Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.03.2017

OVG NRW (gebühr, stadt, verhältnis zwischen, kag, benutzung, abwasseranlage, gemeinde, benutzungsgebühr, leistung, grundstück)

Oberverwaltungsgericht NRW, II A 687/67
Datum:
14.05.1969
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
II A 687/67
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 1 K 443/66
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes bis ... in ... Das Grundstück ist
eingeschossig bebaut und grenzt mit einer Frontlänge von 19 m an die C.. Es wurde im
Jahre 1961 an die öffentliche Abwasseranlage der Stadt ..., nämlich an den in der G.
befindlichen Mischwasserkanal, angeschlossen. Die Klägerin entrichtet seit dieser Zeit
laufend Kanalbenutzungsgebühren.
1
Mit Bescheid vom 2. Mai 1966 zog der Beklagte die Klägerin zu einer einmaligen
Anschlußgebühr in Höhe von 610,- DM heran. Die Heranziehung beruhte auf den §§ 14,
15 der Satzung der Stadt ... über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluß
an die öffentlichen Abwasseranlagen vom 25. Juni 1965 (Entwässerungssatzung). Nach
§ 14 dieser Entwässerungssatzung ist für die Gewährung (Nehmen oder Behalten)
eines Anschlusses eines Grundstücks an die öffentliche Abwasseranlage zur Deckung
der erstmaligen Herstellungskosten des öffentlichen Abwassersystems eine einmalige
Gebühr für jeden Meter Straßenseite zu entrichten. Nach § 15 der
Entwässerungssatzung beträgt die Gebühr für den laufenden Meter Straßenfront an
kanalisierten Straßen bei unbebauten und eingeschossig bebauten Grundstücken beim
Anschluß an einen Mischwasserkanal (für Schmutz- und Regenwasser) 40,- DM, an
einen Schmutzwasserkanal 32,- DM und an einen Regenwasserkanal 8,- DM; die
Gebühr erhöht sich bei mehrgeschossigen Gebäuden um 15 v.H. für jedes weitere
Vollgeschoß. Gemäß diesen Vorschriften berechnete der Beklagte für den Anschluß
des Grundstückes der Klägerin an einen Mischwasserkanal die einmalige
Anschlußgebühr mit 760,- DM (19 lfdm × 40,- DM); von diesem Betrag setzte er eine
Pauschalvergütung von 150,- DM für die von der Klägerin auf ihre Kosten innerhalb der
Straßenfläche durchgeführten Arbeiten zur Herstellung des Hausanschlusses ab.
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Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Bescheid vom 16. Juni 1966
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zurück.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Der Beklagte verlange mit der
einmaligen Anschlußgebühr unzulässigerweise auch eine Erstattung der Kosten für die
Straßenentwässerung, weil in den Mischwasserkanal auch das Oberflächenwasser der
Straße abgeleitet werde. Die Gebühr für den Anschluß an einen Mischwasserkanal sei
auch um 8,- DM je lfdm Straßenfront höher als die Gebühr für den Anschluß an einen
Schmutzwasserkanal, in den kein Regenwasser abgeleitet werde. Kosten der
Oberflächenentwässerung der Straßen stünden in keinen Zusammenhang mit der
einmaligen Anschlußgebühr, wie das Verwaltungsgericht bereits in einem früheren
Urteil vom 3. Dezember 1963 - 1 K 549/63 - ausgeführt habe.
4
Eine einmalige Anschlußgebühr für das Behalten des Anschlusses könne ferner dann
nicht verlangt werden, wenn die Gemeinde es unterlassen habe, für das Nehmen des
Anschlusses eine Gebühr zu verlangen. Ihr Grundstück sei schon im Jahre 1961 an die
städtische Abwasseranlage angeschlossen worden, ohne daß der Beklagte für das
Nehmen des Anschlusses eine Gebühr verlangt habe.
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Sie sei zudem nach § 18 der Entwässerungssatzung von der einmaligen
Anschlußgebühr freigestellt, weil sie bereits Gebühren zu den Kosten der
Grundstücksentwässerung nach früheren Bestimmungen geleistet habe. Sie habe
nämlich mit der Entrichtung der laufenden Benutzungsgebühren seit 1961 entsprechend
§ 16 der Ortssatzung über den Anschluß der Grundstücke an die gemeindliche
Entwässerungsanlage vom 8. Oktober 1948 gleichzeitig auch Kosten für die Herstellung
der Entwässerungsanlagen erbracht. Diese Vorschrift habe im Jahre 1961 noch
gegolten. Durch die Nachtragssatzung vom 4. Dezember 1953/13. März 1954 sei, wie
das Verwaltungsgericht in dem Urteil vom 3. Dezember 1963 festgestellt habe, eine
einmalige Anschlußgebühr nicht wirksam eingeführt worden, soweit darin bestimmt
worden sei, daß zur Deckung der erstmaligen Herstellungskosten der öffentlichen
Entwässerungsanlagen bzw. ihrer Erweiterung die Kosten der oberirdischen
Straßenentwässerung und die eines gewöhnlichen(höchstens 50 cm haltenden) Kanals
erhoben würden.
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Schließlich sei die Gebührenforderung verjährt. Der Beklagte habe schon vor 1965
Gebühren zur Deckung der Herstellungskosten erheben können. Wenn er das nicht
getan habe, könne er dies jetzt nicht mehr nachholen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 1966 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 1966 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat ausgeführt: Die Heranziehung der Klägerin zur einmaligen Anschlußgebühr
betreffe nur die Grundstücksentwässerung, nicht aber die Oberflächenentwässerung der
Straße. Die Aufwendungen für die Straßenentwässerung, z.B. für Straßensinkkästen
und die hierfür erforderlichen Anschlußrohre, würden über den Erschließungsbeitrag
umgelegt. Außerdem trage die Stadt regelmäßig ungefähr 20 v.H. der gesamten Kosten
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des Abwassersystems aus allgemeinen Haushaltsmitteln. Die Klägerin sei auch nicht
gemäß § 18 der Entwässerungssatzung von der einmaligen Anschlußgebühr befreit.
Seit dem Erlaß der Nachtragssatzung vom 4. Dezember 1953 seien
Kanalbenutzungsgebühren nur noch für die laufende Unterhaltung der öffentlichen
Abwasseranlage, nicht aber, wie § 16 der Ortssatzung vom 8. Oktober 1948 vorgesehen
habe, auch für die Deckung der Herstellungskosten erhoben worden. Die Klägerin habe
somit durch die von ihr seit dem Anschluß des Grundstücks im Jahre 1961 entrichteten
laufenden Kanalbenutzungsgebühren keine Leistungen für die Herstellung der
öffentlichen Abwasseranlage erbracht. Die Gebührenforderung sei noch nicht verjährt,
da ein Anspruch auf Erhebung einer einmaligen Anschlußgebühr erst mit dem
Inkrafttreten der Entwässerungssatzungvom 25. Juni 1965 entstanden sei.
Das Verwaltungsgericht hat durch das angefochtene Urteil die Klage abgewiesen und in
den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Entwässerungssatzung vom 25. Juni 1965
sei formell gültig. Die in ihr geregelte Erhebung von einmaligen Anschlußgebühren sei
auch materiell nicht zu beanstanden. Mit der einmaligen Anschlußgebühr würden der
Klägerin nicht die Kosten der Straßenentwässerung angelastet. Der auf die
Oberflächenentwässerung der Straße entfallende Kostenanteil werde durch
Erschließungsbeiträge und ferner dadurch aufgebracht, daß die Stadt ... regelmäßig
ungefähr 20 v.H. der gesamten Entwässerungskosten mit allgemeinen Haushaltsmitteln
abdecke. Dadurch würden die Mehraufwendungen für die Straßenentwässerung
ausgeglichen. Die unterschiedliche Bemessung der Anschlußgebühr bei einem
Anschluß an einen Mischwasserkanal und bei einem Anschluß an getrennte Kanäle für
Schmutzwasser und Regenwasser sei mit dem Grundsatz der gleichmäßigen
Behandlung aller Abgabenpflichtigen vereinbar. Die Klägerin sei auch nicht nach § 18
der Entwässerungssatzung von der einmaligen Anschlußgebühr befreit; sie habe im
Sinne dieser Vorschrift eine Gebühr zu den Kosten der Grundstücksentwässerung nach
früheren Bestimmungen nicht geleistet. Die Gebührenforderung sei auch nicht verjährt,
weil die Möglichkeit zur Erhebung einer einmaligen Anschlußgebühr für die Gewährung
(Nehmen oder Behalten) eines Abwasseranschlusses in ... erst seit Inkrafttreten der
Entwässerungssatzung vom 25. Juni 1965 gegeben sei.
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Die Klägerin hat Berufung eingelegt mit dem Antrag,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag
zu erkennen.
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Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt ergänzend aus: Wenn in das
öffentliche Abwassersystem auch die Oberflächenentwässerung der Straßen abgeleitet
werde, müsse die einmalige Anschlußgebühr um einen Betrag ermäßigt werden, der
den anteiligen Kosten der Straßenentwässerung entspreche. Bei Fehlen einer klaren
Abgrenzung bestehe die Möglichkeit, die erstmaligen Herstellungskosten des
öffentlichen Abwassersystems sowohl über Anschlußgebühren als auch über
Erschließungsbeiträge beliebig und überschneidend abzudecken. Die
Freistellungsvorschrift des § 18 der Entwässerungssatzung setze nicht voraus, daß bei
früheren Bestimmungen eine "einmalige" Gebühr geleistet worden sei. Sie habe nach §
16 der Ortssatzung vom 8. Oktober 1948 mit den lautenden Benutzungsgebühren
zugleich eine Anschlußgebühr geleistet. Ihre jetzige Heranziehung zur einmaligen
Anschlußgebühr sei unzulässig. Die Gebührenforderung sei auch verjährt.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt ergänzend vor: Die einmalige Anschlußgebühr werde von der Klägerin für die
Ableitung von Schmutzwasser und Regenwasser, das auf ihrem Grundstück anfalle,
erhoben. Soweit die Abwasseranlage auch das Regenwasser der Straßenoberfläche
aufnehme und deshalb aufwendiger hergestellt werde, werde die Klägerin durch die
einmalige Anschlußgebühr nicht belastet. Die Rohre des Mischwasserkanals, die auch
das Regenwasser der Straße mit aufnähmen, hätten einen um 20 v.H. vergrößerten
Querschnitt. Die durch die Straßenentwässerung bedingten Mehraufwendungen würden
durch den Anteil von 20 v.H. der gesamten Herstellungskosten, den die Stadt ... seit
Einführung der Entwässerungssatzung vom 25. Juni 1965 regelmäßig aus allgemeinen
Haushaltsmitteln trage, ausgeglichen. Abgesehen hiervon wirke sich die
Straßenentwässerung wegen der erhöhten Spülwirkung des sauberen Regenwassers
für die gesamte Abwasseranlage vorteilhaft aus. Für die zum Abwassersystem
gehörende Kläranlage entstünden durch die Aufnahme des Straßenregenwassers keine
Mehrkosten. Die Kläranlage nehme nur die normalen Abwässer auf und sei nur für diese
dimensioniert. Die Stadt ... habe fünf Regenauslässe gebaut, welche bei erhöhtem
Wasserspiegel das Wasser unmittelbar in die Umflut oder in die Dinkel leiteten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil, auf die Schriftsätze
der Beteiligten und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
20
Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat keinen Erfolg.
