Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.05.2006

OVG NRW: sparkasse, treu und glauben, beratung, fusion, ausschluss, öffentliche verhandlung, subjektives recht, schutzwürdiges interesse, befangenheit, fraktion

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 817/04
Datum:
02.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 A 817/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 12 K 4477/02
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit
in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger wenden sich gegen einen Beschluss des Beklagten vom 10. Oktober 2002
betreffend den Beitritt der Gemeinde N. zum Sparkassenzweckverband der Stadt T. und
der Gemeinden C. T1. , M. und X. sowie die Vereinigung der Sparkasse N. mit der
Sparkasse T. .
2
Anfang 2002 teilte der Präsident des X1. -M1. Sparkassen und Giroverbandes ( ) der
Öffentlichkeit mit, die seinerzeit noch 91 Sparkassen in X2. setzten wegen sinkender
Erträge zur Verringerung der Betriebskosten zunehmend auf Fusionen. Nach einer für
die Sparkasse N. erstellten Potentialanalyse wurde für die Jahre 2005/2006 eine
kritische bzw. existenzbedrohende Situation prognostiziert. Daraufhin beschloss der
Verwaltungsrat der Sparkasse N. die Aufnahme von Fusionsgesprächen mit der
Sparkasse T. .
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Mit Schreiben vom 24. September 2002 teilte die Klägerin zu 1) dem Bürgermeister der
Gemeinde N. mit, sie habe der Presse entnommen, dass die Entscheidung über die
Fusion der Sparkasse N. auf der Tagesordnung der Ratssitzung vom 10. Oktober 2002
stehe. Die Klägerin zu 1) beantragte vorsorglich, diese Angelegenheit in öffentlicher
Sitzung zu behandeln und führte hierzu aus: Die bisher vorliegenden Fakten seien für
eine Entscheidung nicht ausreichend. Sie habe daher einen Fragenkatalog
beschlossen. Hierzu werde um mündliche Beantwortung in der kommenden Sitzung
gebeten. Gleichzeitig bitte sie sicherzustellen, dass die wesentlichen mündlichen
Aussagen auch schriftlich als Tischvorlage vorhanden seien. Sie beantrage die
Beantwortung dieser Fragen in öffentlicher Sitzung; ihres Erachtens gebe es keine
zwingenden Gründe, die einer Beratung und Beschlussfassung auch der
Fusionsvereinbarung in öffentlicher Sitzung entgegenstünden. Dem Schreiben
beigefügt war ein 84 Fragen umfassender Katalog, der im Wesentlichen Fragen zu
folgenden Themen zum Inhalt hatte: wirtschaftliche Entwicklung der Sparkasse N. in der
Vergangenheit, Ursachen und Verantwortliche für Gewinneinbrüche bei der Sparkasse
N. in den letzten Jahren nebst diesbezüglicher strafrechtlicher Konsequenzen,
Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung der Sparkasse in der Zukunft (mit und
ohne Fusion), Verlauf der bisherigen Fusionsverhandlungen, Zustandekommen des
Entwurfs des Fusionsvertrages sowie Auswirkungen der Fusion auf Personal- und
Filialbestand der Sparkasse und auf die Gewerbesteuereinnahmen.
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Die Tagesordnung zur Ratssitzung am 10. Oktober 2002, zu der mit Schreiben vom 30.
September 2002 geladen wurde, enthielt als Tagesordnungspunkte des
nichtöffentlichen Sitzungsteils den Punkt 3 "Sparkassenangelegenheit" mit den
Unterpunkten 3 a) "Antrag der T2. - Fraktion" und 3 b) "Fusion der Sparkasse N. mit der
Sparkasse T. " und als Tagesordnungspunkt des öffentlichen Sitzungsteils den Punkt 9
"Vereinigung der Sparkasse N. mit der Sparkasse T. ".
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In der Sitzungsvorlage zu Punkt 3 a) ist zur Begründung ausgeführt: Mit Schreiben vom
24. September 2002 habe die T2. - Fraktion beantragt, die Entscheidung über die
Fusion im öffentlichen Teil der Sitzung zu behandeln und gebeten, als
Entscheidungsgrundlagen 84 Fragen in der Sitzung zu beantworten. Diesem Antrag
könne nicht entsprochen werden, da ansonsten eine Reihe von Interna bekannt
gegeben werden müssten, die im Hinblick auf § 22 des Sparkassengesetzes (SpkG)
nicht unbefugt verwertet werden dürften. Es sei zu befürchten, dass durch deren
Wiedergabe und die sich anschließende Diskussion der Ruf der Sparkasse, ihrer
Mitarbeiter und Organe in der Öffentlichkeit geschädigt werde, was zu einem
Vertrauensschwund bei den Kunden führen könne. In einer öffentlichen Diskussion
seien geheimhaltungsbedürftige Beiträge und Informationen von öffentlich zugänglichen
Informationen praktisch nicht zu trennen. Daher sei nur folgende Verfahrensweise
möglich: Beantwortung der von der T2. - Fraktion gestellten Fragen und die
Kenntnisnahme und Diskussion einer umfangreichen Verwaltungsvorlage im
nichtöffentlichen Teil und Beschlussfassung über die Vereinigung auf Grundlage einer
gesonderten Vorlage im öffentlichen Teil der Sitzung. Bei der Diskussion im öffentlichen
Teil werde insoweit strenge Diskussionsdisziplin hinsichtlich schutzwürdiger Daten und
Informationen erwartet.
