Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.12.2006

OVG NRW: aufschiebende wirkung, gleichstellung, anhörung, versetzung, gefährdung, ermessensfehler, alter, erlass, behörde, fürsorgepflicht

Oberverwaltungsgericht NRW, 6 B 2110/06
Datum:
05.12.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 B 2110/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 L 1373/06
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der
Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, führen nicht zu einer
Änderung der angefochtenen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht es
abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller gegen die
Versetzungsverfügung des Instituts für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW (IAF) vom
7. August 2006 eingelegten Widerspruchs anzuordnen.
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Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem Interesse
des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den
Bescheid eingelegten Widerspruchs und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen
Vollziehung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Die Versetzungsverfügung erweist
sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen
Prüfung auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens als rechtmäßig.
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Formelle Fehler, die ein Aussetzungsinteresse des Antragstellers begründen könnten,
sind nicht dargelegt. Der Antragsteller kann insbesondere nicht mit Erfolg geltend
machen, ein Verfahrensfehler folge bereits daraus, dass die
Schwerbehindertenvertretung nicht angehört worden sei. Nach Ziffer 9 der Richtlinie zur
Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) im
öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen (Runderlass des Innenministeriums
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vom 14. November 2003, MBl. NRW 2003, S. 1498, geändert durch Runderlass des
Innenministeriums vom 20. Mai 2005, MBl.NRW 2005, S. 670) in Verbindung mit § 95
Abs. 2 Satz 4 SGB IX ist vor der Entscheidung über einen Arbeitsplatzwechsel eines
schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung anzuhören.
Schwerbehinderte Menschen im Sinne dieser Richtlinie sind die schwerbehinderten
und die ihnen gleichgestellten Menschen nach den Vorschriften des SGB IX (vgl. Ziffer
2.3 Satz 1). Ziffer 2.3 Satz 3 der Richtlinie sieht vor, dass Beschäftigte bis zur
Entscheidung über einen Antrag (auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
beziehungsweise der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten) unter Vorbehalt als
schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen zu behandeln sind.
Der Antragsteller hat zwar am 2. Juni 2006 (vgl. das Schreiben des Antragstellers an die
Zentralabteilung vom 3. August 2006) oder am 2. August 2006 (so der Vortrag in der
Beschwerde) offensichtlich einen Antrag auf Feststellung der Eigenschaft als
schwerbehinderter Mensch gem. § 69 Abs. 1 SGB IX gestellt und dies dem
Antragsgegner jedenfalls mit Schreiben vom 3. August 2006 mitgeteilt. Dieser Antrag ist
jedoch zwischenzeitlich mit Bescheid des Versorgungsamtes L. vom 28. September
2006 abgelehnt worden. Festgestellt wurde lediglich ein Grad der Behinderung von 30.
Hiernach steht mangels einer Schwerbehinderteneigenschaft nunmehr fest, dass ein
Anhörungserfordernis nicht bestanden hat und ein Verfahrensfehler - unabhängig
davon, ob die Anhörung der Gesamt-Schwerbehindertenvertretung vom 6. Juni 2006
hinsichtlich des dort namentlich nicht benannten Antragstellers ausreichend gewesen
wäre - nicht vorliegt. Denn das Erfordernis, Beschäftigte bereits ab Antragstellung "wie
schwerbehinderte Menschen zu behandeln", steht unter dem Vorbehalt, dass der
Beschäftigte tatsächlich schwerbehindert ist bzw. die entsprechende deklaratorische
Feststellung durch das Versorgungsamt erfolgt (vgl. auch Ziffer 2.3 Satz 3 der
Richtlinie). Rechtliche Bedeutung kommt der Anhörung lediglich zu, wenn die
Schwerbehinderteneigenschaft später tatsächlich festgestellt wird. Nur für diesen Fall
erfolgt - gewissermaßen vorsorglich - die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung.
Anderenfalls wird eine vorsorglich durchgeführte Anhörung gegenstandslos.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1988 - 5 C 67.85 -, BVerwGE 81, 84, m.w.N.,
und Beschluss vom 22. August 1990 - 2 B 15.90 -, Buchholz 436.61 § 50 SchwbG Nr. 1
(zur vorsorglichen Anhörung der Hauptfürsorgestelle nach § 47 Abs. 2 SchwbG a.F.).
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Das folgt aus dem Zweck der Regelung. Weil der Beschäftigte, der seinerseits mit der
Antragstellung alles getan hat, um seine Rechte als Schwerbehinderter geltend zu
machen, nicht davon abhängig sein soll, wie lang der Zeitraum zwischen der
Antragstellung und der bestandskräftigen Feststellung seiner
Schwerbehinderteneigenschaft ist, ist er schon ab Antragstellung (unter Vorbehalt)
entsprechend einem schwerbehinderten Menschen zu behandeln. Dieses besonderen
Schutzes bedarf es hingegen nicht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine
Schwerbehinderung gar nicht vorlag.