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Die Entwässerungssatzung, auf der die Heranziehung beruht, ist formell wirksam
zustande gekommen. Sie ist vom Rat der Stadt ... der nach den §§ 4 und 28 Abs. 1
Buchst. g der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Oktober
1952, GS NW 167, (GO) hierfür zuständig ist, am 25. Juni 1965 ordnungsmäßig
beschlossen. Sie bedurfte nach § 19 GO und für ihren gebührenrechtlichen Teil nach
den §§ 4 Abs. 3, 8 Abs. 1 und 77 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893,
PrGS 152, in der jetzt geltenden Fassung der Anlage I zu § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur
Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts vom 7.
November 1961, GV NW 325/PrGS NW 7, (KAG) der aufsichtsbehördlichen
Genehmigung, die der nach § 48 Abs. 1 der Landkreisordnung für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 21. Juli 1953, GS NW 208, (KreisO) zuständige Oberkreisdirektor als
untere staatliche Verwaltungsbehörde am 21. September 1965 erteilt hat. Die
Genehmigung ist nach § 77 Abs. 3 Satz 1 KAG bis zum 31. Dezember 1975 bestimmt
befristet. Nach Eingang der Genehmigung hat der Bürgermeister der Stadt ... am 21.
Oktober 1965 gemäß § 37 Abs. 3 GO die Bekanntmachung der Entwässerungssatzung
unterzeichnet. Die Satzung ist sodann gemäß § 16 der Hauptsatzung der Stadt ... vom
23. Juli 1965 in der Zeit vom 22. Oktober bis 4. November 1965 durch Aushang in den
vorgesehenen sechs Aushangkästen öffentlich bekanntgemacht worden. Gegen die
Zulässigkeit dieser Form der Bekanntmachung bestehen nach der Einwohnerzahl der
Stadt ..., die im Jahre 1965 etwa 26.000 ausmachte, und nach der räumlichen
Ausdehnung des Stadtgebiets
23
vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, Urteil vom 25. August 1965 - III A 530/65 -
Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 1966, 831 - Neue Juristische Wochenschrift (NJW)
24
1966, 1575 und 1967, 170 = Der Gemeindehaushalt (Gemht) 1966, 185.
keine Bedenken. Der Aushang war, wie der Senat geprüft hat, während der Aushangfrist
jedermann zugänglich, so daß die Betroffenen sich ausreichend über das neue
Ortsrecht unterrichten konnten.
25
Gesetzliche Grundlage der in der Entwässerungssatzung geregelten
Gebührenerhebung ist § 4 KAG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift können die Gemeinden
für die Benutzung der von ihnen im öffentlichen Interesse unterhaltenen
Veranstaltungen (Anlagen, Anstalten und Einrichtungen) besondere Vergütungen
(Gebühren) erheben.
26
Auf Grund dieser gesetzlichen Ermächtigung erhebt die Stadt ... nach ihrer
Entwässerungssatzung eine einmalige Anschlußgebühr und eine laufende
Benutzungsgebühr. Auch die hier streitige einmalige Anschlußgebühr, die nach § 14 der
Entwässerungssatzung für die Gewährung (Nehmen oder Behalten) eines Anschlusses
eines Grundstückes an die öffentlichen Abwasseranlagen zur Deckung der erstmaligen
Herstellungskosten des öffentlichen Abwassersystems zu entrichten ist, ist eine
Benutzungsgebühr im Sinne des § 4 Abs. 1 KAG. Sie stellt ein. Entgeld für die Leistung
dar, die die Gemeinde dem Grundstückseigentümer durch den Anschluß seines
Grundstückes an die gemeindliche Abwasseranlage gewährt. Sie ist ein
vorweggenommener Aufschlag auf die laufende Benutzungsgebühr. Eine Benutzung
der Abwasseranlagen ist bereits in dem "Nehmen", aber auch in dem "Behalten" des
Anschlusses zu sehen. Die Zulässigkeit der Erhebung einer derartigen Anschlußgebühr
neben der laufenden Benutzungsgebühr ist im Geltungsbereich des § 4 KAG stets
anerkannt worden.
27
Vgl. OVG Münster, Urteil vom 5. August 1959 - III A 1440/56 -, Entscheidungen der
Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg (OVGE) 15, 121 = DVBl 1960, 781 =
Kommunale Steuerzeitschrift (KStZ) 1960, 33 = Deutsche Gemeindesteuerzeitung
(DGStZ) 1960, 92 = Der Betriebsberater (BB) 1960, 463 und Urteil vom 19. Juni 1963 - III
A 1095/61 -, OVGE 19, 30 = KStZ 1964, 160 = Gemht 1964, 114; Surén,
Gemeindeabgabenrecht, 1950 S. 32.
28
Nach der Begründung zu dem Entwurf eines Kommunalabgabengesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1968 (EKAG)
29
Landtag Nordrhein-Westfalen - 6. Wahlperiode - Bd. 5, Drucks. Nr. 810,
Einzelbegründung Nr. 5 zu § 6 EKAG (S. 37).
30
soll die einmalige Anschlußgebühr durch Erhebung eines Beitragsersetzt werden;
hierdurch wird die derzeitige Rechtslage nicht berührt.
31
Nach § 15 der Entwässerungssatzung wird die einmalige Anschlußgebühr nach der
Länge der Front berechnet, mit der das Grundstück an eine kanalisierte Straße grenzt.
Die Gebühr beträgt für den laufenden Meter Straßenfront beim Anschluß unbebauter
und eingeschossig bebauter Grundstücke an einen Mischwasserkanal (für Schmutz-
und Regenwasser) 40,- DM, an einen Schmutzwasserkanal 32,- DM und an einen
Regenwasserkanal 8,- DM; sie erhöht sich bei mehrgeschossigen Gebäuden um 15 v.H.
für jedes weitere Vollgeschoß. Damit hat die Stadt ... für die Bemessung der einmaligen
Anschlußgebühr den durch Differenzierungen etwas verfeinerten Frontmetermaßstab
32
gewählt, der ein sogenannter Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist.
I.
33
1.
34
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe sind Ersatzmaßstäbe für den Wirklichkeitsmaßstab.
Benutzungsgebühren gemäß § 4 KAG dürfen nur dann nach
Wahrscheinlichkeitsmaßstäben erhoben werden, wenn die Anwendung des
Wirklichkeitsmaßstabes technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist,
das tatsächlich Ausmaß einer Benutzung einer gemeindlichen Einrichtung also ohne
technische Schwierigkeiten und ohne unverhältnismäßigen Kosten - und
Verwaltungsaufwand nicht festgestellt werden kann.
35
Vgl. Preußisches Oberverwaltungsgericht (PrOVG) Urteil vom 26. November 1907,
Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (PrOVGE) 51, 59 (61);
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Bad-Württ), Urteil vom 12. Oktober
1961, Der Betriebsberater (BB) 1962, 74; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
(BayVGH), Beschluß vom 4. Februar 1959, Verwaltungsrechtssprechung in
Deutschland (VerwRspr.) 11 Nr. 233; von Lympius- von Elbe, Das
Kommunalabgabengesetz und das Kreis- und Provinzialabgabengesetz, 1930, Erl. VII
C 2 zu § 4 KAG; von Rosen-von Hoewel in Handbuch der Kommunalen Wissenschaft
und Praxis, Bd. III S 462; Kübler-Fröhner, Das Kommunalabgabenrecht in Baden-
Württemberg, Einführung S. 23; Rumetsch, Kommunalabgabengesetz für Rheinland-
Pfalz, 1956, Anm. 10 b zu § 7; Zeitler, BB 1962, 1355; Dahmen, Der Städtetag (StT)
1967, 107 und DVBl 1968, 310.
36
Denn nur der Wirklichkeitsmaßstab, der die Gebühr im Einzelfall genau nach Umfang
und Art der tatsächlichen Inanspruchnahme der gemeindlichen Einrichtung bemißt, wird
dem Grundsatz des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung (spezielles
Äquivalenzprinzip), dessen Geltung aus dem begrifflichen Wesen der
Benutzungsgebühr hergeleitet wird und in der Rechtsprechung anerkannt ist,
37
Vgl. PrOVG, Urteil vom 26. November 1907, a.a.O., und Urteil vom 13. Februar 1914,
PrOVGE 66, 159 (163); OVG Münster, Urteil vom 5. August 1959, a.a.O., und Urteil vom
15. Mai 1963 - III A 523/60 -, KStZ 1963, 227; OVG Lüneburg, Urteil vom 30. Oktober
1964, KStZ 1965, 141; Hessischer Verwaltungsgerichtshof (Hess. VGH), Urteil vom 19.
