Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 09.07.2002
OVG NRW (interesse, behörde, verweigerung, verwaltungsverfahren, akten, verfügung, partei, unterlagen, geheimnisschutz, gewicht)
Oberverwaltungsgericht NRW, 13A D 18/02
Datum:
09.07.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13a Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13A D 18/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 1 K 6480/98
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der
vollständigen und ungeschwärzten Verwaltungsvorgänge BK 4a 98-001
nach Maßgabe der Verfügung des Beigeladenen zu 2. vom 16. Januar
2002 rechtmäßig ist.
G r ü n d e
1
Nach Überprüfung der vollständigen und ungeschwärzten Verwaltungsvorgänge BK 4a
98-001 durch den Senat erweist sich die Verweigerung der Vorlage dieser Vorgänge im
Klageverfahren 1 K 6480/98 VG Köln nach Maßgabe der Verfügung des Beigeladenen
zu 2. vom 16. Januar 2002 als rechtmäßig.
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Nach dem durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im
Verwaltungsprozess unveränderten § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die zuständige
oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten verweigern, wenn, was
hier in Betracht kommt, die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach
geheim gehalten werden müssen. Gemäß dem durch das vorgenannte
Bereinigungsgesetz geänderten § 99 Abs. 2 VwGO stellt das Oberverwaltungsgericht
oder das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag fest, ob die Verweigerung der Vorlage
der Urkunden oder Akten .... rechtmäßig ist. Die dahingehende Rechtmäßigkeitsprüfung
ist ausgehend von Sinn und Zweck des § 99 Abs. 2 VwGO, den Interessenkonflikt
zwischen Geheimhaltungsanspruch einerseits sowie Anspruch auf effektiven
Rechtsschutz und eine im Sinne des anzuwendenden Rechts richtige Entscheidung
andererseits einer vertretbaren Lösung zuzuführen, umfassend und nicht auf die
Begründung der obersten Aufsichtsbehörde beschränkt.
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Vgl. hierzu auch den Beschluss des Fachsenats vom 14. Juni 2002 - 13a D 21 u. 22/02 -
.
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Demgemäß kommt es für die Rechtmäßigkeitsprüfung entscheidend auf das Ergebnis
der Verweigerungsentscheidung der obersten Aufsichtsbehörde an. Wiese nämlich die
Begründung der Verweigerung Mängel auf und würde allein deshalb vom Gericht ihre
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Rechtswidrigkeit festgestellt, obgleich die Verweigerung im Ergebnis gerechtfertigt ist,
würde eine Offenlegung infolge fehlerhaft ausgeübter Behördenentscheidung das
Geheimnisschutzrecht der betreffenden Partei ohne innere Rechtfertigung verletzen und
eine vertretbare Konfliktlösung nicht getroffen. Kommt es mithin auf das behördliche
Entscheidungsergebnis an, kann schon deshalb im vorliegenden Verfahren
unberücksichtigt bleiben, dass das Verwaltungsgericht einen Teil des geheimen
Akteninhalts durch Übersendung der ungeschwärzten Verfügung des Beigeladenen zu
2. an die Beigeladene zu 1. letzterer offen gelegt hat, weil hierdurch die Rechtmäßigkeit
der Verweigerungsentscheidung des Beigeladenen zu 2. nicht berührt wird.
