Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2006
OVG NRW: fürsorgepflicht, anspruch auf rechtliches gehör, beihilfe, versorgung, konkretisierung, brücke, post, angemessenheit, zahnarzt, anmerkung
Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 3706/04
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 3706/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 10 K 8057/02
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der
Postbeamtenkrankenkasse vom 8. März 2002 und des
Widerspruchsbescheides der Deutschen Post AG vom 18. Oktober 2002
verpflichtet, dem Kläger zu den Aufwendungen gemäß Rechnung Dr. N.
vom 21. Februar 2002 betreffend die implantologischen Leistungen für
seine Ehefrau in Höhe von 1.005,28 EUR eine Beihilfe entsprechend
der in den Beihilfevorschriften des Bundes grundsätzlich vorgesehenen
Höhe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger
zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Ruhestandsbeamter der Beklagten und als solcher nach den
Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) beihilfeberechtigt.
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Unter dem 27. Februar 2002 (Eingang: 1. März 2002) beantragte der Kläger für seine als
Angehörige beihilferechtlich berücksichtigungsfähige Ehefrau unter anderem Beihilfe
betreffend eine Rechnung des Zahnarztes Dr. N. vom 21. Februar 2002 über
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implantologische Leistungen; die Höhe der Aufwendungen betrug insoweit 1.005,28
EUR (einschließlich Sachkosten und Laborleistungen). Die zugrunde liegende
Behandlung betraf im Kern Folgendes: Der Zahnarzt hatte als Ersatz für den Zahn 33
(dritter Zahn im Unterkiefer links) ein Implantat eingesetzt, um auf diesem Unterbau und
dem noch vorhandenen Zahn 37 (siebter Zahn im Unterkiefer links) - Zahn 38 fehlt -
einen schon vorhandenen Zahnersatz (betreffend die dazwischen liegenden - fehlenden
- Zähne 34, 35 und 36) in Gestalt einer Teleskopbrücke neu befestigen zu können.
Durch Bescheid vom 8. März 2002 lehnte die Postbeamtenkrankenkasse die
Gewährung einer Beihilfe zu der betreffenden Implantatversorgung ab, weil
implantologische Leistungen nach den BhV nur beim Vorliegen bestimmter Indikationen
beihilfefähig seien, von denen hier keine erfüllt sei. Der Kläger reichte daraufhin eine
medizinische Begründung des behandelnden Zahnarztes seiner Ehefrau vom 14. März
2002 nach. In dieser führte Dr. N. Folgendes aus:
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Die Implantation dient der Wiederherstellung der symmetrischen Vernakerung
(offensichtlich gemeint: Verankerung) des vorhandenen Zahnersatzes. Die noch
vorhandenen Frontzähne sind für die Verankerung eines so ausgedehnten
Zahnersatzes nicht geeignet.
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Der Zahn 37, der z. Zt. noch auf der linken Seite den Zahnersatz hält, ist langfristig nicht
zu erhalten. Die Indikation für den Zahnersatz bei 033 stellt somit eine
vorweggenommene Indikation gemäß Punkt 2) der Beihilferichtlinien dar (Freiendlücke,
wenn mindestens die Zähne acht und sieben fehlen).
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Mit Schreiben vom 20. März 2002 bekräftigte die Postbeamtenkrankenkasse auch unter
Einbeziehung der Begründung des Zahnarztes ihre Auffassung, dass eine der in dem
Schreiben näher erläuterten Indikationen nach der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV
nicht angenommen werden könne.
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Den daraufhin eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Deutsche Post AG durch
Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2002 zurück. Zur Begründung war dort im
Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den Indikationen nach der Anlage 2 zu § 6
Abs. 1 Nr. 1 BhV um eine abschließende Aufzählung handele. Es lägen hier
insbesondere - was in dem Bescheid näher erläutert wurde - weder die
Voraussetzungen einer Freiendlücke vor noch handele es sich um ein
Einzelzahnimplantat zwischen zwei intakten, nicht überkronungsbedürftigen Zähnen.
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Am 15. November 2002 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat sich im Kern darauf
berufen, dass die in Rede stehende Behandlung sowohl medizinisch indiziert als auch
von den Kosten her angemessen gewesen sei. Eine etwaige Alternativversorgung des
Unterkiefers seiner Frau, bei welcher die vorhandene Prothese nicht hätte verwendet
werden können, wäre wesentlich teurer gekommen. Darüber hinaus wäre sie mit einem
Verlustrisiko für die Unterkiefer-Frontzähne behaftet gewesen. Die Beihilfegewährung
habe sich als entscheidendem Maßstab an den Merkmalen der Notwendigkeit und
Angemessenheit der Aufwendungen zu orientieren. Die in der in Rede stehenden
Anlage zu den BhV bestimmten engen Indikationen für die Erstattungsfähigkeit
implantologischer Leistungen schlössen es nicht aus, eine ggf. davon abweichende
Entscheidung zu treffen, wenn dies - wie hier - die besonderen Umstände des
Einzelfalles und das Zumutbarkeitskriterium geböten. Bei der Anwendung der
Indikationen müssten im Übrigen auch bereits zukünftige Entwicklungen - hier den Zahn
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37 betreffend - berücksichtigt werden.