März 1964, Entscheidungssammlung der Verwaltungsgerichtshöfe Hessen und Baden-
Württemberg (ESVGH) 15, 47 = KStZ 1965, 145; VGH Bad- Württ., Urteil vom 23. März
1959, ESVGH 9, 49 (51) = Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 1959, 466; BayVGH, Urteil
vom 28. Februar 1958, VerwRspr 10 Nr. 151; Bayerischer Verfassungsgerichtshof
(BayVerfGH), Entscheidung vom 5. April 1963, KStZ 1963, 105; von Lympius-von Elbe,
a.a.O., Erl. VII C 1 zu § 4 KAG; Surén, a.a.O., Erl. 12 a zu § 4 KAG
38
in vollem Umfange gerecht. Hiervon geht auch § 6 Abs. 3 EKAG aus, der ausdrücklich
bestimmt, daß die Benutzungsgebühr nach dem Umfang und der Art der
Inanspruchnahme der Einrichtung - also nach dem Wirklichkeitsmaßstab - zu bemessen
ist und daß nur dann, wenn dies ungewöhnlich schwierig oder wirtschaftlich nicht
vertretbar ist, ein Maßstab gewählt werden kann, der zu dem Umfang und der Art der
Inanspruchnahme in angemessener Beziehung steht.
39
Wo, wie bei der Entwässerung, eine genaue Feststellung der Leistung der Gemeinde
technisch entweder überhaupt nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten
und großem finanziellen Aufwand möglich ist, sind in der Rechtsprechung sogenannte
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe zugelassen worden, die anstatt auf die wirkliche auf die
wahrscheinliche tatsächliche Benutzung abstellen. An einen
Wahrscheinlichkeitsmaßstab werden allerdings in der Rechtsprechung gewisse
Mindestanforderungen gestellt. Er muß insofern der Wahrscheinlichkeit entsprechen, als
auf einen gleichgroßen Teil des Maßstabes ein der Wahrscheinlichkeit nach
gleichgroßer Anteil an der Benutzung entfällt. Der Maßstab muß ferner im Durchschnitt
der allgemeinen, regelmäßig auf Erfahrungswerten beruhenden Benutzung entsprechen
und seinem Inhalt nach noch in einer Beziehung zu der Inanspruchnahme stehen.
Ungenauigkeiten in der Ermittlung, die im Einzelfall eine Ungleichbehandlung zum
Vorteil oder Nachteil der einzelnen Gebührenschuldner zur Folge haben, werden bei
den Wahrscheinlichkeitsmaßstäben als unvermeidlich in Kauf genommen.
40
Vgl. PrOVG, Urteil vom 13. Februar 1914, a.a.O., und Urteil vom 16. März 1937,
PrOVGE 100, 91 (93); OVG Münster, Urteil vom 15. Mai 1963, a.a.O.; HessVGH, Urteil
vom 19. März 1964, a.a.O.; Sindermann, Maßstäbe für die Erhebung von Abgaben bei
der Stadtentwässerung, Veröffentlichungen des Hauses der Technik e.V. Essen, Heft 8,
S. 33 (39).
41
Ferner muß ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab den verfassungsrechtlichen Grundsätzen
der Verhältnismäßigkeit und der Belastungsgleichheit entsprechen. Diese Grundsätze
verpflichten den Normgeber aber nicht dazu, für die Bemessung der
Benutzungsgebühren von mehreren möglichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben den
wirklichkeitsnäheren und damit den gerechteren Maßstab zu wählen. Das aus dem
bundesrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitete allgemeine
Äquivalenzprinzip verlangt nur, daß kein unangemessenes Verhältnis zwischen Gebühr
und öffentlicher Leistung besteht.
42
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluß vom 11. Oktober 1966 - 2 BvR 179,
476, 477/64 -, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 20, 257 (270)
= DVBl 1967, 113; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 13. Oktober 1955 - I
C 5.55 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 2, 246 (249),
Urteil vom 24. März 1961 - VII C 109.60 -, BVerwGE 12, 162 (166 ff), und Urteil vom 14.
April 1967 - IV C 179/65 - BVerwGE 26, 305 (308 f) = DVBl 1967, 577 = KStZ 1967, 252;
OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Juni 1968, KStZ 1969, 42.
43
Hiernach hat nur eine gröbliche Verletzung des Gleichgewichts von Leistung und
Gegenleistung, nämlich ein offensichtliches Mißverhältnis zwischen ihnen, die
Unzulässigkeit einer Warscheinlichkeitsbemessung und die Aufhebung des hierauf
gestützten Gebührenbescheides zur Folge.
44
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 1961 und Urteil vom 14. April 1967, a.a.O.; OVG
Lüneburg, Urteil vom 14. Juni 1968, a.a.O.
45
Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Abgabepflichtigen, der heute durch
den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich
gesichert ist und für das gesamte Abgabenrecht gilt,
46
vgl. PrOVG, Urteil vom 2. November 1937, PrOVGE 101, 55 (57); OVG Münster, Urteil
47
vom 28. Juni 1961 - III A 557/60 -, OVGE 17, 16 (25) = KStZ 1963, 100, und Urteil vom
22. Mai 1963 - III A 640/60 -, KStZ 1964, 222
wird nur durch eine willkürliche Regelung verletzt. Als willkürlich aber wird nur ein
solcher Maßstab angesehen, der in keinerlei Zusammenhang mit Art und Umfang der
Benutzung und ohne Verhältnis zwischen Leistung und Gebühr steht und daher offenbar
und absolut ungeeignet ist.
48
Vgl. PrOVG, Urteil vom 6. März 1897, PrOVGE 31, 61 (65), Urteil vom 13. Februar 1914,
a.a.O. und Urteil vom 16. Oktober 1934, PrOVGE 95, 33 (40); OVG Münster Urteil vom
15. Mai 1963, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urteil vom 30. Oktober 1964, a.a.O.; HessVGH,
Urteil vom 19. März 1964, a.a.O., und BayVerfGH, Entscheidung vom 5. April 1963,
a.a.O.
49
Welchen Wahrscheinlichkeitsmaßstab eine Gemeinde für die Bemessung der
Benutzungsgebühren wählt, ist nach der bisherigen Rechtsprechung weitgehend dem
Ermessen des jeweiligen Ortsgesetzgebers überlassen.
50
Schon das Preußische Oberverwaltungsgericht hat sich eine Beurteilung sowohl der
Zweckmäßigkeit und Angemessenheit einer Gebührenregelung als auch der
Geeignetheit eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes versagt und sich auf die
Nachprüfung beschränkt, ob der jeweilige Maßstab dem Grundsatz der
Belastungsgleichheit und den anderen Prinzipien des Gebührenrechts Rechnung trägt
oder ob er sich als völlig ungeeignet und damit als willkürlich erweist. Aus dem Fehlen
einer gesetzlichen Bemessungsgrundlage hat es den Schluß gezogen, daß der
Gesetzgeber den Gemeinden weitgehende Gestaltungsfreiheit eingeräumt habe.
51
Vgl. PrOVG, Urteil vom 6. März 1897, PrOVGE 31, 61 (65), Urteil vom 13. Februar 1914,
PrOVGE 66, 159 (164), Urteil vom 30. November 1915, PrOVGE 70, 149 (155), Urteil
vom 2. November 1937, PrOVGE 101, 55 (58) und Urteil vom 14. November 1939,
PrOVGE 104, 20 (21); von Lympius-von Elbe, a.a.O., Erl. VII D 1 und F zu § 4 KAG;
Surén, a.a.O., Erl. 12 b zu § 4 KAG mit weiteren Nachweisen,
52
Das Bundesverwaltungsgericht, das die ortsrechtlichen Gebührenmaßstäbe nur auf ihre
Vereinbarkeit mit Bundesrecht, insbesondere mit den Verfassungsgrundsätzen der
Verhältnismäßigkeit und Belastungsgleichheit, zu überprüfen hat, vertritt die Auffassung,
wegen des dem Ortsgesetzgeber zukommenden Ermessensrahmens könne nicht
gefordert werden, daß der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder
wahrscheinlichste Maßstab angewendet werde; vielmehr müsse dem Ortsgesetzgeber
ein weiter Spielraum gelassen werden, wobei auch die örtlichen Besonderheiten, die
Praktikabilität u.a. zu berücksichtigen seien.
53
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 1967, a.a.O. und Urteil vom 8. November 1968 - VII C
99. 67 - KStZ 1969, 77.
54
Die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist weitgehend an der Auffassung
des früheren Preußischen Oberverwaltungsgerichts und daneben an den
verfassungsrechtlichen Grundsätzen, wie sie in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt worden
sind, ausgerichtet.
55
So hat auch der früher für das Sachgebiet der Benutzungsgebühren zuständig
gewesene III. Senat des Gerichtshofes die Auswahl eines Maßstabes für die
Bemessung der Benutzungsgebühren grundsätzlich dem Ermessen des
Ortsgesetzgebers überlassen und die Befugnis der Verwaltungsgerichte verneint, einen
Wahrscheinlichkeitsmaßstab deswegen zu beanstanden, weil ein anderer
Ersatzmaßstab generell gerechter und zweckmäßiger wäre.
56
Vgl. OVG Münster, Urteile vom 5. August 1959 und vom 15. Mai 1963, a.a.O., sowie
Urteil vom 18. Januar 1967 - III A 101/66 - DVBl 1967, 583.
57
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg lehnt es ausdrücklich ab, den Gemeinden
Ratschläge für eine kommunalpolitisch zweckmäßige oder gerechtigkeitsnahe
Ausgestaltung der Gebührenregelung zu erteilen.
58
Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Juni 1968, a.a.O.
59
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof billigt dem Ortsgesetzgeber ein
Auswahlermessen bis zur Grenze der Willkür zu.
60
Vgl. BayVerfGH, Entscheidungen vom 5. April 1963, a.a.O. und vom 9. Februar 1968,
KStZ 1968, 94.
61
Andererseits zeichnet sich in neuerer Zeit eine Tendenz ab, nicht jeden von mehreren
denkbaren und im Rahmen des Willkürverbots rechtlich noch zulässigen
Wahrscheinlichkeitsmaßstäben gelten zu lassen, sondern die Normierung eines
Ersatzmaßstabes zu fordern, der der Wirklichkeit nahekommt.