Die Verweigerung der Vorlage von Akten bzw. Aktenteilen setzt nach der hier nur in
Betracht kommenden Alternative des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zunächst voraus, dass
diese Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden
müssen. Ist das der Fall, hat die oberste Aufsichtsbehörde im Rahmen des ihr
eingeräumten Ermessens eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der
Beteiligten des Rechtsstreits unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
vorzunehmen. Dies sind im vorliegenden dreipoligen telekommunikationsrechtlichen
Rechtsstreit einerseits das aus dem Verfassungsrecht abgeleitete Recht auf
Geheimnisschutz der einen Partei und das Interesse der anderen Partei an
Durchsetzung der vom anzuwendenden Fachgesetz verfolgten Belange des
Gemeinwesens sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz und dem dienende
Verfahrensrechte des Drittenbeteiligten andererseits. Bei dieser Abwägung ist infolge
des Verhältnismäßigkeitsgebots das Interesse an effektivem Rechtsschutz der diesen
beanspruchenden Partei ihrer prozessualen Position und Schutzbedürftigkeit
angemessen einzubringen, d. h. nur in dem Umfang und mit dem Gewicht, wie die Partei
der Kenntnis des verweigerten Akteninhalts zur Verfolgung ihres
Rechtsschutzbegehrens im Haupsachverfahren bedarf. Auch kann das öffentliche
Interesse an der Verwirklichung der Ziele des anzuwendenden Fachgesetzes bei der
Abwägung nur dann Gewicht beanspruchen, wenn in der jeweiligen prozessualen
Situation die öffentlichen Belange erkennbar und nachhaltig tatsächlich gefährdet sind.
Kann dem Verhältnismäßigkeitsgebot folgend deshalb dem einen oder anderen
Interesse allenfalls geringes Gewicht beigemessen werden, muss wegen des Ranges
des grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsanspruchs die Interessenabwägung
regelmäßig zugunsten der diesen Schutz beanspruchenden Partei ausfallen.
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Hiervon ausgehend erweist sich die Entscheidung des Beigeladenen zu 2., die in Nr. 5
seiner Verfügung vom 16. Januar 2002 aufgelisteten Teile der Verwaltungsvorgänge
durch Blattentnahme oder Textschwärzung nicht vorzulegen, jedenfalls im Ergebnis als
rechtmäßig.
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Der Fachsenat erachtet diese Aktenteile als nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach
geheim zu haltende Inhalte. Der für das Telekommunikationsrecht zuständige 13. Senat
des angerufenen Oberverwaltungsgerichts hat zum Anspruch eines Anbieters von
Telekommunikationsdienstleistungen auf Geheimhaltung von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen im Verwaltungsverfahren (Regulierungsverfahren) durch
Beschluss vom 12. Mai 1999 - 13 B 632/99 - ,MMR 1999, 553, bereits wie folgt
entschieden:
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"Gem. § 30 VwVfG hat ein Verfahrensbeteiligter Anspruch darauf, dass u. a. seine
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden.
Dieser Anspruch wird allgemein als Geheimhaltungsanspruch mit
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Offenbarungsvorbehalt verstanden, wobei dem Geheimhaltungsinteresse zunächst
Priorität zukommt. Soweit keine vom Geheimhaltungsanspruchsträger eingeräumte oder
gesetzlich vorgesehene Offenbarungsbefugnis gegeben ist, ist eine Berechtigung zur
Offenbarung dann allgemein anerkannt, wenn eine Abwägung der widerstreitenden
Interessen ein überwiegendes Offenbarungsinteresse der Allgemeinheit oder Dritter
ergibt.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 - 7 C 71.83 -, BVerwGE 74, 115;
Knemeyer, NJW 1984, 2241 ff.; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 30 Rdn. 16 ff.;
Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 30 Rdn. 7.
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§ 30 VwVfG und die dazu entwickelten Grundsätze gelten auch für das
Entgeltregulierungsverfahren nach dem Dritten Teil und Zehnten Teil, 3. Abschnitt, des
Telekommunikationsgesetzes (§§ 23 ff., 73 ff. TKG). Sonderregelungen betreffend den
Geheimhaltungsanspruch für das Regulierungsverfahren existieren insoweit nicht. Auch
die gerichtsförmige Ausgestaltung des Regulierungsverfahrens durch die
Beschlusskammern erfordert keine für den Geheimhaltungsanspruchsinhaber
verschärften Maßstäbe. Denn die Grundsätze zur Offenbarungsberechtigung sind aus
denjenigen zur Verweigerung der Aktenvorlage aus Geheimhaltungsgründen durch die
Behörde nach § 99 VwGO, die analog anzuwenden sind auf die Gewährung bzw.
