Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.05.1999

OVG NRW (widmung, kläger, ausbau, verwaltungsgericht, beitragspflicht, höhe, stadt, breite, fahrbahn, beitragsforderung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 3 A 3506/95
Datum:
19.05.1999
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 A 3506/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 17 K 2911/94
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Die Be- klagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Si-
cherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Nacherhebung eines Er- schließungsbeitrags für sein
Grundstück T. weg 7, Ge- markung H. , Flur 13, Flurstück 863, in C. -Bad H. .
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Gegenstand der Beitragspflicht ist der Straßenzug B. /B. der M. /T. weg . Dieser bildet
die Form eines Hufeisens in der Weise, daß von der Straße G. Weg aus eine rund 140
m lange Wegstrecke mit der Bezeichnung B. bergaufwärts führt, sodann rechtwinklig
eine rund 80 m lange Strecke mit der Bezeichnung B. der M. rechtwinkelig ab- knickt
und schließlich eine rund 150 m lange Strecke mit der Bezeichnung T. weg
rechtwinkelig abknickend bergab- wärts führt und in einem Wendehammer endet. Der
Straßenzug wird erfaßt vom Bebauungsplan 8016-88 aus dem Jahre 1969; die
Grundstücke auf der südlichen Seite der Strecke B. liegen im Bereich des
Bebauungsplans 8016-22 aus dem Jahre 1967.
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Die Wegstrecke B. ist bereits in Katasterkarten und einem Fluchtlinienplan aus dem
Jahre 1894 verzeichnet. Der Grunderwerb für die derzeit ca. 11 m breite Wegefläche
begann in den 30er Jahren und war bis 1950 im wesentlichen abge- schlossen - mit
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Ausnahme der 47 qm großen Parzelle 603, die dem Grundstück Flur 13, Flurstück 604
(B. 2) teil- weise vorgelagert ist; diese wurde aufgrund eines Kaufvertra- ges vom 25.
Oktober 1974 erworben (Umschreibung im Grundbuch am 4. März 1975). Bis Ende der
50er Jahre schloß sich am jet- zigen Ende der Strecke B. eine ca. 85 m lange Ver-
bindungsstrecke zur W. Straße an. Mit Beschluß der Stadt- vertretung Bad H. vom 9.
Dezember 1958 wurden die frü- her festgestellten Fluchtlinien dieser
Verbindungsstrecke ge- mäß § 7 des Straßen- und Baufluchtengesetzes vom 2. Juli
1875/ 18. März 1918 sowie der dort bestehende Feldweg gemäß § 57 des
Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 1883 aufgehoben; gemäß Beschluß der
Stadtvertretung vom 6. März 1959 wurde die Wege- aufhebung in Vollzug gesetzt.
Der Ausbau des Straßenzuges verlief wie folgt: Die Strecke B. wurde, nachdem im
Jahre 1956 bereits ein Misch- wasserkanal verlegt worden war, in den Jahren 1976 bis
1979 ausgebaut. Dabei wurde die bislang vorhandene Fahrbahn ver- breitert und
begradigt, indem die alte bituminöse Fahrbahnbe- festigung (3,10 bis 5,30 Meter breit)
aufgenommen und eine neue bituminöse Fahrbahndecke aufgebracht wurde; außerdem
wur- den im Bereich der bislang unbefestigten Randstreifen (Banket- te und
Böschungen) ein befestigter Gehweg (auf der Nordseite) und ein Schrammbord (auf der
Südseite) sowie Stützmauern ange- legt. Unter dem 9. Juni 1989 erfolgte eine förmliche
Widmung. Der technische Ausbau der Strecke B. der M. (einschließ- lich
Mischwasserkanal) erfolgte zusammen mit dem Ausbau der Strecke B. in den Jahren
1976 bis 1979, derjenige des T. weg (einschließlich Mischwasserkanal) in den Jah- ren
1957 bis 1960 - mit Ausnahme des Ausbaus des Wendeplatzes und der Parkfläche, der
in den Jahren 1983 bis 1985 erfolgte. Der für die Strecken B. der M. und T. weg erfor-
derliche Grunderwerb wurde im wesentlichen bis zum Jahre 1980 getätigt; lediglich das
Flurstück 833 ging auf der Grundlage eines Kaufvertrages vom 18. August 1978 erst
1988 in das Ei- gentum der Stadt C. über. Die Widmung für die Strecken B. der M. und T.
weg erfolgte durch Verfügung der Be- klagten vom 15. Juli 1988.
