Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.12.2007

OVG NRW: windkraftanlage, bad, gemeinde, sicherstellung, ausnahme, verordnung, landrat, ausweisung, erhaltung, befreiung

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 2810/04
Datum:
13.12.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 A 2810/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 4 K 1055/03
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das auf die mündliche Verhandlung
vom 20. April 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe
Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Landwirt und betreibt eine Windkraftanlage des Typs Enercon E-40 mit
einer Gesamthöhe von 99,9 m, die er - nach einem stattgebenden Verpflichtungsurteil
des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 7. Mai 2002 - 4 K 2076/01 - und anschließender
Erteilung einer Baugenehmigung - ca. 100 m entfernt von seiner Hofstelle errichtet hat.
2
Er begehrt mit dem vorliegenden Verfahren eine Genehmigung für die Errichtung und
den Betrieb einer weiteren Windkraftanlage vom Typ Enercon E-66/18.70 mit einer
Nennleistung von 1,8 MW und einer Gesamthöhe von 121 m (Nabenhöhe 86 m,
Rotordurchmesser 70 m) etwa 300 m südlich der Hofstelle und etwa 250 m süd-
südöstlich der vorhandenen Anlage. Der Vorhabenstandort liegt auf dem Grundstück
Gemarkung Bad Sassendorf, Flur , Flurstück , in einem landwirtschaftlich genutzten
Bereich ca. 1 km südwestlich von Bad Sassendorf und 1,2 km nordöstlich von Soest. In
3
einer Entfernung von 350 bis 375 m verlaufen im Süden die K und eine Bahnlinie. Im
Westen befinden sich in einer Entfernung von etwa 400 m die B 475 n auf einem Damm
und östlich des Damms die T. , ein Trockenbach.
Der Bereich gehört - wie der weit überwiegende Teil des Gemeindegebiets der
Beigeladenen - zu dem unter dem 17. Dezember 2004 bekannt gemachten (MBl. NRW.
2005, S. 66), insgesamt ca. 500 km2 großen Europäischen Vogelschutzgebiet
"Hellwegbörde". Zweck der Unterschutzstellung dieses Gebiets ist die "Erhaltung und
Entwicklung der durch Offenheit, Großräumigkeit, weitgehende Unzerschnittenheit und
überwiegende ackerbauliche Nutzung geprägte Agrarlandschaft als Brutgebiet
insbesondere für Wiesen- und Rohrweihe und Wachtelkönig sowie als Rast- und
Durchzugsgebiet insbesondere für Goldregenpfeifer, Mornellregenpfeifer, Kornweihe
und Rotmilan."
4
Der Bereich zwischen Soest und Bad Sassendorf steht teilweise unter
Landschaftsschutz. Zunächst galt die Ordnungsbehördliche Verordnung zur
Festsetzung von Landschaftsschutzgebieten im Kreis Soest vom 4. Dezember 1984
(LSchVO 1984), die am 25. Dezember 2004 durch die Ordnungsbehördliche
Verordnung der beklagten Bezirksregierung vom 8. Dezember 2004, Abl. Bez. Reg.
Abg. 2004, S. 535 (SiVO 2004), ersetzt wurde. Die Grenze des durch die SiVO 2004
einstweilig sichergestellten Landschaftsschutzgebiets verläuft - nach Maßgabe der bei
der Beklagten verwahrten und dort einzusehenden Landschaftsschutzkarte - in einer
Entfernung von ca. 30 m zu dem Vorhabenstandort durch das Flurstück 206, so dass
dieser innerhalb des Schutzgebiets liegt.
5
Der Vorhabenstandort liegt außerhalb der im zwischenzeitlich mehrfach geänderten
Flächennutzungsplan der Beigeladenen dargestellten Konzentrationszone für die
Nutzung der Windkraft. Im Einzelnen kam es zu folgenden Änderungen des
Flächennutzungsplans:
6
Die im Januar 1999 in Kraft getretene 35. Änderung des Flächennutzungsplans wies
eine ca. 10 ha große Konzentrationszone südöstlich des Ortsteils C. an der Grenze zum
Gebiet der Gemeinde Erwitte aus. Die Beigeladene beschränkte die dort zulässigen
Anlagen auf eine Gesamthöhe von 100 m. Die Darstellung der Konzentrationszone
beruhte auf einer Untersuchung des Gemeindegebiets aus dem Jahr 1998. Diese
ermittelte zunächst eine Vielzahl sogenannter neutraler Flächen. Im Hinblick auf den
Konzentrationszweck schied die Beigeladene zunächst kleinere Flächen (unter 10 ha)
aus. Mit dem Argument, dass größere Flächen, die nur durch klassifizierte Straßen
durchschnitten würden, keine Berücksichtigung fänden, "wenn sie im Windschatten von
größeren Ansiedlungen" lägen, wurden darüber hinaus alle Flächen östlich von Soest
ausgeschieden. Danach verblieb nur eine Fläche südöstlich von C. . Im
Erläuterungsbericht ist zu dieser ca. 10 ha großen Fläche ausgeführt, dass diese sich in
200 m Entfernung zu ornithologisch bedeutsamen Feldfluren befinde. Im
Zusammenhang mit der Höhenbegrenzung, die auf Aspekte des Landschafts-,
Immissions- und Vogelschutzes und der Flugsicherung gestützt wurde, heißt es, dass
die Höhe von 100 m der normalen Flughöhe von Singvögeln entspreche.
7
Die ausgewiesene Konzentrationszone wurde in der Folgezeit mit fünf jeweils 85 m
hohen Windkraftanlagen bebaut. Drei weitere Windkraftanlagen entstanden in
unmittelbarer Nachbarschaft auf dem angrenzenden Gebiet der Gemeinde Erwitte.
8
Nachdem das Verwaltungsgericht Arnsberg in dem die vorhandene Windkraftanlage
des Klägers betreffenden Verwaltungsstreitverfahren 4 K 2076/01 Bedenken gegen die
Wirksamkeit der 35. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen geäußert
hatte, beschloss der Rat der Beigeladenen im März 2003, das Verfahren zur Ermittlung
und Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen zu wiederholen und
dabei die Bauleitplanung an geänderte rechtliche Bedingungen, neue
landschaftsfachliche Beurteilungen und den Gemeinsamen Runderlass des
Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, des Ministeriums für
Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr und der Staatskanzlei vom 3. Mai 2002,
MBl. NRW. S. 742, (Windenergieerlass) anzupassen. Aus den geänderten
Beurteilungskriterien, insbesondere der Berücksichtigung des Wiesenweihe-
Schutzprogramms, einer im März 2003 zwischen dem Land Nordrhein- Westfalen und
mehreren Gemeinden sowie weiteren Vertragspartnern geschlossenen Vereinbarung,
folgerte die Beigeladene, dass ihr Gemeindegebiet keine für die Aufstellung von
Windkraftanlagen geeigneten Flächen aufweise; die bereits bestehende
Konzentrationszone solle jedoch unter Beibehaltung der Höhenbegrenzung auf 100 m
aus Gründen des Bestandsschutzes bestehen bleiben. Mit Beschluss vom 25. Juni 2003
stellte der Rat der Beigeladenen die dargelegten Erwägungen als 1. Änderung zur 35.
Änderung des Flächennutzungsplans fest. Der Beschluss wurde am 5. November 2003
bekannt gemacht.
9
Im September 2004 leitetet der Rat der Beigeladenen ein weiteres Verfahren zur
Änderung des Flächennutzungsplans bezüglich der Ausweisung von
Konzentrationszonen für Windkraftanlagen ein. Anlass hierfür war neben wiederum vom
Verwaltungsgericht Arnsberg geäußerten Bedenken dagegen, dass trotz fehlender
Eignungsflächen eine Vorrangzone ausgewiesen worden war, der Umstand, dass das
Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" zwischenzeitlich der EG- Kommission gemeldet
worden war. Die am 22. Juni 2005 beschlossene und am 1. September 2005 bekannt
gemachte 2. Änderung der 35. Änderung des Flächennutzungsplans führte zu einer
Verkleinerung der bestehenden Konzentrationszone um ca. 3 ha, die ausweislich des
Erläuterungsberichts aus März 2005 auf der Berücksichtigung eines
Entwicklungskorridors in Bezug auf vorhandene Siedlungsstrukturen beruhen soll. Im
Erläuterungsbericht heißt es unter Nr. 9 "Umweltbericht", in der 6,3 ha großen Fläche
seien vier Anlagen errichtet, eine fünfte Anlage liege im Bereich des
Entwicklungskorridors zur Ortschaft X. . Ferner ist im Erläuterungsbericht ausgeführt,
dass die Flächen innerhalb des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" generell als für die
Nutzung der Windkraft ungeeignet, d.h. als Ausschlussflächen angesehen worden
seien. Jedenfalls entspreche es den städtebaulichen Zielen des Flächennutzungsplans,
Kollisionen zwischen dem öffentlichen Belang der Auswirkungen auf Tiere, Landschaft
und die biologische Vielfalt dadurch aufzulösen, dass dem Naturschutz Vorrang vor der
Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien gegeben werde. Die ausgewählte 6,3 ha
große Fläche liege zwar innerhalb des im Windenergieerlass vorgesehenen
Prüfabstands von 300 m zum Vogelschutzgebiet; das nordrhein-westfälische
Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
(MUNLV) habe aber ausgeführt, dass rechtskräftig genehmigte Anlagen gemäß den
FFH-Verwaltungsvorschriften Bestandsschutz genössen. In diesen Fällen, wie auch im
Zusammenhang mit Repowering-Vorhaben, gelte die Regelvermutung, dass diese
Maßnahmen in der Regel keine erhebliche Beeinträchtigung darstellen, so dass bei
Ersetzung einer Windkraftanlage durch eine leistungsfähigere in der Regel keine
zusätzliche Verträglichkeitsprüfung mehr durchzuführen sei. Demnach stehe in diesem
Fall einer Darstellung der Fläche als Konzentrationsfläche nichts entgegen. Ergänzend
10
ist unter Nr. 9 des Erläuterungsberichts ausgeführt: Die Umgebung des Plangebiets
weise grundsätzlich gut strukturierte Bereiche mit unterschiedlichen
Landschaftselementen auf und komme als Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere
in Betracht, weshalb die Umgebung auch als bedeutsames Vogelschutzgebiet gemeldet
worden sei. Durch die bestehenden Windkraftanlagen sei diese Biotopfunktion jedoch
einschränkt. Aus diesem Grund seien die Bereiche, die bereits in den
Flächennutzungsplänen als Konzentrationszone für Windkraftanlagen dargestellt seien,
allgemein bei der Meldung des Vogelschutzgebiets herausgenommen worden. Nach
Maßgabe der im Einzelnen ausgeführten Ausschlusskriterien und Abwägungsbelange
hätten sich zwei weitere restriktionsfreie Bereiche ergeben, die aber nicht als
Vorranggebiete ausgewiesen würden. Eine 0,6 ha große Fläche an der Grenze zur
Stadt Soest werde deshalb ausgeschieden, weil dort zukünftig ein Gewerbegebiet
angrenzend an ein auf Soester Seite vorhandenes Gewerbegebiet ausgewiesen
werden solle. Eine 0,4 ha große Fläche an der Gemeindegrenze nach Soest werde als
ungeeignet angesehen, weil sie unmittelbar am Rand des Vogelschutzgebiets liege.
Beide Flächen seien zudem zu klein.
Am 25. Oktober 2002 beantragte der Kläger beim Landrat des Kreises Soest die
Erteilung einer Baugenehmigung für die streitgegenständliche Anlage. Mit Bescheid
vom 18. November 2002 lehnte der Landrat des Kreises Soest den Bauantrag des
Klägers mit der Begründung ab, dass der Standort des Vorhabens außerhalb der im
gemeindlichen Flächennutzungsplan ausgewiesenen Konzentrationszone für
Windkraftanlagen liege. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte am
10. April 2003 zurück. Zur Begründung verwies sie ergänzend erstmals darauf, dass
sich der Standort innerhalb des durch Verordnung von 1984 unter Schutz gestellten
Landschaftsschutzgebiets befinde.
11
Bereits zuvor, am 19. März 2003, hatte der Kläger gegen den Landrat des Kreises Soest
die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Untätigkeitsklage auf Erteilung
einer Baugenehmigung erhoben (VG Arnsberg 4 K 1055/03).
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Mit Schreiben vom 23. Juni 2003 hat der Kläger die Erteilung einer Befreiung bzw.
Ausnahme von den Verboten der Landschaftsschutzverordnung beantragt, die der
Landrat des Kreises Soest nach Einholung von Stellungnahmen der Beigeladenen und
der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU) durch
Bescheid vom 15. Oktober 2003 abgelehnt hat. Den dagegen erhobenen Widerspruch
hat die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 2004 zurückgewiesen.
Daraufhin hat der Kläger am 24. März 2004 auch insoweit Klage erhoben (VG Arnsberg
1 K 985/04), zu deren Begründung er geltend gemacht hat: Die
Landschaftsschutzverordnung aus dem Jahr 1984 sei infolge der vorhandenen
Belastungen des Landschaftsraums, insbesondere durch die auf einem Damm
verlaufende B 475 n, funktionslos. Es sei nicht festgelegt, was mit der
Unterschutzstellung konkret beabsichtigt sei. Jedenfalls sei eine Ausnahme zu erteilen.
Die Grenze des Schutzgebiets verlaufe ohne erkennbaren Grund mitten durch eine
ackerbaulich genutzte Fläche. Die im Jahr 2004 erlassene Sicherstellungsverordnung
sei unwirksam, weil sie den Ermächtigungsrahmen des § 42 e Abs. 1 des
Landschaftsgesetzes (LG NRW) überschreite, indem sie die Verbotstatbestände aus der
Landschaftsschutzverordnung 1984 überwiegend wortgleich übernehme.
13
Zur Begründung seiner auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Klage hat der
Kläger vorgetragen: Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen (in der Fassung der 1.
14
Änderung der 35. Änderung) stehe dem Vorhaben nicht entgegen. Der Plan sei schon
deshalb unwirksam, weil er städtebaulich nicht erforderlich sei; der Bereich der
ausgewiesenen Konzentrationszone sei ausweislich des Erläuterungsberichts bereits
nach der eigenen Einschätzung der Beigeladenen für Windkraftanlagen wegen
entgegenstehender Belange des Naturschutzes ungeeignet. Die betreffende Fläche
befinde sich in unmittelbarer Nähe eines bedeutsamen Brutgebiets der Wiesenweihe
östlich von U. und südlich von N. . Zudem stelle der Flächennutzungsplan eine
Verhinderungsplanung dar, die der Windkraftnutzung nicht in substantieller Weise
Raum schaffe. Die Kapazität der ausgewiesenen Zone sei mit fünf Anlagen bereits
erschöpft. Die vorangegangene Fassung der 35. Änderung des Flächennutzungsplans
sei - wie das Verwaltungsgericht Arnsberg zutreffend angemerkt habe - unwirksam, weil
das hinsichtlich der östlich von Soest gelegenen Flächen angeführte
Windschattenargument verfehlt sei. Auch der Landschaftsschutz stehe dem Vorhaben
nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Privilegierung von
Windkraftanlagen bestehe ein Anspruch auf die Befreiung. Die technische Neuartigkeit
und Gewöhnungsbedürftigkeit von Windkraftanlagen reiche nicht aus, um eine
Beeinträchtigung des Landschaftsbilds zu begründen. Im Übrigen befinde sich der
geplante Standort nur wenige Meter von der Grenze des Landschaftsschutzgebiets
entfernt; wieso diese Grenze gerade dort - mitten durch eine ackerbaulich genutzte
Fläche - verlaufe, sei nicht ersichtlich. Der Schutzzweck des Landschaftsschutzgebiets,
das entlang der T. verlaufe, sei auch deshalb nicht beeinträchtigt, weil dieser
Schutzzweck nicht mehr fortbestehe. Im Rahmen des Neubaus der B 475 sei die T.
verlegt und reduziert worden, so dass die Schutzgebietsausweisung funktionslos
geworden sei. Hinzu kämen die Beeinträchtigungen durch die in der Umgebung
verlaufenden Straßen und die Bahnlinie sowie die gewerbliche Prägung durch die
zwischen Bahnlinie und K gelegenen Gebäude der Obst- und
Gemüseabsatzgemeinschaft (OGA) Soest. Indem die geplante Anlage zur Einsparung
an Luftschadstoffen beitrage, diene sie der Erhaltung und Wiederherstellung der
Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts. Das Vorhaben sei auch mit den Belangen des
Vogelschutzes vereinbar. Innerhalb der Fläche zwischen Soest und Bad Sassendorf sei
keine Brut der Wiesenweihe nachgewiesen. Selbst die ABU gehe davon aus, dass die
Feldflur wahrscheinlich weiterhin von Weihen als Jagdgebiet und Flugkorridor genutzt
werde. Mit einem nennenswerten Vogelschlagrisiko sei nicht zu rechnen, da Vögel die
sich drehenden Rotoren als Gefahrenquelle erkennen und umfliegen könnten. Das
Vorhaben sei bauordnungsrechtlich zulässig. Die Abstandfläche liege auf dem
angrenzenden Flurstück , dessen Eigentümer der Sohn des Klägers sei. Dieser habe
mittlerweile die Eintragung einer Vereinigungsbaulast beantragt.