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Die Sitzungsvorlage zu Punkt 3 b) enthielt Ausführungen der Verwaltung zur
Entstehungsgeschichte der Fusionspläne, zur Rentabilitätssituation und -entwicklung
der Sparkasse N. , zum Ablauf der Fusionsverhandlungen sowie eine Bewertung der
Fusion aus Sicht der Verwaltung u.a. im Hinblick auf die künftigen
7
Einflussmöglichkeiten der Gemeinde, die Arbeitsplatzsicherung, die
Gewerbesteuereinnahmen und die künftige Versorgung der Bürger vor Ort. Die
Sitzungsvorlage zu Punkt 9 enthielt ebenfalls Ausführungen zu den meisten in der
Vorlage zu Punkt 3 b) behandelten Gesichtspunkten, die allerdings jeweils in
unterschiedlichem Umfang gekürzt wurden.
Ausweislich der Niederschrift über die Ratssitzung vom 10. Oktober 2002 entschied der
Rat unter Punkt 3 a) und b) des nichtöffentlichen Sitzungsteiles zunächst über die
Befangenheit von sechs Ratsmitgliedern, die selbst bzw. deren Verwandte bei der
Sparkasse N. beschäftigt waren. Es wurde jeweils festgestellt, dass die Ratsmitglieder
nicht befangen seien. Im Folgenden heißt es in der Niederschrift:
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"Der Tagesordnungspunkt wird sodann ausgiebig diskutiert. Die Entscheidung ist lt.
Tagesordnungspunkt für die öffentliche Sitzung vorgesehen.
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Wegen der fortgeschrittenen Zeit werden vom Rat keine Bedenken erhoben, die nicht
öffentliche Sitzung jetzt abzubrechen und nach dem öffentlichen Teil fortzusetzen. Von
der T2. - Fraktion wird beantragt, die Sitzung bis 18.15 Uhr zu unterbrechen."
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Im sich anschließenden öffentlichen Sitzungsteil beschloss der Rat unter dem
Tagesordnungspunkt 9 - ausweislich der Niederschrift nach "weiterer Diskussion" - den
Beitritt der Gemeinde N. zum Sparkassenzweckverband und die Vereinigung der
Sparkasse N. mit der Sparkasse T. sowie den Abschluss eines entsprechenden
öffentlich- rechtlichen Vertrages mit dem Sparkassenzweckverband.
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Nachdem der Bürgermeister der Gemeinde N. nach Einholung verschiedener
Stellungnahmen zu dem Ergebnis gekommen war, dass eine Beanstandung des
Ratsbeschlusses insbesondere im Hinblick auf eine Mitwirkung befangener
Ratsmitglieder nicht zu erfolgen habe, wurde der Fusionsvertrag am 24. Oktober 2002
unterzeichnet.
12
Einen am 28. Oktober 2002 gestellten Antrag der Klägerin zu 1) auf Erlass einstweiliger
Anordnungen lehnte das Verwaltungsgericht Arnsberg mit Beschluss vom 29. Oktober
2002 (Az.: 12 L 1880/02) ab.
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Die Klägerin zu 1. hat am 8. November 2002 Klage erhoben, die sie zunächst gegen die
Gemeinde N. gerichtet hat. Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2003 ist der Kläger zu 2. dem
Verfahren auf Klägerseite beigetreten. Ferner haben die Kläger die Klage neben der
Gemeinde N. zusätzlich sowohl gegen deren Bürgermeister als auch gegen deren Rat
gerichtet. Zur Begründung ihrer Klage haben die Kläger im Wesentlichen ausgeführt:
Der Ratsbeschluss vom 10. Oktober 2002 sei rechtswidrig bzw. unwirksam, da an dem
Beschluss sechs befangene Ratsmitglieder mitgewirkt hätten und er unter Verstoß
gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit von Ratssitzungen gefasst worden sei. Die
Ratsmitglieder, die selbst bzw. deren Angehörige bei der Sparkasse N. beschäftigt
gewesen seien, seien befangen gewesen. Sie hätten einen unmittelbaren Vorteil von
der Fusionsentscheidung gehabt, da im Fusionsvertrag u.a. eine für die Beschäftigten
günstige Kündigungsschutzregelung enthalten gewesen sei und auch sämtliche
Angestellte im Vorfeld zum Ausdruck gebracht hätten, dass der sichere Fortbestand
ihrer Arbeitsplätze von der Fusion der Sparkassen abhänge. Die Kläger seien auch
berechtigt, den Verstoß gegen die Befangenheitsvorschriften als Verstoß gegen eigene
Rechte geltend zu machen, da diese Vorschriften sowohl das Funktionsinteresse einer
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Fraktion im Rat als auch die freie Willenbildung des einzelnen Ratsmitglieds schützten.
Zum Recht der Fraktionen, ihre Ansichten öffentlich darzustellen gehöre untrennbar
auch das Recht, Interessenkollisionen innerhalb des Rates offen zu legen. Dem
Eindruck, Ratsentscheidungen seien unzulässig durch Einzelinteressen beeinflusst,
könne eine Fraktion wirksam nur entgegentreten, wenn sie berechtigt sei, Verstöße
gegen Befangenheitsvorschriften auf dem Rechtsweg prüfen zu lassen. Dies gelte
insbesondere dann, wenn die Mitwirkung der Befangenen in nichtöffentlicher Sitzung
erfolgt sei. Abgesehen davon sei ein Klagerecht nötig zur Aufrechterhaltung
rechtsstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien. Wenn ein Ratsmitglied schon
berechtigt sei, Beeinträchtigungen der äußeren Bedingungen der Beschlussfassung zu
rügen, etwa durch störende Raucheinwirkungen, so müsse ihm erst Recht ein
Abwehranspruch gegen die Mitwirkung befangener Ratsmitglieder zuerkannt werden.