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Bereits im Juni 1988 führte die Beklagte eine erste erschließungsbeitragsrechtliche
Abrechnung des Straßenzuges B. /B. der M. /T. weg als einheitliche
Erschließungsanlage durch. In diesem Rahmen zog sie den Kläger mit Bescheid vom
21. Juni 1988 auf der Grundlage der Satzung der Stadt C. über die Erhebung von
Erschließungsbeiträgen vom 13. Oktober 1986 (EBS 1986) zur Zahlung eines
Erschließungsbeitrages in Höhe von 21.956,39 DM heran. Der hiergegen gerichtete
Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1988
zurückgewiesen; der Bescheid wurde bestandskräftig.
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Ein anderer Anlieger, der Kläger des jetzigen Parallelverfahrens 3 A 3507/95 (17 K
3211/94 VG Köln) erhob gegen seine damalige Heranziehung Klage. Diese wurde vom
Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 16. August 1990 (7 K 3/89) im wesentlichen
abgewiesen. Das Verwaltungsgericht führte zur Begründung aus: Die Beklagte habe
den Straßenzug zutreffend als einheitliche Erschließungsanlage im Sinne von § 127
Abs. 2 Nr. 1 BauGB angesehen. Der ermittelte Aufwand sei mit Ausnahme der
eingestellten Kapitalkosten beitragsfähig. Insbesondere bestünden keine Bedenken
gegen die Einbeziehung der Vermessungskosten, auch soweit sie durch
Inanspruchnahme eigener Dienstkräfte der Beklagten entstanden seien, weil sie in
vollem Umfang als Kosten gerade der in Rede stehenden Maßnahme konkretisiert
werden könnten.
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In der Folgezeit führte die Beklagte für den Straßenzug ein Nacherhebungsverfahren
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durch. Dabei ermittelte sie als weite- ren beitragsfähigen Gesamtaufwand bislang
unberücksichtigt ge- bliebene Vermessungskosten in Höhe von 13.659,13 DM sowie zu-
sätzliche Kapitalkosten in Höhe von 19.593,36 DM für die Zeit bis zur Entstehung der
sachlichen Beitragspflicht. Darüber hinaus legte sie der Verteilung nicht mehr - wie
zuvor - nur die zur Realisierung der im Bebauungsplan festgesetzten Nut- zung
erforderliche Grundstücksfläche, sondern die gesamte Flä- che der jeweiligen
Anliegergrundstücke zugrunde. Hinsichtlich der beiden letztgenannten Positionen berief
sich die Beklagte auf neuere höchstrichterliche Rechtsprechung. Weiter ging sie -
entgegen ihrer noch in den Widerspruchsbescheiden der Erstveranlagung vertretenen
Auffassung - davon aus, daß das Straßenstück B. nicht als fiktiv gewidmet angesehen
werden könne; die ursprüngliche Verkehrsfläche sei erheblich verbreitert worden, dies
habe die förmliche Widmung vom Juni 1989 erforderlich gemacht. Eine weitere
Änderung im Vergleich zur Erstveranlagung ergab sich daraus, daß die inzwischen in
Kraft getretene Erschließungsbeitragssatzung vom 21. Dezember 1988 (EBS 1988) von
der EBS 1986 abweichende Verteilungskrite- rien vorsah.
B. dieser Grundlage zog die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 7. Dezember 1993
zu einem weiteren Erschließungsbeitrag in Höhe von 3.944,-- DM heran. Den hiergegen
gerichteten Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. März
1994 zurück.