Der Kläger hat beantragt,
15
den Landrat des Kreises Soest unter Aufhebung seines Bescheides vom 18. November
2002 und des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 10. April 2003 zu
verpflichten, den Bauantrag vom 24. Oktober 2002 betreffend die Errichtung einer
Windenergieanlage vom Typ ENERCON E-66/18.70 auf dem Grundstück Gemarkung
Bad Sassendorf, Flur , Flurstück , zu genehmigen,
16
hilfsweise zusätzlich,
17
den Landrat des Kreises Soest zu verpflichten, die beantragte Vereinigungsbaulast
einzutragen,
18
äußerst hilfsweise,
19
den Landrat des Kreises Soest zu verpflichten, ihn - den Kläger - bezüglich des
Bauantrages entsprechend zu bescheiden,
20
weiter hilfsweise,
21
festzustellen, dass die Versagung der beantragten Baugenehmigung bis zum
Inkrafttreten der 1. Änderung der 35. Änderung des Flächennutzungsplanes der
Beigeladenen am 6. November 2003 rechtswidrig gewesen ist,
22
weiterhin hilfsweise, den Landrat des Kreises Soest zu verpflichten, einen
Bauvorbescheid zu erteilen unter Ausklammerung der Frage des Landschaftsschutzes,
insbesondere der Frage der Befreiung vom Bauverbot der
Landschaftsschutzverordnung, sowie unter Ausklammerung der Frage der
bauordnungsrechtlichen Abstandserfordernisse,
23
weiter hilfsweise,
24
zu dem entsprechenden Hilfsantrag betreffend Bauvorbescheid die Ausklammerung
auch der Frage der Erschließung.
25
Der Landrat des Kreises Soest hat unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide
beantragt,
26
die Klage abzuweisen.
27
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat den angegriffenen
Flächennutzungsplan verteidigt und ausgeführt, dass dieser dem Vorhaben
entgegenstehe.
28
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. April 2004 - 4 K 1055/03 -
abgewiesen. Es hat unter anderem darauf abgestellt, dass das Vorhaben in einem
Landschaftsschutzgebiet liege und keine Befreiung oder Ausnahme erteilt sei. Ob der
Flächennutzungsplan in der Fassung der 1. Änderung der 35. Änderung wirksam sei,
hat das Verwaltungsgericht - allerdings unter Hinweis auf einen "Plausibilitätsbruch" der
Begründung - offengelassen.
29
Durch Urteil vom 14. Dezember 2005 - 1 K 985/04 - hat das Verwaltungsgericht auch die
auf Erteilung einer landschaftsrechtlichen Ausnahme gerichtete Klage abgewiesen: Die
Sicherstellungsverordnung vom 8. Dezember 2004 sei wirksam. Ein Anspruch auf
Zulassung einer Ausnahme oder Erteilung einer Befreiung stehe dem Kläger nicht zu.
30
Gegen beide Urteile hat der Kläger Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt.
31
Nach Zulassung der Berufung in dem baurechtlichen Verfahren durch Beschluss vom
20. Juli 2005 hat der Kläger sein Klagebegehren unter Bezugnahme auf die zum 1. Juli
2005 eingetretene Rechtsänderung (vgl. § 67 Abs. 9 BImSchG) mit Schreiben vom 1.
Februar 2006 dahin umgestellt, dass er von der nunmehr beklagten Bezirksregierung
die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung begehrt.
32
Daraufhin ist die Beklagte in eine ergänzende Prüfung des Begehrens eingetreten. Im
Rahmen dieses Verfahrens hat der Kläger im Januar 2007 eine FFH-
Verträglichkeitsprüfung des Landschaftsarchitekten Dr. M. eingereicht. Darin heißt es: Im
Untersuchungsgebiet befänden sich keine Brutplätze der Wiesenweihe und Rohrweihe;
die nächsten Brutplätze seien 4 bis 5 km entfernt. Es handele sich aber um ein
regelmäßig beflogenes Jagd- und Nahrungsgebiet für Weihen. Der Mornellregenpfeifer
komme fast nur als Herbstdurchzügler vor. Für alle drei Arten bestehe kein erhöhtes
Vogelschlagrisiko. Die Beeinträchtigung liege unterhalb der Bagatellschwelle von 2,6
ha (nach Lamprecht, 2004). Bei einem direkten Flächenverlust von 200 m2 sowie unter
Berücksichtigung eines Meidungsverhaltens, durch das die Funktion nicht vollständig
gemindert werde, liege die Beeinträchtigung bei 0,6 ha bis maximal 1,57 ha. Der
Flugkorridor sei nicht beeinträchtigt, da die Anlagenstandorte in einer Linie parallel zur
Zugrichtung lägen.
33
Hierzu hat die Untere Landschaftsbehörde am 13. März 2007 wie folgt Stellung
genommen: Erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzes könnten nicht
ausgeschlossen werden. Der direkte Flächenverlust durch Versiegelung sei größer als
von Dr. M. angenommen, da auch die Kranstellfläche zu berücksichtigen sei. Zu diesem
direkten Flächenverlust, der insgesamt 1.250 m2 betrage, komme der indirekte
Flächenverlust durch Luftturbulenzen, Schall und optische Wirkung hinzu. Die vom
Rotor bestrichene Fläche umfasse 3.400 m2. Auch der Höhenversatz der beiden
Anlagen und die kumulative Wirkung mit zukünftigen Siedlungsentwicklungen seien
relevant. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung sei insoweit unvollständig, als Karten zu
Brutstandorten und Flugbewegungen fehlten. Ferner sei der Untersuchungsraum zu
klein; im ca. 1,5 km südlich gelegenen Bereich des "Faulen Poth" befänden sich
Standorte rufender Wachtelkönige und Brutstandorte von Wiesenweihen. Wenn jagende
Männchen der Wiesenweihe 100 m Abstand von Windkraftanlagen hielten, sei die vom
Rotor bestrichene Fläche anders als von Dr. M. angenommen nicht nur mit ca. 20 % zu
berücksichtigen. Hinsichtlich der Wachtelkönige südlich der Autobahn sei die
Bagatellgrenze von 1.600 m2 schon bei einem Abstand von 300 m und einer
Berücksichtigung von 20 % überschritten. Des weiteren sei einzubeziehen, dass der
Standort innerhalb des engen Flugkorridors zwischen Bad Sassendorf und Soest liege.
Außerdem hätten die Auswirkungen auf den Rotmilan berücksichtigt werden müssen. In
einer Entfernung von 6 bis 7 km seien Rotmilanpaare nachgewiesen; diese hätten einen
Aktionsradius von 6 bis 7 km.
34
Im Hinblick auf die Konzentrationswirkung der nunmehr begehrten
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung haben der Kläger und der Landrat des
Kreises Soest das landschaftsrechtliche Verfahren (8 A 584/06 - OVG NRW -/ 1 K
985/04 - VG Arnsberg -) im Juni 2006 für erledigt erklärt.
35
Zur Begründung seiner Berufung im vorliegenden Verfahren wiederholt und vertieft der
Kläger sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt er aus: Auch die 2. Änderung der
35. Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen sei fehlerbehaftet. Die
landschaftsrechtliche Sicherstellungsverordnung stehe dem Vorhaben nicht entgegen.
Sie überschreite den Ermächtigungsrahmen des § 42 e LG NRW. Anhand der im
Amtsblatt veröffentlichten Karte im Maßstab 1:150.000 sei zudem nicht erkennbar, dass
der Vorhabenstandort innerhalb des Schutzgebiets liege. Die im gerichtlichen Verfahren
vorgelegte Karte im Maßstab 1:25.000 sei nicht bekannt gemacht worden. Darüber
hinaus sei der Grenzverlauf auch deshalb unbestimmt, weil er sich nicht an den
vorhandenen Wegen und Grundstücksgrenzen orientiere. Im Übrigen sei der Standort
36
der geplanten Anlage in den vom Kreis Soest zu den Akten gereichten Karten falsch
wiedergegeben; ausweislich der Planzeichnungen, die Gegenstand des Bauantrags
gewesen seien, liege er weiter östlich, mithin außerhalb des Landschaftsschutzgebiets.
37
Der Kläger beantragt,
38
das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 20. April 2004 zu ändern und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Landrats des Kreises Soest vom 18.
November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2003 zu
verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 24. Oktober 2002 eine
immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer
Windkraftanlage vom Typ Enercon E-66/18.70 auf dem Grundstück Gemarkung Bad
Sassendorf, Flur , Flurstück , zu erteilen,
39
hilfsweise,
40
die Beklagte zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zu
erteilen unter Ausklammerung der Frage der bauordnungsrechtlichen
Abstanderfordernisse,
41
weiter hilfsweise,
42
die Beklagte zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zu
erteilen unter Ausklammerung der Frage der bauordnungsrechtlichen
Abstanderfordernisse und der Erschließung,
43
weiter hilfsweise,
44
Beweis zu erheben über die Behauptungen, dass
45
der Vorhabenstandort weder innerhalb eines traditionellen Brutgebietes noch eines
regelmäßig genutzten Flugkorridors der Wiesenweihe, der Rohrweihe, des Rotmilans,
des Wachtelkönigs oder des Kiebitzes liegt,
46
die Errichtung der streitgegenständlichen Anlage nicht zu der Aufgabe eines lokalen
Vorkommens oder Reviers einer der genannten Vogelarten führt und keine
Beeinträchtigung einer funktionalen Lebensraumbeziehung für letztere zur Folge hat,
47
die Errichtung der streitgegenständlichen Anlage weder zu einer Barrierewirkung noch
zu einem Kollisionsrisiko für die genannten Vogelarten führt,
48
unterstellte Einzelkollisionen mit der streitgegenständlichen Anlagen keine
populationsrelevanten Auswirkungen auf die genannten Vogelarten haben,
49
ein günstiger Erhaltungszustand sowie ein günstiges Entwicklungspotential der
genannten Vogelarten innerhalb des Vogelschutzgebietes Hellwegbörde besteht,
50
jeweils durch Einholung eines avifaunistischen Sachverständigengutachtens,
51
Beweis zu erheben über die Behauptung, dass sich der Standort der
streitgegenständlichen Anlage außerhalb des sichergestellten
Landschaftsschutzgebiets befindet,
52
durch Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs,
53
Beweis zu erheben über die Behauptung, dass es sich bei dem Vorhabenbereich und
dem umliegenden Bereich nicht um einen landschaftlich besonders schützenswerten
Bereich handelt und dass die streitgegenständliche Anlage nicht zu einer unzumutbaren
Beeinträchtigung bzw. einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt,
54
durch Augenscheinseinnahme durch das Gericht,
55
durch Sachverständigengutachten zur Landschaftsbildbeeinträchtigung nach Nohl.
56
Die Beklagte beantragt,
57
die Berufung zurückzuweisen.
58
Sie trägt vor: Das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, weil es nach Maßgabe des
Flächennutzungsplans der Beigeladenen bauplanungsrechtlich unzulässig sei.
Außerdem habe die Gemeinde - nochmals mit Schreiben vom 18. Mai 2006 - ihr
Einvernehmen versagt. Ferner stünden dem Vorhaben Belange des Vogelschutzes und
des Landschaftsschutzes entgegen. Die erforderliche landschaftsrechtliche
Ausnahmegenehmigung könne nicht erteilt werden. Zudem wäre die Errichtung der
Anlage mit einer Verunstaltung des Landschaftsbilds verbunden, da diese an dem weit
einsehbaren Standort in der typischen und reizvollen Bördelandschaft grob
unangemessen wäre. Im Anschluss an die Stellungnahme der Unteren
Landschaftsbehörde könne nicht angenommen werden, dass das Vorhaben keine
nachteiligen Folgen auf die Lebensbedingungen der im Vogelschutzgebiet geschützten
Arten habe. Schließlich sei nach einer Stellungnahme der Beigeladenen die
Erschließung nicht gesichert; ein der Beigeladenen vom Kläger unterbreitetes Angebot
sei nach deren Einschätzung mangels aussagekräftiger Unterlagen nicht annahmefähig.
Allerdings seien die im Hinblick auf den geringen Abstand zum Nachbargrundstück
erforderliche und bislang fehlende Baulasteintragung sowie die Sicherstellung der
Rückbauverpflichtung nach § 35 Abs. 5 BauGB keine unüberwindbaren
Genehmigungshindernisse. Auch die spezifisch immissionsschutzrechtlichen
Anforderungen hinsichtlich Schall und Schatten seien erfüllt bzw. durch
Nebenbestimmungen sicherzustellen.
59
Die Beigeladene beantragt,
60
die Berufung zurückzuweisen.
61
Sie trägt vor: Sie verweigere weiterhin ihr Einvernehmen und halte ihren
Flächennutzungsplan jedenfalls in der Fassung der 2. Änderung der 35. Änderung für
wirksam. Der Planung seien Abstände von 300 m bis 400 m zu Einzelgebäuden im
Außenbereich und von 500 m bis 600 m zu Dorf- und Mischgebieten zugrunde gelegt
worden. Ferner seien entsprechend der FFH-Gebietsmeldung bestimmte Bereiche als
Entwicklungskorridore ausgeklammert worden. Die Verkleinerung der Vorrangzone
beruhe darauf, dass aufgrund der planerischen Nutzungs- und
62
Erweiterungsmöglichkeiten innerhalb des Entwicklungskorridors Bahnhof I. /Ortschaft N.
ein Abstand von 600 m in südwestlicher Richtung berücksichtigt worden sei. Von einer
FFH-Verträglichkeitsprüfung sei abgesehen worden, weil aufgrund der Umweltprüfung,
die im Umweltbericht als Teil des Erläuterungsberichts dokumentiert worden sei, keine
absehbaren erheblichen Beeinträchtigung hätten festgestellt werden können. Von
Bedeutung sei in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des zuständigen
Landesministeriums (MUNLV) zur Unerheblichkeit von Beeinträchtigungen bei
bestehenden Anlagen gewesen. Unabhängig von dem entgegenstehenden
Flächennutzungsplan stünden dem Vorhaben die Belange des Vogel- und des
Landschaftsschutzes entgegen. Ferner seien regionalplanerische Vorgaben berührt: So
seien insbesondere der Ausbau des Fremdenverkehrs sowie die Erhaltung
geschichtlich und städtebaulich wertvoller Ortsbilder sowie die Entwicklung von
Erholungsbereichen beabsichtigt. Im Rahmen der 22. Änderung des Regionalplans
solle das Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" als Bereich für den Schutz der Landschaft
mit besonderer Bedeutung für die Vogelarten des Offenlandes (BSLV) dargestellt
werden.
Der Senat hat eine naturschutzfachliche Stellungnahme des Sachverständigen Dr. Z.
(Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) eingeholt
und den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vernommen. In seiner
schriftlichen Stellungnahme vom 16. November 2007 und in der mündlichen
Verhandlung hat der Sachverständige Folgendes ausgeführt: Brutplätze der
wertgebenden Arten des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" seien durch das
Vorhaben nicht unmittelbar betroffen. Wiesenweihe und Rohrweihe, die beide offene
und weitläufige Gebiet zur Brut und zur Jagd benötigten, kämen dort aber regelmäßig
vor. Das Vorhabengebiet sei Teil eines Freiraums zwischen Soest und Bad Sassendorf
mit offener Feldflur, der sich sowohl nach Norden als auch nach Süden zu
großflächigen, nicht durch größere Ortschaften unterbrochenen Offenräumen erweitere.
Der nördliche Raum zwischen B 475 im Westen und R. /A. im Osten sei regelmäßiges
Acker-Brutgebiet der Rohrweihe und unregelmäßiges Brutgebiet der Wiesenweihe. Der
südlich angrenzende Bereich sei unregelmäßiges Brutgebiet der Wiesenweihe. Nach
Daten, die die Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz (ABU) im Jahr 2003
gesammelt habe, seien das Vorhabengebiet und seine Umgebung in jenem Jahr
Funktionsraum der wertgebenden Arten gewesen, insbesondere Flug- und Jagdgebiet
eines Wiesenweihen-Brutpaares, das 3,5 km nördlich gebrütet habe, und Jagd- und
Fluggebiet von Rohrweihen, die in den nördlich angrenzenden Feldfluren gebrütet
hätten. Das Vorhabengebiet stelle einen regelmäßig genutzten Verbindungs- und
Jagdraum zwischen wichtigen Brut- und Nahrungsgebieten südlich und nördlich der B 1
dar. Da das Vogelschutzgebiet auf eine Erhaltung weiter und offener Räume ziele,
müssten Verschiebungen und Ausbreitungen möglich bleiben. Nicht zuletzt um dies zu
ermöglichen, sei das Vogelschutzgebiet großräumig ausgewiesen worden. Wiesen- und
Rohrweihen überflögen Ortschaften in der Regel nicht, so dass für Flugbewegungen in
diesem Raum nur der Korridor zwischen Soest und Bad Sassendorf bleibe, der ohnehin
nur ca. 1 km breit sei und in dem sich darüber hinaus bereits eine Windkraftanlage
befinde. Die Wirkungen beider Anlagen könnten sich - auch mit Blick auf den
Höhenversatz - summieren; das gelte sowohl für eine mögliche Barrierewirkung - ein
Meideverhalten sei eher bei der Wahl des Brutplatzes zu beobachten - als auch für ein
etwaiges Kollisionsrisiko, das eher während des Nahrungssuchflugs drohe. Die Höhe
des Kollisionsrisikos sei auf bisheriger Datengrundlage nicht quantitativ einschätzbar. In
einer Zusammenstellung der Vogelschutzwarte Brandenburg, die allerdings keine
bundesweite, systematische Erhebung darstelle, sei für Wiesen- und Rohrweihe jeweils
63
nur ein Opfer dokumentiert. Da Wiesenweihen selbst in guten Nahrungsjahren nur mit
ca. 40 Brutpaaren und Rohrweihen nur mit ca. 120 Brutpaaren in Nordrhein-Westfalen
vertreten seien, sei jedes Brutpaar populationsökologisch relevant. Alles in allem sei
das Ausmaß der Beeinträchtigung nur schwer zu beurteilen. Weder eine
Nichtbeeinträchtigung noch eine Beeinträchtigung könnten mit wissenschaftlicher
Sicherheit prognostiziert werden; da es sich aber um einen Funktionsraum für die
beiden wertgebenden Arten Rohr- und Wiesenweihe handele, der in Räume mit höherer
Funktionalität eingebettet sei, könne eine Beeinträchtigung der Schutzziele des
Vogelschutzgebiets nicht ausgeschlossen werden. Ergänzend sei anzumerken, dass in
der FFH- Verträglichkeitsprüfung eine Gefahrenabschätzung bezüglich des Rotmilans
und des Wachtelkönigs fehle. Beim Durchfliegen des Korridors zwischen Soest und Bad
Sassendorf könnte insbesondere der Wachtelkönig gefährdet sein, da er ein
Nachtzieher sei.
Der Kläger ist den Ausführungen des Sachverständigen unter Hinweis auf
Stellungnahmen des Herrn Dr. M. , der in der mündlichen Verhandlung ergänzend
angehört worden ist, und des Herrn Dipl.-Forsting. V. , auf die Bezug genommen wird,
entgegengetreten.
64
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte des erledigten
Verfahrens 8 A 584/06 nebst Beiakten Bezug genommen.
65
Entscheidungsgründe:
66
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger kann weder die mit seinem
Hauptantrag erstrebte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die streitige Windkraftanlage noch die
mit dem Hilfsantrag beantragte Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen
Vorbescheids beanspruchen.
67
A. Rechtsgrundlage für die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist § 6
Abs. 1 i.V.m. § 5 BImSchG. Nach diesen Vorschriften ist die - hier nach § 4 BImSchG
i.V.m. Nr. 1.6 des Anhangs zur Vierten BImSchV in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden
Fassung (BGBl. I S. 1687) erforderliche - immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu
erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten
erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des
Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Die
sich hiernach ergebenden Genehmigungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt.
68
Das Vorhaben ist zwar nicht deshalb bauplanungsrechtlich unzulässig, weil durch den
Flächennutzungsplan der Beigeladenen für die Errichtung von Windkraftanlagen eine
Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist (I.). Es kann aber deshalb nicht genehmigt
werden, weil nicht auszuschließen ist, dass die Errichtung und der Betrieb einer -
weiteren - Windkraftanlage zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Europäischen
Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" in den für dessen Schutzzweck maßgeblichen
Bestandteilen führen würde (II.) und weil es darüber hinaus mit der
ordnungsbehördlichen Sicherstellungsverordnung vom 8. Dezember 2004 unvereinbar
ist (III.).
69
I. Der Flächennutzungsplan der Beigeladenen schließt das Vorhaben des Klägers
70
bauplanungsrechtlich nicht aus.
1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des im Außenbereich geplanten Vorhabens
richtet sich nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. Danach darf ein Vorhaben, das wie die
geplante Windkraftanlage der Nutzung der Windenergie dient und deshalb im
Außenbereich an sich privilegiert zulässig ist, u.a. dann nicht zugelassen werden, wenn
ihm öffentliche Belange entgegenstehen. Für Windkraftanlagen und andere Vorhaben
nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 - 6 BauGB bestimmt § 35 Abs. 3 BauGB, dass ihnen in der Regel
auch dann öffentliche Belange entgegenstehen, soweit hierfür durch Darstellungen im
Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer
Stelle erfolgt ist. Der Ausschluss solcher Anlagen auf Teilen des Plangebiets lässt sich
nach der Wertung des Gesetzgebers aber nur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt,
dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden
Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss daher ein schlüssiges gesamträumliches
Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des
planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht wird.
71
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 -, BVerwGE 117, 287, 294 ff.
72
Das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB ist verletzt, wenn eine sachgerechte
Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Im Weiteren ist es verletzt, wenn in die Abwägung
an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden
muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange
verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen
Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner
Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das
Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde
in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und
damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet.
73
Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 -, BVerwGE 34, 301, 309.
74
Ausgehend von diesen allgemeinen Anforderungen des Abwägungsgebots und dem
Erfordernis eines schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts muss die
gemeindliche Entscheidung über die Ausweisung von Flächen für die Windkraftnutzung
im Flächennutzungsplan nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen
die positive Standortzuweisung getragen wird. Sie muss auch deutlich machen, welche
städtebaulichen Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von
Windkraftanlagen freizuhalten. Die öffentlichen Belange, die für die negative Wirkung
der planerischen Darstellung ins Feld geführt werden, sind mit dem Anliegen, der
Windkraftnutzung "an geeigneten Standorten eine Chance" zu geben, die ihrer
Privilegierung gerecht wird, nach Maßgabe des § 1 Abs. 7 BauGB abzuwägen. Ebenso
wie die positive Aussage müssen sie sich aus den konkreten örtlichen Gegebenheiten
nachvollziehbar herleiten lassen.
75
Allerdings ist es einer Gemeinde verwehrt, den Flächennutzungsplan als Mittel zu
benutzen, das ihr dazu dient, unter dem Deckmantel der Steuerung Windkraftanlagen in
Wahrheit zu verhindern. Bei einer bloßen "Feigenblatt"-Planung, die auf eine verkappte
Verhinderungsplanung hinausläuft, darf sie es nicht bewenden lassen. Vielmehr muss
sie der Privilegierungsentscheidung des Gesetzgebers Rechnung tragen und für die
Windkraftnutzung in substanzieller Weise Raum schaffen. Wo die Grenze zur
76
Verhinderungsplanung verläuft, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Beschränkt sich die
Gemeinde darauf, eine einzige Konzentrationszone auszuweisen, so ist dies, für sich
genommen, noch kein Indiz für einen fehlerhaften Gebrauch der Planungsermächtigung.
Das gilt auch dann, wenn es im Gemeindegebiet weitere Flächen gibt, die sich von
ihren Standortbedingungen her im Vergleich mit der ausgewiesenen
Konzentrationszone für die Errichtung von Windkraftanlagen ebenso gut oder noch
besser eignen. Die Feststellung, dass sich diese oder jene Fläche für Zwecke der
Windkraftnutzung eignet, ist nur ein Gesichtspunkt, der bei der planerischen Abwägung
gebührend zu berücksichtigen ist, bei der Standortwahl aber nicht zwangsläufig den
Ausschlag geben muss. Auch Größenangaben sind, isoliert betrachtet, als Kriterium für
eine missbilligenswerte Verhinderungstendenz ungeeignet. Die ausgewiesene Fläche
ist nicht nur in Relation zu setzen zur Gemeindegröße, sondern auch zur Größe der
Gemeindegebietsteile, die für eine Windkraftnutzung, aus welchen Gründen auch
immer, nicht in Betracht kommen. Dazu gehören nicht zuletzt die besiedelten Bereiche,
zusammenhängende Waldflächen sowie Flächen, die aufgrund der topographischen
Verhältnisse im Windschatten liegen. In diesem Zusammenhang ist auch zu
berücksichtigen, in welchem Umfang Teile des Gemeindegebiets förmlich unter
Landschaftsschutz gestellt, damit dem planerischen Zugriff der Gemeinde weitgehend
entzogen und einer baulichen Nutzung auch sonst nicht ohne weiteres zugänglich sind.
Denn durch derartige Unterschutzstellungen sind den Entfaltungsmöglichkeiten der
Windkraftnutzung in den betroffenen Bereichen enge Grenzen gesetzt.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 -, a.a.O., 295 ff., vom 13. März
2003 - 4 C 4.02 -, BVerwGE 118, 33, 37, und vom 21. Oktober 2004 - 4 C 2.04 -,
BVerwGE 122, 109, 111.
77
Für die Rechtmäßigkeit der Flächenauswahl sind allein die Erwägungen maßgeblich,
die tatsächlich Grundlage der Abwägungsentscheidung des Rats der Gemeinde waren.
Entscheidend für die gerichtliche Überprüfung sind damit in erster Linie die
Verlautbarungen in dem Erläuterungsbericht, der bei der abschließenden
Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan bzw. dessen Änderung
mitbeschlossen wird, sowie die Erwägungen z.B. in den entsprechenden
Verwaltungsvorlagen, denen der Rat der Gemeinde bei seiner abschließenden
Beschlussfassung gefolgt ist.
78
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2004 - 7 A 3368/02 -, NuR 2004, 690.
79
Mängel, die einzelnen Festsetzungen eines Bauleitplans anhaften, führen zu dessen
Gesamtnichtigkeit, wenn die übrigen Regelungen oder Festsetzungen eine in jeder
Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche
Ordnung nicht bewirken können. Die Konzentrationsplanung von Windkraftanlagen in
einem Flächennutzungsplan ist deshalb insgesamt nichtig, wenn dem Plan mangels
ausreichender ("substantieller") Darstellungen von Positivflächen für die Errichtung von
Windkraftanlagen kein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegt.
Der Planbetroffene kann sich daher auf die Unwirksamkeit des Flächennutzungsplans
auch mit der Begründung berufen, Alternativstandorte seien nicht richtig abgewogen.
80
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 4 C 2.04 -, a.a.O.; OVG Nds., Urteil vom 24.
März 2003 - 1 LB 3571/01 -, ZfBR 2003, 792 = BRS 66 Nr. 14.
81
Mängel im Abwägungsvorgang sind gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BauGB allerdings
82
nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss
gewesen sind.
Vgl. zum Ganzen: OVG NRW, Urteile vom 19. Juni 2007 - 8 A 2677/06 -, ZNER 2007,
237, und vom 15. März 2006 - 8 A 2672/03 -, BauR 2006, 1715.
83
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen steht dem Vorhaben des Klägers die
Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht entgegen. Die 35. Änderung
des Flächennutzungsplans der Beigeladenen in der zuletzt im Jahr 2005
beschlossenen Fassung der 2. Änderung ist ebenso unwirksam wie die
vorangegangene Fassung der 1. Änderung aus dem Jahr 2003 und die ursprüngliche
Fassung aus dem Jahr 1999.
84
a) Die 35. Änderung des Flächennutzungsplans in der Fassung der 2. Änderung leidet
an Mängeln, die zur Nichtigkeit der Vorrangzonenplanung führen.
85
aa) Ein erheblicher Abwägungsmangel folgt daraus, dass das von der Beigeladenen bei
ihrer Abwägung zugrunde gelegte Abwägungsmaterial unvollständig ermittelt und
bewertet war (vgl. § 2 Abs. 3 BauGB). Die Beigeladene hat es zu Unrecht unterlassen,
im Planaufstellungsverfahren eine FFH- Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Daher
ist nicht sichergestellt, dass Windkraftvorhaben im Bereich der Konzentrationszone
genehmigungsfähig sind.
86
Die Notwendigkeit, die Verträglichkeit der Ausweisung einer Vorrangzone für Zwecke
der Windkraftnutzung innerhalb des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde"
mit den Erhaltungszielen dieses Gebiets im Planaufstellungsverfahren zu prüfen, folgt
aus § 1 a Abs. 4 i.V.m. § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. b BauGB und den §§ 37 Abs. 1 Satz 2,
35 Satz 2 und 34 BNatSchG. Danach ist die FFH-Verträglichkeit eines Vorhabens
schon im Verfahren zur Aufstellung eines Bauleitplans zu prüfen, wenn das Projekt
(hier: die Planung) zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Gebiets in seinen für die
Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann.
87
Vgl. Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 a Rn. 153.
88
Dafür ist nicht erforderlich, dass der Standort des aufgrund des Bauleitplans
ermöglichten Vorhabens im Vogelschutzgebiet liegt; es reicht aus, dass sich das
Vorhaben auf den Schutzzweck auswirken kann.
89
Vgl. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl., 2007, § 1 a Rn. 33.
90
Das drängt sich bei einem inmitten des Vogelschutzgebiets gelegenen und zudem
relativ kleinen Vorranggebiet ohne weiteres auf. Wird beispielsweise eine
Windkraftanlage - wie hier tatsächlich geschehen - an der Grenze des Vorranggebiets
zum Vogelschutzgebiet errichtet, liegt ein großer Teil des Einwirkungsbereichs
unmittelbar im Vogelschutzgebiet. Dass die Fläche der Vorrangzone bei der
Gebietsmeldung aus dem Vogelschutzgebiet ausgenommen worden ist, ist bei dieser
Sachlage für die Frage, ob die Planung im Schutzgebiet zu erheblichen
Beeinträchtigungen führen kann, ohne Belang.
91
Die Regelung des durch das Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) vom 24.