62
So hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, Gebührenmaßstäbe, die
früher von den Verwaltungsgerichten als rechtmäßig anerkannt worden seien, könnten
mit den heutigen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten in Widerspruch stehen
und bedürften deshalb fortlaufender Überprüfung mit dem Ziele, die Höhe der Gebühr
möglichst nach dem tatsächlichen Umfang der Benutzung auszurichten.
63
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 1968, a.a.O.
64
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat als Bemessungsgrundlage für die
Festsetzung der Benutzungsgebühren einen der Wirklichkeit nahekommenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstab gefordert.
65
Vgl. VGH, Bad-Württ., Urteil vom 12. Oktober 1961, a.a.O.,
66
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in einer Entscheidung ausgeführt, der für die
pauschalen Benutzungsgebühren nach § 4 KAG geltende Grundsatz der speziellen
Entgeltlichkeit besage, daß Gebühren als Entgelt der Gegenleistung, für die sie erhoben
würden, entsprechen müßten, daß insbesondere Benutzungsgebühren nur für eine
tatsächliche Benutzung und in einer dem Maß der Benutzung entsprechenden Höhe
erhoben werden dürften.
67
Vgl. HessVGH, Urteil vom 8. Oktober 1964, VerwRspr 17 Nr. 86.
68
Auch der III. Senat des Gerichtshofes hat in seinem die Verfassungsmäßigkeit einer
69
Vorschrift des landesrechtlichen Vergnügungssteuerrechts betreffenden
Vorlagebeschluß vom 11. Dezember 1968 - III A 1398/59 - ausgeführt, daß die dem
Gesetzgeber zustehende Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen
Wahrscheinlichkeitsmaßstäben dort ihre Grenze finde, wo die Anwendung eines
Maßstabes zu ersichtlich gewichtigeren Ungleichheiten der steuerlichen Belastung
führe als die Anwendung der übrigen zur Wahl stehenden praktikablen
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe.
Die Forderung nach einer weitestmöglichen Annäherung der
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe an die Wirklichkeit wird vor allem im Schrifttum von
70
Kropp, Gemht 1966, 27; Dahmen, StT 1967, 107 und DVBl 1968, 310
71
erhoben. Sie wird aus dem Begriff der Benutzungsgebühr, dem auf sie bezogenen
Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitsgrundsatz hergeleitet. Dahmen hält den
Ortsgesetzgeber für verpflichtet, bei der Regelung des Gebührenrechts nicht nur
Rechtssicherheit zu schaffen, sondern auch, soweit möglich, die materielle
Gerechtigkeit zu verwirklichen, nämlich ein sachgerechtes Verhältnis zwischen
Tatbestand und Rechtsfolge herzustellen. Er meint, dem Ortsgesetzgeber stehe bei der
Wahl des Gebührenmaßstabes kein Ermessen, sondern lediglich ein
Beurteilungsspielraum zu, der vom Gericht in vollem Umfange überprüft werden könne.
Kropp macht geltend, die ungleiche Belastung der einzelnen Abgabenschuldner, die die
Anwendung von Wahrscheinlichkeitsmaßstäben mit sich bringe, müsse auf ein
Mindestmaß beschränkt werden. Die Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes habe
Vorrang vor der Praktikabilität einer gebührenrechtlichen Norm und, sonstigen
Erwägungen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab müsse, ohne letztlich zu einem.
Wirklichkeitsmaßstab zu werden, so wahrscheinlich, d.h. der Wirklichkeit angenähert
und damit so gerecht wie möglich gestaltet sein.
72
Die bisherige Praxis und Rechtsprechung, wonach die Wahl eines
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes für die Bemessung der Benutzungsgebühren
weitgehend dem freien Ermessen des Ortsgesetzgebers überlassen ist und ein
Wahrscheinlichkeitsmaßstab als zulässig angesehen wird, solange er sich nicht als
offenbar und absolut ungeeignet und als willkürlich erweist, hat zu einer
Beeinträchtigung der Rechtssicherheit hinsichtlich der Gültigkeit solcher
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe geführt, die sich im Gegensatz zu anderen
wirklichkeitsnäheren und praktikablen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben weit von der
Wirklichkeit entfernen.
73
2.
74
Nach Auffassung des Senats sind die Gemeinden verpflichtet, bei Anwendung eines
Ersatzmaßstabes die Benutzungsgebühr nach einem möglichst wirklichkeitsnahen
Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu erheben, sofern unter mehreren sich anbietenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstäben mit unterschiedlicher Wirklichkeitsnähe sich ein
Maßstab befindet, der im Vergleich zu anderen Maßstäben der Wirklichkeit ersichtlich
näher kommt und desses Auswahl und Anwendung unter Berücksichtigung der
besonderen örtlichen Gegebenheiten nicht schwierig und wirtschaftlich vertretbar sind.
Wenn sich ein solcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab findet, ist es den Gemeinden nicht
gestattet, gleichwohl einen anderen zu wählen, der zwar aus Gründen der
Verwaltungsvereinfachung und aus sonstigen kommunalpolitischen Erwägungen
75
zweckmäßig erscheint, dessen Ergebnisse aber eine eindeutig größere Ungenauigkeit
aufweisen.
Wenn die Benutzungsgebühr nach ihrem begrifflichen Wesen eine wirtschaftlich
gleichwertige Gegenleistung für die besondere Inanspruchnahme einer gemeindlichen
Einrichtung darstellt, ist es nur folgerichtig, das grundsätzliche Gebot zu möglichst
wirklichkeitsbezogener Ermittlung als Rangordnung nicht nur bei der Unterscheidung
zwischen Wirklichkeitsmaßstab und Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu berücksichtigen,
sondern generell darauf abzustellen, ob unter mehreren möglichen Maßstäben der eine
oder andere ersichtlich größere Gewähr für eine leistungsgerechte Ermittlung bietet. Der
Normgeber darf das Ziel der Gebührenbemessung, die Herstellung des Gleichgewichts
zwischen Gebühr und Leistung, auch dann nicht außer acht lassen, wenn er darauf
angewiesen ist, die genaue Ermittlung durch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung zu
ersetzen, und ihm hierfür unterschiedliche Möglichkeiten gegeben sind. Bei den
heutigen gewandelten Verhältnissen auf dem Gebiet des Städtebaus und der
Abwassertechnik und den unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten ist es häufig sehr
schwierig zu beurteilen, ob ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab noch wirklich der
"Wahrscheinlichkeit" entspricht oder bereits als willkürlich anzusehen ist. Die denkbaren
Gestaltungsformen von Wahrscheinlichkeitsmaßstäben können im Einzelfall von großer
Wirklichkeitsnähe bis zur Grenze der Willkür reichen. Die Abstufung zwischen diesen
Extremen einer Gebührenbemessung nach Ersatzmaßstäben ist in der Regel
wesentlich größer als die zwischen dem Wirklichkeitsmaßstab und einem sehr
wirklichkeitsnahen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Entsprechend verhält es sich mit den
Auswirkungen für die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, die die Wahl
eines wirklichkeitsnahen oder eines von der Wirklichkeit entfernten
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes mit sich bringt. Die "wirklichkeitsnahe" Messung dient,
auch wenn sie nur zu wahrscheinlichen Ergebnissen führt, im besonderen Maße der
Herstellung des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung und hat deshalb
Vorrang vor jeder Ermittlung, die zwar nicht generell ungeeignet und willkürlich
erscheint, aber einen ersichtlich ungenaueren Rückschluß auf den tatsächlichen
Leistungsumfang zuläßt. Die Zulässigkeit eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes für die
Erhebung von Benutzungsgebühren ist hiernach nicht nur daran zu messen, ob
zwischen Art und Umfang der Benutzung und der Höhe der Gebühr noch ein
angemessenes Verhältnis besteht. Sie ist vielmehr auch durch einen Vergleich mit
anderen Ersatzmaßstäben daraufhin zu überprüfen, ob andere
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe den wirklichen Umfang der Benutzung zutreffender
wiedergeben. Ergeben sich bei diesem Vergleich ersichtliche Unterschiede und ist die
Anwendung eines eindeutig wirklichkeitsnäheren Ersatzmaßstabes einer Gemeinde
möglich und zumutbar, hat der Ortsgesetzgeber diesen Maßstab zu wählen.
76
Die Rechtsauffassung des Senats wird von der Erkenntnis bestimmt, daß das der
Benutzungsgebühr begriffswesentliche Erfordernis wirtschaftlicher Gleichwertigkeit von
Leistung und Gegenleistung als spezielles Äquivalenzprinzip der landesrechtlichen
Gebührennorm des § 4 Abs. 1 KAG immanent ist. Einen allgemeinen einheitlichen
bundesrechtlichen Gebührenbegriff gibt es nicht.
77
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 23. Februar 1956 - V C 181.55 - KStZ 1956, 128 (129) und
Urteil vom 14. April 1964 - IV C 179.65 - BVerwGE 26, 305 (309)
78
In der landesrechtlichen Vorschrift des § 4 Abs. 1 KAG wird die Benutzungsgebühr als
"besondere Vergütung für die Benutzung einer von der Gemeinde im öffentlichen
79
Interesse unterhaltenen Veranstaltung" begrifflich bestimmt. Darin kommt das spezielle
Äquivalenzprinzip zum Ausdruck. Der Grundsatz der speziellen Entgeltlichkeit liegt
auch der Begriffsbestimmung in § 4 Abs., 2 EKAG zugrunde, wonach
Benutzungsgebühren Geldleistungen sind, die für die Inanspruchnahme öffentlicher
Einrichtungen und Anlagen erhoben werden.
Das dem landesrechtlichen Gebührenbegriff des § 4 Abs. 1 KAG innewohnende
spezielle Äquivalenzprinzip darf nicht mit dem allgemeinen bundesrechtlichen
Äquivalenzprinzip indentifiziert werden. Während der an verfassungsrechtlichen
Wertungen orientierte bundesrechtliche Grundsatz lediglich erkennbare Mißverhältnisse
zwischen Gebühr und Leistung der Gemeinde untersagt, gebietet der aus dem
landesrechtlichen Gebührenbegriff des § 4 Abs. 1 KAG entwickelte spezielle
Gleichgewichtsgrundsatz eine bewußte Annäherung der Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe
an die nicht mögliche oder nicht zumutbare genaue Feststellung der wirklichen
Inanspruchnahme. Beide Grundsätze berühren sich sachlich, unterscheiden sich aber in
ihrer Zielsetzung und in ihren Anforderungen. Der Landesgesetzgeber war und ist nicht
gehindert, die zulässigen Grenzen für die Erhebung von Benutzungsgebühren nach
Wahrscheinlichkeitsmaßstäben enger zu ziehen, als dies durch die allgemeinen
verfassungsrechtlichen Grundsätze geschieht.
