Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.03.2007

OVG NRW: öffentliches interesse, einbürgerung, eigenschaft, eltern, legitimation, geburt, familie, zustand, abstammung, ermessen

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 48/05
Datum:
08.03.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 48/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 8035/03
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Es vermag die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ablehnung des
Einbürgerungsbegehrens des Klägers sei rechtsfehlerfrei erfolgt, nicht in Frage zu
stellen.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die
Tatbestandsvoraussetzung der deutschen Volkszugehörigkeit in der Person des
Klägers nicht gegeben ist und daher eine Ermessenseinbürgerung nach § 9 Abs. 1
StAngRegG nicht in Betracht kommt. § 9 Abs. 1 Satz 1 StAngRegG normiert die
Tatbestandsvoraussetzung der deutschen Volkszugehörigkeit ausdrücklich und
eindeutig neben der weitere Tatbestandsvoraussetzung, dass der Antragsteller die
Rechtsstellung eines Vertriebenen nach § 1 des Bundesvertriebenengesetzes hat oder
als Aussiedler i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 desselben Gesetzes im Geltungsbereich dieses
Gesetzes Aufnahme finden soll. Dies bedeutet, dass die deutsche Volkszugehörigkeit
des Antragstellers als aktuelle Voraussetzung für eine Ermessenseinbürgerung nach §
9 Abs. 1 StAngRegG jeweils positiv festzustellen ist.
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Dass der Kläger die Voraussetzungen der insoweit maßgebenden Bestimmungen des §
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6 BVFG erfüllt, ist weder dargelegt noch ersichtlich; angesichts der vom
Verwaltungsgericht im Urteil vom 20. April 1998 - 19 K 4039/94 - getroffenen
Feststellung, dass bei dem Kläger nahezu überhaupt kein aktives oder passives
(deutsches) Sprachvermögen vorhanden sei, spricht vielmehr alles dagegen, dass bei
dem Kläger das Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache vorliegt. Auch ist nicht
dargelegt worden, dass sich an diesen Umständen seit dem vorgenannten Urteil etwas
zugunsten des Klägers geändert hat.
Entgegen der Auffassung des Klägers vermittelt § 7 BVFG a.F. in der bis zum
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31. Dezember 1992 geltenden Fassung die erforderliche deutsche Volkszugehörigkeit
nicht. Gemäß § 7 Satz 1 BVFG a.F. erwerben Kinder, die nach der Vertreibung geboren
sind, die Eigenschaft als Vertriebener des Elternteils, dem im Zeitpunkt der Geburt oder
der Legitimation das Recht der Personensorge zustand oder zusteht. Steht beiden
Eltern das Recht der Personensorge zu, so erwirbt nach § 7 Satz 2 BVFG a. F. das Kind
die Eigenschaft als Vertriebener desjenigen Elternteils, dem im Zeitpunkt der Geburt
oder der Legitimation das Recht der gesetzlichen Vertretung zustand oder zusteht. Es
kann dahinstehen, ob der Kläger nach diesen Regelungen von seiner Mutter die
Vertriebeneneigenschaft tatsächlich erworben hat. § 7 BVFG a.F. erschöpft sich darin,
einen nach §§ 1 - 4 BVFG a.F. entstandenen Vertriebenenstatus der jeweiligen
Bezugsperson lediglich auf das Kind überzuleiten,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1986
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- 9 C 16.86 -, Buchholz 412.3 § 7 BVFG Nr. 2,
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ohne dass in der Person des Kindes selbst die materiell-rechtlichen Voraussetzungen
für die Rechtsstellung eines Vertriebenen - hier etwa die deutsche Volkszugehörigkeit -
vorliegen müssen. Die von den materiell-rechtlichen Voraussetzungen in der Person
des Kindes losgelöste Überleitung ist danach in ihren Rechtswirkungen auf die von der
Bezugsperson abgeleitete formale Begründung des Vertriebenenstatus begrenzt; eine
darüber hinausgehende und von den Verwaltungsbehörden sowie den Gerichten zu
beachtende materiell-rechtliche Wirkung - etwa die Begründung der deutschen
Volkszugehörigkeit in der Person des Kindes - kommt der Überleitung des
Vertriebenenstatus nach § 7 BVFG a.F. nicht zu.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich auch aus der Bezugnahme in § 9 Abs.