Juni 2004, BGBl. I S. 1359, eingefügten § 1 a Abs. 4 BauGB ist hier anwendbar. Gemäß
92
dem in § 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB geregelten Grundsatz sind Verfahren, die vor dem
Inkrafttreten einer Gesetzesänderung förmlich eingeleitet worden sind, nach den bisher
geltenden Vorschriften abzuschließen. Zwar enthält die für das EAG Bau geltende
spezielle Überleitungsvorschrift in § 244 BauGB Ausnahmen von dem Grundsatz des §
233 BauGB; der hier vorliegende Fall ist davon jedoch nicht erfasst. Ausgehend von §
233 BauGB gilt das BauGB in der Fassung des EAG Bau, die am 20. Juli 2004 in Kraft
getreten ist. Das Verfahren zur 2. Änderung der 35. Änderung des FNP wurde am 7.
September 2004 eingeleitet. Die Beschlussfassung erfolgte am 22. Juni 2005.
Darauf, dass die Gebietsmeldung erst nach Einleitung des Bauleitplanverfahrens,
nämlich im Dezember 2004, erfolgte, kommt es nicht an, so dass hier dahinstehen kann,
ob das Gebiet zuvor als faktisches Vogelschutzgebiet anzusehen war, wovon die
Beigeladene im Aufstellungsverfahren allerdings selbst ausging.
93
Die in die bauleitplanerische Abwägung zu integrierende FFH- Verträglichkeitsprüfung
dient zum Einen der frühzeitigen Ermittlung der abwägungserheblichen Belange, hier
der Eignung der Fläche für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen. Zum
Anderen schränken die Ergebnisse der FFH- Verträglichkeitsprüfung die planerische
Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB über § 1 a Abs. 4 BauGB ein.
94
Vgl. Schliepkorte, a.a.O., § 1 a Rn. 155.
95
Die materiell-rechtlichen Anforderungen folgen aus Art. 6 der Richtlinie 92/43/EWG des
Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der
wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG L 206, S. 7 (FFH-RL), und sind durch §§ 48 c
und 48 d LG NRW in nordrhein-westfälisches Landesrecht umgesetzt worden. Das
davon abweichende Regime des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 79/409/EWG vom 2. April
1979, ABl. EG L 103, S. 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates
vom 20. November 2006, ABl. EG L 363, S. 368 (Europäische Vogelschutzrichtlinie -
VS-RL -), ist mit dem Wirksamwerden der Ausweisung des Vogelschutzgebiets
"Hellwegbörde" in dessen räumlichem Geltungsbereich durch die Bekanntmachung
gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 1 LG NRW hinter das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL
zurückgetreten.
96
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1, vom 16. März
2006 - 4 A 1075.04 -, BVerwGE 125, 116 (310), und vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 -,
BVerwGE 120, 276; OVG NRW, Urteil vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, juris.
97
Das gilt jedenfalls dann, wenn man mit der Beigeladenen davon ausgeht, dass die
Fläche der Konzentrationszone zu Recht von der Gebietsmeldung ausgenommen
worden ist. Anderenfalls unterfiele die Vorrangfläche als faktisches Vogelschutzgebiet
sogar dem strengeren Regime des Art. 4 Abs. 4 VS-RL. Darauf kommt es hier aber nicht.
98
Inhaltlich gelten für die FFH-Verträglichkeitsprüfung eines Bauleitplans keine anderen
Anforderungen als für die FFH-Verträglichkeitsprüfung eines einzelnen Vorhabens.
99
Die Ausführungen im Umweltbericht (Nr. 9 des Erläuterungsberichts aus März 2005)
genügen diesen Anforderungen nicht. Sie erschöpfen sich in dem Hinweis, dass die
zum Zeitpunkt der Gebietsmeldung vorhandenen Vorrangzonen von der
Gebietsmeldung ausgenommen worden seien. Die FFH-Verträglichkeit der mit der
Darstellung einer Vorrangzone geplanten Windkraftanlagen, d.h. die Frage, ob und wie
100
sich die dort bereits errichteten und aufgrund der Planung noch zu errichtenden Anlagen
auf die geschützten Vogelarten auswirken, hat die Beigeladene ersichtlich nicht geprüft.
Sie hat weder untersucht, welche Vögel dort - bislang - vorgekommen sind, noch welche
mögliche Funktion der Bereich - z.B. als Brut- oder Jagdgebiet oder als Korridor für den
Vogelzug - hat, noch ob diese Funktion zukünftig, nach Abbau der zur Zeit vorhandenen
Windkraftanlagen, wieder hergestellt werden kann.
Die Tatsache, dass der Bereich der Vorrangzone bei der Gebietsmeldung
ausgenommen worden ist, bedeutet nicht, dass die Errichtung von Windkraftanlagen auf
der betreffenden Fläche für die Schutzzwecke des Vogelschutzgebiets unerheblich
wäre. Die Vorrangzone ist vielmehr ohne nähere ornithologische Prüfung geplant und
genutzt worden. Im Übrigen ist auch die Beigeladene im vorangegangenen Verfahren
bezüglich der 1. Änderung der 35. Änderung des Flächennutzungsplans davon
ausgegangen, dass das Gemeindegebiet unter Berücksichtigung der Restriktionen zum
Zwecke des Vogelschutzes keine für die Ausweisung einer Vorrangzone geeigneten
Flächen aufweist.
101
Die von der Beigeladenen angeführten Ausführungen des Ministeriums für Umwelt und
Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) vermögen den Verzicht
auf eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht zu rechtfertigen. Zum Einen dürften sie einen
anderen Fall betreffen, nämlich die Frage, ob im Fall eines Repowering eine Ausnahme
von der Regel des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB angenommen werden kann. Zum Anderen
wären sie, wenn sie auch den hier vorliegenden Fall erfassen sollten, unzutreffend, da
sie den europa-, bundes- und landesrechtlichen Vorgaben zum Erhalt europäischer
Vogelschutzgebiete nicht genügen. Denn eine ohne vorherige FFH-
Verträglichkeitsprüfung erteilte Anlagengenehmigung belegt nicht, dass der Errichtung
und dem Betrieb der genehmigten Anlage an dem konkreten Standort keine
Naturschutzbelange entgegenstehen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf
hinzuweisen, dass der Flächennutzungsplan über einen reinen Bestandsschutz
hinausgeht, indem statt der vorhandenen 85 m hohen Anlagen mit - wie dem Senat aus
eigener Anschauung aufgrund des Ortstermins im Verfahren 8 A 2696/06 bekannt ist -
vergleichsweise kleinen Rotoren die Errichtung von Anlagen mit einer Höhe bis 100 m
zugelassen werden soll, was zugleich auch größere Rotoren und damit einen
wesentlich vergrößerten Einwirkungsbereich ermöglicht. Dass derartigen
Bestandsveränderungen in einer kleinen Zone inmitten eines Europäischen
Vogelschutzgebiets eine Erheblichkeit in Bezug auf die Schutzziele nicht von
vornherein ohne nähere Prüfung abgesprochen werden kann, liegt auf der Hand. Den
Belangen des Vogelschutzes ist auch mit der Höhenbegrenzung auf 100 m nicht
hinreichend Rechnung getragen. Die Habitatansprüche der ausweislich der
Bekanntmachung der Gebietsmeldung geschützten Vogelarten hatte die Beigeladene
dabei offenkundig nicht im Blick.
102
bb) Darüber hinaus leidet die 2. Änderung der 35. Änderung des Flächennutzungsplans
auch deshalb an einem erheblichen Abwägungsmangel, weil ein schlüssiges
Plankonzept, das zu der Verkleinerung der ursprünglich ermittelten Vorrangfläche von
ca. 9,3 ha um 3 ha auf 6,3 ha geführt hat, nicht ersichtlich ist.
103
Auf Seite 5 des Erläuterungsberichts heißt es, dass in städtebaulicher Hinsicht die
Korridore außerhalb der Vogelschutzgebiete Beachtung gefunden hätten. Letzteres
treffe auf die bereits im Flächennutzungsplan dargestellte Konzentrationszone zu. Aus
den Erläuterungen auf Seite 9 des Erläuterungsberichts folgt, dass ein
104
Entwicklungskorridor zur Ortschaft Wiggeringhausen maßgeblich für die Verkleinerung
der Zone gewesen sein soll. Aus dem vorliegenden Kartenmaterial ergibt sich aber,
dass der zur Verkleinerung der Zone führende Korridor tatsächlich nicht die Ortschaft
Wiggeringhausen (zu Erwitte), sondern den "Bahnhof I. " (ebenfalls zu Erwitte) umgibt.
Die in diesem Bereich vorhandenen Gebäude sind indessen in roter Farbe, d.h. als
Gebäude im Außenbereich dargestellt. Dem entspricht, dass der Bereich als solcher
gelb, also ebenfalls als Außenbereich gekennzeichnet ist. Es handelt sich also gerade
nicht um eine Ortschaft. Für derartige Bereiche sieht das Plankonzept indessen eine
Abstandszone von (je nach Windrichtung) nur 300 m bis 400 m vor, nicht - wie hier
zugrunde gelegt - von 600 m. Die rosafarbene Darstellung der Verkleinerungsfläche
kennzeichnet nach der Legende des Arbeitsplans eine Abstandszone (300 m bis 800 m)
außerhalb der Entwicklungsfreiräume des Vogelschutzgebiets. Was damit gemeint ist,
warum ein solcher Entwicklungsfreiraum in Bezug auf die dem Außenbereich
zugeordneten Gebäude im Bereich Bahnhof I. angesetzt worden ist und nach welchen
Kriterien 300 m bzw. 800 m angesetzt werden, erschließt sich weder aus dem
Kartenmaterial oder aus dem Erläuterungsbericht noch - ungeachtet der Frage, ob es
darauf ankommen kann - aus dem Vorbringen der Beigeladenen im vorliegenden
Verfahren. An ihrer zwischenzeitlichen Darstellung, dass die zugrunde gelegten
Abstände aus dem Wiesenweihe-Schutzprogramm (der im März 2003 zwischen dem
Land Nordrhein-Westfalen und mehreren Gemeinden sowie weiteren Vertragspartnern
geschlossenen Vereinbarung) abgeleitet seien, hat die Beigeladene zuletzt nicht mehr
festgehalten.
Ein weiterer Abwägungsmangel in diesem Zusammenhang besteht darin, dass das
Vorhandensein einer Vorrangzone auf dem angrenzenden Gemeindegebiet von Erwitte
nicht berücksichtigt wurde. Nach dem im Planaufstellungsverfahren erstellten
Kartenmaterial ist auf Sassendorfer Gebiet eine vorhandene Anlage ausgenommen
worden. Jenseits der Gemeindegrenze steht in Erwitte allerdings ebenfalls eine Anlage
in dem angeblichen Entwicklungskorridor. Nach den Ausführungen im
Erläuterungsbericht (Seite 12 unten) stehen beide Anlagen, die sich in dem angeblichen
Entwicklungskorridor befinden, in Erwitte. Unabhängig davon, ob die nördlichste Anlage
zu Bad Sassendorf oder zu Erwitte gehört, gesteht die Beigeladene der Nachbarstadt
Erwitte hier einen Entwicklungskorridor zu, der auf Erwitter Seite bereits mit mindestens
einer Windkraftanlage bebaut und mit einer Vorrangzone beplant ist. Eine
nachvollziehbare Begründung dafür ist nicht ersichtlich.
105
b) Ist der Flächennutzungsplan in der Fassung der 2. Änderung der 35. Änderung
demnach unwirksam, stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall der
Flächennutzungsplan in der zuvor beschlossene Fassung der 1. Änderung aus dem
2003 fortgilt. Dafür, dass jedenfalls dies dem Willen der plangebenden Gemeinde
entspricht, dürfte hier der Umstand sprechen, dass lediglich eine Verkleinerung der
Konzentrationszone vorgenommen werden sollte und im Übrigen die Beseitigung
etwaiger Mängel des vorherigen Plans beabsichtigt war, was schon die erneute
Bezeichnung als 35. Änderung des Flächennutzungsplans nahe legt. Diese Frage
bedarf hier keiner Klärung, weil auch diese Fassung infolge erheblicher
Abwägungsmängel unwirksam ist.
106
Ausgehend davon, dass die ausgewählte Vorrangfläche ausweislich des Arbeitsplans
zum "Kerngebiet Wiesenweihe" zählt, handelt es sich nach dem der Planung zugrunde
gelegten Konzept (vgl. Seite 8 des Erläuterungsberichts) um eine Ausschlussfläche.
Dem entspricht die ausdrücklich geäußerte Einschätzung, dass auch die Fläche der
107
"Konzentrationszone südöstlich von D. ... aus heutiger Sicht ... ebenfalls nicht mehr als
geeignete Fläche anzusehen" sei (Seite 9 des Erläuterungsberichts).
Das für die gleichwohl erfolgte Ausweisung dieser Fläche als Vorrangzone angeführte
Bestandsschutzargument ist nicht tragfähig, weil der Flächennutzungsplan für den
Bestandsschutz der dort errichteten Anlagen rechtlich unerheblich ist. Der Plan eröffnet
lediglich die Möglichkeit, in dem - nach eigener Einschätzung der Gemeinde wegen
entgegenstehender Belange des Vogelschutzes ungeeigneten - Bereich künftig neue
und zudem größere Anlagen zu errichten. Das geht über einen Bestandsschutz deutlich
hinaus. Zugleich wird mit dem Bestandsschutzargument die Schlüssigkeit des
Plankonzepts durchgreifend in Frage gestellt, weil angesichts der von der Beigeladenen
zugrunde gelegten ornithologischen Bedeutung der Fläche gerade nicht sichergestellt
werden kann, dass sich die Windkraftnutzung dort zukünftig durchsetzt. Das könnte
allenfalls faktisch der Fall sein, wenn bei künftigen Genehmigungsanträgen im Bereich
der Vorrangfläche die Belange des Vogelschutzes nicht geprüft werden sollten. Das
wäre aber rechtswidrig.
108
c) Der Flächennutzungsplan in der Fassung der 35. Änderung aus dem Jahr 1999 ist
ebenfalls wegen eines Abwägungsmangels fehlerhaft und demzufolge unwirksam.
109
Ausgehend von den seinerzeit zugrunde gelegten Tabu- und Abstandsbereichen
ergaben sich sieben größere neutrale Flächen. Sämtliche östlich der Stadt Soest
gelegenen Flächen wurden ohne nachvollziehbare Begründung ausgeschieden. Das in
diesem Zusammenhang angeführte Argument, die Flächen lägen im "Windschatten"
größerer Ansiedlungen, trägt nicht, weil es - sollte es im physikalischen Sinne gemeint
sein - im Widerspruch zu der Prämisse steht, dass nach den vorliegenden Erhebungen
im gesamten Gemeindegebiet ausreichende Windhöffigkeit besteht. Wenn
"Windschatten" im übertragenen Sinne zu verstehen sein sollte, wenn also damit
allgemein die Nähe zu Wohnsiedlungsbereichen gemeint ist, stünde das im
Widerspruch zu dem planerischen Konzept, wonach insbesondere ein Abstand von
(lediglich) 1000 m zu Kur- und reinen Wohngebieten, 800 m zu allgemeinen
Wohngebieten und 600 m zu sonstigen Wohnnutzungen eingehalten werden sollte. Die
in Betracht kommenden "Windschatten"-Flächen, die als restriktionsfreie Flächen
ermittelt worden waren, liegen in größeren Abständen zu den Wohnsiedlungsbereichen.
110
Nicht bedenkenfrei sind auch die Ausführungen zu den ornithologischen Belangen.
Ausweislich Seite 11 des Erläuterungsberichts sollte sich die ausgewählte Fläche in
einer Entfernung von 200 m Entfernung von ornithologisch bedeutsamen Feldfluren
befinden. Es ist indessen nicht erwogen worden, was die Errichtung eines Windparks für
die ornithologischen Belange bedeutet, insbesondere hat die Beigeladene nicht
berücksichtigt, um welche Vögel es sich handelte. Die im Zusammenhang mit der
Höhenbegrenzung geäußerte These, dass 100 m die normale Flughöhe bei Singvögeln
sei (Seite 12 des Erläuterungsberichts), lässt darauf schließen, dass die Beigeladene
die ornithologische Bedeutung des Gebiets, die aus dem Vorhandensein von bedrohten
Greifvogelarten folgt, verkannt hat.