80
An den speziellen Gleichgewichtsgrundsatz, der dem landesrechtlichen
Gebührenbegriff des § 4 Abs. 1 KAG immanent ist, sind die Gemeinden gebunden, da
ihnen die durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete Satzungsautonomie nur im Rahmen
der Gesetze zusteht. Die Vereinbarkeit ortsrechtlicher Bestimmungen mit höherrangigen
landesrechtlichen Normen hat der Gerichtshof zu prüfen.
81
Die Beachtung des vom Senat aus dem Wesen der Benutzungsgebühr und ihrer
begrifflichen Bestimmung in § 4 Abs. 1 KAG hergeleiteten speziellen Äquivalenzprinzips
führt dazu, daß die Gestaltungsfreiheit des Ortsgesetzgebers bei der Bemessung der
Benutzungsgebühren nach Wahrscheinlichkeitsmaßstäben zwar eingeschränkt wird,
bedeutet aber nicht, daß den Gemeinden die Wahlfreiheit unter mehreren
Ersatzmaßstäben gänzlich genommen wird. Die Grenzen können wie folgt gezogen
werden, wobei auf die unterschiedlichen örtlichen Verhältnisse und die Schwierigkeiten
der Ermittlung und Anwendung wirklichkeitsnäherer Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe
Rücksicht zu nehmen ist:
82
Eine Gemeinde darf keinen Ersatzmaßstab wählen, wenn offensichtlich ist, daß ein
anderer Wahrscheinlichkeitsmaßstab der Wirklichkeit näher kommt und daß die
Anwendung des wiklichkeitsnäheren Maßstabes nicht schwierig und wirtschaftlich
vertretbar ist. Letzteres ist zu bejahen, wenn die Anwendung des wirklichkeitsnäheren
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes im Verhältnis zum gesamten Gebührenaufkommen
keinen unverhältnismäßig hohen und deswegen unzumutbaren
Verwaltungsmehraufwand erfordert. - Eine Gemeinde darf sich für einen gröberen
Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch dann nicht entscheiden, wenn sich ohne langwierige
und umfangreiche Ermittlungen durch ein verhältnismäßig einfaches technisches
Gutachten klären läßt, welcher andere Ersatzmaßstab der Wirklichkeit ersichtlich näher
kommt und daß seine Anwendung ohne nennenswerte Schwierigkeiten technisch
möglich und wirtschaftlich vertretbar ist, ohne daß dies auf den ersten Blick
offensichtlich zu sein braucht. Der Ortsgesetzgeber hat aber die Wahl zwischen
mehreren Wahrscheinlichkeitsmaßstäben, wenn nicht offensichtlich ist, welcher von
mehreren möglichen Maßstäben der Wirklichkeit eindeutig näher kommt, und wenn eine
83
sachverständige Beurteilung der verschiedenen in Betracht zu ziehenden Maßstäbe zu
dem Ergebnis kommt, daß die Ermittlung und praktische Anwendung des
wirklichkeitsnäheren Maßstabes einen im Verhältnis zum gesamten
Gebührenaufkommen unverhältnismäßig hohen Kostenaufwand oder die
fachtechnische Untersuchung ein besonderes schwieriges, umfangreiches und
kostspieliges Gutachten erfordern würde. Zur Klärung der möglichen Anwendung eines
geeigneten wirklichkeitsnäheren Wahrscheinlichkeitsmaßstabes müssen sich die
Gemeinden allerdings der Hilfe ihrer Verbände bedienen, so daß bei der Ermittlung
eines wirklichkeitsnäheren Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nicht in allen Fällen auf die -
unterschiedliche - Leistungsfähigkeit der einzelnen Gemeinde abzustellen ist. So ist an
die Möglichkeit der Übernahme eines geeigneten wirklichkeitsnäheren
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes zu denken, der bei wesentlich gleichen Verhältnissen
von anderen Gemeinden bereits erprobt worden ist und angewendet wird. Bei dieser
Abgrenzung wird nicht verlangt, daß eine Gemeinde im Einzelfall den objektiv
geeignetsten und besten Maßstab wählt; vielmehr kommt es darauf an, ob es offenbar
oder nicht schwierig festzustellen ist, daß ein anderer Maßstab der Wirklichkeit
ersichtlich näher kommt und keinen unverhältnismäßig größeren Verwaltungsaufwand
erfordert. Steht ein ersichtlich wirklichkeitsnäherer Maßstab zur Verfügung, haben
Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität nur für die Frage
Bedeutung, ob der Gemeinde die Anwendung dieses Maßstabes technisch und
wirtschaftlich zumutbar ist.
3.
84
Wenn der Senat nunmehr sofort von der jahrzehntelangen Praxis und Rechtsprechung
abweichen und Gebührenmaßstäbe, die nach der neuen Rechtsauffassung des Senats
gegen das spezielle Äquivalenzprinzip verstoßen, als ungültig behandeln würde, würde
die bereits bestehende Beeinträchtigung der Rechtssicherheit zumindest für eine
Übergangszeit noch erheblich verschärft. Ein derartiges Ergebnis ist aus Gründen des
Rechtsstaatsprinzips nicht tragbar. Zur Rechtsstaatlichkeit gehören die
Voraussehbarkeit, die sich vor allem in der Rechtssicherheit äußert, und die materielle
Richtigkeit oder Gerechtigkeit.
85
Vgl. BVerfG, Beschluß vom 24. Juli 1957 - 1 BvL 23/52 -, BVerfGE 7, 89 (92), Beschluß
vom 12. Dezember 1957 - 1 BvR 678/57 -, BVerfGE 7, 194 (196) und Beschluß vom 25.
Oktober 1966 - 2 BvR 506/63 - BVerfGE 20, 323 (331).
86
Das Prinzip der Rechtssicherheit hat nicht nur für den Abgabenpflichtigen Bürger,
sondern auch für die abgabenberechtigte Gemeinde Bedeutung.
87
Vgl. von Müller, Deutsche Wohnungswirtschaft (DWW) 1969, 169 (170).
88
Der Senat ist der Auffassung, daß vorerst im Interesse der Rechtssicherheit die
materielle Richtigkeit, wie sie der Senat abweichend von der bisherigen Praxis und
Rechtsprechung entwickelt und dargelegt hat, bei seinen Entscheidungen
vorübergehend noch zurücktreten muß. Andernfalls würden die kommunalen
Gebührensatzungen in einer großen Zahl von Fällen als rechtswidrig und ungültig
behandelt werden müssen, obwohl die örtlichen Satzungsgeber die Anforderungen der
bisher maßgebenden Rechtsprechung beachtet haben, und es würde eine
Rechtsunsicherheit eintreten, die die finanziell ordnungsgemäße Verwaltung der
gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen erheblich beeinträchtigen könnte. Dem
89
Prinzip der Rechtssicherheit kommt somit gerade im Bereich des gemeindlichen
Satzungsrechts und Abgabenrechts wegen der Vielzahl der kommunalen Gesetzgeber
im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten eine erhöhte Bedeutung zu. Auf der anderen
Seite muß der Senat aber im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips dem Erfordernis der
materiellen Richtigkeit und der Gerechtigkeit, die sich hier im speziellen
Äquivalenzprinzip äußert, Rechnung tragen. Er kann daher nicht auf längere Sicht die
von ihm gewonnene rechtliche Erkenntnis zu Gunsten der Rechtssicherheit unter
Aufrechterhaltung der überkommenen Auffassungen zurückstellen.
Unter diesen Umständen bleibt dem Senat nur die Möglichkeit, der großen Zahl örtlicher
Satzungsgeber eine Übergangsfrist zu gewähren, in der sie ihre Satzungen der
nunmehrigen Rechtsauffassung des Senats anzupassen in der Lage sind. Einen
ähnlichen Weg ist das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen gegangen;
es hat eine bestehende gesetzliche Regelung als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar
befunden, aber dennoch die angegriffene Regelung nicht sofort für ungültig erklärt, weil
alsdann ein rechtliches Vakuum zu erwarten war.
90
Vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 1955 - 1 BvF 1/55 - BVerfGE 4, 157 (170), Beschluß vom
17. Dezember 1958 - 1 BvR 615/52 - BVerfGE 9, 63 (71 f.), Beschluß vom 21. März 1961
- 1 BvL 3, 18, 99/58 - BVerfGE 12, 281 und Urteil vom 20. Dezember 1966 - 1 BvR
320/57, 70/63 - BVerfGE 21, 12 (40 ff.); ferner OVG Münster, Urteil vom 6. September
1967 - IV A 1594/66 -.
91
Vergl. auch Zweigert-Kötz: Die Bedeutung des Rückwirkungsverbots für die Auslegung
von Steuergesetzen, BB 1969, 453.
92
Als eine solche Frist, die den kommunalen Gesetzgebern in Nordrhein-Westfalen die
erforderliche Zeit gibt, ihr Ortsrecht der nunmehrigen Rechtsauffassung des Senats
anzupassen, erscheint der Zeitraum bis zum 31. Dezember 1970 ausreichend und
angemessen. Der Senat beabsichtigt, in den Fällen, in denen der gebührenpflichtige
Tatbestand bis zu diesem Zeitpunkt verwirklicht worden ist, seinen Entscheidungen im
Interesse der Rechtssicherheit die in der bisherigen Praxis und Rechtsprechung
entwickelte Rechtsauffassung zu Grunde zu legen. Bei den nach dem 31. Dezember
1970 verwirklichten und eine Gebührenpflicht auslösenden Tatbeständen wird der
Senat, wenn er in seiner bisherigen Zusammensetzung und Zuständigkeit erhalten
bleibt, dagegen voraussichtlich seine fortentwickelte Rechtsauffassung über die
Bedeutung des Äquivalenzprinzips im Gebührenrecht zu Grunde legen. Dies gilt auch,
wenn die §§ 4 und 6 EKAG Gesetz werden, es sei denn, daß der Landesgesetzgeber
durch eine ausdrückliche Vorschrift seinen Willen bekundet,
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Erhebung von Benutzungsgebühren bis zur
Grenze der Willkür auch künftig zu Lasten einer gerechten Heranziehung der Benutzer
der gemeindlichen Einrichtungen zuzulassen.