Der gefasste Beschluss verstoße zudem gegen das Prinzip der Öffentlichkeit von
Ratssitzungen. Entgegen dem Antrag der Klägerin zu 1) vom 24. September 2002 sei
der Fragenkatalog einschließlich Diskussion und Beratung in nichtöffentlicher Sitzung
abgehandelt worden. Nach ausführlicher Diskussion der Tagesordnungspunkte 3 a) und
3 b) sei die Sitzung öffentlich fortgeführt worden. Unter Ziffer 9 der Tagesordnung sei
über die Fusion der Sparkasse N. mit der Sparkasse T. kurz beraten und sodann über
die Anträge abgestimmt worden. Die Beantwortung der Fragen in öffentlicher Sitzung
sei möglich gewesen, ohne schutzwürdige Interessen Dritter zu verletzen. Soweit
überhaupt geheimhaltungsbedürftige Tatbestände durch die Fragen tangiert worden
seien, hätten die Fragen auf eine Art und Weise beantwortet werden können, mit der die
Berührung von sensiblen Daten vermieden worden wäre. Soweit der Bürgermeister der
Überzeugung gewesen sei, dass einzelne Fragen nicht in öffentlicher Sitzung hätten
behandelt werden dürfen, hätten diese einzelnen Fragen in einem weiteren
Tagesordnungspunkt in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden können. Sowohl
eine Fraktion als auch ein einzelnes Ratsmitglied hätten das Recht, in öffentlicher
Sitzung an der Aufklärung der Umstände und Hintergründe mitzuwirken, die zu der
Fusion geführt hätten. Vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Verletzung der
Befangenheitsvorschriften werde die Notwendigkeit der Behandlung des
Tagesordnungspunktes in öffentlicher Sitzung besonders deutlich. Es bestehe auch ein
Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des gefassten Beschlusses, da es in
den Kommunen des Kreises T. weitere Fusionsbestrebungen gebe und zudem in einem
weiteren Verfahren die Folgen der Rechtswidrigkeit des Beschlusses für die
Wirksamkeit der abgeschlossenen Verträge zu prüfen wären.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben die Kläger die Klage
zurückgenommen, soweit sie sich gegen die Gemeinde N. und den Bürgermeister der
Gemeinde N. gerichtet hat.
15
Die Kläger haben beantragt,
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festzustellen, dass der Ratsbeschluss des Rates der Gemeinde N. vom 10. Oktober
2002 über den Beitritt der Gemeinde N. zum Sparkassenzweckverband der Stadt T. und
der Gemeinden C. T1. , M. und X. , über die Aufnahme der Sparkasse N. durch die
Sparkasse T. und über den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages zwischen
dem Sparkassenzweckverband der Stadt T. und der Gemeinden C. T1. , M. und X. und
der Gemeinde N. ihre organschaftlichen Mitwirkungsrechte verletzt,
17
Der Beklagte hat beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Zur Begründung hat er ausgeführt: Der subjektiven Klageänderung auf der Klägerseite
sowie der Einbeziehung des Rates der Gemeinde N. auf der Beklagtenseite werde nicht
zugestimmt. Im übrigen sei die Klage bereits unzulässig. Es fehle schon ein
Feststellungsinteresse der Kläger, da weder eine Wiederholungsgefahr noch ein
Rehabilitationsinteresse oder ein Interesse an einem Präjudiz bestehe. Zudem hätten
die Kläger die Möglichkeit gehabt, sich unter Einschaltung der Kommunalaufsicht gegen
den Ratsbeschluss zu wehren. Auch fehle es an der Klagebefugnis, da die Vorschriften
über die Befangenheit weder Ratsmitgliedern noch Fraktionen subjektive Organrechte
vermittelten. Der subjektiven Klageänderung werde im übrigen nicht zugestimmt.
Jedenfalls sei die Klage aber unbegründet, da eine Mitwirkung befangener
Ratsmitglieder ebenso wenig vorgelegen habe wie ein Verstoß gegen den Grundsatz
der Öffentlichkeit von Ratssitzungen.
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Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der
zugelassenen und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgen die Kläger ihr
erstinstanzliches Begehren weiter. Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches
Vorbringen und tragen ergänzend vor: Sie hätten nicht auf die Beantwortung des
Fragenkatalogs in öffentlicher Sitzung verzichtet. Ein derartiges Einvernehmen sei
zwischen den Fraktionsvorsitzenden der Ratsfraktionen nicht erzielt worden. Der Antrag
auf öffentliche Beantwortung und Beratung habe den Ratsmitgliedern in der Sitzung
schriftlich vorgelegen. Eine ausdrückliche Wiederholung dieses Antrags sei deshalb
nicht erforderlich gewesen, zumal der Antrag wegen der Mehrheitsverhältnisse im Rat
ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Hätten sich die Kläger nicht an der
Sachdiskussion beteiligt, so hätten sie auf den letzten Rest von Einfluss auf die
Entscheidung verzichtet. Die obergerichtliche Rechtsprechung habe bislang ein
subjektives Recht von Ratsmitgliedern verneint, die Befangenheit einzelner
Ratsmitglieder zu rügen. Im vorliegenden Fall gehe es aber um eine Befangenheit von
insgesamt sechs Ratsmitgliedern. Demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien
des Kommunalverfassungsrechts geböten es in dieser Konstellation, dass der Verstoß
gegen die Befangenheitsvorschriften als eigenes Recht geltend gemacht werden könne.