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der
Postbeamtenkrankenkasse vom 8. März 2002 und des Widerspruchsbescheides der
Deutschen Post AG vom 18. Oktober 2002 zu verpflichten, ihm zu den Aufwendungen
gemäß Rechnung Dr. N. vom 20. (richtig: 21.) Februar 2002 eine weitere Beihilfe zu der
Implantatversorgung seiner Ehefrau in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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Sie ist dem Klagevorbringen entgegengetreten: Die vom Kläger angeführten Gründe
rechtfertigten es nicht, im vorliegenden Falle von den ausdrücklich und abschließend
bestimmten Indikationen abzuweichen. Einer etwaigen Ausnahmeregelung stehe schon
der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Beihilfeberechtigten entgegen. Aus der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn ergebe sich hier ebenfalls kein Anspruch auf die
begehrten Leistungen.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es sich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides sowie auf den
Beschluss des Senats vom 6. Mai 2004 - 1 A 1160/03 - bezogen.
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Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung, zu deren Begründung der
Kläger unter Vertiefung und Ergänzung seines bisherigen Vorbringens im Wesentlichen
geltend macht: Er habe aufgrund seiner Beamtenstellung und der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn nach § 79 BBG dem Grunde nach Anspruch auf Beihilfeleistung. Dieser
müsse für notwendige und angemessene Aufwendungen nach § 5 BhV, der
gewissermaßen den „Programmsatz" des Beihilferechts bilde, auch erfüllt werden.
Bleibe der Beamte in Anwendung der im Übrigen dem Gesetzesvorbehalt nicht
genügenden beihilferechtlichen Regelungen mit erheblichen Aufwendungen belastet,
komme auch die Fürsorgepflicht als unmittelbare Anspruchsgrundlage für Leistungen in
Betracht. Die im vorliegenden Fall beanstandete Entscheidung der
Beihilfefestsetzungsstelle habe sich zu Unrecht allein an den engen - etwa beim
Merkmal des Einzelimplantats schon von der Auslegung durch die Beklagte her
fragwürdigen - Indikationen der Anlage 2 ausgerichtet und die vorstehenden
Gesichtspunkte sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles ausgeblendet. Die
Bestimmungen in jener Anlage seien zumal für die Gerichte nur eine - nicht bindende -
Auslegungs- und Entscheidungshilfe. Über sie könnten dagegen nicht „Programmsätze"
wie der § 5 BhV sowie der übergeordnete Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht „ad
absurdum geführt" und die sich daraus dem Grunde nach ergebenden Ansprüche
ausgeschlossen werden. Die im Streit stehende Behandlung sei sowohl medizinisch
indiziert - dies namentlich zum Erhalt der Vorderzähne - als auch die deutlich
kostengünstigste gewesen. Die Frontzähne (als allenfalls zur Verfügung stehende
Alternative) seien für die Verankerung eines Brückenglieds ungeeignet gewesen. Nur
bei der durchgeführten Lösung habe überdies die vorhandene Prothese erhalten und
weiterverwendet werden können. Die denkbare Alternativbehandlung hätte wegen des
drohenden Verlusts der Vorderzähne auch eine erhebliche psychische Belastung für
seine Ehefrau bedeutet. Wie eine Berechnung des behandelnden Zahnarztes ergebe,
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wären für die medizinisch schlechtere Behandlungsalternative Kosten in Höhe von
6.491,87 EUR anstelle der für die durchgeführte Behandlung abgerechneten 1.005,28
EUR angefallen. Auch das Kostenargument sei im vorliegenden Zusammenhang
berücksichtigungsfähig. Der Zweck der Begrenzungen und Ausschlüsse, eine sparsame
Verwendung von Steuergeldern, werde im konkreten Fall ersichtlich nicht erfüllt. Ferner
verstoße eine etwaige unterschiedliche Behandlung der Bundesbeamten und der
Landesbeamten betreffend die in Rede stehenden Fragen gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Indem das Verwaltungsgericht die
Entscheidung der Beklagten schlicht wiederholt und ohne erkennbare Prüfung der von
ihr angesprochenen Fragen einen Anspruch pauschal abgelehnt habe, habe es
schließlich auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Des Weiteren beruft sich
der Kläger in den von ihm angesprochenen Zusammenhängen auf eine Reihe von
Gerichtsurteilen, welche seiner Auffassung nach seinen Rechtsstandpunkt stützen.
Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung
des Bescheides der Postbeamtenkrankenkasse vom 8. März 2002 und des
Widerspruchsbescheides der Deutschen Post AG vom 18. Oktober 2002 zu verpflichten,
ihm zu den Aufwendungen gemäß Rechnung Dr. N. vom 21. Februar 2002 betreffend
die implantologischen Leistungen für seine Ehefrau in Höhe von 1.005,28 EUR eine
Beihilfe entsprechend der in den Beihilfevorschriften des Bundes grundsätzlich
vorgesehenen Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält einen Anspruch des Klägers auf (weitere) Beihilfe unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt für gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
seien die BhV weiterhin anwendbar, bis der Gesetzgeber seiner Normierungspflicht
nachkomme. Ohne Beihilfevorschrift hätte der Kläger im Übrigen keine
Anspruchsgrundlage. Der Tatbestand der Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sei
unter keiner der dort geregelten Indikationen erfüllt. Aus § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV ergebe
sich - mit Blick auf die vom Kläger vorgenommene allgemeine Beurteilung der
Notwendigkeit und Angemessenheit der Behandlung - kein zusätzlicher
Beihilfetatbestand neben den im Einzelnen in §§ 6 ff. geregelten Beihilfetatbeständen.
Es handele sich vielmehr um eine allgemeine, im Ergebnis einschränkende Vorschrift
für sämtliche einzelnen Beihilfetatbestände. Folglich seien die für die Beihilfefähigkeit
von Implantaten in der Nr. 4 der Anlage 2 bestimmten Voraussetzungen abschließend.
Die Entscheidung über die Beihilfe sei ferner eine gebundene Entscheidung ohne
Ermessensspielraum. Unter vergleichenden Kostengesichtspunkten könnten nicht
beihilfefähige Behandlungen im Ergebnis nicht zu beihilfefähigen werden. Mit der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn seien die BhV auch, was die Implantatbehandlung und
die dafür geltenden Einschränkungen betreffe, grundsätzlich vereinbar. Der Dienstherr
könne nach ständiger Rechtsprechung Leistungen für krankheitsbedingte
Aufwendungen begrenzen und Selbstbehalte festsetzen. Die Frage, ob (unterrangige)
„Hinweise" zu Beihilfevorschriften das durch Letztere selbst vorgegebene
„Grundprogramm" einschränken dürften, stelle sich hier nicht. Die Anlage zu § 6 Abs. 1
Nr. 1 BhV sei nämlich kein solcher Hinweis, sondern eine Regelung auf derselben
Ebene wie die BhV. Davon zu trennen sei die Frage, ob aufgrund der Fürsorgepflicht im
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Einzelfall eine über die BhV hinausgehende Beihilfeleistung verlangt werden könne.
Derartiges sei höchstens dann anzunehmen, wenn die denkbare Alternativbehandlung
medizinisch und menschlich zu untragbaren Zuständen führen würde. Dafür sei hier
jedoch weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Die vom Kläger angeführten
Rechtsprechungsbeispiele beträfen keine vergleichbaren Fälle.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) ergänzend
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung des Klägers hat
in der Sache Erfolg. Die von ihm erhobene Verpflichtungsklage ist begründet.
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Der Kläger hat - was sinngemäß hier allein im Streit ist - dem Grunde nach einen
Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe für die Implantatversorgung am Zahn (regio) 33
im Unterkiefer seiner Ehefrau lt. Rechnung des Zahnarztes Dr. N. vom 21. Februar 2002.
Die diesbezüglichen Aufwendungen sind hier ausnahmsweise nicht mit Blick auf Nr. 4
der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV von einer beihilferechtlichen Erstattung
ausgeschlossen.
25
1. Der Kläger kann indes seinen Anspruch nicht mit Erfolg unmittelbar auf die von der
Beklagten angewendete Allgemeine Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-,
Pflege-, Geburts - und Todesfällen (Beihilfevorschriften - BhV), hier anwendbar in der
Fassung vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918), stützen. Allein auf der Grundlage der
dort enthaltenen Bestimmungen in den Grenzen ihres Wortlauts ergibt sich für die im
Streit stehende Fallkonstellation noch kein Anspruch auf die hier begehrten
Beihilfeleistungen.
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Dem steht allerdings nicht entgegen, dass die betreffenden Beihilfevorschriften des
Bundes, die in der Gestalt einer Verwaltungsvorschrift erlassen worden sind, nicht den
Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügen, wie das
Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17. Juni 2004
27
- 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103 = DVBl. 2004, 1420 = DÖV 2005, 24 = ZBR 2005, 42
(Juris Rn. 16 ff.)
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ausgeführt hat. Für Aufwendungen, die - wie hier - in der Zeit vor dem Ergehen des
genannten Urteils entstanden sind, kann dies nicht zum Nachteil der
Beihilfeberechtigten berücksichtigt werden; um dem Gesetzgeber Gelegenheit zu
geben, seiner Normierungspflicht nachzukommen, sind die Beihilfevorschriften sogar für
die Zeit nach dem Erlass des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts noch für einen
Übergangszeitraum anzuwenden (BVerwG, a.a.O. und Juris Rn. 20). Da die
Beihilfevorschriften grundsätzlich ein einheitliches, geschlossenes Handlungsprogramm
darstellen, kann sich diese vorübergehende Fortgeltung auch nicht etwa nur auf die
„begünstigenden" Regelungen beziehen, sodass Ausschluss- und
Begrenzungsregelungen von ihr nicht ausgenommen sind.