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Der Kläger hat am 18. April 1994 Klage erhoben und im wesentlichen vorgetragen: Die
Beitragsforderung sei verjährt, weil die Beklagte noch im Widerspruchsbescheid des
Erstveranlagungsverfahrens ausdrücklich die unter dem 15. Juni 1988 verfügte
Widmung der Strecken B. der M. und T. weg als Zeitpunkt der Entstehung der
Beitragspflicht angegeben und eine förmliche Widmung der Straße B. als entbehrlich
bezeichnet habe. Die Beitragsforderung sei jedenfalls verwirkt, weil er (der Kläger) mit
Blick auf die Erstveranlagung im Jahre 1988, bei der alle tatsächlich entstandenen
Kosten der Beklagten bekannt gewesen seien, darauf habe vertrauen dürfen, daß es
nicht zu einer weiteren Heranziehung kommen werde. Außerdem sei die Höhe bzw. die
Berechnung der Nachforderung nicht nachvollziehbar oder überprüfbar.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Nacherhebungsbescheid der Beklagten vom 7. Dezember 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. März 1994 aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: Die Beitragsforderung sei nicht verjährt, weil die Beitragspflicht erst
mit der förmlichen Widmung des Straßenteils B. im Jahr 1989 entstanden sei. Dieser
förmlichen Widmung habe es bedurft, weil beim endgültigen Ausbau der Strecke nicht
nur die ursprünglich als Verkehrsfläche genutzte Fläche überbaut, sondern die Straße
u.a. durch Anlage eines bisher nicht vorhandenen Gehwegs verbreitert worden sei.
Diese Teilstrecke habe bis zu ihrem endgültigen Ausbau lediglich aus einer
provisorisch bituminös befestigten Fahrbahn von 3 bis 3,5 Meter Breite ohne Borde,
Rinnsteine und Schrittwege bestanden. Letztere seien erst in den Jahren 1976 bis 1979
angelegt worden. Gleichzeitig sei die Fahrbahn auf eine Breite von 5,50 Meter
ausgebaut worden. Die Unterhaltung der Strecke sei bis 1962 durch die damalige Stadt
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Bad H. und nach deren Eingemeindung durch die Stadt C. erfolgt. Die Nacherhebung
erfolge aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht mehrfach betonten Verpflichtung
der Gemeinden, im Falle vorangegangener zu niedriger Veranlagung den bislang nicht
gedeckten Aufwand geltend zu machen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem angegriffenen Urteil, auf das Bezug
genommen wird, stattgegeben.
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Die Beklagte hat gegen das ihr am 13. April 1995 zugestellte Urteil am 11. Mai 1995
Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Das Verwaltungsgericht gehe von unzutreffenden
Tatsachen aus. Eine nähere Aufschlüsselung der konkreten Einzelpositionen in der
Unternehmerrechnung (Schlußrechnung der Fa. T. GmbH & Co. KG vom 1. Dezember
1978 nebst zugehöriger Massenberechnung und Aufmaßskizze) betreffend die im Jahre
1976 abgetragene, bis dahin vorhandene bituminöse Befestigung der fraglichen
Teilstrecke ergebe Folgendes: Von der Gesamtmasse der Position "bituminöse
Befestigung aufnehmen" von 894,13 qm entfielen (nach Abzug der Flächen der
befestigten Hauseinfahrten und derjenigen im Einmündungsbereich der Straße G. Weg)
auf die Beseitigung der alten Fahrbahndecke 494,79 qm; unter Berücksichtigung einer
Ausbaulänge von 128,62 qm folge daraus, daß die ursprüngliche Fahrbahnbreite der
Wegstrecke B. im Durchschnitt 3,84 m betragen habe. Nach einer zugehörigen
Aufmaßskizze habe die alte Fahrbahnbreite zwischen 3,10 m und 4,50 m geschwankt.