1 Satz 2 StAngRegG auf § 13 StAG vom 22. Juli 1913 (RGBl. S. 583) nicht, dass bei
Abkömmlingen von Vertriebenen die Voraussetzung der deutschen Volkszugehörigkeit
entfällt.
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Die inhaltliche Reichweite der lediglich entsprechend angeordneten Geltung des § 13
StAG wird bestimmt durch den Sinn und Zweck des § 9 StAngRegG sowie den
rechtssystematischen Zusammenhang, in dem die Verweisung auf § 13 StAG steht.
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§ 9 StAngRegG zielt darauf ab, in Erweiterung des Personenkreises des § 13 StAG
(ehemalige Deutsche) Antragstellern mit deutscher Volkszugehörigkeit die
Einbürgerung ohne vorherige Niederlassung in Deutschland zu ermöglichen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1965 - 1 C 4.62 -, Buchholz 132.0 § 9 StARegG Nr.
2; Makarov/v. Man-goldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Loseblattsammlung
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Stand Dezember 2006, Rdnr. 11 zu § 9 StAngRegG.
Dementsprechend normieren sowohl § 9 Abs. 1 Satz 1 als auch § 9 Abs. 2 Satz 1
StAngRegG, dass der jeweilige Antragsteller in seiner Person die Eigenschaft der
deutschen Volkszugehörigkeit aufweisen muss. Soweit den Antragstellern diese
persönliche Eigenschaft fehlt, hat der Gesetzgeber eine ausdrückliche Privilegierung im
Rahmen der Ermessenseinbürgerung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 StAngRegG lediglich
zugunsten von Ehegatten in bestehender Ehe und im Rahmen der
Anspruchseinbürgerung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 StAngRegG nur zugunsten von
Ehegatten, Witwen und von im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen
Kindern getroffen. Die hieraus erkennbare Absicht des Gesetzgebers, deutschen
Volkszugehörigen die Einbürgerung zu erleichtern und die Einbeziehung von Ehegatten
und Abkömmlingen, die nicht deutscher Volkszugehörigkeit sind, nicht pauschal,
sondern fallgruppenbezogen sowie differenziert auszugestalten und diese
Privilegierung ggfs. auf einen bestimmten Personenkreis zu beschränken, schließt es
aus, die in § 9 Abs. 1 Satz 2 StAngRegG angeordnete entsprechende Geltung von § 13
StAG auch auf § 13 Satz 1 Halbsatz 2 StAG und die darin ohne jede Differenzierung
oder Beschränkung angeordnete Gleichstellung von Abkömmlingen zu erstrecken.
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In den Gesetzesmaterialien findet sich dementsprechend auch kein Hinweis darauf,
dass über die ausdrücklich getroffenen Regelungen zur Privilegierung von Ehegatten
und Abkömmlingen nichtdeutscher Volkszugehörigkeit hinaus Abkömmlinge
nichtdeutscher Volkszugehörigkeit generell privilegiert werden sollten.
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Vgl. BT-Drucks. 2/44 und 2/849.
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Der Gesetzgeber ging offenbar davon aus, dass minderjährige Abkömmlinge deutscher
Volkszugehöriger ohne weiteres selbst als deutsche Volkszugehörige einen
Einbürgerungsantrag stellen konnten oder für diese Gruppe zumindest die
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Erstreckung der Einbürgerung nach § 16 Abs. 2 StAG in Betracht kam.
19
Vgl. Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Rdnr. 18 zu § 9 StAngRegG i.V.m. Rdnr. 23 zu § 8
StAngRegG.