21
Die Kläger beantragen,
22
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu
erkennen.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Berufung zurückzuweisen
25
Der Beklagte hält die Berufung schon für unzulässig, weil die Berufung keinen
konkreten Antrag enthalte. Im übrigen unterliege der Prozessbevollmächtigte der Kläger
als Mitglied des beklagten Rates dem kommunalrechtlichen Vertretungsverbot.
Schließlich sei die Berufung auch in der Sache unbegründet.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
27
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28
Die Berufung hat keinen Erfolg.
29
Vorab ist festzustellen, dass Rechtsanwalt L. als Prozessbevollmächtigter der Kläger
nicht zurückzuweisen ist. Seine Tätigkeit im vorliegenden Verfahren verstößt nicht
gegen § 32 Abs. 1 Satz 2, 43 Abs. 2 GO NRW, wonach Inhaber eines Ehrenamts
Ansprüche anderer gegen die Gemeinde nicht geltend machen dürfen, es sei denn,
dass sie als gesetzliche Vertreter handeln. Aus Wortlaut und Sinn des § 32 Abs. 1 Satz
2 GO NRW folgt, dass ein Ratsmitglied - wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger -
nur dann von der Geltendmachung von Rechtsansprüchen anderer ausgeschlossen ist,
wenn diese sich gegen die Gemeinde als solche richten, nicht aber, wenn es - wie hier -
um innerorganisatorische Rechte der Gemeindevertretung geht.
30
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Januar 1985 - 15 B 2697/84 - OVGE 38, 14 m.w. N.
31
Die Berufung ist zulässig, insbesondere genügt sie den Anforderungen des § 124 a Abs.
3 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 VwGO (bestimmter Antrag). § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO
verlangt nicht notwendig einen ausdrücklichen Antrag. Die Regelung erstrebt keine
durch die Sache nicht gerechtfertigte Formalisierung. Ausreichend ist vielmehr, dass die
innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem
gesamten Inhalt nach eindeutig erkennen lassen, in welchem Umfang und mit welchem
Ziel das Urteil angefochten werden soll.
32
Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124a Rn. 93 m.w.N.
33
Dem Vorbringen der Kläger ist eindeutig zu entnehmen, dass sie ihre erstinstanzlichen
Klageanträge weiterverfolgen.
34
Die Berufung ist aber unbegründet.
35
Die Klage ist zulässig. Gegen die Parteierweiterungen sowohl auf der Kläger- als auch
(ursprünglich) auf der Beklagtenseite bestehen keine Bedenken. Dabei kann offen
bleiben, ob die Parteierweiterungen wie eine Klageänderung zu behandeln sind,
36
vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1982 - 7 C 34.80 -, BVerwGE 66, 266, 267; BGH,
Urteil vom 9. Mai 1989 - VI ZR 223/88 -, NJW 1989, 3225; Lüke, in: Münchener
Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 263
37
oder ob sich lediglich die Frage der Verfahrenstrennung stellt,
38
vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2001 - 6 CN 4/00 -, NVwZ 2001, 1038,1039; Greger,
in : Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 263 Rn. 20, 26 f..
39
Denn die erfolgten Parteibeitritte sind auch nach Maßgabe der strengeren
Anforderungen des § 91 VwGO zulässig. Sie sind sachdienlich, weil sie die endgültige
Beilegung des Streites fördern und dazu beitragen, dass ein weiterer Prozess
vermieden wird. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen
Urteils Bezug genommen.
40
Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.
41
Nach der 1. Alternative dieser Vorschrift kann mit der Feststellungsklage die
Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis in diesem Sinn verstehen die ständige
höchstrichterliche Rechtsprechung und die Literatur die rechtlichen Beziehungen, die
sich auf Grund der Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf
einen konkreten Sachverhalt für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen)
Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der
beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun
braucht.
42
BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996 - 8 C 19.94 -, BVerwGE 100, 262 (264); ferner
Urteil vom 10. Juli 2001 - 1 C 35.00 -, BVerwGE 114, 356 (358 f.); Happ, in: Eyermann,
VwGO, 11. Aufl. 2000, § 43, Rdnr. 12.
43
An einem Rechtsverhältnis im Sinn dieser Definition beteiligt sein können nicht nur
natürliche oder juristische Personen, sondern auch kommunale Organe oder Organteile
als Träger organisationsinterner Rechte. Denn der Begriff des Rechtsverhältnisses im
Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist nicht auf Außenrechtsverhältnisse beschränkt, sondern
umfasst ebenso die Rechtsbeziehungen innerhalb von Organen einer juristischen
Person, also auch einer kommunalen Vertretungskörperschaft.
44
OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2002 - 15 A 2604/99 -, NWVBl. 2002, 381; vgl. auch
BVerwG, Urteil vom 15. März 1989 - 7 C 7.88 -, BVerwGE 81, 318 (319); Happ, in:
Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 43, Rdnr. 14; Fehrmann, Rechtsfragen des
Organstreits, NWVBl. 1989, 303 (304); Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage 2000, § 43,
Rdnr. 11; Pietzcker, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002,
§ 43, Rdnr. 26.