Nichtgewährung von Akteneinsicht durch das Gericht nach § 100 VwGO
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vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 100, Anm. 3a,
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abgeleitet worden und letztere dürften jedenfalls bei der gegebenen Konstellation nicht
zu einer abweichenden Gewichtung führen, weil die Abwägung der dann
widerstreitenden, beiderseits grundgesetzlich verankerten Interessen nur in besonderen
Einzelfällen zu einer Geheimnispreisgabe führen wird, nicht aber allein wegen des
Gesichtspunktes des rechtlichen Gehörs. Auch konkurriert im Regulierungsverfahren,
das trotz Sonderregelungen ein Verwaltungsverfahren bleibt, mit dem
Geheimhaltungsanspruch das einfach- rechtliche Verfahrensrecht zur Stellungnahme zu
allen entscheidungserheblichen Gesichtspunkten und nicht etwa wie im gerichtlichen
Verfahren das Verfassungsrecht des rechtlichen Gehörs, so daß im
Regulierungsverfahren eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende
Gewichtung der widerstreitenden Interessen nicht aus Verfassungsgründen geboten ist.
Selbst für das gerichtsförmig ausgestaltete förmliche Verwaltungsverfahren (§§ 63 ff
VwVfG) ist die Anwendung der zu § 30 VwVfG entwickelten Grundsätze nicht
zweifelhaft. Schließlich folgt aus der Beiladung eines Dritten zum
Regulierungsverfahren nicht ohne weiteres auch seine Beteiligung an einem
eventuellen nachfolgenden gerichtlichen Verfahren; jedenfalls setzt die Position eines
Rechtsmittelführeres eine Verletzung eigener Rechte durch die
Regulierungsentscheidung voraus, die für einen Beigeladenen des
Verwaltungsverfahrens nicht zweifelsfrei erscheint.
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Ein Abweichen von den dargestellten Grundsätzen zur Offenbarungsberechtigung
erfordert auch nicht das mit dem Regulierungsverfahren nach dem
Telekommunikationsgesetz verfolgte Gesetzesanliegen, einem infolge fehlenden
Wettbewerbs und deshalb den Regulierungsmechanismen des Wettbewerbsmarktes
nicht unterliegenden, marktbeherrschenden Unternehmen eine gesamtwirtschaftlich
schädliche, preismissbräuchliche Ausnutzung seiner Stellung zu Lasten des
Verbrauchers zu unterbinden."
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Dem schließt sich der erkennende Fachsenat für die Rechtmäßigkeitsprüfung nach § 99
Abs. 2 VwGO an. Der verwaltungsverfahrensrechtliche Geheimhaltungsanspruch bleibt,
soweit die Verwaltungsentscheidung im gerichtlichen Verfahren angefochten ist, über
den Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung hinaus existent, weil das
Verwaltungsverfahren wegen des noch offenen Fortbestandes der
Verwaltungsentscheidung noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Jedenfalls können im
Verwaltungsverfahren der Geheimhaltung unterliegende Vorgänge ihrem Wesen nach
im gerichtlichen Verfahren keiner anderen Charakterisierung und keinem anderen
Schutz unterliegen, so dass sich der Geheimhaltungsanspruch auch im gerichtlichen
Verfahren letztlich aus § 30 VwVfG ableitet.
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Der 13. Senat hat zum Geheimnisbegriff im Telekommunikationsrecht ferner durch
Beschluss vom 8. November 2000 - 13 B 15/00 -, NVwZ 2001, 820, Folgendes
ausgeführt:
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"Der Senat hat bereits durch Beschluss vom 12. Mai 1999 - 13 B 632/99 - entschieden
und hält daran fest, dass der Anspruch eines Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens
auf Wahrung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch die Behörde aus § 30
VwVfG ein Recht mit Offenbarungsvorbehalt darstellt, das nur zurück tritt bei vom
Geheimnisschutzinhaber oder vom Gesetz eingeräumter Offenbarungsbefugnis oder bei
einem Überwiegen des dem Interesse des Geheimnisschutzinhabers widerstreitenden
Offenbarungsinteresses der Allgemeinheit oder schutzberechtigter Dritter.
