Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.06.2009

OVG NRW: vorläufiger rechtsschutz, aufenthaltserlaubnis, erwerbstätigkeit, ausländerrecht, arbeitsmarkt, eugh, ausnahme, arbeitgeberbescheinigung, integration, vollzeitbeschäftigung

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 979/08
Datum:
25.06.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 979/08
Schlagworte:
Studium Erwerbstätigkeitordnungsgemäße Beschäftigung
Normen:
AufenthG § 16 Abs. 3 Satz 1 ; ARB 1/80 Art. 6
Leitsätze:
Halbe Arbeitstage im Sinne des § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind nur
Beschäftigungen bis zur Hälfte der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragssteller.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500, EUR
festgesetzt.
18 B 979/08
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7 L 2190/07 Düsseldorf
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Beschluss
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In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
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6
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wegen Aufenthaltserlaubnis
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hier: vorläufiger Rechtsschutz
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hat der 18. Senat des
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OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN
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am 25. Juni 2009
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durch
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den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht
Dr. Schnell,
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den Richter am Oberverwaltungsgericht Benassi,
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die Richterin am Oberverwaltungsgericht
Schildwächter
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auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 03. Juni 2008
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beschlossen:
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Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung
geändert.
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Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.
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Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragssteller.
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Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500, EUR
festgesetzt.
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G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist begründet. Die dargelegten Gründe geben Anlass, den
angefochtenen Beschluss abzuändern (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
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Der Bescheid des Antragsgegners vom 18. Dezember 2007 erweist sich bei der
gebotenen summarischen Überprüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtmäßig.
Dem Antragsteller steht das allein geltend gemachte Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB
1/80 1. Spiegelstrich nicht zu. Nach dieser Bestimmung hat ein türkischer Arbeitnehmer,
der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner
Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt.
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Im Fall des Antragstellers fehlt es bereits an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung auf
dem regulären Arbeitsmarkt. Eine solche setzt neben einer gesicherten und nicht nur
vorläufigen Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates,
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vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 24. Januar 2008 - Rs. C - 294/06 - (Payir),
InfAuslR 2008, 149, vom 26. Oktober 2006 - Rs. C - 4/05 - (Güzeli), InfAuslR
2007, 1, und vom 20. September 1990 - Rs. C-192/89 - (Sevince), NVwZ
1991, 255,
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voraus, dass der türkische Arbeitnehmer im Besitz der erforderlichen Erlaubnis für die
von ihm ausgeübte Erwerbstätigkeit ist.
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Vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C 1-188/00 - (Kurz),
InfAuslR 2003, 41, vom 10. Februar 2000 - Rs. C - 340/97 - (Nazli), InfAuslR
2000, 161, und 26. November 1998 - Rs. C -1/97 - (Birden), InfAuslR 1999,
6; Hess. VGH, Urteil vom 22. April 2004 - 12 UE 234/04 -, InfAuslR 2004,
333.
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Der Antragsteller verfügte zwar bis zum Ablauf der ihm zum Zweck des Studiums
erteilten Aufenthaltserlaubnis am 3. August 2007 über eine gesicherte
Aufenthaltsposition. Die bis zum Ablauf der Aufenthaltserlaubnis bereits seit mehr als
ein Jahr ausgeübte Beschäftigung bei der Firma F. !M. GmbH war aber nicht von
der gesetzlichen Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 16 Abs. 3
Satz 1 AufenthG gedeckt. Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtigt die zum Zwecke
des Studiums erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in den
dort vorgesehenen engen Grenzen von höchstens 90 Tagen im Jahr oder alternativ
höchstens 180 halben Tagen im Jahr. Dabei sind als halber Arbeitstag Beschäftigungen
bis zu einer Höchstdauer von vier Stunden anzusehen, wenn die regelmäßige
Arbeitszeit der weiteren Beschäftigten acht Stunden (vgl. § 3 ArbZG) beträgt. Eine über
vier Stunden hinausgehende Beschäftigung ist demgemäß als ganztägig zu bewerten.
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Vgl. Walther, in: GK-AufenthG, Stand November 2006, § 16 Rdnr. 25;
Fehrenbacher, HTK-AuslR/§ 16 AufenthG/zu Abs. 3 04/2009 Nr. 2; Renner,
Ausländerrecht, 8. Aufl., § 16 Rdnr. 14.
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Ausweislich der vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung vom 7. August 2007 arbeitete
der Antragsteller ca. 10 halbe Tage im Monat. Welchen genauen zeitlichen Umfang die
ca. halbtätige Beschäftigung eingenommen hat, ergibt sich aus der Bescheinigung zwar
nicht. Bei einer monatlichen Beschäftigung von 60 Stunden, wie sie sich aus den
vorgelegten Gehaltsmitteilungen für die Monate ab Juni 2006 ergibt, lässt sich aber auf
eine tatsächliche Arbeitszeit von 6 Stunden pro Tag schließen. Hierauf hat der
Antragsgegner zutreffend hingewiesen und dies wird vom Antragsteller im
Beschwerdeverfahren auch nicht in Frage gestellt. Der Antragsteller ist daher rechtlich
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so zu behandeln, als habe er eine Erwerbstätigkeit an 120 vollen Tagen ausgeübt.