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Die Annahme, minderjährige Kinder von Eltern mit deutscher Volkszugehörigkeit seien
regelmäßig selbst als deutsche Volkszugehörige anzusehen, war auch gerechtfertigt,
weil bei minderjährigen Kindern die für die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit
erforderliche Bekenntnislage der Familie zugerechnet wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 1994 - 9 C 472.93 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG
Nr. 75; Urteil vom 25. November 2004 - 5 C 49.03 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 105.
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Soweit der Kläger meinen sollte, eine auf diese Weise erworbene deutsche
Volkszugehörigkeit bestehe uneingeschränkt fort, trifft dies indes nicht zu. Spätestens
mit dem Erreichen der Bekenntnisfähigkeit des Kindes kommt es auf dessen Bekenntnis
zum deutschen Volkstum und nicht mehr auf die Bekenntnislage in der Familie an, da
die Kinder ein eigenes Bewusstsein ihrer Volkstumszugehörigkeit entwickeln und
deshalb nicht mehr unbedingt die deutsche Volkszugehörigkeit ihrer Eltern - oder eines
Elternteils - teilen und daher auch nicht (mehr) die erforderlichen
Bestätigungsmerkmale, wie insbesondere den Gebrauch der deutschen Sprache,
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aufweisen müssen.
Eine generelle Privilegierung von Abkömmlingen nichtdeutscher Volkszugehörigkeit
würde diese Abkömmlinge im übrigen - worauf auch schon das Verwaltungsgericht
zutreffend hingewiesen hat - besser stellen als Kinder deutscher Volkszugehöriger mit
einem Einbürgerungsanspruch nach § 8 Abs. 1 StAngRegG. Denn insoweit sind selbst
minderjährige Kinder dieser Anspruchsinhaber - anders als nach § 9 Abs. 2 Satz 2
StAngRegG - nicht in dem Sinne begünstigt, dass sie Kraft Abstammung die
Einbürgerung verlangen können.
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Vgl. etwa Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Rdnr. 18 zu § 9 StAngRegG i.V.m. Rdnr. 23 zu §
8 StAngRegG.
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Die Auffassung des Klägers, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon
ausgegangen, dass die Beklagte das ihr nach § 13 StAG eröffnete Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt habe, trifft nicht zu.
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Im Rahmen des nicht durch ein gruppentypisches - hier etwa auf die Gruppe der
Vertriebenen bezogenes - Wohlwollensgebot eingeschränkten, weiten
Einbürgerungsermessens nach § 13 StAG prüft die Behörde auch bei Bewerbern, die
von einem Deutschen abstammen, nach allgemeinen Grundsätzen, ob sie unter
Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Falles ein staatliches Interesse an
der Einbürgerung bejaht.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1999 - 1 C 16.98 -, BVerwGE 109, 142 ff.
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Dass unter dem Gesichtspunkt der Integration ein staatliches Interesse an der
Einbürgerung verneint wird, wenn der Einbürgerungsbewerber - wie hier - der
deutschen Sprache nicht mächtig ist (vgl. etwa Nr. 3.1.1 Abs. 2 der
Einbürgerungsrichtlinien), ist ein sachgerechter Abwägungsgesichtspunkt, dem die
Beklagte im Ablehnungsbescheid vom 23. Februar 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 2003 in Ermangelung besonderer Gründe,
"die ein öffentliches Interesse trotz der fehlenden Sprachkenntnisse rechtfertigen
würden", ermessensfehlerfrei den Vorrang einräumen konnte. Dass hier besondere
Gründe vorliegen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich; insbesondere war - wie oben
dargelegt - die Beklagte nicht gehalten, den Umstand einer deutschen
Volkszugehörigkeit des Klägers zu dessen Gunsten in die von ihr getroffene
Ermessensabwägung einzustellen.
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Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche
Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil sich die aufgeworfenen Fragen ohne
weiteres aus dem Gesetz und aufgrund der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts beantworten lassen. Aus diesem Grund ist auch der
Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gegeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
erfolgt gemäß § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 68
Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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