111
Ob die Höhenbegrenzung, die unter anderem - wohl selbstständig tragend - mit dem
Schutz des Landschaftsbilds begründet worden ist, im Übrigen einer rechtlichen
Überprüfung Stand hält, kann nach alldem dahinstehen.
112
II. Das beabsichtigte Vorhaben des Klägers ist aber deshalb nicht genehmigungsfähig,
113
weil ihm der Schutz des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" gemäß den
durch § 48 c und § 48 d LG NRW umgesetzten Bestimmungen der FFH-Richtlinie
entgegensteht. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das Vorhaben zu einer
erheblichen Beeinträchtigung des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" in
den für dessen Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen würde.
1. Gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 3 LG NRW gelten in Umsetzung der Vogelschutz-
Richtlinie, auch in Verbindung mit der FFH-Richtlinie, in den Europäischen
Vogelschutzgebieten § 48 c Abs. 4 und § 48 d und e LG NRW. Die sich aus diesen
Bestimmungen ergebenden Beschränkungen für Vorhaben, die baurechtlicher bzw. -
wie vorliegend Windkraftanlagen - immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen
bedürfen (§ 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 LG NRW), beruhen auf der Umsetzung von Art. 6
FFH-RL. Wie bereits erwähnt (A. I. 2. a) aa)), ist das davon abweichende Regime des
Art. 4 Abs. 4 VS-RL mit dem Wirksamwerden der Ausweisung des Vogelschutzgebiets
"Hellwegbörde" durch die Bekanntmachung gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 1 LG NRW hinter
das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL zurückgetreten.
114
§ 48 c Abs. 5 und § 48 d LG NRW genügen den sich aus Art. 6 FFH-RL ergebenden
gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Sie entsprechen inhaltlich der Regelung des § 34
BNatSchG, die nach § 11 Satz 1 BNatSchG rahmenrechtlicher Natur ist, und setzen den
in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL angeordneten Gebietsschutz, der als speziellere Norm
dem allgemeinen Störungs- und Verschlechterungsverbot nach § 6 Abs. 2 FFH-RL
vorgeht,
115
vgl. auch EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Rn. 35), NuR 2004, 788,
116
wirksam in nationales Recht um. Etwaige Umsetzungsdefizite, die sich auf die
Beurteilung des vorliegenden Falles auswirken könnten, sind durch eine
gemeinschaftskonforme Auslegung des Landesrechts vermeidbar.
117
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 13.
Juli 2006 - 20 D 80/05.AK -, NuR 2007, 48.
118
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind Vorhaben, die ein Europäisches
Vogelschutzgebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder
Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, gemäß § 48 d Abs. 1 bis 3 LG NRW durch
die für die Genehmigung zuständige Behörde einer Prüfung ihrer Verträglichkeit mit den
Erhaltungszielen des geschützten Gebiets zu unterziehen (FFH-
Verträglichkeitsprüfung). Die dazu erforderlichen Angaben sind vom Vorhabenträger zu
machen (§ 48 d Abs. 3 Satz 1 LG NRW). Die Genehmigungsbehörde trifft ihre
Entscheidung im Benehmen mit der Landschaftsbehörde (§ 48 d Abs. 2 Satz 1 LG
NRW). Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch die
Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob durch das
Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung in den für den Schutzzweck der
Gebietsfestsetzung maßgeblichen Belangen eintreten würde, der vollen gerichtlichen
Nachprüfung.
119
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O (juris Rn. 38); OVG NRW,
Urteil vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, a.a.O.; zum naturschutzfachlichen
Beurteilungsspielraum vgl. im Übrigen BVerwG, Urteile vom 21. Juni 2006 - 9 A 28.05 -,
BVerwGE 126, 166 = NuR 2006, 779, und vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 -,
120
BVerwGE 117, 149 = NuR 2003, 360.
Materiell-rechtlich unterliegt das Vorhaben den Anforderungen der im Wesentlichen
gleichlautenden Bestimmungen des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG
NRW sowie den weiteren Verbotstatbeständen des § 48 c Abs. 5 Nr. 2 bis 4 LG NRW.
121
§ 48 c Abs. 5 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW bestimmen, dass Vorhaben, die zu
erheblichen Beeinträchtigungen u.a. eines Europäischen Vogelschutzgebietes in
seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen
führen können, vorbehaltlich der in § 48 d Abs. 5 bezeichneten Ausnahmen unzulässig
sind.
122
Mit dem Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpft das
nordrhein-westfälische Recht an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an.
Pläne oder Projekte können im Sinne dieser gemeinschaftsrechtlichen Norm das Gebiet
erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten
Erhaltungsziele zu gefährden."
123
Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Rn. 49), a.a.O.
124
Daraus folgt, dass Pläne oder Projekte nur dann zuzulassen sind, wenn die Gewissheit
besteht, dass diese sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches
auswirken. Grundsätzlich ist somit jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen
erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets als solches gewertet werden.
Unerheblich dürften im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen sein,
die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren.
125
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O (juris Rn. 41).
126
Ob ein Vorhaben nach dem so konkretisierten Prüfungsmaßstab des § 48 c Satz 5 Nr. 1
und § 48 d Abs. 4 LG NRW zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist
danach vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände
des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss. Mit Blick auf die Erhaltungsziele
des FFH-Gebiets stellt insofern der günstige Erhaltungszustand der geschützten
Lebensräume und Arten ein geeignetes Bewertungskriterium dar. Es ist also zu fragen,
ob sicher ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens
stabil bleiben wird. Beim günstigen Erhaltungszustand einer vom Erhaltungsziel des
FFH-Gebiets umfassten Tier- oder Pflanzenart geht es um ihr Verbreitungsgebiet und
ihre Populationsgröße; in beiden Bereichen soll langfristig gesehen eine
Qualitätseinbuße vermieden werden. Die damit beschriebene Reaktions- und
Belastungsschwelle kann unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des
Einzelfalls gewisse Einwirkungen zulassen. Diese berühren das Erhaltungsziel nicht
nachteilig, wenn es etwa um den Schutz von Tierarten geht, die sich nachweisbar von
den in Rede stehenden Beeinträchtigungen nicht stören lassen. Bei einer
entsprechenden Standortdynamik der betroffenen Tierart führt nicht jeder Verlust eines
lokalen Vorkommens oder Reviers zwangsläufig zu einer Verschlechterung des
Erhaltungszustands. Selbst eine Rückentwicklung der Population mag nicht als
Überschreitung der Reaktions- und Belastungsschwelle zu werten sein, solange sicher
davon ausgegangen werden kann, dass dies eine kurzzeitige Episode bleiben wird.
127
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 45).
128
Der günstige Erhaltungszustand eines im FFH-Gebiet geschützten Lebensraums wird in
Art. 1 Abs. 2 Buchst. e 1. Anstrich FFH-RL dahingehend definiert, dass "sein natürliches
Verbreitungsgebiet" sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig
sind oder sich ausdehnen. Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten
Flächenverlust für ein in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenes
Biotop bewirken, in besonderer Weise dazu geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets
zu gefährden.
129
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 50); Halama,
NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504.
130
Ob in Fällen eines direkten Flächenverlustes eine Bagatellschwelle, die den
Flächenverbrauch zu rechtfertigen vermag, anzuerkennen ist, ist in der Rechtsprechung
bislang nicht geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seiner
Entscheidung vom 17. Januar 2007
131
- 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 51) -
132
ausdrücklich offen gelassen. In diesem Zusammenhang hat das
Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass bei der Kartierung von
Biotopvorkommen aus naturschutzfachlichen Gesichtspunkten angesetzte
"Mindestflächengrößen" für die Rechtfertigung einer nachträglichen Verkleinerung oder
sonstigen Beeinträchtigung eines Schutzgebiets naturschutzfachlich und rechtlich nicht
geeignet sind.
133
Allerdings ist nicht jeder Flächenverlust, den ein FFH-Gebiet infolge eines Vorhabens
erleidet, notwendig mit einer Abnahme des Verbreitungsgebiets gleichzusetzen, weil
der Gebietsschutz insoweit ein dynamisches Konzept verfolgen dürfte. Denn weiteres
Ziel des Erhaltungszustands ist nach der FFH-Richtlinie, dass das "natürliche
Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich
abnehmen wird" (2. Anstrich in Absatz 2 von Art. 1 Buchst. i FFH-RL). So ist es denkbar,
dass die betroffene Art mit einer Standortdynamik ausgestattet ist, die es ihr unter den
gegebenen Umständen gestattet, Flächenverluste selbst auszugleichen. Wenn auch der
Erhaltung vorhandener Lebensräume regelmäßig Vorrang vor ihrer Verlagerung
zukommt, kann in diesem Fall im Wege der Kompensation durch die Schaffung
geeigneter Ausweichhabitate der günstige Erhaltungszustand der betroffenen Art
gewährleistet werden.
134
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 45), und vom
17. Mai 2002 - 4 A 28.01 -, BVerwGE 116, 254 = NuR 2002, 739; vgl. auch EuGH, Urteil
vom 14. September 2006 - C-244/05 - (Rn. 46), NVwZ 2007, 61.
135
Indem § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW auf die "für die
Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile" abstellen,
schränken sie den durch sie gewährten Schutz auf die Arten nach Anhang II der FFH-
RL, aufgrund derer das Gebiet ausgewählt wurde, sowie die in den geschützten
Lebensraumtypen vorkommenden charakteristische Arten ein. Die Bestimmung des
Begriffs der Erhaltungsziele ist § 3 b LG NRW i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG zu
entnehmen. Danach gelten als Erhaltungsziele die Festlegungen zur Erhaltung oder
Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem FFH-Gebiet
136
vorkommenden Lebensräume und Arten nach den Anhängen I und II der FFH-RL bzw.
in Vogelschutzgebieten der Vogelarten, die in Anhang I der VS-RL aufgeführt oder in
Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannt sind. Nach § 48 c Abs. 2 LG NRW bestimmt die
Schutzausweisung den Schutzzweck entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen
und die erforderlichen Gebietsabgrenzungen. Fehlt es an einem festgelegten
Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu
entnehmen.
Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 73, 75).
137
Der im Rahmen der Vorschriften des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG
NRW erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung des geschützten
Gebiets ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen
werden kann, dass ein Vorhaben das fragliche Gebiet in dieser Weise beeinträchtigt.
Diese Auslegung ergibt sich aus dem Vorsorgegrundsatz, der in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL
eingeschlossen ist. Die Vorschrift konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das
Vorsorgeprinzip des Art. 124 Abs. 2 Satz 2 EG für den Gebietsschutz im Rahmen von
"Natura 2000". Nach Art. 124 Abs. 2 EG zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein
hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung,
auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu
bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
138
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 58); OVG NRW,
Urteil vom 13. Juli 2006 - 20 D 80/05.AK -, a.a.O.; EuGH, Urteile vom 10. Januar 2006 -
C-98/03 - (Rn. 40 ff.), NuR 2006, 166, und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Rn. 44),
a.a.O.
139
Das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-
Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen
unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte.
Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel,
dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das
Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine
Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher
Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
140
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 60); EuGH,
Urteile vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 -, NuR 2006, 494, und vom 7. September 2004 -
C-127/02 -, a.a.O.
141
Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende
wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden
müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen
erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH- Verträglichkeitsprüfung
Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische
Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH- RL gebietet vielmehr
nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten
wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb
angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für
die Befunde einzuschätzen.
142
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 66).
143
Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der
Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne
Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit
darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches
auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher
Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten
werden. In Ansehung des Vorsorgegrundsatzes ist dabei die objektive
Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen im Grundsatz nicht
anders einzustufen als die Gewissheit eines Schadens. Wenn bei einem Vorhaben
aufgrund der Vorprüfung nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger
Auswirkungen entstanden ist, kann dieser Verdacht nur durch eine schlüssige
naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis
geführt wird. Dieser Gegenbeweis misslingt zum Einen, wenn die Risikoanalyse, -
prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum
Anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse
derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass
erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Derzeit nicht ausräumbare
wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind allerdings dann
kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn das Schutzkonzept ein wirksames
Risikomanagement entwickelt hat. Außerdem ist es zulässig, mit
Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich
gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist
auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards
bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des
Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte
Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist
ebenso eine Worst-Case-Betrachtung zulässig, die zweifelsfrei verbleibende negative
Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der
Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein
Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der
sicheren Seite" liegt.
144
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (juris Rn. 63, 64); EuGH,
Urteile vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 - (Rn. 53), a.a.O., und vom 7. September 2004 -
C-127/02 - (Rn. 53 ff.), a.a.O.
145
2. Ausgehend von diesen Maßstäben ist eine Verträglichkeit des streitigen Vorhabens
mit den Schutzzwecken des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" nicht
gegeben.
146
Das gilt jedenfalls mit Blick auf eine etwaige Beeinträchtigung der Wiesenweihe. Ob
daneben die Erhaltungszustände weiterer Vogelarten durch das Vorhaben
beeinträchtigt werden, bedarf hier keiner Klärung. Die vom Kläger vorgelegte FFH-
Verträglichkeitsprüfung und die weiteren Stellungnahmen des Gutachters Dr. M. sowie
des Herrn U. setzen den auf die Wiesenweihe bezogenen vogelkundlichen Bedenken
der Unteren Landschaftsbehörde und des Sachverständigen Dr. Z. vom Landesamt für
Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) nicht in allen Punkten
hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse entgegen und vermögen daher
dem Senat nicht die erforderliche Überzeugung vom voraussichtlichen Ausbleiben
147
erheblicher Beeinträchtigungen des Erhaltungszustands dieser durch die
Gebietsausweisung geschützten Vogelart zu vermitteln.
Der Sachverständige Dr. Z. hat nachvollziehbar dargelegt, dass der zwischen Soest und
Bad Sassendorf gelegene Landschaftsraum, in dem die streitbefangene
Windkraftanlage errichtet werden soll, zum Lebensraum der Wiesenweihe zählt, einer
vom Aussterben bedrohten Greifvogelart, die mit einem Bestand von ca. 35 bis 40
Brutpaaren in der Hellwegbörde vorkommt, was 90 % des nordrhein-westfälischen
Bestands entspricht.
148
Allerdings ist der Bereich zumindest seit 1993, d.h. solange die Arbeitsgemeinschaft
Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. diesbezügliche Erhebungen anstellt,
nicht als Brutstandort genutzt worden und bietet sich nach übereinstimmender
Einschätzung der Sachverständigen unter Berücksichtigung der diesbezüglichen
Gewohnheiten der Wiesenweihe auch nicht als Bruthabitat an. Es befinden sich aber
traditionelle Brutplätze nördlich und südlich des Freiraum- Korridors zwischen Soest
und Bad Sassendorf. Aufgrund dessen ist der Landschaftsraum nach Einschätzung des
Sachverständigen Dr. Z. , die insoweit vom Gutachter Dr. M. ausdrücklich geteilt wird,
regelmäßig beflogener Flug- und Jagdraum der Wiesenweihe, die bei der
Nahrungssuche in Abhängigkeit von dem jeweiligen Nahrungsangebot (Mäuse)
durchaus 7 bis zu 10 km zurücklegt, etwa zu den traditionellen Jagdgebieten in den
höheren Lagen des Haarstrangs südlich der A 44 bzw. B 1.
149
Die Errichtung einer weiteren Windkraftanlage in diesem Bereich kann dessen Funktion
als Flug- und Jagdraum über den unmittelbaren Flächenverlust hinaus zunächst
deshalb beeinträchtigen, weil Wiesenweihen bei ihren Flugbewegungen in Bezug auf
Windkraftanlagen ein - nicht zuletzt individuell unterschiedlich ausgeprägtes -
Meideverhalten zeigen. Hinzu kommt, dass sie auch Ortschaften generell nicht
überfliegen. Auch wenn sich der Umfang der aufgrund des Meideverhaltens
eintretenden Beeinträchtigung nicht genau quantifizieren lässt, ist zu berücksichtigen,
dass die vorhandene Windkraftanlage unter diesem Aspekt bereits eine gewisse
Beeinträchtigung verursacht, die durch die geplante Anlage jedenfalls verstärkt wird.
