Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.08.2007
OVG NRW: benachrichtigung, aufschiebende wirkung, nachfolge, verwaltungsakt, öffentlich, vollziehung, form, ermächtigung, rücknahme, datum
Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 902/07
Datum:
02.08.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 902/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 4 L 715/07
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des
Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 4 K 2156/07 vor dem Verwaltungsgericht Köln
gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2007 wiederherzustellen,
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zu Recht stattgegeben. Der Antrag ist zulässig und begründet. Der Antrag ist gemäß §
80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Diese Verfahrensart ist
gegeben, weil es sich bei dem Schreiben des Antragsgegner vom 29. März 2007 um
einen Verwaltungsakt handelt, gegen dessen sofortige Vollziehbarkeit ein Antrag nach
der genannten Vorschrift möglich ist. Zwar könnten angesichts des Wortlauts des
Schreibens Zweifel an seinem Charakter als Verwaltungsakt bestehen, wenn keine
verbindliche Regelung getroffen, sondern bloß eine Mitteilung zur Rechtslage gegeben
werden sollte. Jedenfalls aber erhält das Schreiben durch den Widerspruchsbescheid
die eindeutige Gestalt eines Verwaltungsaktes, da danach verbindlich geregelt sein soll,
dass der Antragsteller entgegen der Benachrichtigung über die Listennachfolge durch
Schreiben des Antragsgegners vom 6. März 2007 nicht Mitglied des Rates geworden
sei.
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Vgl. zu einer solchen Umqualifizierung eines Nichtverwaltungsaktes in einen
Verwaltungsakt durch Widerspruchsbescheid BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1987 - 8 C
21.86 -, BVerwGE 78, 3.
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Der Antrag ist auch insoweit statthaft, als der Bescheid vom 29. März 2007 gemäß § 80
Abs. 2 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbar ist. Zwar heißt es in der Anordnung der sofortigen
Vollziehung im Widerspruchsbescheid, dass diese "für diesen Widerspruchsbescheid"
erfolge. Bei verständiger Würdigung, namentlich unter Berücksichtigung der gegebenen
Begründung, dass die Nachfolgefrage rasch geklärt werden müsse, kann die Anordnung
der sofortigen Vollziehung aber nicht dahin verstanden werden, dass isoliert der
Widerspruchsbescheid, nicht aber das Schreiben über den Nichteintritt der Nachfolge
vom 29. März 2007 für sofort vollziehbar erklärt werden sollte.
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Schließlich besteht auch - wie unten im Zusammenhang mit der Erörterung der
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ausgeführt wird - ein Rechtsschutzbedürfnis des
Antragstellers, obwohl die Feststellung im angegriffenen Schreiben vom 29. März 2007
richtig und er nicht gewählt und somit nicht Mitglied des Rates geworden ist.
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Der Antrag ist begründet, weil bei einer Abwägung zwischen dem Interesse des
Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 1 VwGO
und dem Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes vom 29. März
2007 das Suspensivinteresse überwiegt. Der Bescheid in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides erweist sich nämlich als offensichtlich rechtswidrig.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts beruht dies allerdings nicht darauf,
dass die getroffene Feststellung, der Antragsteller sei nicht Nachfolger im Rat
geworden, falsch und somit die Benachrichtigung über die Listennachfolge im
Schreiben vom 6. März 2007 richtig wäre. Diese Benachrichtigung ist nämlich in der Tat
unrichtig. Nach § 45 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz (KWahlG) wird unter anderem dann,
wenn ein Vertreter aus der Vertretung ausscheidet, der Sitz nach der Reserveliste
besetzt. Voraussetzung für die Ersatzbestimmung ist also das Ausscheiden eines
Vertreters. Das Ratsmitglied I. ist durch Verzicht gemäß § 38 KWahlG mit Ablauf des 31.
März 2007 ausgeschieden. Vor diesem Datum durfte eine Ersatzbestimmung nach § 45
Abs. 2 Satz 1 KWahlG nicht erfolgen, da das Ratsmitglied noch nicht ausgeschieden
war. Daraus ergibt sich weiter, dass für das Erfordernis der Ersatzbestimmung, dass der
aus der Reserveliste zu bestimmende Nachfolger nicht aus der Partei- oder
Wählergruppe ausgeschieden sein darf (§ 45 Abs. 1 Satz 2 KWahlG), jedenfalls nicht
auf den Zeitpunkt einer zuvor erfolgten Benachrichtigung über die Listennachfolge durch
den Wahlleiter abgestellt werden darf, die lediglich prognostisch eine zukünftige
Ersatzbestimmung zu Grunde legt. Eine vorherige Ersatzbestimmung verbietet sich bei
durch befristeten Verzicht sicher erfolgendem Ausscheiden auch deshalb, weil dann
noch gar nicht feststellbar ist, ob nicht zuvor ein weiterer Ersatzbestimmungsfall durch
sofortiges Ausscheiden eintritt und der Nachfolger die Voraussetzungen für die
Ratsmitgliedschaft im Zeitpunkt der Nachfolge erfüllen wird.
