Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.04.2008

OVG NRW: aufschiebende wirkung, grundstück, grenzabstand, dokumentation, einheit, unvereinbarkeit, dachgeschoss, lärm, zahl, balkon

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 2111/07
Datum:
08.04.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 2111/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1568/07
Tenor:
Die Beschwerde und die Anschlussbeschwerden werden
zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen der Antragsteller
neun Zehntel und der Antragsgegner und die Beigeladene je ein
Zwanzigstel.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,-- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das
Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu
ändern, soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
abgelehnt hat.
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Zu Unrecht wendet sich der Antragsteller dagegen, dass das Verwaltungsgericht einen
Verstoß der genehmigten neun Stellplätze gegen § 51 Abs. 7 BauO NRW verneint hat.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit darauf abgestellt, die Zahl und Lage der
im Hintergelände genehmigten Stellplätze sei nach den einschlägigen
Zumutbarkeitskriterien der genannten Vorschrift nicht zu beanstanden, weil in direkter
Nachbarschaft entsprechende Vorbilder vorhanden seien. Der vom Antragsteller betonte
Umstand, die Garagen auf den westlichen Nachbargrundstücken führten auf seinem
Grundstück nicht zu Lärm- und Geruchsbelästigungen, gebietet keine andere
Beurteilung. Nach der vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen
einschlägigen Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts kommt es
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für die Zumutbarkeit insbesondere maßgeblich darauf an, was die Betroffenen in dem
Bereich, in dem sich die Stellplätze auswirken werden, bereits hinzunehmen oder zu
erwarten haben (Unterstreichung durch den Senat). Maßgebend ist mithin nicht allein
das aktuell gegebene Ausmaß an Beeinträchtigungen, sondern auch der Umstand,
inwieweit der betreffende - hier rückwärtige - Bereich bereits auf anderen Grundstücken
im näheren Umfeld als Standort für Stellplätze und damit zugleich als Quelle von Kfz-
bedingten Immissionen vorgeprägt ist. Eine solche Vorprägung ist hier ohne weiteres zu
bejahen, da die Nordwestseite der T. Hauptstraße an zahlreichen Stellen beidseitig
grenzständige Straßenrandbebauung mit Durchfahrten in das Hintergelände und dort
befindliche Stellplätze aufweist. Davon, dass es hier üblich und von der Konzeption der
Bebauung her vorgegeben wäre, dass die Stellplätze nahe der Straße untergebracht
sind, kann keine Rede sein. In dieser Situation konnte der Antragsteller nicht darauf
vertrauen, seinen Gartenbereich auf Dauer als von Kfz-bedingten Immissionen freie
Ruhezone nutzen zu können.
Fehl geht auch der Einwand des Antragstellers, das der Beigeladenen genehmigte
Vorhaben habe seinem Grundstück gegenüber erdrückende Wirkung.
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Die beidseitig grenzständigen Häuser T. Hauptstraße 229 und 231 prägen die
maßgebliche Umgebung mit und markieren damit die Obergrenze des Rahmens, den
das Vorhaben der Beigeladenen ausschöpfen darf. Bei den hiernach gegebenen
Vorbildern konnte der Antragsteller nicht darauf vertrauen, dass die Schließung der
westlich seines Grundstücks vorhandenen Baulücke gleichsam in Form einer
abgetreppten Bebauung erfolgen würde. Hinsichtlich der Bautiefe bildet die Bebauung
auf seinem eigenem Grundstück zudem ein weiteres Vorbild.
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Die vom Antragsteller angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
gebietet nicht schon deshalb eine andere Beurteilung, weil sie eine andere
Fallkonstellation betrifft. In jenem Fall ging es nicht darum, dass - wie hier - an eine
bereits vorhandene grenzständige Bebauung unmittelbar angebaut wird, sondern um
freistehende, als Solitäre wirkende Silos, die das benachbarte Grundstück überragten.
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Der Hinweis der Beschwerde, der Antragsgegner habe im Baugenehmigungsverfahren
die ursprünglich vorgesehene Ausgestaltung des Vorhabens der Beigeladenen als
rücksichtslos gewertet, trifft zwar zu. Dabei ging es nach den Ausführungen in dem an
die Beigeladene gerichteten Anhörungsschreiben des Antragsgegners vom 17.
November 2006 jedoch nicht um die Dimensionen des Hauptbaukörpers, sondern allein
um den Umstand, dass die rückwärtigen Dachterrassen beidseitig bis an die Grenzen
des Grundstücks der Beigeladenen herangeführt werden sollten. Insoweit hat die
Beigeladene ihr Vorhaben dahin modifiziert, dass die seitlichen Begrenzungen der
Dachterrassen um mehr als drei Meter von den seitlichen Grundstücksgrenzen
abgerückt wurden.
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Unbegründet sind auch die Anschlussbeschwerden des Antragsgegners und der
Beigeladenen. Das diesbezügliche Vorbringen gibt keinen Anlass, die Entscheidung
des Verwaltungsgerichts insoweit zu ändern, als es die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs der Antragsteller hinsichtlich der im Dachgeschoss an der Rückseite des
Gebäudes genehmigten beiden Dachterrassen angeordnet hat.
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Einschlägig für die abstandrechtliche Beurteilung des mit Bauschein vom 13. Februar
2007 genehmigten Vorhabens ist § 6 BauO NRW in der am 28. Dezember 2006 in Kraft
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getretenen Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2006 (GV NRW S. 615).