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Zu keinem anderen Ergebnis führt es, dass der Antragsteller umgehend nach dem
ablehnenden Bescheid des Versorgungsamtes L. einen Antrag auf Gleichstellung mit
einem schwerbehinderten Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt hat. Das
Anhörungserfordernis gilt - wie oben dargestellt - bei Anträgen auf Gleichstellung zwar
grundsätzlich in gleicher Weise ab der Antragstellung. Das setzt allerdings zwingend
voraus, dass ein solcher Antrag im Zeitpunkt der Entscheidung - hier der
Versetzungsverfügung - bereits vorlag und der Dienstherr darüber in Kenntnis gesetzt
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war.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. August 1990, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 8. Juni
1993 - 6 A 2076/91 - und Beschluss vom 7. März 2000 - 6 A 4703/99 -.
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Ein Hinweis auf die Ende September 2006 beantragte Gleichstellung erfolgte erst mit
der Beschwerdebegründung vom 15. November 2006.
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Durchgreifende Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit der auf § 28 Abs. 1
LBG NRW gestützten Versetzungsverfügung macht die Beschwerde ebenfalls nicht
geltend. Sie legt insbesondere keine Gründe dar, die die Einschätzung des
Verwaltungsgerichts, Ermessensfehler seien bei summarischer Prüfung nicht
festzustellen, in Frage stellen.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Antrag auf Feststellung der
Schwerbehinderteneigenschaft - mittlerweile kann allenfalls noch der Antrag auf
Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen relevant werden - sei bei der
Entscheidung ermessensfehlerfrei gewürdigt worden. Für die Versetzung lägen
dringende dienstliche Gründe vor, da die maximale Verwendungsdauer von sechs
Jahren beim IAF für den Antragsteller abgelaufen sei. Unter Berücksichtigung
personalwirtschaftlicher Überlegungen (Rotation) und der Qualitätssicherung sei dies
nicht sachwidrig. Diese Einschätzung ist entgegen der Beschwerde nicht zu
beanstanden. Denn der regelmäßige Personalwechsel besitzt nach dem Konzept des
Antragsgegners besondere Bedeutung für die Verbesserung der Qualität von Aus- und
Fortbildung. Außerdem stellt er ein wesentliches Element zur Gewährleistung der
erforderlichen Praxisnähe dar (vgl. Erlass des Innenministeriums vom 16. Juni 2005,
45.2-26.09.03 sowie dessen Anlage vom 27. April 2005). Diese zentralen Anliegen
könnten nur noch eingeschränkt erreicht werden, wenn schwerbehinderte oder diesen
gleichgestellte Polizeibeamte vom Rotationsprinzip ausgespart werden müssten. Das
gilt insbesondere, wenn die Beamten - wie hier der Antragsteller mit einem Alter von 48
Jahren - angesichts ihres Lebensalters noch einen erheblichen Zeitraum bis zum Ende
der Laufbahn zurückzulegen haben. Den aus einer Schwerbehinderung oder
Gleichstellung folgenden Beschränkungen ist vor diesem Hintergrund von der
aufnehmenden Dienststelle Rechnung zu tragen. Dem steht nicht entgegen, dass nach
dem Vortrag des Antragstellers für ihn eine Stelle im Wach- und Wechseldienst
vorgesehen gewesen sei. Soweit er zu entsprechenden Tätigkeiten aufgrund der
polizeiärztlich festgestellten Verwendungsbeschränkungen nicht nur vorübergehend
nicht in der Lage sein sollte, ist das selbstverständlich zu berücksichtigen,
gegebenenfalls auch durch einen Einsatz außerhalb des Wach- und Wechseldienstes.
Dass sich der Polizeipräsident Bonn in rechtswidriger Weise über die
Verwendungsbeschränkungen hinsichtlich des Antragstellers hinwegsetzen wird, ist
weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der Zuweisung eines konkreten Dienstpostens
bereits durch das IAF steht hingegen das Organisationsermessen des Leiters der
aufnehmenden Behörde entgegen.
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Ein Ermessensfehler folgt auch nicht daraus, dass die Versetzung - wie der Antragsteller
meint - zur Polizeidienstunfähigkeit führe. Unabhängig vom Vorliegen einer
Schwerbehinderung beziehungsweise einer beantragten Gleichstellung kann sich eine
Versetzungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht als
ermessensfehlerhaft erweisen, wenn dadurch eine erhebliche gesundheitliche
Gefährdung des Beamten wahrscheinlich ist und mit dem vorzeitigen Eintritt dauernder
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Dienstunfähigkeit zu rechnen ist. Die bloße Möglichkeit einer gesundheitlichen
Gefährdung reicht nicht aus.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. März 1968 - II C 137.67 -, ZBR 1969, 47, vom 13. Februar
1969 - II C 114.65 -, BayVBl. 1969, 317, und vom 12. Juni 1996 - 1 WB 21.95 -, ZBR
1996, 395; OVG Saarland, Beschluss vom 17. September 2001 - 1 W 6/01 -, DÖD 2002,
125; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, § 28
Rdnr. 119.
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Ein solcher aufgrund der Versetzung zu befürchtender Eintritt dauernder
Dienstunfähigkeit ist hier nicht hinreichend dargelegt, da für einen Einsatz des
Antragstellers entgegen den Verwendungsbeschränkungen hier - wie bereits dargestellt
- nichts ersichtlich ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei der sich daraus ergebende Wert im
Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung zu halbieren ist.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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