Der Umfang dieser zusätzlichen Beeinträchtigung wird zwar dadurch abgemildert, dass
die Anlage südlich der vorhandenen Anlage, also annähernd in einer Flucht innerhalb
des Flugkorridors errichtet werden soll. Die zusätzlich geplante Anlage ist aber höher
und ihr Rotor breiter. Zwei sich bewegenden Hindernissen auszuweichen, fordert die
Tiere mehr als dies bei nur einem solchen Hindernis der Fall ist.
150
Bei dieser Sachlage ist auch ein Vogelschlagrisiko nach Einschätzung des
Sachverständigen Dr. Z. nicht fernliegend, zumal das Meideverhalten der
Wiesenweihen beim Nahrungssuchflug geringer ausgeprägt ist. Der reine
Nahrungssuchflug findet zwar typischerweise in Bodennähe, also eher unterhalb des
Rotors statt. Schon dabei können Wiesenweihen beispielsweise durch andere Tiere
aufgeschreckt werden und so in den Gefahrenbereich des Rotors geraten. Vor allem
aber absolvieren sie neben Balzflügen auch Streckenflüge, also Flüge zu und von
weiter entfernten Nahrungsrevieren, in größerer Höhe. Da Weihen Ortschaften nicht
überfliegen, können derartige Streckenflüge gerade durch den hier in den Blick zu
nehmenden Korridor führen. Überdies besteht nach Einschätzung des Dr. Z. ein konkret
erhöhtes Kollisionsrisiko, weil das Überfliegen des in südlicher Richtung befindlichen
Wäldchens ohnehin eine größere Flughöhe als der üblicherweise in Bodennähe
erfolgende Nahrungssuchflug erfordert, so dass auch deshalb mit Flughöhen im Bereich
151
des Rotors zu rechnen ist.
Der Annahme eines Vogelschlagrisikos steht nicht entgegen, dass bislang nur eine tote
Wiesenweihe an einer Windkraftanlage aufgefunden worden ist. Denn das insoweit zur
Verfügung stehende Datenmaterial beruht ganz überwiegend auf Zufallsfunden, nicht
auf einer systematischen, zeitlich engmaschigen Suche, die sicherstellen könnte, dass
etwaige Kollisionsopfer gefunden werden, bevor sie von Aasfressern beseitigt werden.
Angesichts der geringen Zahl von nur 35 bis 40 Brutpaaren wäre im Übrigen jedes
Opfer, zumal wenn es sich um einen Elternvogel handelt, populationsökologisch
relevant.
152
Diese fachliche Beurteilung lässt Mängel in methodischer Hinsicht nicht erkennen. Sie
ist in sich folgerichtig, nachvollziehbar und ersichtlich von fachfremden Kriterien
unbeeinflusst. Die Unvoreingenommenheit des Dr. Z. wird entgegen den seitens des
Klägers geäußerten Bedenken nicht dadurch in Frage gestellt, dass der
Sachverständige als Bediensteter des LANUV bereits vor Erstellung seines Gutachtens
im vorliegenden Verfahren mit dem Vogelschutz in der Hellwegbörde befasst war.
Vielmehr beruht seine Kompetenz zur Bewertung der ornithologischen Bedeutung des
Vorhabenstandorts nicht zuletzt darauf, dass er mit dem Vogelschutzgebiet und den dort
lebenden wertgebenden Arten in besonderer Weise vertraut ist. Unabhängig davon lässt
der Inhalt seiner Stellungnahme keinen Zweifel daran aufkommen, dass die von Dr. Z.
geäußerten Bedenken auf den konkreten Standort bezogen sind und nicht etwa auf
einer grundsätzlichen Ablehnung von Windkraftvorhaben beruht. Das wird insbesondere
dadurch deutlich, dass er die ornithologische Bedeutung des Vorhabenstandorts im
Vergleich zu dem im Verfahren 8 A 2696/06 begutachteten Standort geringer einschätzt
und offen gelassen hat, ob allein die vorhandene Windkraftanlage des Klägers schon zu
einer erheblichen Beeinträchtigung des Flugkorridors zwischen Bad Sassendorf und
Soest führt.
153
Die Plausibilität des von Dr. Z. erstatteten Gutachtens steht auch deshalb nicht in Frage,
weil die von ihm zugrunde gelegten Annahmen in weiten Teilen von Dr. M. geteilt
werden. Das gilt insbesondere dafür, dass es sich bei dem betreffenden
Landschaftsraum um einen regelmäßig beflogenen Verbindungskorridor und ein
Jagdgebiet der Wiesenweihe handelt und dass Wiesenweihen in Bezug auf
Windkraftanlagen durchaus ein gewisses Meidungsverhalten zeigen. Bei den von Dr. M.
mitgeteilten Beobachtungen von Wiesenweihen, die in der Nähe von Windkraftanlagen
brüten und jagen, handelt es sich um nicht ohne weiteres verallgemeinerungsfähige
Einzelfälle, die zum Teil - wie in der mündlichen Verhandlung von Dr. Z. am Beispiel
einer am 9. August 2007 gefundenen Brut erläutert - auf besonderen Umständen, hier:
einer Ersatzbrut, beruhen dürften. Dass Windkraftanlagen bei Wiesenweihen
grundsätzlich ein Meideverhalten auslösen, das im konkreten Fall die Habitatfunktion
des Bereichs zwischen Soest und Bad Sassendorf beeinträchtigen kann, stellt auch Dr.
M. nicht in Frage.
154
Die im Ergebnis unterschiedlichen Auffassungen der in der mündlichen Verhandlung
angehörten Gutachter beruhen danach nicht auf divergierenden Annahmen hinsichtlich
der Lebensgewohnheiten der Wiesenweihe im Allgemeinen oder hinsichtlich der
Habitatfunktion des konkret in den Blick zu nehmenden Vorhabenbereichs, sondern auf
einer abweichenden naturschutzfachlichen Bewertung der Erheblichkeit der
eintretenden Beeinträchtigung. Dabei sind sich die Gutachter darüber einig, dass
belastbare wissenschaftliche Daten über das Meideverhalten im Flug und über das
155
Vogelschlagrisiko in Bezug auf die Wiesenweihe bislang nicht vorliegen. Dr. M. ist in
seinem im Verfahren 8 A 2696/06 vorgelegten Gutachten vom Januar 2005 (S. 22)
allerdings selbst davon ausgegangen, dass der Umstand, dass die Weisenweihe eine
sogenannte Offenlandart ist, generell eher für ein ausgeprägtes Meideverhalten spricht.
In Bezug auf das Schlagrisiko bei Greifvögeln sind weiter führende Erkenntnisse erst
zukünftig nach Abschluss eines kürzlich begonnenen, voraussichtlich bis 2009
dauernden und insbesondere das Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" einbeziehenden
Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zu erwarten, auf das der Kläger hingewiesen und über das Dr. Z. in
der mündlichen Verhandlung ergänzend berichtet hat. Dass das zuständige Ministerium
insoweit offenkundig einen Forschungsbedarf sieht, der die Durchführung einer solchen
Untersuchung rechtfertigt, legt jedenfalls nahe, dass ein erhebliches Vogelschlagrisiko
bei Greifvögeln aufgrund des bisherigen Erkenntnisstands gerade nicht von vornherein
auszuschließen ist.
Auf der Grundlage des derzeitigen Forschungsstands bestehen danach ernst zu
nehmende, nicht lediglich ins Blaue hinein geäußerte Zweifel an der Verträglichkeit des
streitbefangenen Vorhabens mit dem Schutz der Wiesenweihe. Mit der Errichtung und
dem Betrieb der Windkraftanlage ist die reale Gefahr einer zumindest teilweisen
Beeinträchtigung der ökologischen Funktion des Korridors zwischen Soest und Bad
Sassendorf als Flug- und Jagdgebiet verbunden; zudem besteht ein nicht näher
quantifizierbares Vogelschlagrisiko. Diese Zweifel an der Verträglichkeit des Vorhabens
hat der Kläger durch den von ihm beauftragten Gutachter Dr. M. und die schriftliche
Stellungnahme des Ingenieurbüros T. nicht ausgeräumt. Deren prognostische
Einschätzung, dass die Windkraftanlage nur ein geringfügiges zusätzliches
Meideverhalten auslösen wird, das die Funktion des Landschaftsraums nicht erheblich
beeinträchtigt, und dass das Kollisionsrisiko gering sei, ist nicht in einer Weise
wissenschaftlich abgesichert, die vernünftige Zweifel an der von Dr. Z. in
Übereinstimmung mit der Unteren Landschaftsbehörde nachvollziehbar begründeten
Besorgnis ausräumen könnten.
156
Es besteht kein Anlass, dem Kläger Gelegenheit zu geben, zu den Ausführungen des
Sachverständigen Dr. Z. - wie in der mündlichen Verhandlung beantragt - ergänzend
schriftlich Stellung zu nehmen. Die Einräumung einer Schriftsatzfrist ist gemäß § 173
VwGO in Verbindung mit § 283 Satz 1 ZPO analog geboten, wenn in der mündlichen
Verhandlung - sei es vom Gegner, sei es vom Gericht - Gesichtspunkte tatsächlicher
oder rechtlicher Art angesprochen werden, mit denen ein Beteiligter nach dem
bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte und deren sofortige
Beurteilung ihm nicht ohne weiteres möglich ist.
157
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. September 2000 - 7 B 87.00 -, Buchholz 428 § 4 Abs.
1 VermG Nr. 4, und vom 16. Juli 2007 - 4 B 71.06 -, juris Rn. 62.
158
Das ist hier nicht der Fall. Die vom Kläger zur Begründung seines Antrags auf
Schriftsatznachlass angeführten Aspekte - Bedeutung des Vorhabenstandorts als
Funktionsraum und Gefährdung von Wiesenweihen durch die Errichtung von
Windkraftanlagen - waren bereits Inhalt der schriftlichen Ausführungen des
Sachverständigen Dr. Z. vom 16. November 2007, die ihm über seine
Prozessbevollmächtigten rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin übersandt worden
sind und zu denen der Kläger, unterstützt durch seine Sachbeistände, noch vor dem
Termin schriftlich Stellung genommen hat. Der Kläger ist dem diesbezüglichen in der
159
mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis des Sachverständigen, dass und an
welcher Stelle seiner schriftlichen Stellungnahme er sich zu den angesprochenen
Gesichtspunkten bereits geäußert, insbesondere den Begriff des Funktionsraums
verwendet hat, nicht entgegengetreten. Auch auf Nachfrage des Vorsitzenden hat der
Kläger keine Gesichtspunkte benannt, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren, ohne zuvor schon schriftlich angesprochen worden zu sein.
Nach dem vorstehend dargelegten Ergebnis der Beweisaufnahme bestand kein Anlass,
den hilfsweise gestellten, die FFH-Verträglichkeit des Vorhabens betreffenden
Beweisanträgen zu 1. bis 5. zu entsprechen.
160
Die Hilfsbeweisanträge betreffen zum Teil Aspekte, auf die es nach den vorstehenden
Ausführungen im Ergebnis nicht ankommt. Dies gilt zunächst für die Frage einer
möglichen Beeinträchtigung der Rohrweihe, des Rotmilans, des Wachtelkönigs oder
des Kiebitzes, da sich die Unverträglichkeit des streitigen Vorhabens mit den
Schutzzwecken des Vogelschutzgebiets schon allein aus einer etwaigen
Beeinträchtigung der Wiesenweihe ergibt. Nicht entscheidungserheblich ist auch die
Frage, ob der Vorhabenstandort innerhalb eines traditionellen Brutgebiets der
Wiesenweihe liegt, weil die naturschutzfachliche Bewertung maßgeblich darauf abstellt,
dass eine Beeinträchtigung der Funktion als Jagd- und Fluggebiet für die Wiesenweihe
nicht auszuschließen ist.
161
Für die Beantwortung der mit den Hilfsbeweisanträgen zu 1. bis 5. im Übrigen
aufgeworfenen Fragen,
162
- ob der Vorhabenstandort innerhalb eines regelmäßig genutzten Flugkorridors der
Wiesenweihe liegt (Hilfsbeweisantrag zu 1.),
163
- ob die Errichtung der streitgegenständlichen Anlage zur Aufgabe eines lokalen
Vorkommens oder Reviers der Wiesenweihe führt oder eine Beeinträchtigung einer
funktionalen Lebensraumbeziehung für die Wiesenweihe zur Folge hat
(Hilfsbeweisantrag zu 2.),
164
- ob die Errichtung der streitgegenständlichen Anlage zu einer Barrierewirkung oder zu
einem Kollisionsrisiko für die Wiesenweihe führt (Hilfsbeweisantrag zu 3.),
165
- ob unterstellte Einzelkollisionen mit der streitgegenständlichen Anlage
populationsrelevante Auswirkungen auf die Wiesenweihe haben (Hilfsbeweisantrag zu
4.) und
166
- ob ein günstiger Erhaltungszustand sowie ein günstiges Entwicklungspotential der
Wiesenweihe innerhalb des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" besteht
(Hilfsbeweisantrag zu 5.),
167
bedarf es nicht der vom Kläger beantragten Einholung eines avifaunistischen
Sachverständigengutachtens.
168
Die vom Senat nach den oben dargelegten rechtlichen Maßstäben zu beurteilende
Frage, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzzwecks des Europäischen
Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen
sind, erfordert keine Sachverhaltsfeststellungen, mit denen Meinungsverschiedenheiten
169
zwischen den bisherigen Gutachten überwunden und die wissenschaftlichen
Streitfragen einer letztendlichen Klärung zugeführt würden. Es reicht vielmehr aus, dass
vernünftige Zweifel an dem günstigen Erhaltungszustand der Wiesenweihe bestehen.
Solche Zweifel sind - wie oben dargelegt - durch den Sachverständigen Dr. Z. sowie die
von Seiten der Unteren Landschaftsbehörde abgegebenen schriftlichen
Stellungnahmen in nachvollziehbarer, methodisch nicht zu beanstandender und
unwiderlegter Weise vorgetragen worden.
Der beantragten Einholung eines weiteren avifaunistischen
Sachverständigengutachtens bedarf es nicht, weil die im Verfahren bereits gewonnenen
Ermittlungsergebnisse eine hinreichende Grundlage für die rechtliche Beurteilung des
Falles bilden. Der Sachverständige Dr. Z. hat in der mündlichen Verhandlung zu den
entscheidungserheblichen Fragen umfassend Stellung genommen. In diesem
mündlichen Gutachten
170
- zum Begriff des Gutachtens vgl. Damrau, in: Münchener Kommentar zur
Zivilprozessordnung, Band 2, 2. Aufl., 2000, § 402 Rn. 2 und § 411 Rn. 3 -
171
hat er sich seine zuvor bereits auf Anfrage des Senats abgegebene fachliche
Stellungnahme in seiner Eigenschaft als gerichtlicher Sachverständiger zu Eigen
gemacht und diese ergänzend erläutert.
172
Die Entscheidung darüber, ob ein - weiteres - Gutachten eingeholt werden soll, steht im
Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im pflichtgemäßen
Ermessen des Gerichts. Reicht ein bereits eingereichtes Gutachten aus, um das Gericht
in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen Fragen sachkundig beurteilen
zu können, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens oder "Obergutachtens" weder
notwendig noch veranlasst.
173
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 9 B 381.98 -, DVBl. 1999, 1206, und
Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71, 38.
174
In Anlehnung an § 244 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO bedarf es der Einholung eines
weiteren Gutachtens hingegen dann, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters
zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen
ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn ein neuer
Sachverständiger über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters
überlegen erscheinen. Entsprechendes gilt, wenn die Schlussfolgerungen des ersten
Gutachters schlüssig in Frage gestellt worden sind.
175
Vgl. Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., 2006, § 86 Rn. 107, m.w.N.
176
Anhaltspunkte dafür sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Sachkunde des
Gutachters Dr. Z. steht - ebenso wie die des von der Klägerseite hinzugezogenen Dr. M.