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Der Antragsteller ist auch nicht durch die Annahme der Wahl gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1
der Kommunalwahlordnung (KWahlO) i.V.m. § 36 Abs. 1 Satz 1 KWahlG Mitglied des
Rates geworden. Dies wird nur der "gewählte Bewerber". Das ist der Antragsteller nicht,
weil er vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aus der Wählergruppe ausgeschieden und
somit bei der Feststellung des Listennachfolgers nach § 45 KWahlG nicht zu
berücksichtigen ist.
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Dennoch ist der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtswidrig. Er kann sich nämlich
auf keine Rechtsgrundlage stützen. Der Bescheid vom 29. März 2007 stellt fest, dass die
Voraussetzungen für eine Nachfolge in der Person des Antragstellers entgegen der
Benachrichtigung vom 6. März 2007 nicht vorgelegen hätten und der Antragsteller
deshalb zum 1. April 2007 nicht in den Rat nachrücke. Die Feststellung in Form eines
Verwaltungsaktes ist rechtswidrig, da das Kommunalwahlrecht für den Wahlleiter eine
Ermächtigung zu einer solchen Feststellung nicht vorsieht.
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Vgl. zur Notwendigkeit einer Ermächtigung für feststellende Verwaltungsakte allgemein
BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2001 - 3 C 2.01 -, BVerwGE 114, 226 (227 f.); speziell zu
wahlrechtlichen Feststellungen des Wahlleiters OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 1991
- 15 A 1519/90 -, NWVBl. 1991, 233.
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Der Bescheid kann auch nicht als Rücknahme der Benachrichtigung vom 6. März 2007,
etwa als einer Nachfolgefeststellung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 KWahlG, verstanden
werden. Zwar muss der angegriffene Bescheid im Zusammenhang mit der vorherigen
Benachrichtigung über die Listennachfolge vom 6. März 2007 gesehen werden, mit der
dem Antragsteller mitgeteilt wurde, er sei als Nachfolger des Ratsmitgliedes I. gewählt.
Bei diesem Schreiben handelt es sich aber lediglich um die Benachrichtigung des
Gewählten nach § 69 Abs. 2 Satz 1 KWahlO i.V.m. §§ 35, 36 KWahlG. An diese und die
daraufhin erklärte Annahme der Wahl knüpft sich zwar die Rechtsfolge, dass der
Gewählte die Mitgliedschaft in der Vertretung erwirbt.
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Das macht die Benachrichtigung aber nicht zu einem Verwaltungsakt, geschweige denn
zur Feststellung der Nachfolge nach § 45 KWahlG, da ihr das notwendige Merkmal
einer Regelung fehlt. Die amtliche Feststellung des Nachfolgers nach außen erfolgt
allein durch öffentlich bekannt zu machenden Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2
KWahlG, die im Wege der Wahlprüfung angegriffen werden kann. Erst ab diesem
Zeitpunkt hat derjenige, der die Wahl angenommen hat - ungeachtet der Frage, ob er
wirklich gewählt wurde - eine nach Maßgabe des Wahl- und Wahlprüfungsrechts
gesicherte Position, da der Wahlleiter an die so festgestellte Zusammensetzung des
Rates gebunden ist (vgl. §§ 40 Abs. 3, 45 Abs. 2 Satz 2 KWahlG zum Zeitpunkt des
Ausscheidens eines Vertreters im wahlprüfungsrechtlichen Verfahren). Vor der öffentlich
bekannt gemachten Nachfolgefeststellung kann der Wahlleiter ungeachtet einer einem
in Wirklichkeit nicht Gewählten gegenüber vorgenommenen Benachrichtigung und
dessen Annahmeerklärung den richtigen Gewählten benachrichtigen und zur
Wahlannahme auffordern. Da somit dem Schreiben vom 6. März 2007 als bloßer
Benachrichtigung keine Regelungswirkung zukommt, kann das Schreiben vom 29. März
2007 nicht als Rücknahme eines Verwaltungsaktes verstanden werden, ohne dass es
der Klärung bedarf, ob wahlrechtliche Verwaltungsakte überhaupt rücknehmbar sind.
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An der Beseitigung der - wenngleich zutreffenden - Feststellung in Form eines
Verwaltungsaktes besteht ein legitimes Interesse des Antragstellers. Die
verfahrensrechtliche Position des Antragstellers, dass die Nachfolge bis zur öffentlich
bekannt gemachten Nachfolgefeststellung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 KWahlG nicht für die
Gemeinde verbindlich festgelegt ist, wird durch eine "freihändige", ihm gegenüber in
Bestandskraft erwachsende Feststellung fehlender Nachfolgereigenschaft
beeinträchtigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
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außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht für erstattungsfähig zu erklären,
da er im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich somit auch keinem
Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung über den
Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des
Gerichtskostengesetzes. Dabei legt der Senat für das Hauptsacheverfahren nicht den
Auffangstreitwert, sondern - wie im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
unter Nr. 2.1.3 für die Anfechtung von Kommunalwahlen durch Wahlbewerber
vorgesehen - einen höheren Streitwert zu Grunde, der wegen des bloß vorläufigen
Charakters der vorliegenden Entscheidung zu halbieren ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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