93
Die vom Senat eingeräumte Übergangsfrist entspricht der des § 24 Abs. 4 EKAG,
wonach die bisherigen Abgabensatzungen spätestens ein Jahr nach dem zum 1. Januar
1970 vorgesehenen Inkrafttreten des neuen Kommunalabgabengesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen durch neue, nach den Vorschriften des EKAG zu erlassende
Satzungen zu ersetzen sind. Für den Fall, daß das neue KAG zu einem späteren
Zeitpunkt, aber noch vor Ablauf der vom Senat gesetzten Übergangsfrist in Kraft treten
sollte, behält sich der Senat vor, die von ihm gesetzte Übergangsfrist evtl. angemessen
zu verlängern.
94
II
95
Der Frontmetermaßstab, bei dem die Höhe der Gebühr nach der Länge der Front
berechnet wird, mit der das Grundstück an eine kanalisierte Straße grenzt, ist der für die
Bemessung der einmaligen Anschlußgebühr von den Gemeinden bisher am meisten
verwendete Maßstab. Er ist mit gewissen Verfeinerungen und Einschränkungen von der
Rechtsprechung bisher als rechtlich zulässig anerkannt worden.
96
Vgl. PrOVG, Urteil vom 21. September 1915, PrOVGE 69, 183, Urteil vom 10. Mai 1932,
PrOVGE 89, 88, Urteil vom 16. November 1935, PrOVGE 97, 40 und Urteil vom 16. März
1937, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 5. August 1959, a.a.O., und Urteil vom 31.
Oktober 1962 - III A 1/61 - KStZ 1963, 127; OVG Lüneburg, Urteil vom 21. Februar 1964,
KStZ 1964, 222; BayVerfGH, Entscheidung vom 5. April 1963, a.a.O.; Hess. VGH, Urteil
vom 19. März 1964, a.a.O.
97
Der Frontmetermaßstab ist sehr einfach und ohne großen Verwaltungsaufwand zu
handhaben. Er ist ein äußerst grober Wahrscheinlichkeitsmaßstab, bei dessen
Anwendung sich in vielen Fällen Mängel und Härten nicht vermeiden lassen. Er beruht
auf der Wahrscheinlichkeitsannahme, daß die Benutzung der Abwasseranlage mit der
Länge der Grundstücksfront an einer kanalisierten Straße wächst. Man geht davon aus,
daß die Abwasseranlage einer Gemeinde um so mehr in Anspruch genommen wird, je
größer das auf dem Grundstück errichtete Gebäude ist, und daß das Gebäude in der
Regel um so größer sein wird, je länger die Front ist, mit der das Grundstück an die
kanalisierte Straße grenzt. Der reine Frontmetermaßstab läßt die Art der Bebauung und
Nutzung des Grundstückes außer Betracht. Er führt zu einem der Wirklichkeit
einigermaßen nahekommenden Ergebnis nur dann, wenn die an einer kanalisierten
Straße liegenden Grundstücke gleichmäßig bebaut werden. Bei der im modernen
Städtebau zunehmenden ungleichmäßigen Bebauung, z.B. mit Flachhäusern in
Wohnsiedlungen am Rande geschlossener Ortschaften und mit Hochhäusern vor allem
in den großen Städten, schwindet die dem Frontmetermaßstab zu Grunde liegende
Wahrscheinlichkeitsannahme immer mehr. In der neueren Rechtsprechung und im
Schrifttum dringt die Auffassung vor, daß der Frontmetermaßstab nur bei
verhältnismäßig gleichmäßiger Bebauung des Gemeindegebietes oder bei einer
differenzierten Anwendung mit anderen Veranlagungsmaßstäben oder Beiwerten, durch
die seine Mängel abgeschwächt werden, noch als geeigneter und zulässiger
Wahrscheinlichkeitsmaßstab angesehen werden kann.
98
Vgl. OVG Münster, Urteil vom 5. August 1959, a.a.O.; BayVerfGE, Entscheidung vom 5.
April 1963, a.a.O.; HessVGH, Urteil vom 19. März 1964, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urteil
vom 20. Dezember 1967, KStZ 1968, 225; Sindermann, a.a.O., S. 53 f.; Barocka, Gemht,
1962, 1 ff. und 25 ff.; Dahmen, StT 1967, 107.
99
1.
100
Der von der Stadt ... benutzte verfeinerte Frontmetermaßstab genügt noch den
Anforderungen, die nach den in der Rechtsprechung bisher entwickelten Grundsätzen
an die Zulässigkeit dieses Wahrscheinlichkeitsmaßstabes gestellt werden. Die
städtebaulichen Verhältnisse in der Gemeinde ... mit etwa 26.000 Einwohnern sind
verhältnismäßig einfach. Sie sind nicht vergleichbar mit den gegensätzlichen
Bauweisen, die heute vor allem in Großstädten anzutreffen sind. Wie der Beklagte
101
glaubhaft dargelegt hat, sind die in der Stadt ... vorhandenen Wohngebäude etwa zu 80
v.H. eingeschossig. Der Anteil der eingeschossigen und zweigeschossigen
Wohngebäude, die überwiegend mit nur einer Familie belegt sind, macht sogar etwa 98
v.H. aus. Die Mängel des rohen Frontmetermaßstabes werden dadurch etwas gemildert,
daß die Stadt ... bei mehrgeschossig bebauten Grundstücken für jedes weitere
Vollgeschoß einen Zuschlag von 15 v.H. des Gebührensatzes für eingeschossig
bebaute Grundstücke erhebt. Dadurch wird der Wahrscheinlichkeit Rechnung getragen,
daß die Inanspruchnahme der Abwasseranlage mit der Anzahl der Geschosse eines
bebauten Grundstücks steigt. Die Stadt ... verwendet schließlich unterschiedlich
Gebührensätze für die Ableitung des Schmutzwassers und Regenwassers im
Mischverfahren und im Trennverfahren, deren Staffelung in einem sachgerechten
Verhältnis steht.
Rechtlich bedenklich kann allerdings sein, daß die Stadt ... für den Anschluß
unbebauter und eingeschossig bebauter Grundstücke - etwa an einen
Mischwasserkanal - dieselben Gebührensätze erhebt, obwohl Umfang und Art der
Benutzung der gemeindlichen Abwasseranlage bei unbebauten und bebauten
Grundstücken wesentlich verschieden sein können. Diese Frage bedarf hier jedoch
keiner Klärung, weil die Klägerin als Eigentümerin eines bebauten Grundstücks dadurch
in ihren Rechten nicht beeinträchtigt wird. Eine evtl. unverhältnismäßig hohe Belastung
der unbebauten Grundstücke mit der einmaligen Anschlußgebühr bei der Verteilung des
gesamten gebührenfähigen Aufwandes würde die Klägerin nicht benachteiligen,
sondern sich eher zu ihren Gunsten auswirken.
102
2.
103
Bei Beachtung des speziellen Äquivalenzprinzips in dem vom Senat entwickelten Sinne
wird die Stadt ... jedoch zu prüfen haben, ob sie in Zukunft unter Berücksichtigung ihrer
besonderen Örtlichen Verhältnisse für die Bemessung der einmaligen Anschlußgebühr
einen anderen Maßstab wählen muß, der der Wirklichkeit ersichtlich näher kommt als
der bisher benutzte Frontmetermaßstab und dessen Anwendung sich ohne
nennenswerte Schwierigkeiten als möglich und zumutbar erweist. Der
Frontmetermaßstab bleibt - auch mit den von der Stadt verwendeten Verfeinerungen
(Zuschlag für mehrgeschossig bebaute Grundstücke und Sonderbestimmungen für
Grundstücke mit mehreren Straßenfronten) - ein grober, primitiver
Wahrscheinlichkeitsmaßstab, bei dem die Beziehung zum tatsächlichen Umfang der
Benutzung der gemeindlichen Abwasseranlage sehr lose ist. Deswegen wird im
Schrifttum mit Recht die Auffassung vertreten, von diesem rohen Maßstab abzugehen.
104
Vgl. Barocka, Gemht 1962, 25 ff. und KStZ 1969, 13; Sindermann, a.a.O., S. 53 f.;
Finkler, Die Demokratische Gemeinde 1966, 942 (944) und Dahmen, StT 1967, 107.
105
Der Maßstab für die Bemessung der einmaligen Anschlußgebühr ist an dem Umfang
der künftigen Benutzung der Abwasseranlage auszurichten. Das Nehmen des
Anschlusses, in dem bereits eine Benutzung liegt, ist der Anfang der auf Dauer
gerichteten fortlaufenden Benutzung der gemeindlichen Abwasseranlage durch
Ableitung der auf dem Grundstück anfallenden Abwässer.
106
Vgl. Thiem, KStZ 1967, 237 (239)
107
Unter diesem Gesichtspunkt wird im neueren Schrifttum empfohlen, den modifizierten
108
Wasserverbrauchsmaßstab, der vielfach - so auch von der Stadt ... - für die laufenden
Benutzungsgebühren verwendet wird, auch für die Bemessung der einmaligen
Anschlußgebühr zu nehmen.
Vgl. Barocka, DÖV 1966, 782 (785) und KStZ 1969, 13 (14.) sowie "Das Regenwasser
im kommunalen Abwasserabgabenrecht" 1968, S. 112 ff.; Neuhausen, KStZ 1968, 193
(196).