Verglichen mit der jetzigen Ausbaubreite von 11 m bedeutet dies, daß damals lediglich
ein Drittel der jetzigen Fläche ausgebaut gewesen sei. Dies könne nicht als nur
unwesentliche Erweiterung des Teilstücks B. ange- sehen werden und habe eine (neue)
förmliche Widmung erforder- lich gemacht. Außerdem habe das Verwaltungsgericht
hinsicht- lich der Parzelle 603 übersehen, daß im Kaufvertrag vom 25. Oktober 1974
dem Verkäufer das Recht eingeräumt worden sei, bis zum Beginn der Ausbauarbeiten
die verkaufte Fläche weiterhin als Vorgarten zu nutzen. Eine förmliche Widmung sei
wegen Unerheblichkeit der Straßenveränderung nach § 6 Abs. 8 i.V.m. Abs. 5 StrWG
NW aber nur dann entbehrlich, wenn der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des der
Straße dienenden Grundstücks sei oder der Eigentümer der Widmung zugestimmt ha-
be; angesichts dieser Bestimmung des Kaufvertrages könne nicht von der erforderlichen
Zustimmung des bisherigen Eigentümers ausgegangen werden.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor: Die sachliche Beitragspflicht sei bereits
1988 entstanden. Der förmlichen Widmung der Strecke B. im Jahre 1989 habe es nicht
mehr bedurft, weil der Umfang des Ausbaus dieser Strecke nicht erheblich gewesen sei.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne Durchführung
einer mündlichen Verhandlung einver- standen erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Ver- waltungsvorgänge der Beklagten Bezug
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genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25
Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen
(Nacherhebungs-)Bescheide zu Recht aufgehoben. Diese sind rechtswidrig und
verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Im Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheides war
die festgesetzte und geforderte (restliche) Beitragsforderung bereits verjährt. Gemäß § 1
Abs. 3, § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NW, § 169 Abs. 2 Satz 1, § 170 AO beträgt die
Festsetzungsfrist vier Jahre; sie beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die sachliche
Beitragspflicht entstanden ist. Hier ist die Beitragspflicht - nach bereits zuvor erfolgter
endgültiger (technischer) Herstellung der Erschließungsanlage im übrigen - im Jahr
1988 mit dem letzten Grunderwerb (Flurstück 833) und der Widmung der letzten
Teilstrecken des Straßenzuges (B. der M. /T. weg ) vom 15. Juli 1988 entstanden;
folglich lief die Festsetzungsfrist am 31. Dezember 1992 ab. Der angefochtene
Nacherhebungsbescheid vom 7. Dezember 1993 erging somit nach deren Ablauf.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten verschiebt sich der Lauf der Verjährungsfrist nicht
deshalb um ein Jahr (bis Ende 1993), weil es noch der förmlichen Widmung der
Teilstrecke B. vom 9. Juni 1989 bedurft hätte. Diese war nicht (mehr) erforderlich, weil es
sich bei dieser Teilstrecke um eine sog. alt-öffentliche Straße handelte und deren
Widmung zum öffentlichen Verkehr sich auch auf die in den Jahren 1976 bis 1979
ausgebauten und dem Verkehr übergebenen weiteren Straßenflächen erstreckte.
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1. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil im einzelnen zutreffend
dargelegt, daß die Teilstrecke B. in ihrem vormaligen Ausbauzustand bereits nach
seinerzeit gel- tendem (preußischem) Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße
hatte und deshalb als sog. alt-öffentliche Straße i.S.v. § 60 Abs. 2 des
Landesstraßengesetzes vom 28. November 1961, GV.NW. S. 305 - LStrG 1961 -,
anzusehen ist (später § 60 Abs. 2 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes
Nordrhein- Westfalen i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. August 1983, GV.NW. S. 306 -
StrWG NW -, nunmehr § 60 Satz 1 StrWG NW i.d.F. der Bekanntmachung vom 23.
September 1995, GV.NW. S. 1028, ber. GV.NW. 1996, S. 81, 141, 216, 355). B. die
diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann Bezug genommen wer-
den; insoweit wird das angefochtenen Urteil auch von der Be- klagten nicht
angezweifelt.
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2. Deren Einwände richten sich allein gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts,
daß es gleichwohl einer (förmlichen) Wid- mung der Teilstrecke B. bedurft habe, weil (a)
der in den Jahren 1976-1979 erfolgte Ausbau eine unwesentliche Er- weiterung bzw.
