte als Sonderausgabe abgesetzt werden
können. Ob dies geschehen ist und welche steuerlichen Vorteile die Klägerin hieraus
gezogen hat, kann auf sich beruhen. Denn eine Nachversteuerung wäre erst dann
erfolgt, wenn Beiträge tatsächlich zurückgezahlt worden wären. Die Klägerin hätte sich
bei einer Verwertung des Bausparguthabens aber nicht den gesamten Betrag
zurückzahlen lassen müssen. Sie hätte vielmehr ein Guthaben in Höhe der
Vermögensschongrenze von 4.200 DM stehen lassen können. Die Klägerin hätte sich
also die Bausparbeiträge, die als Sonderausgaben steuerlich geltend gemacht worden
waren, nicht auszahlen lassen müssen. Eine Nachversteuerung wäre dann nicht
notwendig geworden.
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Der Berücksichtigung des Bausparguthabens steht nicht § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG
entgegen. Danach darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz
oder der Verwertung eines Vermögens, soweit dies für den, der das Vermögen
einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten
würde. Die Verwertung des Bausparguthabens hätte für die Kläger jedoch keine Härte
in diesem Sinne bedeutet.
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Der Begriff der Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 BSHG kann nur im Zusammenhang mit
den vorangehenden Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über das
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Schonvermögen zutreffend bestimmt werden. Die Vorschriften über das
Schonvermögen sollen gewährleisten, dass die Sozialhilfe nicht zu einer wesentlichen
Beeinträchtigung der vorhandenen Lebensgrundlagen führt. Dem Sozialhilfeempfänger
(und seinen Angehörigen) soll ein gewisser Spielraum in seiner wirtschaftlichen
Bewegungsfreiheit erhalten bleiben. Überdies soll verhindert werden, dass die
Sozialhilfe, die im Idealfall lediglich eine vorübergehende Hilfe ist, zu einem
wirtschaftlichen Ausverkauf führt, damit den Willen zur Selbsthilfe lähmt und zu einer
nachhaltigen sozialen Herabstufung führt. Das Ziel der Härtevorschrift kann kein
anderes sein. Wenn der Gesetzgeber eine Härtevorschrift einführt, so regelmäßig
deshalb, weil er mit den Regelvorschriften zwar dem diesen zugrunde liegenden
typischen Lebenssachverhalt gerecht werden kann, nicht aber dem atypischen. Da die
atypischen Fälle, eben wegen ihrer besonderen Ausgestaltung, nicht mit den abstrakten
Merkmalen der Gesetzessprache erfasst werden können, muss der Gesetzgeber neben
den Regeltatbestand einen Ausnahmetatbestand setzen, der zwar in den einzelnen
Merkmalen unbestimmt ist, jedoch bei einer sinngerechten Anwendung zu einem
Ergebnis führt, das dem Regelergebnis in seiner grundsätzlichen Zielsetzung
gleichwertig ist. Damit wird aber auch bei der Härtevorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG
nicht von den Grundvorstellungen über den Zweck des Schonvermögens abgegangen.
Lediglich die abstrakte Umschreibung dessen, was Schonvermögen ist und was
demzufolge dem Einzelnen zu belassen ist, um das Ziel der Sozialhilfe zu erreichen,
wird durch die Härtevorschrift aufgelockert. Hiernach kommt es bei der Bestimmung des
Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften zu einem den
Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2 BSHG nicht entsprechenden Ergebnis führen würde.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Januar 1966 - V C 88.64 -,
BVerwGE 23, 149 = FEVS 14, 81, 89; Urteil vom 29. April 1993 - 5 C 12.90 -, BVerwGE
92, 254 = FEVS 44, 177, 178; OVG NRW, Urteil vom 19. November 1993 - 8 A 278/92 -,
FEVS 45, 58, 60f.; Urteil vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 331.
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Nach diesen Grundsätzen steht das Verlangen nach Verwertung des
Bausparguthabens in Übereinstimmung mit den Leitvorstellungen des § 88 Abs. 2
BSHG.