Soweit der Antragsteller meint, es sei irrelevant, wann und an wie viel Tagen die
monatliche Arbeitszeit von 60 Stunden erbracht werde, weil jedenfalls bei einer
rechnerischen Verteilung der 60 Stunden auf die Woche bzw. die Wochentage selbst
ausgehend von der vom Arbeitgeber mitgeteilten Vollzeitbeschäftigung von 35 Stunden
keine Beschäftigung, die 180 halbe Tage übersteige, erreicht werde, ist dem nicht zu
folgen. Die rechnerische Verteilung der Stunden auf einzelne Tage im Monat sieht der
eindeutige und einen zeitlichen Rahmen vorgebende Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1
AufenthG nicht vor. Zwar bezweckte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 16 Abs.
3 Satz 1 AufenthG eine an die Bedürfnisse der Praxis angepasste
Arbeitsmarktzulassung ausländischer Studenten während des Studiums. Diesen sollte
die bereits zuvor bestehende Möglichkeit, bis zu drei Monate im Jahr
arbeitsgenehmigungsfrei zu arbeiten (§ 9 Nr. 9 der Arbeitsgenehmigungsverordnung)
erhalten bleiben, zusätzlich aber ohne Beeinträchtigung des Studienerfolgs ermöglicht
werden, ganzjährig stundenweise oder in den Semesterferien mit voller Stundenzahl
und im Semester entsprechend kürzer oder gar nicht ihr Studium zu finanzieren.
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Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz), Drs. 15/420, S. 74 zu § 16 Abs. 3 AufenthG.
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Eine in das Belieben der Studenten gestellte flexible Ausgestaltung der täglichen
Arbeitszeit bei Einhaltung der nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG rechnerisch ermittelten
Höchststundenzahl sollte aber nicht ermöglicht werden. In einem solchen Fall hätte der
Gesetzgeber sich darauf beschränken können, die zulässige Gesamtdauer der
Beschäftigung durch die Angabe einer jährlichen Höchststundenzahl anzugeben.
Hiervon hat er indes abgesehen und gerade durch die Verteilung der Arbeitszeit auf
Tage bzw. halbe Tage zu erkennen gegeben, dass jedenfalls bei der von ihm
vorgegebenen Ausgestaltung der Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht die Gefahr einer
Beeinträchtigung des Studienerfolgs gesehen wird, die der in § 16 Abs. 3 Satz 1
AufenthG erfolgten generellen Zulassung der Erwerbstätigkeit entgegensteht. Derartige
Erwägungen sind auch naheliegend, weil ein hinreichender Grund für die Annahme
besteht, dass an den Tagen einer über die Hälfte der täglichen Arbeitszeit
hinausgehenden Beschäftigung kaum ausreichend Zeit für ein ordnungsgemäßes
Betreiben des Studiums verbleibt.
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Gründe der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führen auf das selbe Ergebnis. Der mit
§ 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verfolgte Regelungszweck setzt voraus, dass die zulässige
Beschäftigungsdauer insbesondere für den Ausländer ohne Weiteres erkennbar ist.
Dieses Ziel wird mit einer eindeutigen gesetzlichen Regelung erreicht, wie sie § 16 Abs.
3 Satz 1 AufenthG enthält.
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Eine Beschäftigung, die nicht bereits nach § 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG
genehmigungsfrei erlaubt ist, mag zwar im Einzelfall zugelassen werden, wenn dadurch
der auf das Studium beschränkte Aufenthaltszweck nicht gefährdet wird.
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Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2008, § 16 Rdnr. 66f.; Walther,
a. a. O., § 16 Rdnr. 26.
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Über eine solche Genehmigung verfügte der Antragsteller aber ebenfalls nicht.
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Da der Antragsteller bereits die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 1. Spiegelstrich
nicht erfüllt, bedarf es nicht der Klärung der Frage, ob türkische Studenten, denen nach
§ 16 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit eröffnet ist, außerhalb ihres Studiums einer
Beschäftigung nachzugehen, grundsätzlich ab Erreichen der Jahresgrenze dem Art. 6
Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 unterfallen können, sofern sie in diesem Rahmen
eine Tätigkeit ausüben.
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Vgl. bejahend: von Auer, ZAR 2008, 223, Hailbronner, Ausländerrecht,
Stand Februar 2007, D 5.2 Art. 6 ARB 1/80 Rdnr. 37; ablehnend: Hess VGH,
Beschluss vom 6. März 2006 - 12 TG 786/06 -, InfAuslR 2006, 335; VG
Aachen, Beschluss vom 14. August 2008 - 8 L 298/08 -, juris; VG Darmstadt,
Urteil vom 22. Februar 2008 - 5 E 214/07 - , AuAS 2008, 206; Gutmann, GK-
AufenthG, Stand August 2008, IX-1 Art. 6 Rdnr. 64 sowie InfAuslR 2008,
151.
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Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die mit Bescheid vom
18. Dezember 2008 versagte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des
§ 16 Abs. 1 Satz 5 2. Halbsatz AufenthG nicht zu beanstanden ist. Dass der
Antragsteller den Abschluss seines Studiums noch in einem angemessenen Zeitraum
erreichen kann und will, ist nicht ersichtlich; dies ist auch vom Antragsteller selbst nicht
behauptet worden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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