- nicht in Frage. Es deutet auch nichts darauf hin, dass das Gutachten des Dr. Z. auf
unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht. Das gilt insbesondere hinsichtlich der
mit dem Hilfsbeweisantrag zu 1. in Frage gestellten Feststellung, dass der
Vorhabenstandort in einem regelmäßig genutzten Flugkorridor der Wiesenweihe liege.
Gerade diese Sachverhaltsannahme hat Dr. M. in seiner zu dem streitbefangenen
Vorhaben durchgeführten FFH-Verträglichkeitsprüfung vom Januar 2007 (S. 21)
ausdrücklich bestätigt. Dem Vorbringen des Klägers sind keine Hinweise darauf zu
177
entnehmen, dass die Einholung eines weiteren Gutachtens geeignet sein könnte, die
von Dr. Z. nachvollziehbar aufgezeigten Zweifel an der FFH-Verträglichkeit des
Vorhabens auszuräumen. Es ist nicht erkennbar, dass ein weiterer Sachverständiger
wesentliche neue Erkenntnisse beitragen oder unter Anwendung anderer oder neuerer
Methoden zu anderen Ergebnissen gelangen würde. Denn die prognostische
Unsicherheit, die bei im Wesentlichen übereinstimmenden Sachverhaltsannahmen
Ursache für die im Ergebnis unterschiedlichen Bewertungen ist, beruht - wie ausgeführt
- darauf, dass sowohl das Meideverhalten als auch das Vogelschlagrisiko bislang nicht
hinreichend wissenschaftlich erforscht sind. Erkenntnisse, die über den bisherigen
Forschungsstand hinausgehen, stünden aber auch einem anderen Gutachter nicht zur
Verfügung. Die Beweisanträge zielen mithin lediglich auf eine abweichende
prognostische Bewertung des Gefahrenpotentials, die aber - solange sie nicht
hinreichend wissenschaftlich abgesichert ist - zur Führung des hier erforderlichen
Gegenbeweises nicht ausreicht.
Lassen sich danach die beschriebenen Auswirkungen auf die Wiesenweihe nicht mit
der erforderlichen Gewissheit ausschließen, liegt eine im Sinne von § 48 c Abs. 5 Satz 4
Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW erhebliche Beeinträchtigung vor, da - wie oben bereits
ausgeführt - jede nachteilige Auswirkung auf den Erhaltungszustand als im Sinne dieser
Norm erheblich zu qualifizieren ist. Eine ungünstige Entwicklung von Erhalt und
Verbreitung dieser Art schon infolge der beschriebenen Funktionseinbuße des
Vorhabenbereichs ist demnach zu besorgen.
178
Dabei verkennt der Senat nicht, dass Wiesenweihen - worauf der Kläger und Dr. M.
hingewiesen haben - insbesondere auf dem Zug im Überwinterungsgebiet erheblich
größeren Risiken ausgesetzt sein mögen und dass andere Maßnahmen, wie etwa die
Förderung von Brachflächen und der Anbau von Wintergerste, der bedrohten Vogelart
größeren Nutzen bringen können als der Verzicht auf die streitbefangene
Windkraftanlage. Diese von der Klägerseite angeführten Erwägungen sind jedoch bei
der hier vorzunehmenden FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht erheblich. Entscheidend ist
vielmehr, ob sich die Lebensbedingungen der Wiesenweihe im Vogelschutzgebiet
durch die Errichtung der Anlage im Vergleich zu den Lebensbedingungen ohne die
geplante Anlage voraussichtlich verschlechtern. Das ist hier auch unter
Berücksichtigung der Bereitschaft des Klägers zur Vornahme von
Ausgleichsmaßnahmen der Fall. Etwaige Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stellen
könnten die Lebensraumqualität dort zwar verbessern, die Beeinträchtigung des
Vorhabengebiets mit den Folgewirkungen auf den Korridor zwischen Soest und Bad
Sassendorf aber nicht ausschließen. Entsprechendes gilt für sonstige begleitende
Maßnahmen, wie etwa ein Monitoring, da dieses selbst keinen Schutz gegen die von
der geplanten Anlage ausgehenden Gefahren bietet.
179
Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben nach § 48 d Abs. 5 LG NRW zugelassen
werden könnte, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
180
III. Die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung kann darüber hinaus auch
deshalb nicht erteilt werden, weil die ordnungsbehördliche Sicherstellungsverordnung
vom 8. Dezember 2004 dem Vorhaben entgegensteht. Wie schon das
Verwaltungsgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 14. Dezember 2005 - 1 K 985/04 -
zutreffend ausgeführt hat, ist die Sicherstellungsverordnung wirksam (dazu 1.). Die
beabsichtigte Errichtung einer Windkraftanlage verstößt gegen das im sichergestellten
Landschaftsschutzgebiet geltende Bauverbot und kann auch nicht im Wege der
181
Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden (dazu 2.).
1. Rechtsgrundlage für den Erlass der Sicherstellungsverordnung ist § 42 e Abs. 1 LG
NRW. Nach dieser Vorschrift, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist,
182
vgl. VerfGH NRW, Urteil vom 30. Oktober 1987 - 19/86 -, OVGE 39, 303,
183
kann die Beklagte als Höhere Landschaftsbehörde (§ 8 Abs. 1 Satz 2 LG NRW) Teile
von Natur und Landschaft, deren Schutz nach §§ 19 bis 23 oder nach § 42 a LG NRW
beabsichtigt ist, für höchstens vier Jahre einstweilig sicherstellen.
184
a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 42 e LG NRW i.V.m. § 21 LG NRW
liegen vor. Die einstweilige Sicherstellung hat lediglich vorläufigen Charakter. Sie
ermöglicht eine spätere Unterschutzstellung, indem sie das Gebiet vor nachteiligen
Veränderungen während des Verfahrens der Unterschutzstellung bewahrt. Dabei kann
und soll die einstweilige Sicherstellung die Formulierung und Konkretisierung der
Schutzkriterien nicht vorwegnehmen. Ihr Ziel beschränkt sich im Wesentlichen auf die
effektive Erhaltung des status quo.
185
Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 -, a.a.O., juris Rn. 34.
186
Ausgehend von dieser einer bauplanungsrechtlichen Veränderungssperre gleichenden
Funktion der Sicherstellung setzt diese nicht voraus, dass die Voraussetzungen für die
dauerhafte Unterschutzstellung, insbesondere die Schutzbedürftigkeit des betreffenden
Landschaftsteils und die Erforderlichkeit seiner Unterschutzstellung unter den in § 1
SiVO 2004 genannten Aspekten - Erhaltung oder Wiederherstellung der
Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, Vielfalt, Eigenart oder Schönheit des
Landschaftsbilds und besondere Bedeutung des Gebiets für die Erholung - bereits
feststehen. Der Erlass einer Sicherstellungsverordnung erfordert noch keine
abschließende Prüfung der Schutzwürdigkeit des betroffenen Landschaftsteils nach
Maßgabe von § 21 LG NRW. Es reicht aus, dass der sichergestellte Bereich nach dem
Ergebnis einer überschlägigen fachlichen Bewertung für eine Unterschutzstellung in
Betracht kommt.
187
Vgl. OVG Saarl., Urteil vom 9. Dezember 2005 - 3 N 1/05 -, NVwZ-RR 2007, 17; OVG
Meck.-P., Urteil vom 18. Juli 2001 - 4 K 15/00 -, NordÖR 2001, 408; Stollmann,
Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen, Stand: August 2005, § 42 e Anm. 2.1; noch
weiter gehend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11. April 2003 - 5 S 2299/01 -, NuR 2003,
627, wonach eine Sicherstellungsverordnung erst dann fehlerhaft ist, wenn dem Bereich
offensichtlich jede Schutzwürdigkeit fehlt.
188
Dabei bedarf es im Übrigen auch keiner allzu strengen Abgrenzung des unter Schutz
gestellten Gebiets. Pufferzonen können vorsorglich miteinbezogen werden.
189
Vgl. Stollmann, a.a.O., § 42 e Anm. 2.1.
190
Dies zugrunde gelegt bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass in dem
Bereich zwischen Soest und Bad Sassendorf ein Landschaftsschutzgebiet einstweilig
sichergestellt worden ist und dass das Gebiet wie geschehen zugeschnitten worden ist.
191
Ob die Sicherstellung ursprünglich auch der Erhaltung des Europäischen
192
Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" diente (vgl. § 1 Satz 2 Spiegelstrich 1 SiVO 2004),
kann dahin stehen. Darauf kommt es nach Inkrafttreten des § 48 c Abs. 5 LG NRW am
31. März 2005 nicht mehr an. Seitdem das im Ministerialblatt des Landes Nordrhein-
Westfalen bekannt gemachte Europäische Vogelschutzgebiet aufgrund dieser
Regelung mit den dort genannten Gebietsabgrenzungen und den dort genannten
gebietsspezifischen Schutzzwecken kraft Gesetzes einen endgültigen Schutzstatus
erhalten hat, ist die einstweilige landschaftsrechtliche Sicherstellung insoweit obsolet
geworden. Anhaltspunkte dafür, dass der Bereich Lebensraum anderer
schützenswerter, nicht dem Regime der Vogelschutzrichtlinie unterliegender Tierarten
ist, sind nicht ersichtlich.
Der ausweislich § 1 Satz 2 Spiegelstrich 2 SiVO 2004 darüber hinaus beabsichtigte
Schutz des Landschaftsbilds rechtfertigt weiterhin die Geltung der einstweiligen
Sicherstellung. Dem Landschaftsbild ist bei überschlägiger Prüfung eine
Schutzwürdigkeit nicht abzusprechen. Das belegen die vom Verwaltungsgericht im
Verfahren 1 K 985/04 aufgenommenen Lichtbilder. Darüber hinaus ist das Gebiet dem
Senatsvorsitzenden und der Berichterstatterin - worauf die Beteiligten in der mündlichen
Verhandlung (nochmals) hingewiesen worden sind - aufgrund eines in einem
Parallelverfahren in Bad Sassendorf durchgeführten Ortstermins persönlich bekannt.
Danach ist gerichtsbekannt, dass der Bereich zwischen Bad Sassendorf und Soest -
abgesehen von den in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung verlaufenden Straßen und
der vorhandenen Windkraftanlage - weitgehend unbelastet und nicht zuletzt wegen der
möglichen Blickbeziehungen zu den genannten Städten reizvoll ist, zumal beide über
ansprechende Ortsbilder verfügen. Es befinden sich in diesem Bereich insbesondere
keine Hochspannungsleitungen, die das Landschaftsbild beeinträchtigen könnten. Die
Straßen einschließlich des Damms, auf dem die B 475 n verläuft, sind durch Bewuchs
weitestgehend verdeckt, so dass man sie eher akustisch als optisch wahrnimmt.
Entsprechendes gilt für die Bahnlinie und das vom Kläger angeführte Gewerbegebiet.
Von einer gewerblichen Prägung kann keine Rede sein. Demzufolge bieten die
tatsächlichen Verhältnisse auch keinen Anlass für die Annahme, die
Schutzgebietsausweisung könne funktionslos geworden sein. Das gilt auch für die -
ohnehin vor der einstweiligen Sicherstellung erfolgte - Verlegung der T. , da diese für
die Schutzwürdigkeit des Bereichs von eher untergeordneter Bedeutung sein dürfte. Bei
dieser Sachlage stellt die vorhandene Windkraftanlage zwar eine Vorbelastung dar; sie
steht aber der Einschätzung, dass es sich hier mit einiger Wahrscheinlichkeit um einen
schutzwürdigen Landschaftsraum handelt, nicht entgegen.
193
Ferner spricht bei überschlägiger Prüfung Einiges für die Annahme, dass sich das
Gebiet, wie das Verwaltungsgericht im Verfahren 1 K 985/04 ausgeführt hat, für
Erholungszwecke (vgl. § 1 Satz 2 Spiegelstrich 3 SiVO 2004) eignet. Der Bereich
befindet sich in der Nähe von zwei städtischen Verdichtungsräumen. Er ist durch Wege
in einer Weise erschlossen, die eine Nutzung durch Spaziergänger, Läufer oder auch
Radfahrer zulässt und unter Berücksichtigung seiner ästhetischen Eigenschaften nahe
legt. Ob die Erholungsfunktion mit Blick auf die aktuellen Verhältnisse in den beiden
Gemeinden, etwa mit Blick auf die Veränderungen im Kurbereich, ausreichend
ausgeprägt ist, ist nicht im Rahmen der Sicherstellungsverordnung, sondern im Rahmen
der endgültigen Schutzgebietsausweisung abzuwägen.
194
Der mit dem Hilfsbeweisantrag zu 7. beantragten Augenscheinseinnahme durch das
Gericht bedarf es zur Feststellung der Schutzwürdigkeit des Bereichs nicht. Entgegen
der dem Beweisantrag zugrunde liegenden Annahme kommt es hier nicht darauf an, ob
195
es sich bei dem Vorhabenbereich und dessen Umgebung "um einen landschaftlich
besonders schützenswerten Bereich" handelt. Wie bereits ausgeführt reicht es aus, dass
eine Schutzwürdigkeit bei überschlägiger Prüfung in Betracht kommt. Auch soweit der
Hilfsbeweisantrag dahin zu verstehen sein sollte, dass er nicht auf die abschließende
Beurteilung der Schutzwürdigkeit, sondern lediglich auf das Ergebnis einer
überschlägigen Prüfung zielt, ist die beantragte Augenscheinseinnahme, über die nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (vgl. § 244 Abs. 5 Satz 1 StPO), nicht
erforderlich, um die Schutzwürdigkeit des hier in Rede stehenden Landschaftsraums
gemessen an den vorstehend genannten, auf eine überschlägige Prüfung beschränkten
Maßstäben hinreichend beurteilen zu können. Schon die vorhandenen Lichtbilder aus
dem Ortstermin des Verwaltungsgerichts sind hinreichend aussagekräftig. Unabhängig
davon ist der Vorhabenbereich aufgrund eigener Ortskenntnis von zwei
Senatsmitgliedern, die ihre Eindrücke den weiteren an der Entscheidung beteiligten
Richtern vermittelt haben, gerichtsbekannt. Der Kläger hat im Rahmen der Erörterung
der Sach- und Rechtslage nicht auf Umstände hingewiesen, die für die Beurteilung von
Bedeutung sein könnten, bislang aber übersehen worden oder nicht hinreichend in ihrer
Bedeutung zu erkennen gewesen wären. Sofern sich die mit dem Hilfsbeweisantrag zu
7. beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens auch auf die
Schutzwürdigkeit des Vorhabensbereichs beziehen sollte, ist diesem Antrag nicht zu
entsprechen, weil der - im Übrigen auch für Verfahren aus dem Bereich des Natur- und
Landschaftsschutzrechts zuständige - Senat die Schutzwürdigkeit eines
Landschaftsraums unter den Aspekten des Landschaftsbilds und der Erholungsfunktion
aufgrund eigener Sachkunde beurteilen kann. Es ist nicht ersichtlich, dass dazu
Kenntnisse oder Fähigkeiten erforderlich wären, über die der Senat nicht selbst verfügt.
Hinzu kommt hier, dass es für die einstweilige Sicherstellung ohnehin nur einer
überschlägigen Prüfung bedarf.
b) Die Regelungen der Sicherstellungsverordnung überschreiten den
Ermächtigungsrahmen des § 42 e LG NRW nicht deshalb, weil der Bereich schon zuvor
unter Schutz gestanden hat. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der
Rückgriff auf diese Ermächtigungsgrundlage ausgeschlossen sein könnte, wenn die
Sicherstellung - wie hier - nach Ablauf der zeitlich befristeten Geltungsdauer einer
Landschaftsschutzverordnung der Überbrückung des Zeitraums bis zum Erlass eines
Landschaftsplans dient.