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Ferner ist der Kläger auch grundsätzlich beihilfeberechtigt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BhV) und
geht es um Aufwendungen einer berücksichtigungsfähigen Angehörigen, nämlich seiner
30
Ehefrau (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV).
Jedoch ist die Beihilfefähigkeit der konkret in Rede stehenden Aufwendungen nach
Maßgabe der BhV vom Vorliegen bestimmter Indikationen abhängig, die hier bei einer
Auslegung unter Beachtung der insoweit durch den Wortlaut gesetzten Grenzen nicht
gegeben sind.
31
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BhV sind Aufwendungen aus Anlass einer Krankheit u.a.
auch zahnärztliche Leistungen prinzipiell beihilfefähig. (U.a.) für zahnärztliche und
kieferorthopädische Leistungen enthält der Satz 2 der Vorschrift indes eine wesentliche
Ergänzung und zugleich Begrenzung. Danach bestimmen sich „Voraussetzungen" und
„Umfang" der Beihilfefähigkeit der diesbezüglichen Aufwendungen nach (der) Anlage 2
(zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV). Diese Anlage 2 enthält in seiner Nr. 4 spezielle Maßgaben für
„Implantologische Leistungen". Zum einen werden die diesbezüglichen (einschließlich
aller damit verbundenen weiteren) zahnärztlichen Leistungen vom Vorliegen einer der
nachfolgend unter a) bis c) bestimmten Indikationen abhängig gemacht (Satz 1). Zum
anderen wird zusätzlich bestimmt, dass Aufwendungen für mehr als zwei Implantate pro
Kiefer, einschließlich vorhandener Implantate, nur bei Einzelzahnlücken oder mit
besonderer Begründung zur Fixierung von Totalprothesen beihilfefähig sind;
Aufwendungen für mehr als vier Implantate pro Kiefer, einschließlich vorhandener
Implantate, sind von der Beihilfefähigkeit (ganz) ausgeschlossen (Satz 2). Vorliegend
kommt dabei allein dem Satz 1 Bedeutung zu; die zahlenmäßige Begrenzung der
Implantate ist im Fall der Ehefrau des Klägers unstreitig nicht überschritten.
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Die Indikation der „Fixierung einer Totalprothese" (Alternative c) liegt ersichtlich nicht
vor, weil das Implantat der Verankerung lediglich einer - einen bestimmten Bereich des
Gebisses - abdeckenden Teilprothese (Teleskopbrücke) dienen sollte. Darauf, ob die
betreffende Indikation voraussetzt, dass überhaupt kein (natürlicher) Zahn im gesamten
Gebiss mehr vorhanden ist, oder ob nach Sinn und Zweck der Regelung auch das
Vorhandensein (nur) eines einzigen Zahnes eine Zuordnung des Falles zu dieser
Indikation nicht hindert,
33
vgl. dazu VG Braunschweig, Urteil vom 1. Juli 2005 - 7 A 151/03 -, Juris,
34
kommt es vorliegend nicht an, da eine hinreichende Vergleichbarkeit mit der
letztgenannten Konstellation nicht besteht.
35
Ferner lag bei der Ehefrau des Klägers auch eine „Freiendlücke, wenn mindestens die
Zähne acht und sieben fehlen" (Alternative b) nicht vor. Eine solche Freiendlücke ist
eine Zahnlücke am freien Ende der jeweiligen Zahnreihe einer Kieferhälfte, wobei
mindestens die beiden letzten Zähne (8 und 7), ggf. aber auch weitere daran
anschließende fehlen (also 6, 5 etc.).
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Vgl. zum Begriff etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 26. Oktober 1999 - 4 S
1700/98 - und vom 11. Dezember 2000 - 4 S 2017/00 -, jeweils Juris; ferner
Mildenberger, Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder, Loseblatt- Kommentar
(Stand: Februar 2004), § 6 BhV Anmerkung 5 Ziffer 11.
37
Da bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der in Rede stehenden
Behandlungsmaßnahme der Zahn 37 unten links noch vorhanden war, scheidet diese
Indikation aus. Darauf, ob dieser Zahn - wie vom Zahnarzt Dr. N. in seiner Begründung
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vom 14. März 2002 angegeben - „langfristig nicht gehalten werden kann", kommt es
nicht an. Zum einen ist diese Prognose inhaltlich wie auch in zeitlicher Hinsicht sehr
vage. Zum anderen - und das ist entscheidend - haben die Beihilfefestsetzungsstellen
bei der Subsumtion eines Falles unter die beihilferechtlichen Vorschriften grundsätzlich
von den tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen, welche im Zeitpunkt der
Behandlung bestanden. Das gilt namentlich auch für die Beurteilung, ob einer
Behandlung bestimmte beihilferechtlich geforderte medizinische Indikationen zugrunde
gelegen haben. In die Zukunft gerichtete Prognosen (etwa in Bezug auf die
Weiterentwicklung von Zuständen oder eines Krankheitsbildes) können beihilferechtlich
allenfalls dort Bedeutung erlangen, wo in bestimmten Vorschriften ausdrücklich an sie
angeknüpft wird. Letzteres ist hier indes nicht der Fall.