109
Der Wasserverbrauchsmaßstab beruht auf der Wahrscheinlichkeitsannahme, daß in
dem Ausmaß, in dem Wasser aus einer Wasserversorgungsleitung entnommen wird,
auch Abwässer abgeleitet werden. Er ist für die Schmutzwasserableitung ein sehr
wirklichkeitsnaher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wenn gewährleistet ist, daß die dem
Grundstück aus öffentlichen oder eigenen Wasserversorgungsanlagen zugeführten,
nachweislich aber nicht abgeleiteten, sondern auf dem Grundstück verbrauchten oder
zurückgehaltenen Wassermengen bei der Berechnung der Gebühr abgesetzt werden
und wenn ferner der erhöhte Verschmutzungsgrad gewerblicher oder industrieller
Abwässer nicht außer acht gelassen wird. Der Wasserverbrauchßmaßstab
berücksichtigt allerdings nicht die Oberflächenentwässerung der Grundstücke, für deren
Erfassung sich als Zusatzmaßstab der Maßstab der Grundstücksfläche besonders
eignet, den auch die Stadt ... bei den laufenden Benutzungsgebühren verwendet, in dem
sie für je 100 qm Grundstücksfläche den gleichen Betrag wie für 1 cbm häuslicher
Abwässer als Gebühr berechnet. Um den Schwierigkeiten der Feststellung des
Umfanges und der Art der zukünftigen Abwässerableitung, die beim Anschluß eines
Grundstückes an die Abwasseranlage regelmäßig noch nicht feststehen, Rechnung zu
tragen, wird von Barocka, a.a.O., vorgeschlagen, daß nach näherer Regelung in der
Ortssatzung Umfang und Art der nach der Anschlußnahme zu erwartenden
Abwässerableitung zunächst geschätzt werden und die Heranziehung zur einmaligen
Anschlußgebühr durch einen vorläufigen Bescheid erfolgt, der später durch einen
endgültigen Bescheid ersetzt wird, sobald Art und Umfang der Abwässerableitung für
den bestimmten Erhebungszeitraum, der der Berechnung der einmaligen
Anschlußgebühr zugrunde gelegt wird, feststehen. Gegen ein derartiges Verfahren,
dessen Einzelheiten in der Ortssatzung zu regeln wären, bestehen keine Bedenken. Bei
anderen Gemeindeabgaben, z.B. der Schankerlaubnissteuer wird das Verfahren der
vorläufigen Heranziehung und späteren endgültigen Festsetzung der Abgabe seit
langem gehandhabt. Bei den Gebühren ist allerdings § 7 KAG zu beachten, wonach die
Gebühren im voraus nach besten Normen und Sätzen zu bestimmen sind. Die
Anwendung des modifizierten Wasserverbrauchsmaßstabes sowohl für die einmalige
Anschlußgebühr als auch für die laufende Benutzungsgebühr dürfte auch praktikabel
sein. Sie wird dem Wesen der einmaligen Anschlußgebühr, die einen
vorweggenommenen Aufschlag auf die laufende Benutzungsgebühr darstellt, und dem
Erfordernis des speziellen Äquivalenzprinzips gerecht.
110
Gegenüber dem Frontmetermaßstab wird als wesentlich wirklichkeitsnäherer
Wahrscheinlichkeitsmaßstab auch eine Verbindung der Maßstäbe der
Grundstücksfläche und der Geschoßfläche mit weiteren Differenzierungen
vorgeschlagen.
111
Vgl. Sindermann, a.a.O., S. 54 ff.; Finkler, a.a.O.
112
Welchen Maßstab die Stadt ... in Zukunft im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip bei
Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten und der Praktikabilität des Maßstabes
113
wählen wird, bleibt ihrem sorgfältigen Ermessen überlassen.
III
114
Die von der Klägerin im übrigen gegen ihre Heranziehung geltend gemachten
Einwendungen, mit denen sich bereits der III. Senat des Gerichtshofes in seinem
Beschluß vom 28. Dezember 1967 - III B 515/67 - befaßt hat, sind unbegründet.
115
Zur Grundstücksentwässerung, auf die sich die Entwässerungssatzung beschränkt,
gehört auch die Ableitung des Regenwassers, das auf den an die öffentlichen
Abwasseranlagen angeschlossenen Grundstücken anfällt (§ 1 Abs. 1 und 3 der
Entwässerungssatzung). Auch für die Oberflächenentwässerung der Grundstücke, sei
es durch Anschluß eines Grundstückes an einen Mischwasserkanal oder an einen
Regenwasserkanal, darf von den Gemeinden nach § 4 KAG eine einmalige
Anschlußgebühr erhoben werden. Von der Oberflächenentwässerung der Grundstücke
ist abgabenrechtlich die Straßenentwässerung zu unterscheiden. Die Kosten der
Straßenentwässerung werden nach besonderen Bestimmungen erhoben, früher nach §
15 des. Preußischen Fluchtliniengesetzes vom 2. Juli 1875, PrGS 561 (FluchtlG), jetzt
nach den §§ 127 ff. des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960, BGBl I 341 (BBauG).
Die Zahlung von Beiträgen nach diesen Vorschriften läßt das Recht der Gemeinden
unberührt, Gebühren für Anlagen der Abwasserableitung nach § 4 KAG zu erheben,
was in § 127 Abs. 4 BBauG ausdrücklich klargestellt ist. Für die
Oberflächenentwässerung der Straßen kann eine Benutzungsgebühr nach § 4 KAG
nicht erhoben werden. Dies ist hier auch nicht geschehen. Die Klägerin ist wegen des
Anschlusses ihres Grundstückes an einen Mischwasserkanal, in den auch das auf
ihrem Grundstück anfallende Regenwasser abgeleitet wird, zur einmaligen
Anschlußgebühr herangezogen worden. Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom
3. Dezember 1963 - VG Münster 1 K 549/63 -, auf das sich die Klägerin beruft, ergibt
sich nichts anderes. In diesem Urteil ist zutreffend ausgeführt worden, daß die Kosten
der Straßenentwässerung in keinem Zusammenhang mit der einmaligen
Anschlußgebühr stehen. In diesem Urteil ist zu Recht § 1 Abs. 3 der Ortssatzung der
Stadt ... über den Anschluß der Grundstücke an die Gemeindliche
Entwässerungsanlage vom 8. Oktober 1948 in der Fassung der Nachtragssatzung vom
4. Dezember 1953/13. März 1954 als ungültig behandelt worden, weil nach diesen
Bestimmungen gemäߧ 4 KAG unzulässigerweise auch die Kosten der oberirdischen
Straßenentwässerung erhoben wurden.
116
Der Klägerin werden mit der einmaligen Anschlußgebühr auch nicht die Kosten der
Straßenentwässerung angelastet. Wie der Beklagte glaubhaft dargelegt hat, wird der auf
die Straßenentwässerung entfallende Kostenanteil von der Stadt aufgebracht, indem
diese etwa 20 v.H. der gesamten Kosten für die Grundstücksentwässerung und die
Straßenentwässerung aus allgemeinen Haushaltsmitteln abdeckt. Der von dem
Beklagten vorgelegte Abwasserhaushalt-Istzahlen nach den Haushaltsrechnungen
1965 und 1966 - weist erhebliche Fehlbeträge aus, so für 1965 bei den Betriebskosten
91.572,35 DM = 17,5 v.H. und bei den Investitionsausgaben 714.734,56 DM = 48,5 v.H.,
insgesamt 806.306,91 DM = 41 v.H., für 1966 noch höhere Fehlbeträge, die die Stadt
durch eigene Mittel, bei den Investitionsausgaben teilweise durch Aufnahme von
Darlehen, gedeckt hat. Wie Barocka dargelegt hat, ist das mengenmäßige Verhältnis
von Schmutzwasserabfluß und Oberflächenwasserabfluß in der Bundesrepublik
Deutschland im groben Durchschnitt mit 75 v.H. Schmutzwasser und 25 v.H.
Oberflächenwasser anzunehmen, wobei von dem Oberflächenwasserabfluß etwa die
117
Hälfte = 12,5 v.H. auf die Entwässerung der öffentlichen Verkehrsflächen und
Grünflächen entfällt.
Vgl. Barocka, Das Regenwasser im kommunalen Abgabenrecht, 1968, S. 43.
118
Das Verwaltungsgericht Arnsberg
119
- Urteil vom 8. Februar 1966, DGStZ 1967, 41 -
120
schätzt den auf die Straßenentwässerung entfallenden Kostenanteil auf nur etwa 10 v.H.
des gesamten Entwässerungshaushaltes. Der auf die Straßenentwässerung der Stadt ...
entfallende Kostenanteil wird jedenfalls durch die von der Stadt ... hierfür aufgebrachten
Eigenmittel gedeckt. Mehrkosten infolge der Straßenentwässerung entstehen durch die
Sinkkästen und durch die Abflußrohre, die nach den Angaben des Beklagten bei der
Mischwasserkanalisation wegen der Aufnahme des Regenwassers um etwa 20 v.H.
größer dimensioniert sind. Wie der Beklagte glaubhaft dargelegt hat, entstehen für die
zum Abwassersystem gehörende Kläranlage infolge der Regenwasserableitung
keinerlei Mehraufwendungen,da die Kläranlage nur für die Ableitung der normalen
Abwässer eingerichtet ist und ein erhöhter Öberflächenwasserabfluß durch die
vorhandenen Regenauslässe unmittelbar in die Umflut oder in die D. geleitet wird. In
den von dem Beklagten vorgelegten Haushaltsrechnungen für 1965 und 1966 sind
allerdings nicht die Erschließungsbeiträge enthalten, die die Stadt ... vereinnahmt hat
und die im Jahre 1965 insgesamt 211.177,84 DM ausmachten. Auch bei
Berücksichtigung der anteiligen Erschließungsbeiträge für die Anlagen der
Straßenentwässerung, die nur einen geringen Anteil des gesamten Aufwandes für die
Erschließungsanlagen im Sinne der §§ 127 ff. BBauG ausmachen, läßt sich nicht
feststellen, daß der Klägerin mit der einmaligen Anschlußgebühr die Kosten der
Straßenentwässerung angelastet werden.