48
Insbesondere liegt keine Härte darin, dass die Klägerin bei vorzeitiger Kündigung des
Bausparvertrages die erhaltenen Arbeitnehmer-Sparzulagen zurückzuzahlen gehabt
hätte und bei der Berechnung des auszuzahlenden Betrages ein Kündigungsabzug von
1 % gemacht worden wäre. Diese wirtschaftlichen Einbußen begründen keine Härte im
Sinne von § 88 Abs. 3 BSHG, denn diese Vorschrift hat weder den Zweck, einem
Hilfebedürftigen die (weitere) Vermögensbildung zu ermöglichen, noch den Zweck, ihn
von den Risiken der von ihm gewählten Kapitalanlage freizustellen. Es gehört zu den
allgemeinen Lebensrisiken, für andere (spätere) Zwecke angespartes Kapital vorzeitig
und unter Inkaufnahme eines Verlustes zur Deckung unerwarteten Bedarfs einsetzen zu
müssen. Das Risiko der Kapitalanlage zu tragen, ist nicht Sache der Sozialhilfe.
Vielmehr entspricht es der Verpflichtung des Hilfe Suchenden, sich nach Kräften selbst
zu helfen (§ 2 Abs. 1 BSHG), vorhandenes Vermögen zur Selbsthilfe auch dann
einzusetzen, wenn es nicht bestmöglich verwertet werden kann. Eine andere
Betrachtungsweise würde dazu führen, dass auf Kosten der Sozialhilfe Vermögen
gebildet würde.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. November 1993 - 8 A 278/92 -, FEVS 45, 58, 61f. und
vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 333.
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Es ist Ausdruck des Risikos der frei gewählten Kapitalanlage, wenn die Lösung aus
einem langfristigen Bausparvertrag nur unter Hinnahme der oben beschriebenen
Verluste möglich ist. Der einprozentige Kündigungsabzug, den die Bausparkasse
vorgenommen hätte, ist zudem schon von der Höhe her nicht so gravierend, dass von
einer Härte gesprochen werden könnte. In Anwendung des § 88 Abs. 1 und 3 BSHG
werden Betroffenen - insbesondere bei der vorzeitigen Auflösung von
Lebensversicherungen - erheblich höhere Verluste zugemutet.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, FEVS 48, 145, 151; OVG
NRW, Urteil vom 19. November 1993 - 8 A 278/92-, FEVS 45, 58, 61.
52
Soweit die Klägerin Arbeitnehmer-Sparzulagen im Nachhinein verlieren würde, kann
hierin schon deshalb keine Härte liegen, weil diese Vorteile nicht auf eigener Leistung
beruhen.
53
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326, 333;
Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg, Urteil vom 20. September 1989 - 6 S
3013/87 -, FEVS 39, 293, 296.
54
Es ist unerheblich, ob das die Vermögensschongrenze übersteigende verwertbare
Vermögen der Klägerin ausgereicht hätte, den geltend gemachten zusätzlichen
Sozialhilfeanspruch über den gesamten hier streitigen Zeitraum zu decken. Nach § 88
Abs. 1 BSHG einzusetzendes Vermögen steht, soweit und solange es (noch) nicht
eingesetzt oder verwertet wurde, dem Bezug von Sozialhilfe auch dann entgegen, wenn
es nicht den Bedarf für den gesamten Bedarfszeitraum gedeckt hätte. Denn für die
Beurteilung der Hilfebedürftigkeit im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt kommt es
stets auf die tatsächlichen Verhältnisse der Einsatzpflichtigen an, hier also darauf, ob
und in welcher Höhe die Kläger jeweils Vermögen tatsächlich hatten. Eine
Betrachtungsweise, bei der angesichts eines Streits über die Einsetz- und
Verwertbarkeit des einzusetzenden Vermögens dieses als zwischenzeitlich verbraucht
fingiert wird, findet im Gesetz keine Stütze. Die Herkunft des Vermögens spielt für
seinen Einsatz regelmäßig keine Rolle, so dass es auch unerheblich ist, ob der Hilfe
Suchende sein Vermögen etwa durch eine äußerst sparsame Lebensführung bisher vor
einer Verwertung bewahrt hat. Deshalb lässt sich auch eine Härte im Sinne des § 88
Abs. 3 BSHG nicht damit begründen, dass das Vermögen, dessen Einsatz verlangt wird,
noch vor Ablauf des Bedarfszeitraums aufgebraucht gewesen wäre, wenn es zu Beginn
der Hilfebedürftigkeit verwertet worden wäre.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, FEVS 48, 145, 152 f.
56
Aus den Ausführungen zum Hauptantrag ergibt sich zugleich, dass die Kläger keinen
mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch auf Neubescheidung haben.
57
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
58
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2
VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
59
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
60