Schließlich kann hier auch nicht die Indikation einer „Einzelzahnlücke" (Alternative a)
bejaht werden, bei der hinzu kommen muss, dass „beide benachbarten Zähne intakt und
nicht überkronungsbedürftig sind". Die durch einen fehlenden Zahn verursachte Lücke
zwischen zwei Nachbarzähnen darf bei dieser Indikation dementsprechend nicht mehr
als eine Zahnregion ausmachen, also namentlich nicht zwei oder mehr nebeneinander
liegende fehlende Zähne umfassen.
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Vgl. auch Beschluss des Senats vom 6. Mai 2004 - 1 A 1160/03 -, Juris.
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Hier fehlt es ersichtlich an einer solchen Einzellücke zwischen intakten Nachbarzähnen.
An die in Rede stehende Region des fehlenden Zahnes 33 grenzt auf der einen Seite
zwar der intakte Schneidezahn 32 an; auf der anderen Seite (regio 34) fehlt es indes bei
der Ehefrau des Klägers an noch vorhandenem natürlichen Zahnbestand. Eine bloße,
fehlenden Zahnbestand ersetzende Zahnprothese (Brückenglied) ist insoweit nicht als
intakter Nachbarzahn berücksichtigungsfähig. Dies gilt unabhängig davon, ob ggf. ein
schon überkronter Zahn diese Voraussetzung sowie zugleich diejenige fehlender
Überkronungsbedürftigkeit erfüllen kann, wenn er etwa als langfristig nicht
versorgungsbedürftig eingestuft wird.
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Vgl. zu Letzterem etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Juni 2004 - 2 LA 84/03 -,
Juris; Mildenberger, a.a.O., § 6 BhV Anmerkung 5 Ziffer 10.
42
Ist keine der Indikationen der Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV erfüllt, so
scheidet die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für implantologische Leistungen
grundsätzlich und in aller Regel aus. Es besteht insbesondere anders, als der Kläger
meint, nicht der Weg, gewissermaßen auf einer zweiten Stufe der Prüfung den Fall
zusätzlich an den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV zu messen und einen
Anspruch zuzuerkennen, wenn nur dessen generelle Voraussetzungen - die
Notwendigkeit und Angemessenheit der Aufwendungen - erfüllt sind. § 5 Abs. 1Satz 1
BhV enthält eine (gewissermaßen vor die Klammer gezogene) „Generalklausel" für die
spezielleren nachfolgenden Vorschriften der BhV betreffend die einzelnen
Leistungsarten. Die Konkretisierung dessen, was der Dienstherr mit Blick auf die
verschiedenen Leistungsarten jeweils für notwendig und insbesondere für angemessen
erachtet, wird i.d.R. abschließend in den §§ 6 ff. BhV bestimmt. Soweit der
Gesichtspunkt der Notwendigkeit dort keine nähere Konkretisierung erfahren hat, ist er
zwar zusätzlich zu prüfen, aber nicht in dem Sinne, dass er einer nach den §§ 6 ff. BhV
von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossenen Maßnahme unmittelbar und allein am Ende
doch zur Anerkennung der Beihilfefähigkeit verhelfen könnte. Das „Programm" der
Beihilfeleistungen wird dementsprechend nicht allein durch die in § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV
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niedergelegten allgemeinen Grundsätze - mag diesen auch eine hervorgehobene
Bedeutung zukommen -, sondern letztlich durch die jeweils anwendbaren
Beihilfevorschriften in ihrer Gesamtheit bestimmt. Es widerspricht diesem „Programm"
insbesondere nicht von vornherein, wenn von bestimmten Leistungsausschlüssen und -
begrenzungen auch solche Aufwendungen erfasst werden, die medizinisch
erforderliche Behandlungen betreffen. Dies gilt jedenfalls solange, wie derartige
Ausschlüsse und Begrenzungen nicht insgesamt gesehen einen solchen Umfang und
ein solches Gewicht erreichen, dass auch bei typisierender Betrachtung die
Beihilfegewährung den Vorgaben des höherrangigen Rechts wie insbesondere der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn als solche nicht mehr gerecht würde. Diese Frage
bedarf indes aus Anlass der Würdigung des sehr begrenzten Bereichs der
Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für implantologische Leistungen, um den es hier
allein geht, keiner grundsätzlichen und abschließenden Klärung.