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Bei der vorliegend nur in Betracht kommenden Offenbarungsbefugnis auf Grund einer
Interessenabwägung misst der Senat dem Geheimhaltungsinteresse des betroffenen
Verfahrensbeteiligten eine hohe Bedeutung zu. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
eines Unternehmens sind unter Einsatz von betrieblich-geschäftlichen Leistungen
und/oder Finanzaufwand gewonnene, für die Geschäftstätigkeit verwertete oder
verwertbare Einrichtungen, Abläufe, Kenntnisse und Ähnliches, die selbst
Vermögenswert verkörpern und daher dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallendes
Eigentum des Unternehmens darstellen. Geheimnischarakter können neben den
entgeltrelevanten Umständen und Vorgängen wie den konkreten Umsatzzahlen,
Verbrauchsmengen, Kostenfaktoren, Kalkulationen und Ähnlichem auch die Methodik
der Entgeltberechnung und Einbringung der verschiedenen branchen- und
unternehmensspezifischen Kostenfaktoren in die Entgelte tragen, wenn dies als Know-
how grundsätzlich von Wert, nur einem beschränkten Personenkreis bekannt und für
Außenstehende wissenswert ist sowie die Kenntnis Außenstehender von dem
Geheimnis dem Geheimschutzträger zu einem nicht unerheblichen Nachteil gereichen
kann.
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Der Senat verbleibt auch dabei, dass ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis eines
Unternehmens der Telekommunikationsbranche seinen Geheimnischarakter nicht
schon deshalb verliert, weil es in einem früheren Regulierungsverfahren der
zuständigen Behörde offen gelegt und dort von anderen Verfahrensbeteiligten
eingesehen worden ist. Erst dann geht der Geheimnischarakter verloren, wenn der
Geheimschutzinhaber selbst auf den Schutz verzichtet oder das vermeintliche
Geheimnis einem großen Kreis Außenstehender allgemein bekannt ist. Weder gibt der
Geheimschutzinhaber durch pflichtgemäße Vorlage seiner geheimen Unterlagen an die
Regulierungsbehörde und seinerseits - möglicherweise aus Sorglosigkeit - nicht
verhinderte Offenlegung des Geheimnisses durch die Behörde an Dritte seinen
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Geheimnisschutzanspruch auf noch steht mit Einsicht eines Dritten in geheime
Unterlagen fest, dass sie in ihrer Bedeutung erkannt und einem größeren Kreis
Interessierter vermittelt worden sind. Allerdings kommt Akten/Aktenteilen der Charakter
eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses nicht oder nicht mehr zu, die - wenn auch
nur fachbezogenes - Allgemeinwissen, also nichts geheimes Neues beinhalten oder
deren Inhalt sich dem Betrachter ohne zugehörige, aber nicht offen gelegte Unterlagen
oder nach Unkenntlichmachung von Teilen nicht mehr erschließt.
Der Senat verbleibt schließlich dabei, dass auch im - besonders ausgestalteten -
telekommunikationsrechtlichen Entgeltregulierungsverfahren keine anderen Grundsätze
bezüglich der Offenbarungsbefugnis der Behörde bestehen als im allgemeinen
Verwaltungsverfahren. Dass in diesem Zusammenhang dem öffentlichen Interesse an
der effektiven Durchführung des Beschlusskammerverfahrens gegenüber dem mit
Verfassungsrang ausgestatteten Geheimschutzanspruch grundsätzlich überwiegendes
Gewicht zukomme, was erfordere, dass der Betroffene zur Durchsetzung seines
Geheimschutzanspruchs in jedem Einzelfall nachvollziehbar und substantiiert darlegen
müsse, welche konkreten Nachteile bei einer Geheimnisoffenbarung drohten, lässt sich
dem Telekommunikationsgesetz und den Gesetzesmaterialien dazu nicht entnehmen.
Ein solcher Ansatz führt nahezu zur Aushöhlung des Geheimnisschutzanspruchs und
trägt zudem den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht Rechnung.