Insoweit ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die
genehmigten Dachterrassen gegenüber dem Grundstück des Antragstellers eine den
Berechnungsregeln des § 6 BauO NRW entsprechende Abstandfläche einhalten
müssen, weil sie zu diesem Grundstück hin nicht grenzständig angelegt sind. Gemäß §
6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b) BauO NRW ist innerhalb der überbaubaren
Grundstücksfläche eine Abstandfläche nicht erforderlich gegenüber
Grundstücksgrenzen, gegenüber denen nach planungsrechtlichen Vorschriften ohne
Grenzabstand gebaut werden darf, wenn gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück
ohne Grenzabstand gebaut wird. Ungeachtet der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen
lässt § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b) BauO NRW es lediglich zu, dass grenzständig gebaut
oder ein Abstand eingehalten wird, wobei im letztgenannten Fall der insoweit
erforderliche Grenzabstand nach den allgemeinen Regelungen des § 6 BauO NRW zu
ermitteln ist.
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Vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 12. November 2007 - 7 B 1354/07 -, JURIS-
Dokumentation.
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Zutreffend ist das Verwaltungsgericht ferner davon ausgegangen, dass die genehmigten
Dachterrassen nicht nach § 6 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW abstandrechtlich privilegiert
sind. Bautechnisch bilden die Dachterrassen, die vor die Rückfront des Gebäudes
vorkragen, eine Einheit. Sie weisen insgesamt eine Breite von 3,47 + 0,24 + 3,47 = 7,18
m auf und überschreiten damit bei weitem das Maß von einem Drittel der gesamten
rückwärtigen Außenwand des Gebäudes von 15,11 m, nämlich von 5,04 m. Schon
wegen dieser Unvereinbarkeit mit Nr. 3 der genannten Vorschrift scheidet eine
abstandrechtliche Privilegierung der Dachterrassen aus. Es kann daher letztlich
dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht die fehlende abstandrechtliche Privilegierung
der Dachterrassen zutreffend aus ihrer Unvereinbarkeit mit dem zweiten Halbsatz von §
6 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW hergeleitet hat. Insoweit mag manches dafür sprechen, dass
bei einem zurückgesetzten (Dach-)Geschoss - wie im vorliegenden Fall - als "jeweilige
Außenwand", vor die Vorbauten wie Balkone nicht mehr als 1,50 m vortreten dürfen, nur
die Außenwand anzusehen ist, die auf derselben Geschossebene liegt wie der Vorbau
(Balkon).
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Vgl.: Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Aufl. 2008, § 6 RdNr. 260 m.w.N..
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Einer abschließenden Beurteilung dieser Frage bedarf es hier jedoch nicht, weil eine
abstandrechtliche Privilegierung der Dachterrassen bereits aus dem angeführten Grund
ausscheidet.
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Haben die Dachterrassen im Dachgeschoss nach alledem eine den Berechnungsregeln
des § 6 BauO NRW entsprechende Abstandfläche einzuhalten, kann die im
vorliegenden Verfahren kontrovers diskutierte Frage dahinstehen, ob die Abstandfläche
nach dem (Normal)Maß von 0,8 H gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 1. Spiegelstrich BauO NRW
zu ermitteln ist, oder ob die Beigeladene das für sie günstigere Maß von 0,4 H gemäß §
6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW in Anspruch nehmen kann. Selbst wenn man von Letzterem
ausgeht, halten die bautechnisch als Einheit zu wertenden Dachterrassen die
erforderliche Abstandfläche nicht ein. Nach den vom Antragsgegner selbst angestellten
Ermittlungen in seinem (nachträglichen) Abweichungsbescheid vom 4. März 2008 ist bei
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Ansatz von 0,4 H eine Abstandfläche von 5,33 m erforderlich. Tatsächlich ist nach den
genehmigten Bauvorlagen jedoch nur ein Grenzabstand von 3,895 m vorhanden.
Die Anschlussbeschwerden haben schließlich auch nicht etwa deshalb Erfolg, weil der
Antragsgegner für die rückwärtigen Dachterrassen im obersten Geschoss des strittigen
Vorhabens zwischenzeitlich mit dem bereits erwähnten Bescheid vom 4. März 2008
eine Abweichung zugelassen hat. Eine Abweichung von den Vorgaben des § 6 BauO
NRW gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW in der nunmehr maßgeblichen Fassung
kommt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Bausenate des
beschließenden Gerichts regelmäßig nur bei einer grundstücksbezogenen Atypik in
Betracht.
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Vgl.: OVG NRW, Beschlüsse vom 2. März 2007 - 10 B 275/07 -, BauR 2007, 1027, und
vom 12. November 2007 - 7 B 1354/07 -, JURIS-Dokumentation.
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Von einer solchen Atypik kann hier keine Rede sein. Der Umstand, dass die
Beigeladene auf die vom Antragsgegner selbst - ersichtlich nicht ohne Grund - als
rücksichtslos gewertete grenzständige Ausgestaltung der Dachterrassen verzichtet hat,
ist kein Grund dafür, die gesetzlichen Vorgaben des § 6 BauO NRW nicht einzuhalten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1, 159 Satz 1
sowie 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Bei der Kostenverteilung hat der Senat
berücksichtigt, dass die Bedeutung der Anschlussbeschwerden im Vergleich zu dem mit
der Beschwerde verfolgten Begehren des Antragstellers relativ gering ist.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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