2. Auch nach neuerlicher Überprüfung hält der Senat im Übrigen an der mit Beschluss
vom 6. Mai 2004 - 1 A 1160/03 - geäußerten Rechtsauffassung fest, dass die im
Rahmen der Indikationen nach Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV erfolgte
Begrenzung der Beihilfefähigkeit ggf. auch medizinisch notwendiger Aufwendungen
prinzipiell mit höherrangigem Recht vereinbar ist und insbesondere weder gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verstößt.
Mit Blick auf die nachfolgend dargestellten - im Ergebnis durchgreifenden -
Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens, bedarf dies hier keiner vertiefenden
Begründung.
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Vgl. zu der Problematik allgemein auch Urteil des Senats vom heutigen Tage in dem
Verfahren 1 A 3633/04.
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3. Wenn sich somit auch aus den Bestimmungen der BhV nicht unmittelbar eine
Grundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers ergibt, steht ihm dieser
Anspruch letztlich gleichwohl zu. Entscheidend hierfür sind Besonderheiten gerade
dieses Einzelfalles, welche es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, mit
Blick auf ein ansonsten der Fürsorgepflicht grob widersprechendes Ergebnis den
Anspruch unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 79 BBG
herzuleiten.
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Zwar enthalten Beihilfevorschriften des Dienstherrn eines Beamten im Grundsatz eine
abschließende Konkretisierung dessen, was der Dienstherr für diesen Rechtsbereich
aufgrund seiner Fürsorgepflicht an - den diesbezüglichen Anteil in der Besoldung
ergänzenden - Leistungen u.a. in Krankheitsfällen für geboten und angemessen ansieht.
Auch verlangt die Fürsorgepflicht keine „lückenlose" Erstattung sämtlicher
krankheitsbedingter Aufwendungen des Beamten und seiner berücksichtigungsfähigen
Angehörigen. Unbeschadet dessen kann es jedoch in gewissen Einzelfällen geboten
sein, einen „Beihilfeanspruch" unmittelbar auf der Grundlage der Fürsorgepflicht zu
gewähren, wenn nämlich diese ansonsten in ihrem Wesenskern verletzt würde.
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Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, z.B. Urteile vom 10. Juni 1999 - 2 C 29.98 -,
ZBR 2000, 46 = DÖD 2000, 39 (Juris Rn. 21, 22), und vom 31. Januar 2002 - 2 C 1.01 -,
ZBR 2002, 401 = DÖD 2002, 172 (Juris Rn. 17); zu implantologischen Leistungen etwa
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. September 2003 - 4 S 1869/02 -, IÖD 2004, 22
(Juris Rn. 13, 14); OVG Rheinland-Pflalz, Urteil vom 30. Oktober 1998 - 10 A 10692/98 -,
IÖD 1999, 128 (Juris, Rn. 34 ff.).
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Einen solchen Fall hält der Senat hier für gegeben. Dabei verkennt er nicht, dass schon
aus Gründen grundsätzlich gebotener Gleichbehandlung aller einem bestimmten
Dienstherrn zugehörigen Beihilfeberechtigten die Abweichung von im Rahmen der
Beihilfevorschriften typisierend vorgenommenen Leistungsausschlüssen bzw. -
begrenzungen zugunsten einzelner Beihilfeberechtigter unter unmittelbarer Anknüpfung
an den Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht höchstens in seltenen Ausnahmefällen in
Betracht kommen kann, in denen sich - atypischerweise - die Verweigerung der
Beihilfeleistung aufgrund ganz besonderer Fallumstände schlechterdings als grob
fürsorgepflichtwidrig darstellen würde.
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Dass die letztgenannten Voraussetzungen hier vorliegen, leitet der Senat in einer
Gesamtschau insbesondere aus folgenden Umständen ab:
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In die Betrachtung einzustellen ist zunächst, dass eine Implantatversorgung hier nicht
nur wegen deren etwaigen allgemeinen Vorteilen im Verhältnis zu einer konservativen
zahnärztlichen Versorgung einen medizinischen Nutzen bot, sondern dass hier
besondere Umstände vorgelegen haben, die schon aus medizinischen Gründen gegen
die behandlungsmäßig allein denkbare Alternative einer konservativen Versorgung
mittels einer großen Brücke sprachen. Da es neben dem an der hinteren Seite des
Kiefers für die Verankerung einer Brücke in Betracht gekommenen Zahn 37 im linken
Unterkiefer der Ehefrau an anderen Zähnen außer den beiden Vorderzähnen 32 und 31
gefehlt hat, hätte die nötige Verankerung an der vorderen Kieferseite notwendig an
diesen Zähnen vorgenommen werden müssen. Wie Zahnarzt Dr. N. für den Senat
nachvollziehbar in seiner medizinischen Begründung vom 14. März 2002 - bestätigt in
einer weiteren Stellungnahme vom 28. November 2002 - ausgeführt hat, waren diese
Zähne für einen so ausgedehnten Zahnersatz indes denkbar ungeeignet. Wie es in dem
Schreiben des Zahnarztes vom 28. November 2002 heißt, hätten die erhöhten unter der
Mastikation auftretenden Kaukräfte „sicherlich" einen frühzeitigeren Zahnverlust zur
Folge als bei der durchgeführten Versorgungsform. Die Versorgungsform einer vier
fehlende Zähne überspannenden Brücke ist hier somit nicht lediglich weniger vorteilhaft
als diejenige des Implantats; sie hätte vielmehr die konkrete Gefahr des Verlusts für
bestimmte weitere, bisher noch intakte Zähne der Ehefrau des Klägers bedeutet. Gerade
wegen der Betroffenheit des Bereichs der Vorderzähne ist dies für die Betroffene ein
Umstand von Gewicht, der sich nicht ausschließlich auf ästhetische Gesichtspunkte
51
vgl. dazu, dass derartige Gesichtspunkte für sich genommen eine Verletzung des
Wesenskerns der Fürsorgepflicht in aller Regel nicht begründen können, etwa VGH
Baden-Württemberg, Urteil vom 17. September 2003 - 4 S 1869/02 -, IÖD 2004, 22 (Juris
Rn. 16),
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reduzieren lässt, sondern - neben der mit dem Zahnverlust drohenden physischen
Beeinträchtigung - nachvollziehbar etwa auch zu psychischen Belastungen führen kann.
