Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.11.2010
OVG NRW (verwaltungsgericht, zulassung, arzneimittel, richtlinie, identität, zusammensetzung, beweislast, kommission, angabe, verordnung)
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 694/10
Datum:
26.11.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 694/10
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. Februar 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 50.000,-- Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der gemäß
§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen ist,
liegt nicht vor.
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils
ausgeführt:
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Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine erneute Bescheidung ihres Antrags auf
Verlängerung der Zulassung gemäß §§ 105 Abs. 4f, Abs. 1 AMG für das Arzneimittel
T. I. -T1. -Kapseln, weil für dieses Arzneimittel die nach § 105 Abs. 1 AMG
erforderliche fiktive Zulassung nicht mehr bestehe und es gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 AMG der Neuzulassung bedürfe. Spätestens aufgrund der im Januar 2001 mit den
Unterlagen zum 10. Änderungsgesetz zum Arzneimittelgesetz angezeigten Änderung
des Auszugsmittels für die Trockenextrakte aus Weißdornblüten und Weißdornblättern
im Mischextrakt aus Blüten, Blättern und Beeren sei das streitgegenständliche
Arzneimittel hinsichtlich eines wirksamen Bestandteils der Art nach geändert worden.
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Die dagegen von der Klägerin erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der
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Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht auf.
Fehl geht zunächst die Annahme der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe die
Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 Nr. 1 AMG unzutreffend ausgelegt. Nach dieser
Vorschrift, dessen Fassung vom 4. Juli 2000 (BGBl. I 1002) maßgeblich ist,
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zur Beurteilung der Zulässigkeit der Änderung auf der Grundlage des im
Zeitpunkt der Änderung geltenden Rechts vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Mai
2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692, und - 3 C 15.07 -, A&R 2008, 184;
OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2008 - 13 A 4034/05 -, juris, und
vom 15. Juli 2008 - 13 A 1707/05 -, A&R 2008, 238,
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ist eine neue Zulassung bei einer Änderung der Zusammensetzung der arzneilich
wirksamen Bestandteile nach Art oder Menge zu beantragen.
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Mit der Änderung für den Trockenextrakt aus Weißdornblättern und -blüten von Ethanol
in Methanol erfolgte, wie das Verwaltungsgericht nachvollziehbar begründet hat, eine
Änderung der arzneilich wirksamen Bestandteil der Art nach.
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Der Senat hat bereits mehrfach festgestellt, dass pflanzliche Arzneimittelzubereitungen
komplex zusammengesetzte Mehrstoffsysteme sind, die neben den Hauptinhaltsstoffen
wirksamkeitsmitbestimmende Stoffe, Leitsubstanzen und Begleitstoffe enthalten.
Wirkstoff dieser Arzneimittel ist das Substanzgemisch als solches. Bei pflanzlichen
Arzneimitteln (vgl. § 4 Abs. 29 AMG) bestimmt das Herstellungsverfahren den Stoff.
Neben der zu extrahierenden Ausgangsdroge und den technischen Bedingungen des
Extraktionsverfahrens kommt bei Pflanzenextrakten auch dem dabei verwendeten
Auszugsmittel Bedeutung zu. Eine Änderung des Extraktionsverfahrens und des
eingesetzten Auszugsmittels führt daher - wie das Verwaltungsgericht zutreffend
ausgeführt hat - im allgemeinen und insbesondere dann zu einer Änderung des
Wirkstoffs der Art nach, wenn die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe nicht oder nur
unzureichend bestimmt sind.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. November 2008 - 13 A 3351/06 -, vom
19. November 2008 - 13 A 2151/06 - und vom 21. Mai 2008 - 13 A 1096/06 -,
jeweils juris; Urteil vom 22. August 2006 - 13 A 3030/04 -, A&R 2006, 228.
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Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die pharmakologischen Wirkungen
ethanolischer und methanolischer Weißdornextrakte äquivalent sind. Hiervon bleibt
nämlich der Einfluss des Auszugsmittels auf die Zusammensetzung des Wirkstoffs
unberührt. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang plausibel darauf
hingewiesen, dass Methanol und Ethanol unterschiedliche Auszugseigenschaften
besäßen und die von der Klägerin angeführten HPLC-Chromatogramme alleine keine
ausreichende Auskunft über die Identität der Wirkstoffe aussagten. Diese seien
gegebenenfalls noch nach erfolgter Trennung durch weitere Analyseschritte zu
identifizieren oder zu quantifizieren (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort:
Chromatographie). Eine vollständige stoffliche Charakterisierung des jeweiligen
Vielstoffgemisches ist mit dieser Untersuchung daher nicht erbracht worden.
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Der Senat bejaht zudem die Beweislast des pharmazeutischen Unternehmers für das
Vorliegen eines identischen Wirkstoffs bei einem Wechsel des Auszugsmittels. Er hat zu
belegen, dass nach einem Wechsel des Auszugsmittels bei einem pflanzlichen Präparat
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die Identität der arzneilich wirksamen Bestandteile sich nicht geändert hat. Dies folgt
aus dem Gesichtspunkt der Zuordnung zu tatsächlich beherrschten Verfügungssphären.
Der pharmazeutische Unternehmer, der eine solche Änderung an dem zugelassenen
Fertigarzneimittel vornimmt, unternimmt dies in einem von ihm beherrschten Bereich.