Zunächst dürfte es dem beschriebenen Charakter des Geheimhaltungsanspruchs als
Schutzrecht mit Offenbarungsvorbehalt entsprechen, dass die sich auf eine
Offenbarungsbefugnis berufende Behörde ein überwiegendes öffentliches
Offenbarungsinteresse darlegt. Jedenfalls aber erfordert der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Gewährung von Einsicht in geheime
Akten/Aktenteile an Beteiligte eines telekommunikationsrechtlichen
Entgeltregulierungsverfahrens und damit die Geheimnispreisgabe zur Erreichung des
angestrebten Zwecks, dass ist die wirksame Entgeltkontrolle, geeignet und erforderlich
ist und dies zur Überzeugung dargelegt wird.
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Vgl. zu den Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der
Interessenabwägung beim Geheimnisschutz, Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 15. Januar 1970 - 1 BvR 13/68 -, BVerfGE 27, 345 (352).
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Die vorzitierte bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung belegt im Übrigen, dass
selbst im förmlichen Disziplinarverfahren für ein Abrücken von den allgemeinen
Grundsätzen zur Offenbarungsbefugnis der Behörde aufgrund Interessenabwägung kein
Anlass besteht.
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Die Antragstellerin hat bereits mit Schriftsatz vom 12. Dezember 1999 im Ergebnis
überzeugend dargelegt, dass die im Tenor angeführten Akten/Aktenteile Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse enthalten. Allerdings geht der Senat bei im Einzelfall
verbleibenden Zweifeln wegen der Bedeutung des Geheimnisschutzrechts von der
Geheimniseigenschaft der einzelnen Unterlage aus.
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Auch das vorliegend im Mittelpunkt stehende, unter erheblichem personellen und
finanziellen Aufwand entwickelte Know-how einer auf die speziellen,
telekommunikationsrechtlichen Anforderungen angelegten Methodik der
Kostenberechnung für Telekommunikationsdienstleistungen ist ein vermögenswertes
Internum der Antragstellerin und zugleich von Wissenswert für andere Unternehmen der
Branche, dessen Bekanntwerden für erstere von nicht unerheblichem Nachteil sein
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kann. Das gilt selbst dann, wenn die die Methodik - ggf. nur grob - beschreibenden
streitbefangenen Unterlagen keine konkreten Zahlen etwa über Umsätze auswerfen
oder konkrete Zahlen unkenntlich gemacht worden sind. Schon die Kenntnis der
abstrakten Beschreibung der Gesamtheit der Berechnungsmethodik stellt aus Sicht des
Senats für ein Konkurrenzunternehmen der Telekommunikationsbranche einen
Vermögenswert dar, weil die Kenntnis dessen eigene Entwicklungskosten ersparen,
Fehlkalkulationen verhindern und die Entwicklung von Marktstrategien fördern kann. Die
in den streitbefangenen Unterlagen der Antragstellerin beschriebene
Entgeltberechnungsmethodik ist, wie von ihr glaubhaft dargelegt, als Gesamtwerk ein
Novum, wenn auch die Neuentwicklungen auf allgemein bekannten Erkenntnissen
aufbauen, und erstmals für eine Entgeltberechnung im Regulierungsverfahren
angewandt wurden. Sie ist als Ganzes lediglich einem überschaubaren Kreis von
Unternehmensangehörigen der Antragstellerin bekannt. Die Kenntnisnahme dieser
Methode durch Dritte ermöglicht ihnen, diese unter Ersparung eigener
Entwicklungskosten ggf. für eigene Produkte zu übernehmen und hilft Fehlkalkulationen
beim Preis zu vermeiden. Letzteres stellt für ein dem Wettbewerb in der
Telekommunikationsbranche ausgesetztes Unternehmen einen erheblichen Vorteil dar;
dem steht der im Grundsatz nicht hinzunehmende Verlust eines entsprechenden, aus
eigener Kraft geschaffenen Wettbewerbsvorsprungs der Antragstellerin gegenüber.
Überdies erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das von der Preisgestaltung des
Marktbeherrschers im Einzelnen Kenntnis erlangende Unternehmen hieraus
Marktstrategien des Konkurrenten ableitet und seinerseits zum Nachteil des
Konkurrenten wettbewerbliche Strategien entwickeln kann."
