Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.08.2010
OVG NRW (kläger, rechtliches gehör, anspruch auf rechtliches gehör, verwaltungsgericht, bescheinigung, nicht öffentlich, christliche religion, iran, christentum, kenntnis)
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 2159/09.A
Datum:
05.08.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 2159/09.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 6. August 2009 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2
Die von dem Kläger geltend gemachte Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m.
§ 138 Nr. 3 VwGO) greift nicht durch.
3
Das Gebot des rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) gibt einem
Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können,
und verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine
Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst dann
verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen
eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner
Entscheidung nicht erwogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen
eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen
Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung
und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu
beanstanden.
4
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 -, BVerfGK 4,
12 = juris.
5
Gemessen hieran liegt ein Gehörsverstoß nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat das
erstinstanzliche Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Soweit
der Kläger eine fehlerhafte Würdigung seiner Nachfluchtgründe rügt und geltend macht,
das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag über seine Konversion zum Christentum
6
unrichtig bewertet, betreffen seine Ausführungen den Vorgang der richterlichen
Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts. Eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs wird aber nicht dadurch begründet, dass das Gericht bei seiner
Überzeugungsbildung nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis gelangt ist oder
es sein Vorbringen möglicherweise unzutreffend gewürdigt hat.
Ohne Erfolg rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe rechtliches Gehör verletzt,
weil es die von ihm vorgelegte Bescheinigung der Freien EvangeliumsChristen
Gemeinde nicht berücksichtigt und damit wesentlichen Vortrag nicht zur Kenntnis
genommen habe. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann vorliegen, wenn
besondere Umstände im Einzelfall deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen
eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der
Entscheidung nicht erwogen worden ist. Jedenfalls die wesentlichen, der
Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen
in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden.
7
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 -, und vom 1.
Februar 1978 - 1 BvR 426/77-, jeweils juris.
8
Ausgehend hiervon lässt sich auch mit Blick auf diesen Einwand des Klägers ein
Gehörsverstoß nicht feststellen. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Würdigung der
vorgelegten Bescheinigung ist nicht zu schließen, das Verwaltungsgericht habe
wesentlichen Tatsachenvortrag des Klägers bei der Urteilsfindung nicht in Erwägung
gezogen. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen von im Zusammenhang mit der
Konversion geltend gemachten Nachfluchtgründen verneint, weil es dem Kläger nicht
geglaubt hat, sein Glaubenswechsel sei aus religiöser Überzeugung erfolgt, sondern es
vielmehr davon überzeugt war, der Kläger habe den christlichen Glauben nur aus auf
ein Bleiberecht bezogenen taktischen Gründen angenommen. Vor diesem Hintergrund
stellte sich die vorgelegte Bescheinigung aus Sicht des Verwaltungsgerichts als nicht
weiter beachtliche (Gefälligkeits)Bescheinigung dar, die es bei der Urteilsfindung als
unwesentlich angesehen und deswegen auch nicht (ausdrücklich) berücksichtigt hat.
Abgesehen davon beruht die Entscheidung nicht auf dem gerügten und unterstellten -
Verfahrensmangel. Es kann nämlich mit Blick darauf, dass das Verwaltungsgericht den
Vortrag des Klägers zu diesen behaupteten Nachfluchtgründen – nach Auswertung des
Akteninhalts und insbesondere nach dessen persönlicher Anhörung in der mündlichen
Verhandlung sowie des von ihm gewonnenen Eindrucks – als unglaubhaft angesehen
hat, nicht angenommen werden, das Verwaltungsgericht hätte den diesbezüglichen
Vortrag des Klägers bei Berücksichtigung der Bescheinigung anders beurteilt und wäre
zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen.
9
Ferner macht der Kläger ohne Erfolg geltend, die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts seien für ihn "völlig überraschend" gewesen, er habe nicht damit
rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht der vorgelegten Bescheinigung keine
Bedeutung beimesse. Eine damit geltend gemachte - mit Art. 103 Abs. 1 GG
unvereinbare - Überraschungsentscheidung kann nur angenommen werden, wenn sich
das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit
dem auch ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter nach dem bisherigen
Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
10
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -, BVerfGE 84,
188 = NJW 1991, 2823, und vom 4. September 2008 - 2 BvR 2162/07 u. a. -,
11
juris.
Von einer überraschenden Wertung des Verwaltungsgerichts ist aber mit Rücksicht auf
den in der Verhandlungsniederschrift zum Ausdruck gekommenen Verlauf der
mündlichen Verhandlung, insbesondere mit Blick auf die zahlreichen Nachfragen
seitens des Verwaltungsgerichts bezüglich der klägerischen Kenntnisse über die
christliche Religion, nicht auszugehen. Zudem war der Umstand, dass das
Verwaltungsgericht Zweifel an dem regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes durch
den Kläger hatte, für das Urteil nicht entscheidungserheblich. Diese Gründe sind
jedenfalls nicht tragend. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung vielmehr
darauf gestützt, die im Verlaufe des Verfahrens gemachten Angaben des Klägers zu
seiner Religion zeigten deutlich, dass dem Religionswechsel keine ernsthafte
Glaubensüberzeugung zugrunde liege; zudem trete maßgeblich (für die Entscheidung
des Gerichts) hinzu, dass der Kläger Gründe für seinen Glaubenswechsel nicht
nachvollziehbar habe angeben können.