45
Auch ein Ratsbeschluss kann im Rahmen eines kommunalrechtlichen Organstreits
überprüft werden, wenn und soweit er die Rechte kommunaler Organe oder Organteile
konkretisiert oder nachteilig betrifft.
46
OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2002 - 15 A 2604/99 -, NWVBl. 2002, 381; Beschluss
vom 7. August 1997 - 15 B 1811/97 -, NWVBl. 1998, 110; Urteil vom 26. April 1989 - 15
A 2805/86 -, OVGE 41, 118; Urteil vom 14. Oktober 1988 - 15 A 2126/86 -, MittNWStGB
1988, 394.
47
Eine dementsprechende nachteilige Betroffenheit in eigenen Rechten durch den
Ratsbeschluss vom 10. Oktober 2002 machen die Kläger geltend. Gegenstand der
Klagebegehren ist die Frage, ob die Kläger durch den Beschluss in organschaftlichen
Rechten verletzt sind. Dem Rechtsstreit liegt damit ein konkretes organschaftliches
Rechtsverhältnis im Sinn des § 43 Abs. 1 VwGO zu Grunde.
48
Die Kläger sind auch klagebefugt. Eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines
organschaftlichen Rechtsverhältnisses innerhalb kommunaler Organe oder zwischen
diesen ("kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage") ist in entsprechender
Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn die Kläger geltend machen, in
ihren Rechten verletzt zu sein. Dies setzt voraus, dass es sich bei der als verletzt
gerügten Rechtsposition um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem klagenden
Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges
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subjektives Organrecht handelt. Geht es, wie hier, um die Verletzung organschaftlicher
Mitwirkungsrechte durch einen Ratsbeschluss, setzt die Klagebefugnis
dementsprechend voraus, dass dieser ein subjektives Organrecht des klagenden
Organs oder Organteils nachteilig betrifft. Denn das gerichtliche Verfahren dient nicht
der Feststellung der objektiven Rechtswidrigkeit des Ratsbeschlusses, sondern dem
Schutz der dem klagenden Organ oder Organteil durch das Innenrecht zugewiesenen
Rechtsposition. Ob eine solche geschützte Rechtsposition im Hinblick auf die
Beschlussfassung des Rates besteht, ist durch Auslegung der jeweils einschlägigen
Norm zu ermitteln.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. September 1988 - 7 B 208.87 -, NVwZ 1989, 470 =
BayVBl. 1989, 378; OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2002 - 15 A 2604/99 -, NWVBl.
2002, 381; Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31; Urteil vom 26.
April 1989 - 15 A 2805/86 -, OVGE 41, 118; Urteil vom 14. Oktober 1988 - 15 A 2126/86 -
, MittNWStGB 1988, 394; Urteil vom 2. Februar 1972 - III A 887/69 -, OVGE 27, 258
(264); BWVGH, Urteil vom 24. Februar 1992 - 1 S 2242/91 - , NVwZ-RR 1992, 373;
Schnapp, VwArch 78 (1987), S. 407 (415).
50
Nach diesem Maßstab ist die Klagebefugnis sowohl der klagenden Ratsfraktion als
auch des klagenden Ratsmitglieds im vorliegenden Fall zu bejahen. Der Senat hat
bereits entschieden, dass Ratsfraktionen und Ratsmitgliedern ein eigenes wehrfähiges
subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit in § 48
Abs. 2 Satz 1 GO NRW zusteht.
51
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97-, NVwZ-RR 2002, 135.
52
Weitergehende Feststellungen setzt die Annahme der Klagebefugnis hier nicht voraus,
insbesondere erfordert sie keine Prüfung, inwieweit den Klägern wehrfähige subjektive
Organrechte auch im Hinblick auf die geltend gemachte unzureichende Information
sowie die behauptete Mitwirkung befangener Ratsmitglieder bei der Beschlussfassung
zustehen. Eine derartige differenzierende Betrachtungsweise wäre nur dann geboten,
wenn mit den verschiedenen behaupteten Rechtsverletzungen auch mehrere
Streitgegenstände und damit mehrere Klagen, bezüglich derer die Klagebefugnis
jeweils gesondert geprüft werden müsste, in das Verfahren eingeführt worden wären.
Dies ist hier aber nicht der Fall.
53
Nach dem in der Rechtsprechung entwickelten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff
setzt sich der Streitgegenstand aus der angestrebten Rechtsfolge, die im Antrag zum
Ausdruck kommt, und dem Klagegrund zusammen, d.h. dem Sachverhalt, aus dem sich
die Rechtsfolge ergeben soll.
54
Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 9 C 21/00 - , BVerwGE 114, 27, und vom
10. Mai 1994 - 9 C 501.93 - , BVerwGE 96, 24, 25; Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - 1
WB 38/03 - und vom 16. Februar 1990 - 9 B 325.89 - , Buchholz 412.3 § 18 BVFG Nr.
13.
55
Die Klägerin hat mit ihrem Feststellungsantrag und dem zur Begründung angeführten
einheitlichen Lebenssachverhalt lediglich einen Streitgegenstand zur Entscheidung
gestellt. Sie hat ihren auf die Feststellung einer Rechtsverletzung bezogenen
Klageantrag lediglich in zulässiger Weise mit mehreren Rechtsverletzungen begründet.
