Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.08.2000
OVG NRW: tante, rechtliches gehör, haushalt, familie, hauptsache, glaubhaftmachung, brief, belastung, philippinen, heimat
Oberverwaltungsgericht NRW, 17 B 2142/99
Datum:
14.08.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
17 B 2142/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 12 L 2085/99
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens;
außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 12.000,-- DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist nicht begründet. Die von den
Antragstellerinnen geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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Aus der Begründung des Zulassungsantrags ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an
der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses. Die Angriffe gegen die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für eine die Hauptsache vorwegnehmende
einstweilige gerichtliche Regelung lägen nicht vor, gehen fehl.
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Im einstweiligen Anordnungsverfahren kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige
Regelungen treffen und dem Rechtsschutzsuchenden nicht schon im vollen Umfang,
wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der
Hauptsache, das gewähren, was er in einem Klageverfahren erreichen könnte. Im
Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das nur dann nicht, wenn ein Abwarten der
Entscheidung im Klageverfahren mit nicht wieder gut zu machenden, dem
Rechtsschutzsuchenden nicht zumutbaren Nachteilen verbunden wäre und ein hoher
Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
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Die Antragstellerinnen haben nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Übersiedlung zu ihrem
seit 1993 in H. lebenden und mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten
Vater nach Maßgabe dieser Kriterien keinen Aufschub duldet.
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Nach der Darstellung ihres Vaters gegenüber der Beigeladenen im Februar 1999 leben
die Antragstellerinnen, von denen die jüngste im März 1990 geboren worden ist, bei
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ihrer Tante, weil ihre Mutter sie damals mit unbekanntem Ziel verlassen hatte und der
Vater sich wegen seiner Berufstätigkeit im Ausland nicht um sie hatte kümmern können.
Für den Zeitpunkt der Beantragung der Visa für die Antragstellerinnen zu 1) und 2) ,
November 1998, war maßgebend, dass ihr Vater erst seit kurzem in einem festen -
unbefristeten - Arbeitsverhältnis stand und sein Einkommen es ihm ermöglichte,
zunächst zwei Kinder nachkommen zu lassen; das dritte sollte nachziehen, sobald die
finanziellen Verhältnisse es zuließen. Über eine schon damals problematische oder als
problematisch empfundene Lebenssituation der Antragstellerinnen auf den Philippinen
hat der Vater nichts verlautbart.
In Bezug auf ihre Betreuungssituation im Haushalt ihrer Tante ist erstmals mit
anwaltlichem Schriftsatz vom 6. Mai 1999 - zunächst ohne Angabe konkreter Gründe -
geltend gemacht worden, diese sei nicht mehr effektiv gewährleistet. Nach den
Ausführungen in der Antragsschrift an das Verwaltungsgericht vom 18. August 1999
hatte sich inzwischen herausgestellt, dass die Tante der Antragstellerinnen schwer
krank und aus gesundheitlichen Gründen sowie wegen ihrer Belastung durch Haushalt,
Familie, den alkoholabhängigen und an einer ansteckenden Lungenkrankheit leidenden
Ehemann und ihre volle Berufustätigkeit objektiv nicht mehr in der Lage sei, für die
Nichten zu sorgen, und das auch subjektiv nicht länger wolle. Diese dramatische
Verschlechterung der Lebenssituation der Antragstellerinnen nach Ablehnung ihrer
Visumsanträge durch die Botschaft der Antragsgegnerin in Manila durch Bescheid vom
29. März 1999 ist allerdings nicht glaubhaft gemacht worden.
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Die geltend gemachte schwere Erkrankung der Tante wird durch die vorgelegte
ärztliche Bescheinigung vom 2. August 1999 nicht belegt. Aus ihr ergibt sich lediglich,
dass die damals 55 Jahre alte Tante seit zwei Jahren wegen Bluthochdrucks und
Osteoarthritis in Behandlung steht. Über die angebliche Alkoholabhängigkeit ihres
Ehemannes und seine ansteckende Lungenkrankheit ist eine ärztliche Bescheinigung
nicht vorgelegt worden.
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Der Brief der Tante an ihren Bruder, den Vater der Antragstellerinnen, vom 29. Juli 1999
ist von seinem Aussagegehalt her wenig ergiebig. Die Tante begründet ihre dem
Wunsch ihres Bruders entsprechende Bitte, die Kinder möglichst bald zu sich zu holen,
zwar mit dem Hinweis auf ihre angegriffene gesundheitliche Verfassung und ihre
Überlastung durch Haushalt und Familie - von Alkoholabhängigkeit und
Lungenkrankheit des Ehemannes und einer eigenen Vollzeitberufstätigkeit ist keine
Rede - , stellt aber anschließend klar, daß sie der Betreuung der Kinder keineswegs
überdrüssig sei. Ausschlaggebend sei, daß die Ausbildung sehr teuer sei und die
Kinder bei einem Verbleib in ihrem Haushalt keine Zukunftschancen hätten, die ihnen
aber in Deutschland offen stünden.