Die Änderung betrifft die Zusammensetzung seines Präparats. Dem Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in solchen Fällen die materielle Beweislast
aufzuerlegen, würde bedeuten, von der Behörde etwas zu fordern, was der
pharmazeutische Unternehmer aufgrund seiner Herrschaft über das Fertigarzneimittel
typischerweise leichter zu leisten imstande ist. Er wird typischerweise über die
maßgeblichen Tatsachenkenntnisse und über das pharmazeutische Wissen verfügen,
um das Vorliegen oder auch das Nichtvorliegen von Änderungsvorschriften des § 29
Abs. 3 AMG belegen zu können. Die Änderung der Identität der arzneilich wirksamen
Bestandteile wird in der Regel auch im Interesse des pharmazeutischen Unternehmers
erfolgen. Dann liegt die Interessenlage aber vergleichbar mit der, dass ein Anspruch auf
Leistung oder auf Vornahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes geltend gemacht
wird. Der Betreffende muss die Folgen der Ungewissheit hinsichtlich einer
anspruchsbegründenden Tatsache gegen sich gelten lassen. Unerheblich für die
materielle Beweislast ist dagegen, welche Klageart für den jeweiligen Rechtsstreit
statthaft ist, ob es sich also um eine Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder
Feststellungsklage handelt.
Vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 16. Aufl. 2009, § 108 Rn 13;
Breunig, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: November 2010, § 108
Rn. 18 f.; Geiger, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 13. Aufl. 2010, § 86 Rn.
2a.
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Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Verordnung 1234/2008 der Kommission
vom 24. November 2008 über die Prüfung von Änderungen der Zulassungen von
Human- und Tierarzneimitteln und auf die Richtlinie 2009/53/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG
und der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf Änderungen der Bedingungen für
Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln berufen. Die Verordnung
1234/2008 betrifft nicht nationale Zulassungen (Art. 1 der Verordnung Nr. 1234/2008),
sondern Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren
nach Kapitel 4 der Richtlinie 2001/83/EG. Die an die Mitgliedstaaten gerichtete
Richtlinie 2009/53/EG ist nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 noch bis zum 20. Januar 2011
umzusetzen und entfaltet derzeit keine innerstaatliche Wirkung.
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Fehl geht die Annahme der Klägerin, dass naturwissenschaftlich feststellbare
unterschiedliche Extraktionsergebnisse unterschiedlicher Auszugsmittel im Sinne des §
29 Abs. 3 Nr. 1 AMG rechtlich unbeachtlich wären. Zutreffend hat das
Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt, die von der Klägerin angesprochenen
Kennzeichnungsvorschriften (vgl. § 10 AMG) enthielten nicht die weitere Regelung,
dass arzneilich wirksame Bestandteile mit gleicher Bezeichnung ohne Rücksicht auf
naturwissenschaftliche Unterschiede i. S. d. § 29 Abs. 3 Nr. 1 AMG als identisch zu
behandeln seien. Abgesehen hiervon gibt die Kennzeichnungsvorschrift des § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 8 AMG (vgl. auch 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG) die Angabe von Auszugsmittel
rechtlich nicht vor. Das Auszugsmittel spielt bei pflanzlichen Extrakten aber eine
entscheidende Rolle. Die in den einschlägigen Vorschriften geforderte Angabe der
Wirkstoffe "nach der Art" beinhaltet bei pflanzlichen Zubereitungen gleichfalls die
Angabe des Auszugsmittels, weil nur so die Art des pflanzlichen Wirkstoffs definiert
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werden kann.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Erwähnung beider Auszugsmittel in der
Monographie in der Kommission E zu Weißdorn für die Beantwortung der Frage, ob
eine Änderung des arzneilich wirksamen Bestandteils der Art vorliegt, keine Bedeutung.
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Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2008 - 13 A 3351/06 -,
a. a. O.
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Zutreffend hat das BfArM darauf hingewiesen, dass viele Monographien der
Kommission E neben einer Droge deren verschiedene Zubereitungen in wirksamer
Dosierung, die gegebenenfalls mit unterschiedlichen Auszugsmitteln hergestellt werden
könnten, umfassten. Auf die pharmazeutische Identität verschiedener Zubereitungen
komme es dabei nicht an, da unterschiedlichste Zubereitungen von der Monographie
umfasst sein könnten.
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Schließlich ist die Auffassung der Klägerin, die Berufung auf die Listenposition 843
führe den Nachzulassungsantrag zum Erfolg, nicht plausibel. Aufgrund des
unterschiedlichen Auszugsmittels der Weißdorn-Zubereitung (Dichlormethan/Methanol
statt Methanol/Wasser) entspricht die Listenposition nicht der geänderten
Zusammensetzung.
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Ebenfalls zeigen die Ausführungen der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zum Hilfsantrag der Klägerin auf.
Dies folgt bereits daraus, dass die fiktive Zulassung des Fertigarzneimittels - wie
ausgeführt - erloschen ist. Im übrigen hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf
abgehoben, dass der nach § 109a Abs. 3 AMG notwendige Traditionsbeleg nicht
vorgelegen habe. Denn nach der Senatsrechtsprechung muss eine Anwendung für die
im Arzneimittel enthaltene Stoffkombination seit dem 1. August 1961 belegt sein, was
vorliegend unstreitig nicht der Fall ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. November 2009 - 13 A 523/06 -
PharmR 2010, 185; nachgehend BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2010 3 B
9.10 -, juris.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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