Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.08.2000

OVG NRW: politische verfolgung, laos, wahrscheinlichkeit, asylbewerber, auskunft, rechtseinheit, wiedergabe, tatsachenfeststellung, ausnahmefall, professor

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 3481/99.A
Datum:
03.08.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 A 3481/99.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 11a K 7783/93.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
G r ü n d e
1
Der Antrag ist abzulehnen, weil ein Grund für die Zulassung der Berufung nicht iSv § 78
Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt worden ist. Der mit der Antragsschrift allein geltend
gemachte Zulassungsgrund einer der Rechtssache zukommenden grundsätzlichen
Bedeutung iSv § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ist nicht ausreichend aufgezeigt.
2
Soweit der Zulassungsgrund einer der Rechtssache zukommenden grundsätzlichen
Bedeutung iSv § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG geltend gemacht wird, ist dem
Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG nur dann genügt, wenn in Bezug auf
die Rechtslage oder die Tatsachenfeststellung eine unmittelbar aus dem Gesetz nicht
beantwortete, konkrete Frage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Fortentwicklung des
Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf und warum sie sich in dem angestrebten
Berufungsverfahren stellen wird. Dazu bedarf es neben der Formulierung einer
bestimmten, konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage substantiierter Darlegungen dazu,
dass die so formulierte Frage nach den tatsächlichen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich ist, dass sie einer
der Rechtseinheit oder -fortbildung dienenden Beantwortung zugänglich ist, namentlich
ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt und die Frage (noch
oder wieder) klärungsbedürftig ist.
3
Vgl. Beschluss des Senats vom 25. November 1999 - 1 A 4878/99.A -; GK- AsylVfG,
Kommentar, Stand: Mai 2000, § 78 RdNr. 592; Schenk, in: Hailbronner, AuslR, Stand:
April 2000, Teil B 2, § 78 AsylVfG RdNr. 144.
4
Diesen Anforderungen genügt das Antragsvorbringen zu der als grundsätzlich
klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage,
5
ob laotische Staatsangehörige, die sich im Ausland als - auch aktive - Mitglieder einer
Exilorganisation an Protestaktionen gegen die laotische Regierungspolitik beteiligt
6
haben oder anderweitige exilpolitische Aktivitäten von geringer Tragweite entwickelt
haben (Flugblattaktionen u.ä.), ohne sich darüber hinaus individuell deutlich profiliert zu
haben, allein deswegen im Falle ihrer Rückkehr nach Laos mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten haben (z.B.
Umerziehungsmaßnahmen), insbesondere, wenn die exilpolitischen Aktivitäten erst
während des laufenden Asylverfahrens hier in der BRD aufgenommen oder verstärkt
worden sind und erkennbar nicht auf einer tiefen, ernsthaften politischen Überzeugung
beruhen,
nicht.
7
Soweit die Frage exilpolitische Aktivitäten ins Auge fasst, die erkennbar nicht auf einer
tiefen, ernsthaften politischen Überzeugung beruhen, ist schon nicht aufgezeigt, dass
sie sich vorliegend im Rahmen eines Berufungsverfahrens überhaupt stellen wird. Nach
den - mit dem Zulassungsantrag nicht angegriffenen - Feststellungen des
Verwaltungsgerichts ist der Beigeladene aktives Mitglied des eingetragenen Vereins
"Laotische Demokratische Bewegung" und hat sich durch seine Teilnahme an
Demonstrationen vor der laotischen Botschaft in Prag sowie an Veranstaltungen in der
Bundesrepublik Deutschland als Oppositioneller und Kritiker der politischen
Verhältnisse in der Demokratischen Volksrepublik Laos zu erkennen gegeben. Eine
fehlende politische Überzeugung und bloßes asyltaktisches Verhalten ist danach nicht
festzustellen.
8
Auch soweit die Frage den vorliegenden Fall eines aktiven Oppositionellen betrifft, ist
ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht dargelegt.
9
Dabei mag dahinstehen, ob die aufgeworfene Frage überhaupt eine der Rechtseinheit
oder -fortbildung dienende Antwort erwarten lässt, was regelmäßig voraussetzt, dass die
angestrebte Klärung für eine Vielzahl von Fällen von entscheidungserheblicher
Bedeutung ist.
10
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Oktober 1989 - 16 B 21695/89 - ; BayVGH,
Beschluss vom 23. Juli 1991 - 24 CZ 91.30670 -.
11
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gerichte des Landes noch in nennenswertem Umfang
in Zukunft mit Verfahren laotischer Asylbewerber, die sich exilpolitisch betätigen, befasst
sein werden, ist demgegenüber als eher gering einzuschätzen. Laut Statistik des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. April 2000 sind
dort nur sechs Verfahren von Asylbewerbern aus Laos anhängig; die Eingangszahlen
beliefen sich seit 1995 - bezogen auf das gesamte Bundesgebiet - auf maximal sechs
pro Jahr. Beim Senat sind ebenfalls nur insgesamt 14 Verfahren laotischer
Staatsangehörigen im Zulassungsverfahren anhängig; soweit ersichtlich ist auch
erstinstanzlich im Gerichtsbezirk keine nennenswerte Anzahl von Verfahren laotischer
Asylbewerber mehr anhängig.