Veränderung dieser Straße darstelle und (b) im Jahr 1974/1975 beim Erwerb der 43 qm
großen Parzelle 603 dem Veräußerer das Recht eingeräumt worden sei, diese bis zu
Be- ginn der Ausbauarbeiten weiter als Vorgarten nutzen zu dürfen, so daß nicht von
einer Zustimmung des Eigentümers zur Widmung ausgegangen werden könne. Beides
vermag nicht zu überzeugen:
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a) Die streitgegenständlichen Ausbauarbeiten fanden in den Jahren 1976 bis 1979 statt,
mithin zu einer Zeit, als das gel- tende Landes(straßen)recht (das LStrG 1961) die
Widmungsbe- dürftigkeit einer Straßenverbreiterung noch nicht ausdrücklich regelte.
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Dies geschah erst mit Inkrafttreten des StrWG NW vom 1. August 1983 durch dessen § 6
Abs. 8. Nach dieser Bestimmung gilt, wenn "eine Straße verbreitert, begradigt,
unerheblich verlegt oder ergänzt wird", der neue Straßenteil durch die
Verkehrsübergabe als gewidmet, sofern die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 StrWG NW
vorliegen; auch einer öffentlichen Be- kanntmachung nach § 6 Abs. 1 StrWG NW bedarf
es dann nicht. Vor dem Inkrafttreten des StrWG NW behalfen sich Rechtspre- chung und
Literatur mangels einer landesstraßengesetzlichen Regelung mit dem allgemeinen
Rechtsgrundsatz der sog. "Elastizität der Widmung" (Widmungserstreckung). Danach
erfaßte die Widmung einer vorhandenen Straße automatisch auch bestimmte
(geringfügige) Änderungen, Ergänzungen und Verlegungen dieser Straße, die neu
ausgebauten Flächen wuchsen der bestehenden und gewidmeten Straße nur zu.
Vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 9. Januar 1990 - 8 B 88.1326 -, BayVBl. 1990, 661 f.;
OVG NW, Urteil vom 18. Januar 1990 - 3 A 213/89 -, OVG NW RSE, Bd. 1, § 132
BBauG/BauGB Merkmalsregelung Nr. 1/1990; Driehaus, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 5. Aufl. 1999, § 12 Rdnr. 24; Kodal/Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl. 1985,
Kap. 7, Rdz. 19.34; Walprecht/Cosson, Straßen- und Wegegesetz des Landes
Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1986, § 6 Rdnr. 60; Fischer, in: Hoppenberg
(Hrsg.), Handbuch des öffentlichen Baurechts, Loseblatt, Stand: Juli 1998, Kap. F, Rdnr.
142; Krüger, NWVBl. 1993, 161 (163); Sauthoff, NVwZ 1994, 17 (19).
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Dabei wurde teilweise auf die bundesrechtliche Regelung in § 2 Abs. 6a des
Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) zurückgegriffen,
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vgl. OVG NW, Urteil vom 17. Januar 1980 - 9 A 1361/77 -, OVGE 34, 282 (284) = DÖV
1980, 924 (925); weitere Nachweise bei Krü- ger, NWVBl. 1993, 161 (163),
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die mit der späteren Regelung in § 6 Abs. 8 StrWG NW insoweit Gemeinsamkeiten
aufweist, als sie mehrere Tatbestände einer Widmungserstreckung nennt, nur einem
von ihnen, dem Tatbestand der Verlegung der Straße, aber (außerdem) das Merkmal
"unerheblich" beifügt. Ob hieraus zu schließen ist, daß § 2 Abs. 6a FStrG und der aus
ihm entliehene allgemeine Rechtsgrundsatz die übrigen Tatbestände einer
Widmungserstreckung unabhängig von ihrer "(Un-)Erheblichkeit" (oder Wesentlichkeit)
begreift, mag dahinstehen. Ebenso kann offen bleiben, ob es einer
Widmungserstreckung in diesem Sinne überhaupt bedarf, wenn die nachträglich als für
den Fahrzeug- oder Fußgängerverkehr nutzbar ausgebauten und übergebenen Flächen
schon zuvor (etwa als unbefestigte Randstreifen, Böschungen o.ä.) Straßenbestandteile
im wegerechtlichen Sinne waren (womöglich schon erfaßt von der Widmung alten
preußischen Rechts). Denn hier liegt jedenfalls eine unerhebliche (unwesentliche)
Verbreiterung vor, die nicht auf "externe" Flächen (Grundstücke im Eigentum Dritter) mit
enteignungsgleichen Auswirkungen übergreift.