Auch dem schließt sich der Fachsenat für die Rechtmäßigkeitsprüfung nach § 99 Abs. 2
VwGO an.
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Der Fachsenat hat an der Richtigkeit der Bewertung der Inhalte der den
Verwaltungsvorgängen entnommenen Blätter und der geschwärzten Zeilen, Wörter
und/oder Zahlenangaben als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch den
Beigeladenen zu 2. und zuvor durch die Regulierungsbehörde keine Zweifel und
schließt sich dieser Bewertung an. Die Aktenteile beinhalten nicht offenkundige,
sondern nur einem begrenzten Personenkreis der Klägerin bekannte Betriebsinterna
von wirtschaftlichem Wert und wettbewerblichem Interesse für andere Unternehmen -
wie etwa innerbetriebliche Strukturen und Abläufe, Kalkulationen und Kostenpositionen,
Markteinschätzungen etc. -, die der Klägerin bei Kenntnisnahme durch Wettbewerber zu
einem nicht unerheblichen Nachteil gereichen können. Eine Gewissheit oder gar
Nachweisbarkeit des Nachteils und ein Nachteilseintritt bereits in absehbarer Zukunft ist
insoweit nicht erforderlich.
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Die Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zu Gunsten des von der Klägerin
beanspruchten Geheimnisschutzes aus.
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Das von der Beklagten wahrgenommene Interesse an einer Herbeiführung der Ziele der
Regulierung und das Interesse der Beigeladenen zu 1. an effektivem Rechtsschutz
treten hinsichtlich derjenigen geheimen Aktenteile, die die Portierung betreffen,
gegenüber dem Geheimnisschutzinteresse der Klägerin schon deshalb zurück, weil es
auf sie im vorliegenden Rechtsstreit nicht ankommt. Gegenstand der Klage 1 K 6480/98
VG Köln ist der Beschluss der Beklagten vom 8. Juli 1998 - BK 4a 98-001 -, der sich mit
Entgelten für Leistungen mit Portierung nicht befasst, so dass die Portierung betreffende
Inhalte für das Klageverfahren unerheblich sind. Insoweit sind schützenswerte
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Interessen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. nicht erkennbar.
Schützenswerte Interessen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. hinsichtlich der
Aktenteile mit Geheimnischarakter sind auch mit Blick auf den Hauptantrag der Klägerin
im Klageverfahren, das maßgebend für die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des
jeweiligen Beteiligten und für die Gewichtung seiner Interessen ist, nicht erkennbar.
Insoweit sind die Aktenteile nämlich unerheblich, weil sie tatsächliche
Entgeltgrundlagen betreffen, während der Hauptantrag lediglich eine vom Tatsächlichen
unabhängige Rechtsfrage betrifft.
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Im Hinblick auf den - für den Fall der jedenfalls nicht auszuschließenden Erfolglosigkeit
des Hauptantrages gestellten - Hilfsantrag 2 a) der Klägerin sind die
Geheimnischarakter tragenden Aktenteile nur erheblich, soweit die Klägerin ein Entgelt
höher als die vorläufige Festsetzung durch die Beklagte begehrt; nur dahingehend ist
der auch auf eine teilweise Aufhebung des Bescheids vom 8. Juli 1998 gerichtete
Hilfsantrag zu interpretieren. Mit diesem Begehren wird sie aber aller Voraussicht nach
beim Verwaltungsgericht nicht durchdringen können, wenn sie die geheimen
Nachweise über ihre nach der Telekommunikations- Entgeltregulierungsverordnung
relevanten Kosten nicht führt oder die entsprechenden Inhalte der Verwaltungsvorgänge
im gerichtlichen Verfahren nicht freigibt. Zwar verweigert die Beklagte die Offenlegung
der diesbezüglichen Aktenteile, dies jedoch lediglich deswegen, weil sich die Klägerin
insoweit auf Geheimnisschutz beruft. Im Rahmen der Verpflichtungsklage ist jedoch