196
Zu Unrecht rügt der Kläger, die Sicherstellungsverordnung gehe deshalb über den
Ermächtigungsrahmen des § 42 e LG NRW hinaus, weil der Katalog der Verbote in § 2
Abs. 1 SiVO 2004 gegenüber der früheren Landschaftsschutzverordnung aus dem Jahr
1984 um zwei Ziffern ergänzt worden ist. Auf die Regelungen der früheren
Landschaftsschutzverordnung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Gemäß §
42 e Abs. 1 Satz 2 LG NRW sind während der Sicherstellung nach Maßgabe der
Sicherstellungsanordnung alle Handlungen verboten, die geeignet sind, den
Schutzgegenstand nachteilig zu verändern. Es ist mithin nicht zulässig, dem
sichergestellten Bereich - befristet - den umfassenden Schutz einer verbindlichen
Schutzgebietsausweisung zu verleihen. Daher deckt die Ermächtigung des § 42 e Abs.
1 LG NRW - nicht zuletzt zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen betroffener
Eigentümer - nur das Verbot von Handlungen, die die beabsichtigte Festsetzung
verhindern oder erschweren, nicht aber Handlungsgebote, wie sie etwa in einem
festgesetzten Naturschutzgebiet zur Entwicklung, Herstellung oder Wiederherstellung
von Lebensgemeinschaften oder Lebensstätten zulässig sind (vgl. § 20 Satz 2 LG
NRW).
197
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Oktober 1997 - 7 A 123/94 -, juris Rn. 54 ff.
198
Die in § 2 SiVO 2004 im Einzelnen aufgeführten Verbote sind mit diesen rechtlichen
Vorgaben zu vereinbaren. Sie dienen ausschließlich der Verhinderung nachteiliger
Veränderungen des status quo, insbesondere durch Errichtung baulicher oder sonstiger
Anlagen.
199
c) Die Bestimmtheit der SiVO 2004 wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die
parzellenscharfe Gebietsabgrenzung nicht unmittelbar aus der Verordnung und der
dieser beigefügten Karte im Maßstab 1:150.000 ergibt. Gemäß § 42 e Abs. 1 Satz 4 LG
NRW i.V.m. § 42 d Abs. 1 Satz 1 LG NRW ist die Abgrenzung geschützter Flächen in
der ordnungsbehördlichen Verordnung entweder
200
zu beschreiben, wenn sie sich mit Worten zweifelsfrei erfassen lässt, oder
201
grob zu beschreiben oder zu bezeichnen und in Karten darzustellen, die einen
Bestandteil der Verordnung bilden, oder
202
grob zu beschreiben oder zu bezeichnen und in Karten darzustellen, die bei der
erlassenden Landschaftsbehörde oder bei der Gemeinde eingesehen werden können;
die betreffende Gemeinde ist in der Verordnung zu benennen.
203
§ 42 d Abs. 1 LG NRW entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das
Bundesverwaltungsgericht aus dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Gebot der
Normenklarheit hergeleitet hat. Danach muss eine Landschaftsschutzverordnung die
Abgrenzung eines Schutzgebiets entweder in ihrem Wortlaut umreißen, wenn es sich
mit Worten erfassen lässt, oder durch eine als Anlage im Verkündungsblatt
beigegebene Landkarte genau ersichtlich machen oder bei bloß grober Umschreibung
im Wortlaut durch Verweisung auf eine an einer genau zu benennenden Amtsstelle
niedergelegte und dort in den Dienststunden für jedermann einsehbare Landkarte,
deren archivmäßige Verwahrung zu sichern ist, angeben.
204
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1967 - 4 C 105.65 -, BVerwGE 26, 129, Beschluss
vom 24. Mai 1995 - 4 NB 37.94 -, NuR 1995, 456, und Urteil vom 31. Januar 2001 - 6 CN
2.00 -, BVerwGE 112, 373, juris Rn. 9.
205
Die Gebietsabgrenzung in § 1 SiVO 2004 genügt den genannten
verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Anforderungen. Die hier von der
Beklagten gewählte Form der Gebietsabgrenzung steht mit § 42 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c
LG NRW im Einklang. Die Kombination aus einer stichwortartigen Bezeichnung des
betroffenen Gebiets und einer im Amtsblatt veröffentlichten Übersichtskarte mit einer
sogenannten Ersatzbekanntmachung durch Verweis auf die bei der Bezirksregierung
einsehbaren Landschaftsschutzkarte trägt dem Umstand Rechnung, dass eine verbale
Beschreibung eines Schutzgebiets, das einen besonders großen Bereich erfasst, etwa
den gesamten Außenbereich eines Kreises, die Verordnung unübersichtlich machen
und damit eine verlässliche Kenntnisnahme vom Inhalt und Geltungsumfang sogar eher
erschweren würde.
206
Vgl. Schink, Naturschutz- und Landschaftspflegerecht Nordrhein-Westfalen, 1989, Rn.
678.
207
Dahinstehen kann, ob allein der räumliche Bezug zum Kreis Soest schon als
ausreichende, grobe Beschreibung angesehen werden kann, weil bereits dadurch
deutlich wird, welchen Teil des Regierungsbezirks die Verordnung betrifft.
208
Zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines Bebauungsplans, die vermitteln muss,
in welchem Teil der Gemeinde neues Baurecht gilt, vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August
2000 - 4 CN 2.99 -, NVwZ 2001, 203.
209
Die Gebietsabgrenzung ist jedenfalls durch die die Bezeichnung des Kreises
ergänzende, zugleich im Amtsblatt veröffentlichte Karte im Maßstab 1:150.000
hinreichend bezeichnet. Eine Bezeichnung i.S.d. § 42 d Abs. 1 Satz 1 Buchst. c LG
NRW muss, anders als die in § 42 d Abs. 1 Satz 1 Buchst. a LG NRW genannte
Beschreibung, nicht notwendig durch Worte erfolgen. Auch eine Übersichtskarte groben
Maßstabs kann eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende grobe
Umschreibung im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sein.
210
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2001 - 6 CN 2.00 -, a.a.O.
211
Im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit ist erforderlich, aber auch
ausreichend, dass der Normadressat anhand dieser in die Verordnung aufgenommenen
Karte beurteilen kann, ob er möglicherweise von der Regelung betroffen ist, d.h. ob es
geboten ist, sich durch Einsichtnahme in die bei der erlassenden Landschaftsbehörde
einsehbare genauere, möglichst, aber - wie aus § 42 d Abs. 1 Satz 2 LG NRW folgt -
nicht notwendig parzellenscharfe Karte kleineren Maßstabs nähere Informationen über
den konkreten Grenzverlauf zu verschaffen. Dieser Funktion wird die Übersichtskarte im
Maßstab 1:150.000 gerecht.
212
2. Die Errichtung der geplanten Windkraftanlage ist in dem einstweilig sichergestellten
Landschaftsschutzgebiet unzulässig.
213
a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. SiVO 2004 ist die Errichtung baulicher Anlagen in den
sichergestellten Landschaftsschutzgebieten untersagt.
214
Das Vorbringen des Klägers, der Standort liege nicht innerhalb, sondern außerhalb des
Landschaftsschutzgebiets, trifft nicht zu. Der Kläger kann sich insbesondere nicht auf §§
42 e Abs. 1 Satz 4 i.V.m. 42 d Abs. 1 Satz 3 LG NRW berufen, wonach ein Grundstück
im Zweifelsfall als nicht betroffen gilt, wenn seine Zugehörigkeit zu der geschützten
Fläche nicht hinreichend klar zu erkennen ist. Nach dem im
Baugenehmigungsverfahren vom Kläger eingereichten Lageplan (Maßstab 1:1.000)
beträgt der Abstand der geplanten Windkraftanlage (gemessen vom Mittelpunkt des ca.
9 m breiten Turms) zur westlichen Flurstücksgrenze etwa 83 m, nach der Eintragung der
ebenfalls im Baugenehmigungsverfahren vom Kläger eingereichten Deutschen
Grundkarte (Maßstab 1:5.000) etwa 75 m. Ausweislich der von der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten Landschaftskarte im Maßstab
1:25.000 verläuft die Grenze des Schutzgebiets im mittleren Bereich, in dem die Anlage
errichtet werden soll, in einer Entfernung von mindestens 110 m zu der westlichen
Flurstücksgrenze. Danach liegt der Standort eindeutig innerhalb des Schutzgebiets.
215
Der mit dem Hilfsbeweisantrag zu 6. beantragten Einholung eines Gutachtens eines
216
öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs zu der Frage, ob sich der geplante Standort
innerhalb oder außerhalb des Landschaftsschutzgebiets befindet, bedarf es nicht. Der
Senat kann die Feststellung, dass der Standort innerhalb des Schutzgebiets liegt,
aufgrund eigener Sachkunde treffen. Diese Feststellung ist anhand des zur Verfügung
stehenden Kartenmaterials unter Benutzung eines Lineals mit Hilfe einfacher
Rechenoperationen möglich. Dabei ist der Abstand des Vorhabenstandorts von der
Grenze des Landschaftsschutzgebiets so groß, dass selbst etwaige
Messungenauigkeiten im Ergebnis unerheblich wären.
Dass die Grenze des sichergestellten Landschaftsschutzgebiets hier nicht mit einer
Grundstücksgrenze identisch ist, stellt weder die Bestimmtheit der
Schutzgebietsausweisung noch die Betroffenheit des Vorhabenstandorts in Frage.
Gegenteiliges folgt nicht daraus, dass § 42 d Abs. 1 LG NRW in den Sätzen 2 und 3 den
Begriff des Grundstücks verwendet. Daraus ist bei sachgerechter, den Sinn und Zweck
der Schutzgebietsabgrenzung berücksichtigender Auslegung nicht zu schließen, dass
die Grenzen eines Schutzgebiets zwingend vorhandenen Flurstücksgrenzen folgen
müssten bzw. dass ein Grundstück nur ganz, aber nicht teilweise in ein Schutzgebiet
einbezogen sein kann. Da sich die räumliche Abgrenzung eines Schutzgebiets an den
landschaftsrechtlichen Kategorien der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit zu
orientieren hat, sind katastermäßige Flurstücksgrenzen, deren Verlauf nicht notwendig
mit naturräumlichen Gegebenheiten übereinstimmen muss, für die landschaftsrechtliche
Schutzgebietsabgrenzung unerheblich. Ob die hier für die einstweilige Sicherstellung in
Anlehnung an die Landschaftsschutzverordnung aus dem Jahr 1984 gewählte
Gebietsabgrenzung im konkreten Fall landschaftsfachlich zu rechtfertigen ist, muss der
abschließenden Entscheidung über den endgültigen Schutzstatus vorbehalten bleiben.
217
b) Ein Anspruch auf Zulassung einer Ausnahme, über den die Beklagte im Rahmen des
vorliegenden immissionsschutzrechtlichen Verfahrens zu entscheiden hätte (vgl. § 13
BImSchG), steht dem Kläger nicht zu.
218
Die Zulassung einer Ausnahme von den Verboten des § 2 Abs. 1 SiVO 2004 setzt nach
§ 4 Abs. 1 Satz 2 SiVO 2004 voraus, dass die beabsichtigte Handlung mit dem
Schutzzweck nach § 1 SiVO 2004 zu vereinbaren ist. Das ist hier nicht der Fall.
219
Die Errichtung einer Windkraftanlage stellt eine nachteilige Veränderung des
Schutzgebiets dar, die dessen Schutzwürdigkeit mit Blick auf den Schutz sowohl des
Landschaftsbilds als auch der Erholungsfunktion berühren würde. Das Vorhaben würde
der abschließenden Entscheidung über die Schutzgebietsausweisung sowie Art und
Umfang der anzuordnenden Verbote vorgreifen und damit dem Schutzzweck der
einstweiligen Sicherstellung zuwiderlaufen. Es kann nicht angenommen werden, dass
die Errichtung der Anlage für die genannten Schutzzweck ohne nennenswerte negative
Auswirkungen bliebe. In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben,
dass das Landschaftsbild hier durch die in unmittelbarer Nähe des Schutzgebiets
vorhandene - allerdings deutlich kleinere - Windkraftanlage bereits vorbelastet ist, so
dass die Errichtung einer weiteren - erheblich größeren - Anlage die Schutzwürdigkeit
unter beiden genannten Aspekten ernstlich in Frage stellen könnte.
220
Eine Privilegierung seines Vorhabens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 SiVO 2004 in Verbindung
mit § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB macht der Kläger selbst nicht geltend.
221
c) Die Versagung der gemäß § 4 Abs. 2 SiVO 2004 i.V.m. § 69 LG NRW im Ermessen
222
der Beklagten stehenden Befreiung ist rechtmäßig.
Die Befreiung kann nach § 69 Abs. 1 Satz 1 LG NRW erteilt werden, wenn
223
a) die Durchführung der Verbotsvorschrift im Einzelfall
224
aa) zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den
Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu vereinbaren ist, oder
225
bb) zu einer nicht gewollten Beeinträchtigung von Natur und Landschaft führen würde
oder
226
b) überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfor-dern.
227
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen hat die Beklagte, die sich
insoweit die Begründung des vor Umstellung des Klageantrags auf ein
immissionsschutzrechtliches Begehren ergangenen Versagungsbescheids der Unteren
Landschaftsbehörde zu Eigen gemacht hat, im Ergebnis zu Recht verneint. Die Folgen
des Verbots, bauliche Anlagen im Landschaftsschutzgebiet zu errichten, stellen keine
unbeabsichtigte Härte dar, sondern entsprechen vielmehr dem Zweck des Bauverbots.
Jedenfalls ist die Errichtung einer Windkraftanlage hier mit den Belangen der
Landschaftspflege nicht zu vereinbaren.
228
Zu den Anforderungen vgl. OVG NRW, Urteile vom 5. September 2006 - 8 A 1971/04 -,
NWVBl. 2007, 156, und vom 19. Januar 2001 - 8 A 2049/99 -, NVwZ 2001, 1179.
229
Die vorstehenden Ausführungen dazu, dass die Zulassung einer Ausnahme nach § 4
SiVO 2004 mit dem Schutzzweck der Sicherstellungsverordnung nicht zu vereinbaren
wäre, gelten insoweit entsprechend.
230
Überwiegende Gründe des Gemeinwohls sind auch in Ansehung der Ausführungen des
Klägers dazu, dass Windkraftanlagen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, nicht
ersichtlich. Zwar besteht ein durch die Regelungen des Gesetzes über den Vorrang
erneuerbarer Energien (EEG) dokumentiertes Interesse des Gesetzgebers an der
Nutzung der Windkraft; daraus folgt aber nicht, dass überwiegende Gründe die
Errichtung einer Windkraftanlage gerade in diesem landschaftsrechtlich sichergestellten
Bereich erfordern.
231
Darüber, ob die Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme bzw. Erteilung
einer Befreiung gegeben sind, kann der Senat entscheiden, ohne das mit dem
Hilfsbeweisantrag zu 7. beantragte Sachverständigengutachten zur
Landschaftsbildbeeinträchtigung einzuholen. Die unter Beweis gestellte Behauptung,
dass die streitgegenständliche Anlage nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen bzw.
einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, ist in dieser Form bereits nicht
erheblich. Der Hilfsbeweisantrag zielt auf die Voraussetzungen des § 35 Abs. 5 Satz 1
Nr. 5 BauGB, der hier aber, da es sich um einen förmlich unter Schutz gestellten
Landschaftsbereich handelt, von den speziellen Maßstäben der
Sicherstellungsverordnung überlagert wird. Unabhängig davon sind keine Umstände
dafür ersichtlich, die dafür sprechen, dass das Gericht - anders als im Regelfall - die
erforderliche landschaftsrechtliche Bewertung in Bezug auf das geschützte
Landschaftsbild und die Erholungseignung des Gebiets nicht aufgrund eigener
232
Sachkunde treffen können sollte.
B. Aus den vorstehenden Gründen kann auch der auf Erteilung eines
immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids gerichtete Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
Das Vorhaben ist ungeachtet der bauordnungsrechtlichen Abstanderfordernisse und der
Frage der Erschließung nicht genehmigungsfähig.
233
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht der
Billigkeit, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich daher einem eigenen
Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
234
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den
§§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen
nicht vor.
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