Zwar kann ein Feststellungsantrag nicht nur - wie die Kläger dies hier getan haben - auf
56
verschiedene Begründungen gestützt werden, sondern mit ihm können auch mehrere
Streitgegenstände in das Verfahren eingeführt werden. Voraussetzung ist dafür
allerdings, dass der Kläger zweifelsfrei deutlich macht, dass er mit seinem Antrag
mehrere prozessuale Begehren verfolgt.
Vgl. zu entsprechenden Konstellationen im Wettbewerbsrecht: BGH, Urteil vom 3. April
2003 - I ZR 1/01 - , NJW 2003, 2317-2319.
57
Eine derartige Verdeutlichung könnte insbesondere durch die Formulierung des
Klageantrags in der Weise erfolgen, dass mehrere zur Klagebegründung angeführte
Rechtsverletzungen ausdrücklich in den Klageantrag aufgenommen werden.
58
Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss verletzt die Kläger nicht in deren
organschaftlichen Rechten. Dies gilt sowohl für die von den Klägern gerügte Mitwirkung
befangener Ratsmitglieder als auch für den geltend gemachten Verstoß gegen den
Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit und die behauptete unzureichende Information vor
der Ratssitzung.
59
Hinsichtlich der angeblichen Mitwirkung befangener Ratsmitglieder steht den Klägern
schon ein wehrfähiges subjektives Organrecht nicht zu. Aus der
kommunalverfassungsrechtlichen Stellung erwächst weder einem Ratsmitglied noch
einer Ratsfraktion ein im Rechtsweg verfolgbarer allgemeiner Anspruch darauf, dass der
Rat nur - in formeller wie materieller Hinsicht - gesetzmäßige Beschlüsse fasst.
60
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. August 1997 - 15 B 1811/97 - , NVwZ-RR 1998, 325;
BayVGH, Urteil vom 2. Juli 1976 - Nr. 47 V 73 -, VRspr. 28, 460.
61
Die unberechtigte Mitwirkung eines wegen Befangenheit nach §§ 31, 43 Abs. 2 GO
NRW von der Abstimmung auszuschließenden Ratsmitglieds verletzt auch im übrigen
keine im Kommunalverfassungsstreitverfahren durchsetzbaren Mitgliedschaftsrechte der
anderen Ratsmitglieder oder einer Ratsfraktion. §§ 31, 43 Abs. 2 GO NRW begründen
keine Rechte der anderen Ratsmitglieder oder einer Ratsfraktion, weil sie nicht deren
Interessen zu dienen bestimmt sind. Vielmehr bezweckt der Ausschluss befangener
Ratsmitglieder ausschließlich im öffentlichen Interesse die Sicherstellung einer
unvoreingenommenen, nicht durch unsachliche Motive bestimmten Beschlussfassung
des Rates.
62
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. August 1997 - 15 B 1811/97 - , a.a.O., und vom 13.
April 2001 - 15 B 364/00 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. August 1984 - 7 A 19/84
-, DVBl. 1985, 177; BayVGH, Urteil vom 2. Juli 1976 - Nr. 47 V 73 - , a.a.O. A.A.
Suerbaum, JuS 1994, 324, 329 m.w.N.
63
Dies gilt unabhängig davon, ob die Befangenheit eines Ratsmitglieds gerügt wird oder
ob die Befangenheit mehrerer Ratsmitglieder geltend gemacht wird. Das Recht von
Ratsfraktionen, ihre Ansichten öffentlich darzustellen und ggf. auf Verstöße gegen
Befangenheitsvorschriften öffentlich hinzuweisen, schließt nicht das Recht ein, das
Vorliegen dementsprechender Verstöße auf dem Rechtsweg prüfen zu lassen. Die
Gewährung eines dahingehenden Klagerechts ist auch nicht zur Aufrechterhaltung
rechtsstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien erforderlich. Der Gemeinderat ist
als Teil der vollziehenden Gewalt durch Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht
gebunden. Diese Gesetzesbindung wird nach dem nordrhein- westfälischen
64
Gemeindeverfassungsrecht durch verschiedene Systeme ausreichend sichergestellt.
Als internes Kontrollsystem dient die Pflicht des Bürgermeisters, rechtswidrige
Ratsbeschlüsse zu beanstanden und ggf. die Entscheidung der Aufsichtsbehörde
einzuholen, § 54 Abs. 2 GO NRW. Kommt der Bürgermeister seinen diesbezüglichen
Pflichten nicht nach, so kann die Aufsichtsbehörde den Bürgermeister anweisen, § 122
GO NRW. Dritte, also insbesondere Bürger, aber auch Fraktionen oder Ratsmitglieder
haben aber keine Klagebefugnis für eine Klage auf Einschreiten des Bürgermeisters
oder der Aufsichtsbehörde.
Vgl. Kallerhoff, Das kommunalaufsichtliche Beanstandungs- und Aufhebungsrecht in
der Rechtsprechung des OVG NW, NWVBl. 1996, 53, 57 m.w.N.