Auf den Punkt gebracht, ging es hier deshalb nicht (allgemein) um eine „optimale"
zahnärztliche Versorgung, sondern (konkret) um die medizinisch indizierte Vermeidung
der mit gewichtigen Nachteilen - hier den Verlust wesentlicher Zähne betreffend - für
den Patienten verbundenen (konservativen) Alternativversorgung, die allerdings zur
Erhaltung der Kaufähigkeit erforderlich gewesen wäre. Der Ehefrau des Klägers war es
namentlich nicht zuzumuten, ganz auf eine zahnärztliche Versorgung ihres linksseitigen
Unterkiefers zu verzichten, d.h. dort nur noch mit einem einzigen Zahn (Zahn 37)
auszukommen, wegen der fehlenden Zähne 33, 34, 35 und 36 aber im Übrigen nur mit
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dem (insoweit zahnlosen) Kiefer zu kauen.
Mit diesen schon gewichtigen Gründen hat es allerdings nicht sein Bewenden. Hinzu
kommt, dass in dem konkreten Fall die Implantatversorgung auch unter
Kostengesichtspunkten deutlich die „schonendste" Versorgungsvariante dargestellt hat.
Unter Berücksichtigung dessen würde es geradezu eine „Verkehrung" der wesentlichen
Ziele und Zwecke der durch die Indikationen der Nr. 4 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1
BhV geschaffenen Beihilfebegrenzungen „in ihr Gegenteil" bedeuten, wenn dem Kläger
für die geltend gemachten Aufwendungen eine Erstattung verwehrt bleiben müsste.
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Die Alternativversorgung wäre hier schon deshalb wesentlich „aufwändiger" gewesen,
weil die vorhandene Teleskopbrücke zwischen den Zähnen 33 und 37 keine
Verwendung mehr hätte finden können. Es hätte unter Überkronung eines oder
mehrerer Vorderzähne als Ankerzähne eine neue, noch längere Brücke über vier
fehlende Zähne angefertigt werden müssen. Auf der Grundlage der
Alternativberechnung (Kostenschätzung) des Zahnarztes Dr. N. vom 27. November
2002 hätte die Versorgung ca. das Sechsfache der hier im Streit stehenden Kosten für
die implantologischen Leistungen am Zahn 33 gekostet. Grundgedanke der mit den
Indikationen in Nr. 4 der Anlage 2 geschaffenen Begrenzung der Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen ist es aber namentlich gewesen, auf diese Weise vor dem Hintergrund
eines stetigen Anstiegs implantatversorgter Patienten eine allgemeine Begrenzung der
Kosten bezogen auf die betreffende, grundsätzlich kostenintensive Art der Behandlung
zu erzielen.
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Vgl. etwa Beschluss des Senats vom 6. Mai 2004 - 1 A 1160/03 - (Juris Rn. 6); VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 1999
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- 4 S 1700/98 - (Juris Rn. 6)
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Auch bezogen auf diese Zielsetzung handelt es sich mithin vorliegend um einen völlig
atypischen Fall, in dem es dem Kern der Fürsorgepflicht nicht mehr entspricht, Beihilfe
für eine notwendige, schon medizinisch nicht durch eine sinnvolle Alternative ersetzbare
Behandlungsart unter Rückgriff auf hier gerade nicht gegebene allgemeine
Kostenersparnis- und Leistungsbegrenzungsgesichtspunkte im Ergebnis zu versagen.