12
Vgl. Beschluss des Senats vom heutigen Tag - 1 A 5909/98.A -.
13
Bedenken gegen eine rein quantitative Betrachtung mögen sich allenfalls daraus
ergeben, dass die aufgeworfene Frage nicht an einen abgeschlossenen Sachverhalt
anknüpft, sondern eine Gruppe erfasst, die jederzeit anwachsen kann.
14
Jedenfalls ist der Antrag auf Zulassung der Berufung aber deshalb abzulehnen, weil es
an einer ausreichenden Darlegung fehlt, dass die aufgeworfene Frage überhaupt einer
obergerichtlichen Klärung bedarf.
15
Der hervorgehobene Umstand, dass zu einer bestimmten Frage noch keine gefestigte
Rechtsprechung existiert, insbesondere das zuständige Obergericht noch keine
Gelegenheit hatte, in einem Berufungsverfahren hierzu abschließend Stellung zu
nehmen, rechtfertigt allein die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher
Bedeutung nicht.
16
Eine Tatsachenfrage, die sich bereits ohne weiteres und unmittelbar aus dem
vorliegenden Erkenntnismaterial beantworten lässt, bedarf grundsätzlich keiner
obergerichtlichen Klärung.
17
Vgl. GK-AsylVfG, aaO, § 78 RdNr. 139.
18
Entsprechend setzt die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit im Bereich der
Tatsachenfeststellung eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von
dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Die
Antragsbegründung muss - um dem Darlegungsgebot zu genügen - aus sich selbst
heraus erkennen lassen, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Erkenntnisse
unzutreffend beurteilt haben soll, dass also z. B. einschlägige Erkenntnismittel
unberücksichtigt geblieben seien, dass das Gewicht einer abweichenden Meinung
verkannt worden sei und dass deshalb Bewertungen insgesamt nicht haltbar seien.
19
Vgl. Beschluss des Senats vom 25. November 1999 - 1 A 4878/99.A -; GK- AsylVfG,
aaO, § 78 RdNr. 609; Schenk, aaO, Teil B 2, § 78 RdNr. 144.
20
Diesen Anforderungen wird die Antragsbegründung nicht gerecht. Sie erschöpft sich im
Kern in der Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts,
ohne eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen,
Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen
Bewertungen in der Antragsschrift zutreffend sind.
21
Das Antragsvorbringen beschränkt sich im Wesentlichen auf die bloße Wiedergabe von
Auskünften und Stellungnahmen. Die Äußerungen des Auswärtigen Amtes zur
Rückkehrgefährdung bei exilpolitischen Aktivitäten in seinem Bericht vom 22. Januar
1997 an das Verwaltungsgericht Chemnitz werden wiedergegeben und Einschätzungen
aus der Auskunft des Institutes für Asienkunde vom 19. Mai 1994 an das
Verwaltungsgericht Regensburg referiert. Auch in Bezug auf die herangezogene
gutachterliche Stellungnahme von Professor Dr. Lulei vom 22. Juli 1992 an das
Verwaltungsgericht Ansbach wird im Kern nur die Auskunft inhaltlich wiedergegeben.
Die bloße Wiedergabe von Erkenntnissen ersetzt indes die für die Darlegung eines
Klärungsbedarf in Tatsachenfragen grundsätzlich erforderliche wertende
Auseinandersetzung mit der Erkenntnisauswertung der angegriffenen Entscheidung
nicht.
22
Etwas anderes mag gelten, wenn ausnahmsweise die wiedergegebenen Wertungen
oder Feststellungen ohne weiteres einen Klärungsbedarf erschließen. Ein solcher
Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Angesichts der ausführlichen und
nachvollziehbaren Argumentation des Verwaltungsgerichts, in der auch die
23
herangezogenen Auskünfte und Stellungnahmen wertend einbezogen worden sind,
hätte es vielmehr weiterer Darlegung bedurft.