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Dieser Befund korrespondiert mit der vorstehenden Aussage, dass Fraktionen oder
Ratsmitglieder keinen Anspruch darauf haben, dass der Rat nur gesetzmäßige
Beschlüsse fasst. Neben der Kontrolle im Rahmen von Beanstandungs- und
Aufsichtsmaßnahmen kann die Rechtmäßigkeit von Ratsbeschlüssen auch im Rahmen
verwaltungsgerichtlicher Klageverfahren sonstiger in ihren Rechten Betroffener zur
Überprüfung anstehen. Weitergehende Überprüfungsmöglichkeiten sind von
Verfassungs wegen nicht geboten. Schließlich führt auch nicht der von den Klägern
gezogene Erst-Recht-Schluss zur Annahme eines Klagerechts von bei der
Beschlussabstimmung unterlegenen Ratsmitgliedern gegen die Mitwirkung anderer
befangener Ratsmitglieder. Denn die Einräumung subjektiver Rechtspositionen zur
Abwehr von äußeren Beeinträchtigungen wie etwa störenden Raucheinwirkungen lässt
diesen Erst-Recht-Schluss nicht zu. Die Mitwirkung befangener Ratsmitglieder bei der
Beschlussfassung unterscheidet sich von äußeren Einwirkungen auf ein Ratsmitglied
nicht quantitativ, sondern qualitativ. Anders als etwa störende Raucheinwirkungen stört
die Mitwirkung Befangener als solche nicht die Mandatsausübung der nichtbefangenen
Ratsmitglieder.
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Soweit die Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit
geltend machen, betrifft dies zwar - wie bereits ausgeführt - verfahrensrechtliche
Vorgaben, deren Verletzung sowohl von Ratsmitgliedern als auch von Ratsfraktionen
gerügt werden kann. Der geltend Rechtsverstoß liegt aber nicht vor, denn die in Rede
stehende Beratung war nicht in öffentlicher Sitzung durchzuführen. Vielmehr war die
Öffentlichkeit gemäß § 6 Abs. 2 g) der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt N. vom
28. Oktober 1999 in der Fassung vom 15. Februar 2001 (GeschO- Rat) ausgeschlossen.
Nach dieser Bestimmung ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen u.a. für Angelegenheiten,
bei denen das Gemeinwohl der Behandlung in öffentlicher Sitzung entgegensteht. Dies
ist hier der Fall.
67
§ 6 Abs. 2 g) ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Er findet seine Grundlage in § 48
Abs. 2 Satz 2 GO NRW, wonach die - gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW grundsätzlich
vorgeschriebene - Öffentlichkeit von Ratssitzungen durch die Geschäftsordnung für
Angelegenheiten einer bestimmten Art ausgeschlossen werden kann. § 48 Abs. 2 Satz
2 GO NRW ermächtigt den Gemeinderat mit dem Ausschluss von "Angelegenheiten
einer bestimmten Art" zur Schaffung abstrakt- generell gefasster Ausschlusstatbestände,
während § 48 Abs. 2 Satz 3 GO NRW den Ausschluss der Öffentlichkeit "für einzelne
Angelegenheiten" auf Antrag des Bürgermeisters oder eines Ratsmitglieds betrifft. Dem
Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW sind allerdings keine inhaltlichen Kriterien
dafür zu entnehmen, in Angelegenheiten welcher Art der Gemeinderat die Öffentlichkeit
durch die Geschäftsordnung ausschließen darf. Wegen der großen Bedeutung des
68
Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 - , a.a.O., m.w.N.,
69
ist hieraus aber nicht zu schließen, dass der Gemeinderat insoweit keinen Bindungen
unterläge. § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW setzt vielmehr voraus, dass aus anderen
Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in welcher Art von
Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung beraten werden muss.
70
Vgl. schon Kottenberg, GO, Kommentar, 6. Auflage 1961, § 33 GO Anm. III.
71
In gesetzessystematischer Hinsicht sind einschlägige Vorgaben insbesondere den
Regelungen über die Verschwiegenheitspflicht der Ratsmitglieder zu entnehmen, § 30
Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 2 GO NRW. Danach haben Ratsmitglieder u.a. über die bei ihrer
Tätigkeit bekannt gewordene Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren, deren
Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich oder besonders vorgeschrieben ist. Ihrer
Natur nach geheim sind nach § 30 Abs. 1 Satz 2 GO NRW u.a. Angelegenheiten, deren
Mitteilung an andere dem Gemeinwohl zuwiderlaufen würde. Geht der Gesetzgeber
damit von der Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Angelegenheiten aus, so ist der
Rat jedenfalls berechtigt, durch die Geschäftsordnung die Öffentlichkeit für diese
Angelegenheiten von den Sitzungen des Rates auszuschließen. Sind nach § 30 Abs. 1
Satz 2 GO NRW ihrer Natur nach insbesondere Angelegenheiten geheim, deren
Mitteilung an andere dem Gemeinwohl zuwiderlaufen würde, so darf der Rat
dementsprechend - wie durch § 6 Abs. 2 g) GeschO-Rat - die Öffentlichkeit für
Angelegenheiten ausschließen, bei denen das Gemeinwohl einer Behandlung in
öffentlicher Sitzung entgegensteht, vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 GO NRW.
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Das Gemeinwohl stand einer Beratung der Tagesordnungspunkte 3a) und 3b) im
nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung in öffentlicher Sitzung entgegen. Unter
Gemeinwohl sind solche Interessen und Anliegen zu verstehen, die über die Interessen
einzelner hinausgehen und die Interessen der örtlichen oder überörtlichen
Gemeinschaft betreffen. Das Gemeinwohl gebietet den Ausschluss der Öffentlichkeit
und rechtfertigt ihn, wenn Interessen und Belange des Bundes, des Landes, der
Gemeinde oder anderer öffentlich-rechtlicher Aufgabenträger durch eine öffentliche
Verhandlung verletzt werden können. Die Sparkasse N. war ein öffentlich- rechtlicher
Aufgabenträger im vorgenannten Sinne.