Darauf, ob der umstrittene Beihilfebetrag, der sich immerhin (unter Berücksichtigung der
Selbstbehalte) auf mehr als 500 EUR bezieht, für sich genommen ggf. nicht ausreichen
mag, um allein unter finanziellen Aspekten eine Verletzung des Wesenskerns der
Fürsorgepflicht zu rechtfertigen, kann es in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden
nicht entscheidend ankommen. Im Vordergrund steht vielmehr, dass der Ehefrau des
Klägers zum einen - wie dargelegt - nicht angesonnen werden konnte, auf die - auch
wegen des Zusammenhangs mit den verbliebenen Zähnen bzw. vorhandenen
Prothesen dringend benötigte - Versorgung der regio 33 für die (existenzielle)
Kaufunktion des Unterkiefers ganz zu verzichten, und dass für sie zum anderen keine im
Verhältnis zur Einbringung eines Implantats sinnvolle alternative (vom Dienstherrn
beihilferechtlich unterstützte) Behandlungslösung zur Verfügung gestanden hat. In einer
solchen Konstellation erweist es sich bereits als grob fürsorgepflichtwidrig, die Bezüge
des (Ruhestands- )Beamten ergänzende Beihilfeleistungen dem Grunde nach zu
verweigern.
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Der Senat hat in diesem Zusammenhang schließlich noch berücksichtigt, dass es auch
in Rechtsprechung und Literatur zumindest zum Teil für möglich gehalten wird, aus
59
besonderen Gründen des Einzelfalles Beihilfeleistungen ausnahmsweise auch dann zu
gewähren, wenn an sich infolge der fehlenden Erfüllung von grundsätzlich
abschließend gemeinten Indikationen ein (Total-)Ausschluss der Beihilfefähigkeit die
Folge sein müsste.
Vgl. etwa VG Minden, Urteil vom 2. Februar 2000 - 4 K 1056/98 -; OVG NRW, Beschluss
vom 26. Februar 2002 - 6 A 1436/00 -; ähnlich argumentierend Mildenberger, a.a.O.,
Anmerkung 5 Ziffer 16 (dort betreffend implantatgestützte prothetische Leistungen);
ferner - dort die Frage der Beihilfefähigkeit eines Hilfsmittels betreffend - OVG des
Saarlandes, Urteil vom 11. März 2002 - 1 R 11/00 -, DÖD 2002, 227.
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Geeigneter rechtlicher Anknüpfungspunkt bleibt hierfür allein die Fürsorgepflicht des
Dienstherrn. In deren Rahmen bedarf es im gegebenen Fall aus sich aufdrängenden
Gründen der Einzelfallgerechtigkeit einer (eng begrenzten) „Durchlässigkeit" des relativ
starren, keine Ausnahmen kennenden Systems enumerativer Beihilfebegrenzungen
durch bestimmte medizinische Indikationen, die selbst keinen genügenden Raum für die
Beurteilung völlig atypischer Fälle lassen.
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Das so begründete Ergebnis dieses Einzelfalles ist vor dem Hintergrund der Funktion
der Beihilfe, die Bezüge des (Ruhestands-)Beamten zu ergänzen, auch allein
interessengerecht. Denn im gegebenen Einzelfall hatte der betroffene Patient aus
Gründen der Zumutbarkeit keine medizinisch vertretbare Alternative, um seine
Behandlungsbedürftigkeit zu beheben. Insbesondere brauchte die Beklagte nicht zu
befürchten, der Patient könnte nunmehr in Ansehung der Ablehnung von
Beihilfeleistungen zu der sechsfach teureren Behandlung übergehen. Dies schon aus
Gründen der Zumutbarkeit nicht, namentlich aber auch deswegen nicht, weil mit der
strittigen Maßnahme die Behandlungsbedürftigkeit sechsfach billiger behoben worden
ist, dem Übergang auf die konservative Lösung also beihilferechtlich der Einwand
fehlender Notwendigkeit entgegengehalten werden könnte. Ein Ergebnis, das in
Ansehung der dargestellten Besonderheiten nur grob unbillig wäre.
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Die Höhe der (Beihilfe-)Leistungen hat sich dabei an den insoweit für vergleichbare
Leistungen in den BhV - in allgemeiner Konkretisierung der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn - grundsätzlich bestimmten Vorgaben (einschließlich dort geregelter
Selbstbehalte) zu orientieren. Es geht vorliegend nicht um eine „allgemeine
Besserstellung" des Betroffenen im Verhältnis zu den Regelungen der BhV. Vielmehr
gelangt ausschließlich ein bestimmter, als Indikationenregelung ausgestalteter
Leistungsbegrenzungstatbestand der BhV in einem Einzelfall (im Ergebnis) nicht zur
Anwendung, weil der Senat hier ausnahmsweise das Bestehen eines Anspruchs
unmittelbar unter Rückgriff auf die Fürsorgepflicht anerkannt hat. Auswirkungen auf die
allgemeine Berechnung der Leistungshöhe hat dieser Umstand nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
Zivilprozessordnung.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO,
§ 127 BRRG nicht gegeben sind.
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