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Um festzustellen, ob die Erweiterung einer Straßenfläche als noch geringfügig oder
schon "wesentlich" anzusehen ist, bedarf es einer wertenden Betrachtung, die mit Blick
auf die Funktion der Widmung von Kriterien wie denen der Bedeutung der Straße für die
Erschließung der Grundstücke und für den allgemeinen Verkehr im Wegenetz
(Anknüpfungspunkt und Streckenverlauf) sowie des Umfangs der hinzutretenden Fläche
bestimmt wird.
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Vgl. OVG NW, Urteil vom 17. Januar 1980, a.a.O, OVGE 34, 282 (285).
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Mit einzustellen in die Bewertung sind ferner etwaige Folgewirkungen der Erweiterung
der Straße, etwa eine erforderlich werdende Neugestaltung der Rechtsverhältnisse an
der öffentlichen Straße, insbesondere der Straßenbaulast.
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Vgl. das Urteil des Senats vom 12. August 1974 - III A 819/73 -, OVGE 30, 28 (32 f.).
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Diese Bewertung ergibt im vorliegenden Fall: Die Funktion der Straße B. als
Anliegerstraße ist durch die streitgegenständlichen Ausbauarbeiten unverändert
geblieben; dasselbe gilt für ihre Bedeutung und Verortung im Gesamtwegenetz. Eine
Änderung der Straßenbaulast ist durch den Ausbau der Strecke nicht notwendig
geworden. Eingriffe in fremdes Eigentum (der Anlieger) waren mit dem Ausbau der
Straße nicht verbunden; vielmehr standen sämtliche Teilparzellen der heutigen
Straßentrasse - mit Ausnahme der 47 qm großen Parzelle 603 (dazu unter b) - schon bei
Inkrafttreten des Landesstraßengesetzes am 1. Januar 1962 in städtischem Eigentum;
dies ergibt sich aus der Auflistung des getätigten Grunderwerbs nebst den zugehörigen
Kaufverträgen und Planskizzen. Der Ausbau ist auch flächenmäßig als nicht wesentlich
zu be- werten: Welchen flächenmäßige Ausbauzustand die Strecke B. vor den
streitgegenständlichen Straßenbauarbeiten hatte, kann - mangels anderer geeigneter
Planunterlagen - nur aus einer Aufmaßskizze zur Unternehmerrechnung vom 1.
Dezember 1978 (Position "Bituminöse Befestigung aufgenommen") rückgeschlossen
werden. Daraus ergibt sich, daß die frühere (bituminös befestigte) Fahrbahnfläche in der
Breite zwischen 3,10 und 5,30 Metern schwankte. Weiter ergibt sich aus den
vorliegenden (in den beigezogenen Akten der Beklagten enthaltenen bzw. im
Parallelverfahren 3 A 3508/95 von Klägerseite vorgelegten) Fotos, daß sich an die
damalige Fahrbahn zu beiden Seiten ein stellenweise großflächiger, überwiegend
unbefestigter Seitenstreifen (Bankett) anschloß; dieser war streckenweise offenbar so
tragfähig, daß er als Parkfläche zum Abstellen von Kraftfahrzeugen genutzt wurde.
