Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2006

OVG NRW: prognostische beurteilung, schwerhörigkeit, wahrscheinlichkeit, vorverfahren, ausreise, wiederholung, russisch, medizin, diagnose, heirat

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 E 768/05
Datum:
26.01.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 E 768/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 6909/04
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat die für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe
erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten (§ 166 VwGO, § 114 ZPO) verneint und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1. habe keinen Anspruch
auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, da sie keine deutsche Volkszugehörige sei.
Sie dürfte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise nicht in der Lage sein, ein
einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Nach der über die Anhörung vom 4. August
2003 in T. gefertigten Niederschrift sei sie zur Führung eines einfachen Gesprächs in
deutscher Sprache nicht in der Lage gewesen. Entsprechendes gelte für ihren Sohn,
den Kläger zu 2.. Danach könne auch eine Einbeziehung der weiteren Kläger nicht
beansprucht werden.
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Diese Würdigung der Erfolgsaussichten wird durch das - allein gegen die
erstinstanzlichen Ausführungen zur Sprachkompetenz der Klägerin zu 1. gerichtete -
Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
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Dass das Ergebnis des Sprachtests der Klägerin zu 1. maßgeblich durch
gesundheitliche Probleme bedingt gewesen sein könnte, ergibt sich nicht schon aus der
im Widerspruchsverfahren eingereichten Übersetzung einer Bescheinigung der
Poliklinik Nr. 1 des Zentralen Kreiskrankenhauses N. . Darin werden zwar verschiedene
Erkrankungen attestiert, eine Schlussfolgerung in Bezug auf die Verwertbarkeit des
Sprachtests ist darin indes nicht enthalten und lässt sich daraus auch nicht mit der
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erforderlichen Wahrscheinlichkeit entnehmen. Dementsprechend hat sich die im
Vorverfahren um Stellungnahme gebetene Ärztin N1. W. S. ausdrücklich dahin
geäußert, das Verhaltensmuster der Klägerin zu 1. sei nicht auf die attestierten
Erkrankungen zurückzuführen. Die allgemeine fachliche Qualifikation von Frau del W.
S. als Ärztin wird durch den Hinweis des Bevollmächtigten der Kläger auf die - lediglich
eine Zusatzqualifikation ausweisende - Bezeichnung „Jugendärztin" nicht in Frage
gestellt.
Das Ergebnis des Sprachtests ist überwiegender Wahrscheinlichkeit nach auch nicht
etwa maßgeblich durch eine Schwerhörigkeit der Klägerin zu 1. bedingt. Die
Bescheinigung des HNO-Arztes vom 2. November 2004 verhält sich nur zu der
Diagnose Schwerhörigkeit als solcher. Das Verwaltungsgericht hat aber bereits darauf
hingewiesen, dass die Klägerin zu 1. auf - nach mehrfacher Wiederholung verstandene -
Fragen dennoch keine Antworten auf Deutsch geben konnte, sondern auf Russisch
antwortete. Soweit dem mit Schriftsatz vom 18. Juli 2005 sinngemäß entgegen gehalten
wird, es habe sich bei den Äußerungen möglicherweise um einen russischen
Wortschwall gehandelt, mit dem die Klägerin zu 1. ihre Nervosität zu kompensieren
versucht habe, ob es sich nichts desto trotz um konkrete Antworten zu den Fragen
gehandelt habe oder nicht, müsse erst noch geklärt werden, entbehrt dies mit Blick auf
den Inhalt der Angaben zum Verlauf des Sprachtests der für die Annahme hinreichender
Erfolgsaussichten notwendigen Substantiierung. Dort ist nämlich ausdrücklich
festgehalten, es seien Antworten der Klägerin zu 1. in Russischer Sprache gekommen.
Angesichts dessen erscheint es fernliegend, dass die Klägerin zu 1. tatsächlich wegen
einer Schwerhörigkeit die Fragen nicht verstanden und ohne Bezug auf den Inhalt der
Fragen Russische Worte gesprochen hat.
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Darauf, dass die Richter weder über eigene Kenntnisse in der HNO-Medizin noch in der
russischen Sprache verfügen, kommt es für die lediglich prognostische Beurteilung des
Verfahrensausganges nicht an; jedenfalls in diesem Stadium durften sie sich auf die
Erkenntnisse Dritter stützen. Auch wegen der Möglichkeit, die drei benannten Zeugen
zu hören, hätte das Verwaltungsgericht keine hinreichenden Erfolgsaussichten
annehmen müssen. Es fehlte in diesem Zusammenhang schon an konkreten Angaben
zu den Inhalten der behaupteten Gespräche zwischen diesen Zeugen und der Klägerin
zu 1.. Zudem spricht nach den Angaben im Vorverfahren Einiges dafür, dass die
genannten Zeugen zuletzt 1992 Kontakt mit der Klägerin zu 1. hatten und deshalb keine
Angaben machen können, die für die Sprachkompetenz im maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt von Bedeutung sind.
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Hinreichende Erfolgsaussichten vermag schließlich auch nicht die Schilderung der
Lebensgeschichte der Klägerin zu 1. zu begründen, in der behauptet wird, sie habe eine
aktive deutsche Sprachkompetenz in den ersten zwanzig Lebensjahren erworben. Das
Verwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der Klägerin zu 1. nach den Angaben
im Klageverfahren während ihrer Ehe mit einem muslimischen Usbeken der Gebrauch
der Deutschen Sprache verboten worden sei. Danach erscheint es plausibel, dass sie
seit der 1953 erfolgten Heirat eine möglicherweise früher vorhandene aktive
Sprachkompetenz in Bezug auf die Deutsche Sprache verloren haben dürfte. Diesem
Umstand kommt nach der ausdrücklichen Gesetzesfassung des § 6 Abs. 2 Satz 3
BVFG, die u.a. die Fähigkeit zur Führung eines einfachen Gesprächs auf Deutsch im
Zeitpunkt der Ausreise voraussetzt, hier ungeachtet des geschilderten Lebensschicksals
maßgebliche Bedeutung zu.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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