Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 08.09.2005
OVG NRW: politische verfolgung, aufklärungspflicht, asyl, auffordern, ausnahmefall, rüge, prozessbeteiligter, rechtfertigung, wahrscheinlichkeit, inhaftierung
Oberverwaltungsgericht NRW, 5 A 3242/05.A
Datum:
08.09.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 A 3242/05.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 16 K 5901/03.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf
Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2005 ergangene Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3
Nr. 1 AsylVfG) nicht zu. Die in der Antragsschrift aufgeworfene Frage,
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ob „Personen, die durch unmittelbare Unterstützung von Rednern öffentlichkeitswirksam
in Erscheinung treten, ebenso als Einzelpersonen mit Außenwirkung wie der Redner
selbst einzuordnen sind",
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bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. In der Rechtsprechung des
beschließenden Gerichts ist geklärt, dass eine exilpolitische Betätigung eines
iranischen Staatsangehörigen erst dann asyl- bzw. abschiebungsrechtlich relevant ist,
wenn sie in einem nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche
Organisation erfolgten Auftreten besteht. Welche Anforderungen tatsächlicher Art an
eine exilpolitische Tätigkeit gestellt werden müssen, damit sie in diesem Sinne als
exponiert anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Maßgeblich sind
insoweit die konkret-individuellen Umstände des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob die
Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in
Teheran Unzufriedenen herausheben und als ernsthaften und gefährlichen
Regimegegner erscheinen lassen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -, Beschluss vom 13. Juli
2004 - 5 A 2711/04.A -, Beschluss vom 19. Oktober 2004 - 5 A 4223/04.A -.
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Diese Einschätzung des Gerichts wird durch den letzten Bericht des Auswärtigen Amtes
zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran vom 22. Dezember 2004 bestätigt.
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Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass nach der Wahl des neuen Präsidenten Mahmud
Ahmadinedschad auch exilpolitische Tätigkeiten niedrigeren Profils im Falle der
Rückkehr zu einer politischen Verfolgung führen können, sind bisher nicht ersichtlich.
Ein solcher Schluss allein aufgrund der in der Antragsschrift dargelegten Umstände
insbesondere zur Inhaftierung von Akbar Ganji ist nicht gerechtfertigt.
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Auch die Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) greift nicht
durch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs allein durch die Bezugnahme auf die
Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid zur Frage der Vorverfolgung des
Klägers gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG ist nicht dargetan. Der Kläger hat nicht dargelegt,
dass und ggf. welches entscheidungserhebliches Vorbringen infolge der Bezugnahme
unberücksichtigt geblieben sein soll. Die Rechtssache hat insoweit auch entgegen der
Antragsschrift keine grundsätzliche Bedeutung. Die Voraussetzungen, unter denen das
Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen kann,
ergeben sich unmittelbar aus der Vorschrift des § 77 Abs. 2 AsylVfG. Es ist eine Frage
des Einzelfalls, wann das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.
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Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe ihm das rechtliche
Gehör verweigert (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), weil es sein
Vorbringen zu den Vorfluchtgründen für unglaubhaft gewertet hat, ohne in der
mündlichen Verhandlung darauf hinzuweisen, dass es insoweit der Begründung des
angefochtenen Bescheides folgt. Mit Blick auf die den Asylsuchenden nach § 86 Abs. 1
Satz 1 Halbsatz 2 VwGO treffende Mitwirkungspflicht ist es zunächst dessen Sache,
seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Bezogen
auf die in seine Sphäre fallenden Ereignisse muss er unter Angabe genauer
Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich ergibt, dass
ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1994 - 2 BvR 1183/92 -, DVBl. 1994, 1403 f.;
BVerwG, Beschluss vom 19. März 1991 - 9 B 56.91 -, Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25
m.w.N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Februar 2003 - 5 A 3334/02.A - und vom 1. Juli
2004 - 5 A 2544/04.A - .
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Genügt der Sachvortrag nach Auffassung des Gerichts diesen Anforderungen nicht, so
ist es nach dem Grundsatz rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, den Kläger darauf
hinzuweisen und hierzu in nähere Erörterungen mit ihm einzutreten oder den
Sachverhalt in sonstiger Weise aufzuklären. Eine gerichtliche Hinweispflicht besteht nur
dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem
bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags
durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 9 B 467.99 -, Buchholz 310 § 86
Abs. 3 VwGO Nr. 51; OVG NRW, Beschluss vom 1. Juli 2004 - 5 A 2544/04.A -.
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor. Es oblag dem anwaltlich
vertretenen Kläger, von sich aus zu den von ihm geltend gemachten Vorfluchtgründen
Stellung zu nehmen. Gerade vor dem Hintergrund der ausführlichen Begründung des
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Bundesamtes im angefochtenen Bescheid bestand hierzu Anlass, ohne dass das
Gericht den Kläger eigens hätte hierzu auffordern müssen. Das Gericht war auch nicht
gehalten, dem Kläger bereits in der mündlichen Verhandlung mitzuteilen, wie es die
nach dessen Angaben gehaltene Rede zu bewerten gedenke. Entgegen der
Antragsschrift hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung - zumal auf die
ausdrückliche Frage seines Prozessbevollmächtigten und den nachfolgenden Vorhalt
des Gerichts - ausreichende Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.
Soweit der Kläger geltend macht, im angegriffenen Urteil fehle jeder Hinweis zur
Untermauerung der Annahme, dass sich die Verfolgungssituation für zurückkehrende
Exiliraner auch nach der Präsidentenwahl nicht verschlechtert habe, macht er der Sache
nach einen Begründungsmangel geltend (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 188 Nr. 6
VwGO). Indes leidet das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht an einem solchen
Begründungsmangel. Die Vorschrift des § 138 Nr. 6 VwGO knüpft an den notwendigen
formellen Inhalt eines Urteils an. Danach müssen im Urteil die für die
Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblichen Gründe schriftlich niedergelegt
werden. Einer Entscheidung fehlt nur dann die Begründung i.S.v. § 138 Nr. 6 VwGO,
wenn dem Tenor überhaupt keine Gründe beigefügt sind oder die Begründung nicht
nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder in anderer Weise so unbrauchbar ist, dass sie
zur Rechtfertigung des Urteilstenors ungeeignet ist.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 1998 - 8 B 187.98 -, NVwZ-RR 2000, 257
m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2004 - 5 A 3491/04.A -, Beschluss
vom 30. September 2004 - 5 A 1378/04.A -.
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Dies ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass
konkrete Anhaltspunkte für eine Verschärfung der Verfolgungssituation zurückkehrender
Exiliraner nach der letzten Präsidentenwahl nicht vorliegen (vgl. Urteilsabdruck S. 9).
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Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe in verschiedener Hinsicht
(Nichteinholung eines aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes, fehlende
Aufklärung der tatsächlichen Funktion des Klägers bei den von ihm vorgetragenen
Demonstrationen, unterbliebene Ermittlung des Inhalts der Rede des Klägers) seine
Aufklärungspflicht verletzt, hat ebenfalls keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verstoß
gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 138 VwGO
bezeichneten Verfahrensmängeln, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG allein gestützt werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2004 - 5 A 272/04.A -, m.w.N.; Beschluss
vom 24. September 2004 - 5 A 1399/04.A -.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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