73
Sparkassen sind gemäß § 2 des Sparkassengesetzes (SpkG) rechtsfähige Anstalten
des öffentlichen Rechts und damit Träger öffentlich-rechtlicher Aufgaben. Die Interessen
und Belange der Sparkasse N. konnten durch eine Behandlung der mit der Fusion
verbundenen Fragen in öffentlicher Sitzung verletzt werden. Die Sparkassen sind nach
§ 3 SpKG Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden mit der Aufgabe, der geld- und
kreditwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft insbesondere des
Geschäftsgebiets und ihres Gewährsträgers zu dienen. Unter Beachtung ihres
öffentlichen Auftrags sind die Geschäfte der Sparkasse nach kaufmännischen
Grundsätzen zu führen. Hiervon ausgehend und unter Berücksichtigung der
Konkurrenzsituation mit anderen Kreditinstituten haben Sparkassen
Geschäftsgeheimnisse, die Dritten nicht unbefugt offenbart werden dürfen. Diesem
Umstand trägt § 22 SpkG dadurch Rechnung, dass er die Mitglieder der Organe der
Sparkasse sowie alle bei der Sparkasse tätigen Dienstkräfte, vgl. §§ 23,24 SpkG, zur
Amtsverschwiegenheit über den Geschäftsverkehr und die sonstigen vertraulichen
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Angelegenheiten der Sparkasse verpflichtet. Das Interesse, die Geschäftsgeheimnisse
der Sparkasse N. Dritten nicht unbefugt zu offenbaren, rechtfertigte den Ausschluss der
Öffentlichkeit. Hierbei genügt es, dass eine Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen
durch eine Behandlung der Angelegenheit in öffentlicher Sitzung möglich ist. Welchen
Inhalt die Beratung tatsächlich haben wird, steht erst fest, wenn die Beratung
abgeschlossen ist. Da die Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit aber
bereits vor der Beratung zu treffen ist, kann sie nur aufgrund einer Gefährdungsprognose
getroffen werden.
Vgl. Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 4. Aufl. 1989, S. 60.
75
Die danach anzustellende Prognose rechtfertigte die Einschätzung, dass die
Behandlung der Tagesordnungspunkte 3 a) und 3 b) in öffentlicher Sitzung die Belange
eines öffentlich-rechtlichen Aufgabenträgers, nämlich der Sparkasse N. gefährden
könnte. Die Geschäftsgeheimnisse der Sparkasse N. hätten durch eine öffentliche
Beratung über die Fusion mit der Sparkasse T. verletzt werden können. Es liegt auf der
Hand, dass im Rahmen dieser Beratung Interna (personelle, wirtschaftliche usw.) zur
Sprache kommen konnten, an deren Geheimhaltung gegenüber der Öffentlichkeit die
Sparkasse N. ein schutzwürdiges Interesse hatte. Dies galt umso mehr als die Klägerin
zu 1) in ihren umfangreichen Fragenkatalog gerade auch Fragen zur wirtschaftlichen
Situation der Sparkasse N. aufgenommen hatte, die sich nicht aus allgemein
zugänglichen Quellen beantworten ließen.
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Entgegen der Ansicht der Kläger konnte der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht lediglich
auf Teile der Beratung der Tagesordnungspunkte beschränkt werden. Eine derartige
atomisierende Betrachtung ist den Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit
fremd. Sie wird auch der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Die maßgebliche Prognose,
ob Geheimhaltungsinteressen bei einer Beratung der Angelegenheit in öffentlicher
Sitzung verletzt werden können, lässt wegen des thematischen Zusammenhangs der
Angelegenheit und der Unvorhersehbarkeit der einzelnen Beiträge grundsätzlich nur für
die Angelegenheit insgesamt, nicht aber für einzelne Teile der Angelegenheit treffen.
Erfolgte der Ausschluss der Öffentlichkeit deshalb zu Recht, kommt es nicht mehr darauf
an, ob den Klägern die Berufung auf einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz
im konkreten Fall nach Treu und Glauben verwehrt wäre.
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Die von den Klägern geltend gemachte Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte
durch den Ratsbeschluss liegt schließlich auch nicht vor unter dem Gesichtspunkt einer
unzureichenden Information durch den Bürgermeister der Gemeinde N. . Dabei kann
offenbleiben, unter welchen Voraussetzungen der Gemeinderat auf Grund eine
Verletzung der Informationspflicht des Bürgermeisters verpflichtet sein kann, von einer
abschließenden Beschlussfassung in der Sache vorerst abzusehen. Jedenfalls können
sich eine Ratsfraktion und ein Ratsmitglied auf eine insoweit bestehende
Entscheidungssperre nur dann berufen, wenn sie eine Vertagung der Beschlussfassung
beantragt haben. Dies folgt aus dem auf das Verhältnis zwischen kommunalen Organen
oder Organteilen übertragbaren Grundsatz der Organtreue. Dieser begründet die
Obliegenheit von Ratsfraktionen oder -mitgliedern, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit
einer anstehenden Beschlussfassung auf Grund einer vermeintlich unzureichenden
Information in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen.
Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der
Rechtsverletzung gegenüber dem Gemeinderat treuwidrig und deshalb unzulässig.
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Vgl. zur Folge entsprechender Obliegenheitsverletzungen z.B. im
Prüfungsrechtsverhältnis: BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 7 C 67/82 -, BVerwGE
69, 46.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über deren
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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