12
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, er hätte, wenn das
Verwaltungsgericht zu erkennen gegeben hätte, dass es der Bescheinigung keine
Bedeutung beimesse, einen Beweisantrag gestellt, den Aussteller der Bescheinigung
als Zeugen zu hören, dringt er auch mit diesem Angriff nicht durch.
13
Seinen Zulassungsantrag kann er insoweit schon nicht auf § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG
i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO stützen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet dem
Gericht nämlich nur, formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen
Beweisanträgen zu entscheidungserheblichen Fragen nachzugehen, woran es aber
gerade fehlte.
14
Auch soweit diese Rüge als Aufklärungsrüge verstanden wird, kann der Kläger nicht
gehört werden, weil Verstöße gegen die Aufklärungspflicht nicht zu den in § 138 VwGO
bezeichneten Verfahrensmängeln gehören, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs.
3 Nr. 3 VwGO gestützt werden kann.
15
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. September 2009 - 13 A 1323/08.A -
und 31. März 2003 - 11 A 3518/02.A -.
16
Unabhängig davon gilt, dass das Tatsachengericht seine Aufklärungspflicht
grundsätzlich nicht verletzt, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine
anwaltlich vertretene Partei nicht beantragt hat. Die Rüge der mangelnden
Sachverhaltsaufklärung kann nicht dazu dienen, (formelle) Beweisanträge zu ersetzen,
die ein Beteiligter - wie hier der Kläger - zumutbar hätte stellen können, aber zu stellen
unterlassen hat.
17
Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 18. August 1995 - 1 B 55.95 -, InfAuslR
1995, 405 = juris.
18
Gleiches gilt auch, soweit der Kläger die Nichteinholung einer Auskunft des
Auswärtigen Amtes zur aktuellen politischen Situation im Iran rügt. Diesen Einwand
kann er – mangels Stellung eines entsprechenden Beweisantrags – nicht mit Erfolg auf
den Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs stützen; eine damit sinngemäß
geltend gemachte mangelnde Sachaufklärung stellt schon keinen Verfahrensfehler im
Verständnis des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG dar.
19
Im Übrigen ergibt sich auch insoweit nicht, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen
entsprechenden Beweisantrag nicht hätte zumutbar stellen können. Die behauptete
"Zusage" des Verwaltungsgerichts, die Auskunft werde eingeholt für den Fall, dass dem
Kläger kein Abschiebungsschutz wegen der Konversion gewährt werden könne, lässt
sich dem Protokoll über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts (und dem
Beschluss vom 9. September 2009, mit dem das Verwaltungsgericht eine Berichtigung
dieses Protokolls abgelehnt hat) nicht entnehmen. Ausweislich dessen hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers - nach dessen Vernehmung und vor Stellung der
Sachanträge – vielmehr lediglich angeregt, eine entsprechende Auskunft einzuholen.
Einem Rechtsanwalt müsste aber der prozessuale Unterschied zwischen
Beweisanträgen und Beweisanregungen geläufig und insbesondere die Folgen bekannt
sein, wenn er, statt einen förmlichen Beweisantrag zu stellen, nur eine Beweisanregung
zu Protokoll gibt.
20
Die im Hinblick auf die während des Zulassungsverfahrens bekannt gewordene
obergerichtliche Rechtsprechung noch innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1
AsylVfG geltend gemachte Divergenzrüge führt ebenfalls nicht zur Zulassung der
Berufung. Soweit das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgeht, dass
eine Verfolgung von Christen im Iran, die nicht öffentlich in herausgehobener Funktion
für ihren christlichen Glauben tätig seien, nicht beachtlich wahrscheinlich sei, weicht die
Entscheidung zwar von der von dem Kläger angeführten (und wohl gemeinten)
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30.
Juli 2009 – 5 A 1999/07.A – ab. Der Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG
liegt gleichwohl nicht vor, weil das Urteil nicht auf der gerügten Abweichung beruht.
Denn der Entscheidung des Verwaltungsgerichts liegt eine einzelfallbezogene
Würdigung der geltend gemachten Nachfluchtgründe des Klägers zugrunde; sie beruht
gerade nicht auf den darin auch herangezogenen abweichend von den in der
genannten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgestellten - abstrakten
Tatsachen- und Rechtsgrundsätzen. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger nämlich –
wie oben ausgeführt – nicht abgenommen, dass er den Glaubenswechsel zum
Christentum aus voller Überzeugung vollzogen hat und eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit deswegen verneint. Es hat seine Gründe nur zusätzlich
und vor allem ausdrücklich "unabhängig davon, dass dieser (Wechsel zum Christentum)
hier nicht religiös motiviert war", darauf gestützt, das Verhalten des Klägers weise
keinerlei Merkmale einer eine Verfolgung im Iran auslösenden exponierten
missionarischen Tätigkeit auf.
21
Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob ein zum Christentum
konvertierter Moslem im Iran bereits deshalb als gefährdet anzusehen ist, wenn er
Gottesdienste christlicher Kirchen im Iran besucht, wäre in dem angestrebten
Berufungsverfahren für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich,
22
zur Klärungsfähigkeit einer Grundsatzfrage vgl. Roth in: Posser/Wolff, § 124
Rdnr. 54,
23
weil das Verwaltungsgericht die Gefahr einer Verfolgung der Klägers im Iran wegen der
geltend gemachten Konversion zum Christentum mit nachvollziehbaren Erwägungen
verneint hat.
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
26