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Die schriftsätzliche Behauptung der Antragstellerinnen, die Tante sei aus Scham nicht
ins Detail gegangen, ersetzt die ihnen obliegende Glaubhaftmachung der desolaten
Entwicklung ihrer Lebenssituation und des faktischen Wegfalls jeder Betreuung nicht.
Dafür sind auch die als eidesstattliche Versicherung bezeichneten Erklärungen ihres
Vaters und ihrer in H. ansässigen Tante, einer weiteren Schwester ihres Vaters, vom 19.
August 1999 nicht geeignet. Ihr Vater bezieht sich bei seiner Erklärung, ihre Belastung
verschlechtere sich von Tag zu Tag, auf den zwei Tage zuvor eingegangenen Brief
seiner Schwester vom 29. Juli 1999 und die ihm beigefügte ärztliche Bescheinigung, die
diesbezügliche Rückschlüsse nicht zulassen. Gleiches gilt in Bezug auf die beigefügten
Fotos. Sie zeigen den Vater der Antragstellerinnen mit ihnen und im Kreise der
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Großfamilie anlässlich eines Besuchs auf den Philippinen und belegen die regelmäßige
Frühjahrsüberschwemmung des Wohngebietes. Soweit die Tante aus H. die räumlichen
Verhältnisse im Hause L. als katastrophal bezeichnet und angibt, die Antragstellerinnen
nähmen dort mehr und mehr eine sklavenähnliche Stellung ein, handelt es sich um eine
subjektive Wertung.
Gemessen am deutschen Lebensstandard mag es unerträglich erscheinen, dass eine
23köpfige Großfamilie in einem Haus von nur 50 m2 lebt, in dem Kinder keine eigenen
Betten haben. Dagegen, dass ältere Kinder wie die Antragstellerinnen ihrer Schulpflicht
nur unregelmäßig oder gar nicht nachkommen, weil sie die kleineren Kinder betreuen
müssen - damit wird ihre sklavenähnliche Haltung in der Großfamilie begründet -
würden in Deutschland schon die Behörden einschreiten. Die erheblichen Unterschiede
der allgemeinen Lebensverhältnisse in Deutschland und in den Ländern der Dritten
Welt sind jedoch für sich genommen kein Grund, Kindern eines in Deutschland
lebenden Elternteils, die in den in ihrer Heimat weitgehend üblichen Verhältnissen groß
geworden sind, im Streitfall schon vor der Klärung eines Nachzugsanspruchs die
Übersiedlung nach Deutschland zu gestatten. Dass das Leben der Antragstellerinnen
sich nicht weiterhin in den in ihrem Heimatland üblichen und gewohnten Bahnen
bewegt, was in der Vergangenheit ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung nicht
erkennbar geschadet hat, sondern ihre Lebenssituation eine Entwicklung genommen
hat, deretwegen ihr Verbleib im Haushalt ihrer Tante bis zur Klärung des bestrittenen
Nachzugsanspruchs mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre, ist, wie dargelegt, nicht
glaubhaft gemacht worden. Angesichts der geltend gemachten Unaufschiebbarkeit des
Nachzugs zum Vater ist im Übrigen auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass die
Antragstellerinnen das Klageverfahren erst mit Schriftsatz vom 4. August 2000 anhängig
gemacht haben.
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Mangels Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für eine die Hauptsache
vorwegnehmende einstweilige Anordnung kann auf sich beruhen, ob die Angriffe der
Antragstellerinnen gegen die Richtigkeit der Ausführungen, mit denen das
Verwaltungsgericht seine Entscheidung alternativ auch auf mangelnde
Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes gestützt hat, durchgreifen.
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Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel, §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO,
gestattet die Zulassung der Beschwerde nicht. Die Antragstellerinnen sind der
Auffassung, das Verwaltungsgericht habe, soweit mit der Bezeichnung des
Familienstandes ihres Vaters als unklar dessen Vaterschaft in Zweifel gezogen werden
solle, mangels entsprechenden vorherigen Hinweises auf diese Einschätzung
rechtliches Gehör verletzt. Die beanstandeten Ausführungen geben schon nichts für
diesbezüglich vom Verwaltungsgericht gehegte Zweifel her. Das Verwaltungsgericht hat
sich wegen der Bezeichnung des Vaters als ledig in der die Eheschließung mit seiner
jetzigen Ehefrau betreffenden Heiratsurkunde einerseits und dem Eintrag über seine
Eheschließung mit der Mutter der Antragstellerinnen in den Geburtsurkunden der
Antragstellerinnen zu 1) und 2) andererseits lediglich nicht in der Lage gesehen
auszuschließen, dass die Eltern der Antragstellerinnen nach wie vor miteinander
verheiratet seien.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
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