Das Verwaltungsgericht zeichnet insoweit unter detaillierter Auswertung der
herangezogenen Erkenntnisse ein überzeugendes Bild der für die getroffene
Gefahreneinschätzung als maßgeblich erachteten tatsächlichen und rechtlichen
Verhältnisse in Laos und der maßgeblichen Einschätzung, dass es sich bei der Laotisch
Demokratischen Bewegung um eine politisch motivierte Gruppe von Laoten handelt, die
aktiv für eine demokratische Umgestaltung insbesondere im Hinblick auf ein
anzustrebendes Mehrparteiensystem eintritt. Konkrete Anhaltspunkte, dass das
Verwaltungsgericht bei diesen Feststellungen oder bei der daraus gefolgerten
beachtlichen Verfolgungsgefahr für aktive Mitglieder der Laotisch Demokratischen
Bewegung die angeführten Stellungnahmen verkannt hat, begründen die in der
Antragsschrift wiedergegebenen Ausführungen der genannten Auskünfte nicht. Die
herangezogenen Auskünfte enthalten insbesondere keine für sich selbst sprechenden
abweichenden Tatsachenfeststellungen, sondern geben ihrerseits allein eine
Gefahreneinschätzung für Asylbewerber wieder, die sich exilpolitisch betätigen.
Abweichende Ausgangspunkte der im Zulassungsantrag herangezogenen
Expertenmeinungen und des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die wesentlichen
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, auf die die jeweilige Gefahreneinschätzung
im Wesentlichen beruht, finden sich nicht. Was die Gefahreneinschätzung angeht, fällt
zudem auf, dass die Expertenmeinungen im Grunde die Einschätzung des
Verwaltungsgerichts, dass eine oppositionelle exilpolitische Betätigung staatliche
Repressalien herbeiführen kann, teilen. Die Meinungen gehen in der Tendenz nur darin
auseinander, welche Intensität diese voraussichtlich erreichen werden bzw. mit welcher
Wahrscheinlichkeit sie zu erwarten sind. Gefahreneinschätzungen dieser Art anhand
des im zu entscheidenden Fall asylrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes
sind aber grundsätzlich den Gerichten vorbehalten. Dass die vom Verwaltungsgericht
getroffene Gefahreneinschätzung nicht haltbar sei, etwa weil sie auf rein spekulativen
Erwägungen beruhen würde, ist weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
24
Dass die Berufung gleichwohl im Hinblick auf die dem beschließenden Gericht
zufallende Aufgabe zuzulassen wäre, innerhalb seines Gerichtsbezirkes, namentlich in
asylrechtlichen Verfahren auf eine einheitliche Beurteilung gleicher oder ähnlicher
Sachverhalte hinzuwirken,
25
vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24, 27,
26
ist nicht dargetan. Insbesondere ist eine abweichende Beurteilung der aufgeworfenen
Frage durch ein anderes Verwaltungsgericht innerhalb des Gerichtsbezirkes nicht
aufgezeigt. Das herangezogene Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 19.
November 1998 - 5 K 2015/98.A - betrifft keinen vergleichbaren Sachverhalt. Es
beschränkt sich auf die Feststellung, dass eine Asylantragstellung, die aus anderen als
politischen Gründen erfolgt, ebenso wie exilpolitische Aktivitäten, die - für den
laotischen Staat erkennbar - nur aus asyltaktischen Gründen entfaltet werden, ohne
dass sich darin eine ernsthafte oppositionelle Haltung gegenüber dem laotischen
Regime ausdrückt, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung
befürchten lassen. Diese Entscheidung liegt im Übrigen auf der Linie der
Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,
27
vgl. Urteil vom 30. November 1999 - 8 B 96.32156 -,
28
wonach im Falle eines Asylbewerbers aus Laos, der offensichtlich keine näheren
politischen Interessen aufweist und sich weder in Laos noch sonst im Ausland politisch
betätigt hat, die beachtliche Gefahr politischer Verfolgung nicht begründet ist. Ein
offensichtlich fehlendes politisches Interesse und bloßes asyltaktisches Verhalten lässt
sich für den vorliegenden Fall aber - wie bereits ausgeführt - weder den Feststellungen
des angegriffenen Urteils noch dem Antragsvorbringen entnehmen.
29
Abweichende obergerichtliche Entscheidungen, die Anhaltpunkte für eine Zulassung
der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung geben könnten,
30
vgl. dazu: Schenk, aaO, Teil B 2, § 78 AsylVfG RdNr. 61,
31
sind nicht angeführt und auch sonst nicht ersichtlich. Im Gegenteil bleibt festzuhalten,
dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit - inzwischen rechtskräftig gewordenem
- Urteil vom 30. November 1999 - 8 BA 94.34414 - zu einer vergleichbaren
Gefahreneinschätzung wie das Verwaltungsgericht gelangt. Unter Bezugnahme auf das
in jenem Verfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigen Miehlau vom 6.
November 1999 und die Erläuterungen des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung
am 30. November 1999 hat er einer laotischen Studentin, die 1990 an Demonstrationen
in Prag teilgenommen hatte und in der Bundesrepublik Deutschland (aktives) Mitglied
der Laotischen Demokratischen Bewegung e.V. war, einen Anspruch auf
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt.
32
Eine weitere Begründung entfällt im Hinblick auf § 78 Abs. 5 AsylVfG.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO; Gerichtskosten
werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG).
34
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
35