121
Die Klägerin ist auch nicht nach § 18 der Entwässerungssatzung von der Entrichtung
der einmaligen Anschlußgebühr befreit, Nach dieser Vorschrift findet die Erhebung der
einmaligen Gebühr nach Maßgabe dieser Satzung dann nicht statt, wenn bereits eine
Gebühr zu den Kosten der Grundstücksentwässerung nach früheren Bestimmungen
geleistet worden ist. Zu Unrecht meint die Klägerin, mit der laufenden
Benutzungsgebühr, die sie nach dem Anschluß ihres Grundstückes im Jahre 1961
entrichtet habe, und die gemäß § 16 der Ortssatzung vom 8. Oktober 1948 auch zur
Deckung der Kosten der Herstellung der Entwässerungsanlagen bestimmt gewesen sei,
habe sie eine Gebühr nach früheren Bestimmungen geleistet, die ihre Freistellung von
der einmaligen Anschlußgebühr zur Folge habe. Unter "Gebühr zu den Kosten der
Grundstücksentwässerung" im Sinne des § 18 der Entwässerungssatzung ist nach dem
Sinnzusammenhang und Zweck dieser Vorschrift nur eine einmalige geldliche Leistung
zu verstehen, die für die Grundstücksentwässerung zur Einrichtung oder Unterhaltung
der gemeindlichen Abwasseranlage aus Anlaß des Anschlusses eines Grundstückes
an die Abwasseranlage geleistet worden ist. Würde darunter auch eine laufende Gebühr
fallen, so wäre die Bestimmung des § 14 der Entwässerungssatzung, nach der auch für
das Behalten des Anschlusses eines Grundstückes die einmalige Gebühr zu entrichten
ist, gegenstandslos. Für das Behalten des Anschlusses könnte dann nämlich niemals
eine einmalige Anschlußgebühr erhoben werden, weil das Vorhandensein des
Anschlusses vor dem Inkrafttreten der Entwässerungssatzung nach den früheren
Bestimmungen die Pflicht zur Entrichtung der laufenden Benutzungsgebühren
begründet hatte und jeder Grundstückseigentümer dann bereits eine "Gebühr zu den
122
Kasten der Grundstücksentwässerung nach früheren Bestimmungen" geleistet hätte.
Dieses sinnwidrige Ergebnis hat die Stadt ... mit der Freistellungsvorschrift des § 18 der
Entwässerungssatzung ersichtlich nicht gewollt. Neben den laufenden
Benutzungsgebühren hat die Klägerin nach früheren Bestimmungen eine einmalige
geldliche Leistung anläßlich des Anschlusses ihres Grundstückes an die öffentliche
Abwasseranlage der Stadt ... nicht erbracht.
Die Erhebung der einmaligen Anschlußgebühr für das Behalten des Anschlusses ist
auch nicht deswegen unzulässig, weil, wie die Klägerin meint, die Stadt ... für das
Nehmen des Anschlusses eine Gebühr von ihr habe erheben können und dies
unterlassen habe. Wegen des Behaltens eines Anschlusses ist eine Heranziehung zur
einmaligen Anschlußgebühr nur möglich, wenn das Grundstück angeschlossen worden
ist, bevor das Behalten durch Ortsrecht abgabepflichtig, gemacht worden ist. Konnte die
Gemeinde im Zeitpunkt des Nehmens des Anschlusses eine einmalige Anschlußgebühr
erheben, hat dies aber unterlassen, kann sie den Grundstückseigentümer auf Grund
eines späteren, auch das Behalten des Anschlusses abgabenpflichtig machenden
Ortsrechts nicht wegen Behaltens des Anschlusses heranziehen, weil sonst die
Verjährungsvorschriften des § 87 KAG für die Heranziehung wegen des Nehmens des
Anschlusses gegenstandslos würden.
123
Vgl. PrOVG, Entscheidung vom 3. März 1939 - RVBl 60, 436 und Urteil vom 19. Juli
1940, PrOVGE 105, 45; Surén, a.a.O., Anm. 17 b zu § 4 KAG.
124
Diese Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor. Nach § 16 der Ortssatzung vom 8.
Oktober 1948, der im Zeitpunkt des Anschlusses des Grundstückes der Klägerin galt,
konnte die Stadt ... keine einmalige Anschlußgebühr, sondern nur eine laufende
Benutzungsgebühr, die auch zur Deckung der Herstellungskosten der
Entwässerungsanlagen diente, erheben, § 1 Abs. 3 dieser Ortssatzung in der Fassung
der Nachtragssatzung vom 4. Dezember 1953/13. März 1954 sah zwar vor, daß zur
Deckung der erstmaligen Herstellungskosten der öffentlichen Entwässerungsanlagen
bzw. ihrer Erweiterungen neben den Kosten der oberirdischen Straßenentwässerung
die Kosten eines gewöhnlichen (höchstens 50 cm haltenden) Kanals erhoben wurden.
Diese Vorschrift war jedoch ungültig, wie bereits das Verwaltungsgericht in seinem
Urteil vom 3. Dezember 1963 ausgeführt hat. Eine beitragsähnliche einmalige
Geldleistung konnte nach dieser ungültigen Vorschrift weder für die Kosten der
Straßenentwässerung noch wegen des Nehmens eines Anschlusses für die Kosten der
Grundstücksentwässerung erhoben werden. Die Klägerin wäre nach § 18 der
Entwässerungssatzung allenfalls dann von der einmaligen Anschlußgebühr befreit,
wenn sie auf Grund des § 1 Abs. 3 der Ortssatzung vom 8. Oktober 1948 in der Fassung
der Nachtragssatzung vom 4. Dezember 1953/13. März 1954 trotz der Ungültigkeit
dieser Vorschrift tatsächlich zu einer einmaligen Geldleistung wegen des Nehmens des
Anschlusses herangezogen worden wäre,
125
vgl. PrOVG, Urteil vom 19. Juli 1940, a.a.O.,
126
was jedoch unstreitig nicht geschehen ist. Die einmalige Anschlußgebühr war erstmalig
in der Satzung der Stadt über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluß an
die öffentlichen Abwasseranlagen vom 18. Dezember 1963/14. Februar 1964
vorgesehen. Diese Satzung ist jedoch nicht formell wirksam zustande gekommen, weil
der Bürgermeister der Stadt ... die öffentliche Bekanntmachung der Satzung nach
Eingang der aufsichtsbehördlichen Genehmigung nicht ordnungsmäßig unterzeichnet
127
hat, was nach § 37 Abs. 3 GO erforderlich war.
Vgl. Urteile des Senats vom 29. Mai 1968 - II A 1473/66 - DVBl 1968, 849 = KStZ 1968,
224 und vom 12. Februar 1969 - II A 1305/67 - (zur Veröffentlichung bestimmt); ferner
OVG Münster, Urteil vom 8. Februar 1967 - III A 700/66 - KStZ 1967, 149 Gemht 1967,
214 und 234 (insoweit aber nicht veröffentlicht).
128
Die in dieser Satzung enthaltene Regelung der einmaligen Anschlußgebühr war zudem
wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch materiell ungültig, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend in seinem Urteil vom 9. April 1965 - VG Münster 1 K
766/64 - ausgeführt hat. Die Klägerin ist auch nicht auf Grund dieser ungültigen
Ortssatzung tatsächlich zur einmaligen Anschlußgebühr herangezogen worden.
Wirksam ist die einmalige Anschlußgebühr erst durch die Entwässerungssatzung
vom25. Juni 1965 eingeführt worden, auf die der angefochtene Bescheid sich stützt.
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Die streitige Gebührenforderung ist nicht verjährt. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 KAG beträgt
die Verjährungsfrist drei Jahre seit dem Ablauf desjenigen Jahres, in welchem die
Forderung entstanden ist. Zum Entstehen der Forderung auf Entrichtung der einmaligen
Anschlußgebühr gehört ein gültiges Ortsrecht, das das Nehmen oder Behalten des
Anschlusses eines Grundstückes abgabepflichtig macht. Da die Entwässerungssatzung
der Stadt ... erst im November 1965 in Kraft getreten ist, war die Verjährungsfrist des §
87 Abs. 1 Nr. 2 KAG im Zeitpunkt der Heranziehung noch nicht abgelaufen.
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Unerheblich für die Gebührenpflicht der Klägerin ist, daß nach dem in § 14 der
Entwässerungssatzung angegebenen Verwendungszweck die einmalige
Anschlußgebühr "zur Deckung der erstmaligen Herstellungskosten des öffentlichen
Abwassersystems" erhoben wird, während nach § 4 Abs. 2 Satz 2 KAG die
Gebührensätze in der Regel so zu bemessen sind, daß die Verwaltungs- und
Unterhaltungskosten der Veranstaltung, einschließlich der Ausgaben für die Verzinsung
und Tilgung des aufgewendeten Kapitals, gedeckt werden. Die Angabe dieses
Verwendungszwecks hat nur haushaltsmäßige Bedeutung. Sie berührt nicht das
Verhältnis des Abgabenpflichtigen zur Gemeinde und ändert nichts an dem Charakter
der einmaligen Anschlußgebühr als einer Benutzungsgebühr.
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Vgl. OVG Münster, Urteil vom 25. Mai 1955 - III A 326/53 - KStZ 1955, 253 = DÖV 1955,
701 = VerwRspr 8 Nr. 177.
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Mit dem Begriff "Herstellungskosten des öffentlichen Abwassersystems", zu deren
Deckung die einmalige Anschlußgebühr erhoben wird, ist andererseits die gesamte
Entwässerungsanlage, nicht nur die vor dem Grundstück des Klägers verlegte
Rohrleitung gemeint,
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vgl. OVG Münster, Urteil vom 19. Juni 1963, a.a.O.
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Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2der
Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960, BGBl I 17, (VwGO) zurückzuweisen.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 i.V.m. § 137
VwGO liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht im wesentlichen auf Landesrecht und
Ortsrecht, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann. Dies gilt
insbesondere für die Bedeutung des speziellen Äquivalenzprinzips für die
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Benutzungsgebühren, wie sie der Senat abweichend von der bisherigen
Rechtsprechung entwickelt hat. Soweit den Gemeinden eine Übergangsfrist zur
Anpassung ihres Ortsrechts an die neue Rechtsauffassung des Senats eingeräumt
worden ist, stimmt die Entscheidung mit der vergleichbaren Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts überein.
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