Dieses Straßenbankett ging in die stellenweise extrem steile Böschung über, die die
Wegetrasse insgesamt links und rechts begrenzte. Neben den erwähnten Fotos wird
dies auch durch eine Planzeichnung vom 30. September 1964 verdeutlicht, in der diese
Böschung (nebst den sie überwindenden Hauszufahrten) eingezeichnet ist. Den
Ausbauzustand nach den streitgegenständlichen Ausbauarbei- ten gibt der
"Bestandsplan" der Fa. T. KG C. vom August 1978 wieder; danach schwankt die bloße
Fahrbahnfläche - abgesehen von Aufweitungen im Einmündungsbereich zur Straße G.
Weg (5,40 m) und in der Kurve zur Straße B. der M. (5,48 m) - zwischen 5,04 m und 5,22
m und beträgt überwiegend 5,10 m. Vergleicht man diese Pläne (1964 bzw. 1978) i.V.m.
der erwähn- ten Aufmaßskizze, dann ergibt sich, daß die bloße Fahrbahnflä- che - unter
Beibehaltung und innerhalb der vorhandenen Trasse - von vormals 3,10 bis 5,30 Meter
auf nunmehr 5,04 bis 5,48 Meter bzw. im Mittel von ca. 3,84 Meter auf ca. 5,10 Meter,
und mithin nur unwesentlich verbreitert worden ist; im übrigen besteht der
flächenmäßige Unterschied allein darin, daß schon bislang innerhalb der Trasse
gelegene Flächen des unbefestigten Straßenbanketts nunmehr als ca. 1,20 Meter
breiter befestigter Gehweg (auf der nördlichen Straßenseite) sowie als ca. 0,40 Meter
breites Schrammbord (auf der südlichen Straßenseite) ausgebaut sind. Nach wie vor
sind große Teilflächen der städtischen Wegeparzellen (vor allem auf der südlichen
Straßenseite) unbefestigte oder durch Spundwände abgestützte Böschungen. Bei der
gebotenen wertenden Betrachtung stellt sich die Ausbaumaßnahme daher insgesamt
eher als Begradigung der Fahrbahnfläche unter Befestigung des Seitenstreifens
(einseitiger Gehweg) und Abstützung der Böschungen durch Stahlbeton- spundwände
dar. Sie ist somit (in Übereinstimmung mit der bei der Erstveranlagung auch von der
Beklagten vertretenen Auffas- sung) als unwesentliche Erweiterung der öffentlichen
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Wegeflä- che anzusehen, die von der Widmung als "alt-öffentliche" Stra- ße miterfaßt
wird.
b) Aus dem Vertrag vom 25. Oktober 1974 betreffend den Erwerb der Parzelle 603 kann
die Beklagte ebenfalls nichts zu ihren Gunsten herleiten: Die Parzelle ist (teilweise) dem
Flurstück 604 (B. Haus Nr. 2) vorgelagert und 47 qm groß. Allein schon aufgrund ihrer
Größe kann ihr Hinzuerwerb - im Verhältnis zur Gesamtfläche der Straßentrasse - als
unwesentlich angesehen werden mit der Folge, daß dadurch eine neue (förmliche)
Widmung nicht erforderlich wurde. Daß in dem Kaufvertrag dem bisherigen Eigentümer
das Recht eingeräumt worden ist, die Parzelle 603 bis zum Beginn der Ausbauarbeiten
der Straße B. weiterhin als Vorgartenfläche zu nutzen, steht dem ebenfalls nicht
entgegen. Zum einen lassen Einräumung und Bestand dieses Nutzungsrechts den für
die Widmungserstreckung maßgeblichen Tatbestand unberührt, daß nämlich die Stadt
im Zeitpunkt der Verkehrsübergabe nach entsprechendem Ausbau bereits im
Grundbuch eingetragene Eigentümerin der Parzelle 603 war, so daß es der Zustimmung
eines (drittbetroffenen, anderen) Eigentümers nicht mehr bedurfte. Zum anderen erlosch
das (nicht dingliche, sondern vertraglich-obligatorische) Nutzungsrecht
vereinbarungsgemäß mit Beginn des Straßenausbaus, also vor der die
Widmungserstreckung auslösenden Verkehrsübergabe.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§
132 Abs. 2 VwGO).
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