grundsätzlich der Kläger dazu aufgerufen, die anspruchsbegründenden Tatsachen
darzulegen und ggf. nachzuweisen. Für den telekommunikationsrechtlichen
Entgeltrechtsstreit folgt das insbesondere aus dem materiellen Recht der
Telekommunikations- Entgeltregulierungsverordnung und des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 der
Zusammenschaltungsrichtlinie RL 97/33. Kommt der Kläger der ihm obliegenden
Darlegungs- und Beweislast nicht nach, hat die Verpflichtungsklage regelmäßig keinen
Erfolg. Es verbliebe für diesen Fall bei der vorläufigen Entgeltfestsetzung, gegen die
sich jedoch weder die Klägerin noch die Beigeladene zu 1. wendet. Insoweit wird die
Beigeladene zu 1. bei Nichtoffenlegung der geheimen Teile des Verwaltungsvorgangs
nicht stärker betroffen oder schlechter gestellt, als sie selbst hinzunehmen bereit ist, und
bedarf sie deshalb keines weiter gehenden Schutzes , also auch keiner Entscheidung
nach § 99 Abs. 2 VwGO zu ihren Gunsten. Auf ihre Ausführungen in ihrer
Stellungnahme vom 14. Juni 2002 kommt es daher nicht an.
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Mit der Ablehnung der von der Klägerin - im Falle der Vorab-
Entgeltgenehmigungspflichtigkeit - beantragten Entgelthöhe und der vorläufigen
Festsetzung eines niedrigeren Entgelts durch die Beklagte ist zudem dem Anliegen des
Telekommunikationsgesetzes nach Herbeiführung eines funktionsfähigen Wettbewerbs
genüge getan, weil davon ausgegangen werden kann, dass die vorläufig festgesetzte
Entgelthöhe jedenfalls nicht wettbewerbsverzerrend wirkt. Bei Nichtoffenlegung der
geheimen Aktenteile (Kostennachweise der Klägerin) droht dem Wettbewerb
voraussichtlich kein höheres Entgelt.
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Auch dem Interesse an alsbaldiger Planungssicherheit für den Wettbewerb kommt kein
durchgreifendes Gewicht zu. Besteht die Klägerin weiterhin auf ihrem Geheimnisschutz,
wofür gegenwärtig alles spricht, kann der Wettbewerb seine Preise auf der Grundlage
der vorläufig festgesetzten Entgelte ohne Rücklagen für eventuelle spätere
Entgeltnachforderungen der Klägerin kalkulieren. Gibt die Klägerin ihren
Geheimnisschutzanspruch für den vorliegenden Entgeltstreit auf, stellt sich die
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Problematik der widerstreitenden Interessen nicht und befindet sich der Wettbewerber in
der normalen Situation, dass er mit gerichtlich ermittelten Entgelten auf der Grundlage
nachgewiesener Kosten und entsprechenden Nachforderungen der Klägerin rechnen
muss. Insoweit droht den Wettbewerbern bei durchgreifendem Geheimnisschutz
hinsichtlich ihrer Planungsicherheit keine Schlechterstellung.
Die äußerst hilfsweise von der Klägerin begehrte Verpflichtung der Beklagten zur
Neubescheidung ihres Entgeltgenehmigungsantrages erscheint dem Fachsenat aus
gegenwärtiger Sicht unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zum einen
äußerst unwahrscheinlich, zum anderen führte sie zu keinem Nachteil für die mit dem
Geheimschutzinteresse der Klägerin konkurrierenden Interessen der Beklagten und
Beigeladenen zu 1., weil diese in einem gerichtlichen Verfahren im Anschluss an die
Neubescheidung verfolgt werden könnten.
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An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das nach der Verfügung des
Beigeladenen zu 2. komplett zu entnehmende Blatt 120 im Volltext in den vorgelegten
Verwaltungsvorgängen enthalten ist, und dass der Senat davon ausgeht, dass die
Begründung der Schwärzungen auf Blatt 167 auch diejenigen auf den Blättern 154 u.
155 erfasst, für die Verfügung des Beigeladenen zu 2. keine separate Begründung
enthält.
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